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Dienstag, 15. Oktober 2024

Gerrit Achterberg, die Ballade vom Gasfitter

 


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Gerrit Achterberg
1905 - 1962

Ich habe mich an eine Art Mammutaufgabe gewagt. Gerrit Achterbergs Ballade vom Gasfitter, ein Zyklus von 14 Sonetten. Achterberg hatte ernste psychische Probleme. Seine Vermieterin (Geliebte?) hat er erschossen und ihre Tochter...man weiß es nicht so genau. Er wurde verschiedene Male in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.  In seinem Wahn versuchte er immer wieder die Ermordete herauf zu beschwören, und diesen Wahn vermischte er mit christlichen Motiven. Er kam aus einem streng christlichen Elternhaus, und Gott, Tod, Teufel, Jesus, Petrus, Geliebte und Personal der psychiatrischen Klinik liefen bei ihm durcheinander. Er war aber ein brillianter Dichter. Die Art in der er Alltagssprache wie selbstverständlich in Poesie verwandelte war stilbildend für viele Nachkriegsdichter. Martinus Nijhoff , eine Schlüsselfigur des 20. Jahrhunderts, hat ihn sehr bewundert. In der "Ballade vom Gasfitter" findet man diese Elemente alle wieder: Biblisches und Alltägliches werden vermischt und scheinbar banales technisches Vokabular wird mit Symbolik aufgeladen. Die Nähe und den Gegensatz von "God" (Gott) und "gat" (Loch) nutzt Achterberg virtuos in der Darstellung des Wahnsinns seines Klempners.  Hat die Pistole nicht ein Loch verursacht? Die "Ballade" ist nicht leicht zu interpretieren, aber Achterbergs Wimmelbild aus Bildern und Bedeutungen stellt ja nicht umsonst die Welt eines Wahnsinnigen dar.
Die Ballade vom Gasfitter wurde 1954 mit dem Poesiepreis der Gemeinde Amsterdam ausgezeichnet. Für sein gesamtes poetisches Werk erhielt Achterberg 1959 den Constantijn Huygens Preis. 

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Die Ballade vom Gasfitter

Gerrit Achterberg, 1953.

I

Du bist von hinten zu den Wohnstätten gekommen.
An den Fassaden, zwischen den Gardinen,
bist Du fortlaufend aus dem Nichts erschienen
als ich im Gehen Einblick hab' genommen.

Im Weitergehen musst Du ab und an erscheinen,
das nächste Fenster gibt mir Recht und du wirst aufgenommen.
Ein Jansen wohnt hier, Jansen mit den seinen,
in seinem Namen möchtest Du entkommen.

Doch das heißt nichts. Die Türen sind geduldig;
sie haben Klingel, Briefkasten und Stufen.
Der Apfelkaufmann lockt mit seinem Rufen,
und es gibt viele Arten Dieterich.
Auch ich komme herein, todernst, total unschuldig,
zu Ihren Diensten, als Gasfitter berufen.

II

Dann - am hellen Tag bei Dir bei meiner Arbeit,
vermummt als Angestellter der Gemeinde - gehen
meine Augen rund und sehe ich Dich stehen.
Die Decke wird zum Deckel mit der Zeit.

Die Wände sind aus Erde. Wir laufen an.
Die Kammer ist gesättigt, wie ich merke.
Es geht auch nicht. Ich zieh' die Schrauben an.
Beschränk' ich mich auf  die Gewerke,

so bleiben wir bei unserem Inkognito,
während ich bückend, kniend, den Fehler richte,
bäuchlings überprüfend, was ihn verursacht.
Und immerzu nur denken: Es ist besser so.
Totschweigen, mit einem Hammerschlag vernichtet.
Totstille, die die Hammerschläge heil macht.

III

Sollte ich die Wohnung inundieren?
Oder Löcher in das Gasrohr drehen?
Ich kann die Falle sehen; muss Schlüsse inspizieren
und mach' den Fehlschluss hastig ungeschehen.

Dann würde nämlich später in der Zeitung stehen:
"Aus unbekanntem Grunde fand ein Fitter,
in der Ausübung seines Bestehens,
den Tod durch Gaserstickung. Das Geschehen
im nächsten Wohntrakt war genau so bitter,

wo die Vermieterin ein gleiches Ende fand.
Sie lag vornüber, in der ausgestreckten Hand
steckte ein Brief, in dem am Anfang stand geschrieben:
"Egal wie groß die Welt, ich komme wieder".
Sie wurde, scheint es, überrascht beim Lesen
kein Überspiel ist es gewesen".

IV

Das kleine Loch ist endlich dicht.
Langsam suche ich mein Zeug bei-
sammen, die Beine sind wie Blei.
Der Schweiß läuft über mein Gesicht.

Als ob ich Übermenschliches verrichte,
will ich mit einer Geste mich erklären,
und dreh' mich zu Dir um, doch Du bist nicht mehr
da. Es gibt nur noch das späte Mittaglicht.

Den Werkzeugkasten hebe ich vom Boden auf
und stell' ihn auf die Schulter. Im Gang
erwecken meine Schritte hallenden Gesang.
Die Tür fällt zu. Der Straßenlärm hat beinah auf-
gehört. Ein dichter Nebel nimmt die Sicht.
Recht hatt' ich diesmal offensichtlich nicht.

V

Wieder zuhause, es ist Essenszeit,
ich bin zu Tisch, da geht das Telefon.
Ich nehm' den Hörer ab und in bestimmtem Ton
klingt eine neue Order von der Überseite.

Der Herr Direktor. Seine Stimme laut und schrill,
mit im Verborgenen ein weicher Ton.
"Morgen in die gleiche Strasse gehst du, mein Sohn.
Es ist sehr wichtig, was ich von dir will".

Kein Esel stößt sich zweimal an dem gleichen Stein.
Am besten wär', ich blieb' hier nicht allein,
lieber noch heute Abend angeschaut
das Hochhaus, auf die schnelle hingebaut
dort gegenüber. Mit jedem Nummernschild
wird mir dann klarer, was er von mir will.

VI

Ich konnte diese Nacht nicht mehr erfahren.
Der Hausmeister war eingeschlafen. Abgespannt,
weswegen ihm die Nummern glatt entfallen waren.
Sein Kopf lag auf dem Arm gekantet. Gespannt


warf ich den Blick durchs Fenster. Es wehte
sanfter Wind. Auch raschelte es leise
über dem Boden. Pflichtvergessen lebte
hier ein Mensch, der mir aus dieser Scheiße

hätte helfen können, wenn es nicht
so leer geworden wäre und zu düster,
als dass ich hätte wecken dürfen mit Geflüster.
Dann würde er den Kopf verlieren. Das ging nicht.
Auch den Direktor koste es das Haupt.
Niemand hört mich gehen. Hat er aufgeschaut?

VII

Schon unterwegs, kaum ist die Nacht vorbei,
der Schlaf noch in den Augen, scheinen mir
die Straßen in der ersten Stunde vogelfrei,
dabei bezog das Endziel schon Quartier.

Ein sicheres Gefühl, wie früher nie gewesen.
Einer von der Direktion, auf einem Zwei-
rad. Ich grüße, doch er er schaut an mir vorbei.
Sicher wieder Knatsch mit seinem Besen.

Vielleicht erscheint es ihm verdächtig,
dass er mich trifft in Stadtbereichen,
wo ein Fitter nichts mehr kann erreichen.
Hier wohnt ein junges, ruchloses Geschlecht
in einem anderen Licht. Wo man mich registriert hat.
Deswegen richte ich die Schritte richtung Stadt.

VIII

Ich nähere mich der letzten Möglichkeit.
Weiße Knöpfe, in einer Reihe bissbereit,
verspotten mich, wie falsche Zähne aufgereiht.
Verbissen führen meine Finger Streit.

Während ich im Stehen nagelbeiß',
springt jäh die Tür auf. Als wäre sie bestellt -
die Putze hat den  Ascheeimer hingestellt.
Ich hätte mich sonst nie entschieden, doch ich weiß:

Die Zeit ist knapp. Das Loch, wo ist es, will ich wissen.
Sie zeigt nach oben mit einer Spur Sarkasmus,
die bedeutet: Du bist wohl nicht ganz dicht.
Das weiß ich; Ohne Beten bin ich aufgeschmissen.
Der Aufzug fährt nun aufwärts richtung Schluss
von dem, was noch kein Fitter hat gedichtet.

IX

Je höher, dass ich steige, umso größer die
Entfernung zwischen Dir und mir. Das Leben
fühlt sich an von Nickel und von Stahl umgeben.
Ein leeres Nietloch gab's in diesem Bau noch nie.

Hier gibt's kein Gas. Gott ist das Loch. Er stürzt
die Tiefen über mich, um zu erleben
an einem dreisten Fitter, das Gefühl sich göttlich zu erheben.
Ein Loch, das sich mit jedem Stockwerk kürzt.

Stockwerk über Stockwerk stürzt nach unten.
Bestürzter kann kein Fitter sein.
Womöglich fällt ein letztes Wort mir ein,
wenn ich ihn frage nach dem ersten Grund.
Ich verspüre einen Stoß. Hier muss ich raus
und setz' mich Seinem Ratschluss aus.

X

Türe an Türe öffnen sich die Säle.
Herren aller Zungen, Rassen, Länder
rufen im Chor, als sähen sie Gespenster:
"Uns kannst du keinen Stuss erzählen."

Bin ich dafür unterirdisch auf dem Bauch gelegen?
Hat mir der Abstieg in der Glasschacht
nur einen Beutel Schmutzwäsche gebracht?
Hört, wie die sich emsig hin und her bewegen.

In dieser Gegend schau' ich mich ein wenig um.
Inzwischen wird es Mittag, soviel ist mir klar.
Die Schulen haben aus. Die Stoßzeit ist gekommen.
Die Kinder, von den Müttern mitgenommen,
erzählen. Fahrräder klingeln. Autos fahr-
en schnell an mir vorbei, als stünd' ich nur herum.

XI

In der Asche drehen Gasfabriken leer
um ihre Achse; es konnt' ein Vakuum entstehen.
Bedenke Leser! Nur eine Seite vorher
sah seine Pläne grandios daneben gehen

derjenige, der ohne Hoffnung auf nur irgendwas,
ängstlich wie ein Hund davon geschlichen war,
doch der im Blitzlicht Ihrer Augen las,
wie die Erwartung eines Fitters war.

Zur Chefetage nehme ich die Kürzung.
Der Herr Direktor öffnet mir persönlich
und unterwirft mich einer schmerzlosen Befragung.
Hier weiterhin zu lügen lohnt sich nicht.
In seiner Brille wimmelt es, als weint er über mich.
Er schüttelt meine Hand, ermannt sich, zieht sein Spottgesicht.

XII

Der christliche Gewerkschaftsbund, zu dieser Zeit
ruft alle Klempner auf, sich unverzüglich zu beeilen
zur Hauptversammlung, um ihnen mit zu teilen,
dass einer unter ihnen die Regeln hat entweiht,

weil er mit den Instrumenten hat geschafft,
wo immer er sich aufhielt, so der Befund
und wegen Schäden an der Körperschaft,
fordert Bekenntnis seiner Schuld aus diesem Grund.

Zum ersten Mal in der Geschichte
knien die Gas- und Wasserwerker nieder,
ohne zu suchen, wo die Löcher sich verstecken;
zusammen, solidarisch in den letzten Ecken.
Dann spricht der Leiter: Sündige nie wieder!
Sie ziehen hin, sind sich todsicher.

XIII

Nach Jahren finden wir den Klempner
wieder, im Altersheim. Die Haare ausgebleicht,
ein seniler Rentner, der im Verzeichnis
aller Straßen mümmelnd auf die Namen zeigt.

Tisch und Bett muss er benützen
mit Boten, Wechsler und Monteur.
Weil mit ihm Essenfassen ein Malheur
ist, kriegt er ständig auf die Mütze.

Bis zu seinem Tod ist er versorgt.
Krankheits- und Begräbnisbeitrag reichen
gerade um genügend Karitas zu zeigen
und zu verhindern, dass der Vater ihn entsorgt.
Obdach stellt die öffentliche Hand.
Das Recht auf Kautabak gehört zum Reglement.

XIV

Die Augen gingen zu zum Schluss.
Der Mund ging auf und wurde zugebunden.
Gemessen wurde er und für gepasst befunden,
den Sarg zu füllen, der Länge nach sechs Fuß.

Alle erbrachten ihm den letzten Gruß:
Jansen, Putze und Direktor, in dieser Stunde
mit denen aus dem Hochhaus fest im Bunde,
wie ich, in Frack, Stock und Zylinder, wie es muss.

Am Grab hielt jedermann den Mund.
Man trat hervor und schaute kritisch zu,
wie der Fitter langsam in den Grund
sank, vielleicht um Irrtümer zu sichten
als er dabei war, sein letztes Loch zu dichten.
Er ruht in Gott. Die Erde deckt ihn zu.



Übersetzung Jaap Hoepelman
November 2019

De Ballade van de Gasfitter
Iemand van de Directie

Sonntag, 22. Dezember 2024

Gerrit Achterberg: Thebe


          Gerrit Achterberg
              1905 - 1962

Thebe

(1940)

Mit Leben ausgerüstet für uns beide,
habe ich mich in die nächtlichen Gänge begeben,
die zu Dir leiten.
Der Bau unter der Erde trug
eine Stille, die nur mit Widerstreben
meinen Schritt ertrug.

Die Mauern standen wie gesättigt
von rauem Schimmel; Luft und Licht,
für alle Zeit beschädigt,
laugten mich aus; der Wunsch allein
bei Dir zu sein im Endgericht,
hielt mich auf den Beinen.

Das Labyrinth verlief in Rillen
im immergleichen, blinden Ring
Um Deinetwillen?
Ich weiß nicht mehr, wie lang ich ging.
Wie trugen die, die Dich begruben,
soweit ein Ding?

Bis meine Füße auf Dich stießen:
Aus absoluter Finsternis
sah ich, wie Deine Augen wurden aufgerissen;
Deine Hände konnte ich nicht heben,
ich fühlte, wie sie am Leben streichelten,
das schlagartig in mir ragte;
Dein Mund, im Tod vergangen, fragte.

Sprache, für die es keine Zeichen gibt
im diesem All
verstand ich jetzt zum letzten Mal.

Doch mein Atem reichte nicht mehr weit
ich flüchtete in mein Gedicht:
Nottreppe in das Morgenlicht,
erbleicht, weit vor der Zeit.


Übersetzung Jaap Hoepelman, Dezember 2024

Thebe

"Thebe" ist das Titelgedicht eines Gedichtbandes mit 40 Gedichten, das 1941 erschien, als Achterberg in einer psyciatrischen Einrichtung verpflegt wurde. Die Orfeus-Thematik der Rettung der Geliebte aus der Unterwelt, in Achterbergs Oeuvre sehr prominent, finden wir in diesem Blog z.B. im zweiten Sonett der "Ballade vom Gasfitter", in der der Gasfitter in einem feuchten Verlies versucht seinen Fehler wieder gut zu machen.

Samstag, 12. April 2025

Reisender tourt Golgotha.

 Gerrit Achterberg

1905-1962

Reisender "tourt" Golgotha


Sie haben ihn, ohne danach zu fragen

ob Er es könnt' ertragen,

mit Nägeln an ein Kreuz geschlagen.


Und als Er dort dann litt und hing,

-  ein Nagel ist ein übles Ding -

sprach Er: Vater verzeih es ihnen.


Sprach Er: Sie wissen nicht was sie tun.

Sie wollten sich damit hervortun -

mal schauen - was wird Er jetzt tun?


Aber Er betete für sie,

und sterbend hatte Er für sie,

für ihr Gewissen, noch ein Alibi.


Und ich stand weiter weg, und tat,

als ob ich plauderte mit einigen Soldaten,

die nutz- und ahnungslos das, was sie taten taten.


Er aber, in der letzten Not, befahl sich

in die Hände Seines Vaters; - Noch vor Ostern musste ich

nach Jaffa hasten, dort wartete mein Schiff auf mich.


II


Dann konnte ich - auf Zypern - in der Zeitung lesen:

J.v.N., der Christus wird genannt,

der vor drei Tagen gekreuzigt ist gewesen,

dem werten Leser dieser Zeitung wohl bekannt,


ist in Seinem Grab nicht angetroffen:

Nach hartnäckigen Gerüchten war es offen, 

insgeheim hätten die Jünger sich getroffen,


als die Wärter schliefen, und den Leib entwendet.

Exaltierte Frauen hätten jedoch gemeldet,

dass sie Ihn wandern sahen in den Feldern;


Maria soll gestammelt haben: Adonai!

Fischer behaupten, dass Folgendes geschehen sei:

Am See Tiberias war Er beim Mahl dabei.

Zuständige Instanzen halten dagegen:

Das sei nur der Versuch, einen herein zu legen.


III


Rom. Der Anker fällt. Es geht nach Hause.

Jetzt schleunigst zu den Thermen um mich zu entlausen

von Rausch und Reise, und jetzt bei mir zuhause


bei Frau, Kamin und Funk gesessen,

sind Kreuz und Christus bald vergessen.

...Dann hat ein S.O.S. sich in mein Herz gefressen: 


"Es gießt mein Geist sich aus auf alles Fleisch,

wer jetzt nicht für Mich ist, ist gegen Mich", so heißt es

aus Geheimem Sender gleißend heiser.


Die Segel neu gesetzt, über Einsamkeiten

der Ozeane, welche uns entzweien.

Christus, will am Ende mir erscheinen.


Gerrit Achterberg 1943

Reiziger 'doet' Golgotha

Aus Verzamelde Gedichten (2003).


Übersetzung Jaap Hoepelman April 2025

Dienstag, 9. Juli 2024

Bernardo Ashetu. Ein Außenseiter aus Suriname wird allmählich entdeckt.



Bernardo Ashetu
1929-1982


Bernardo Ashetu (Pseud. von Henk van Ommeren), geboren 1929 in Paramaribo (Suriname), war Sohn des Arztes und späteren Vorsitzenden der Surinamischen Nationalstaaten (Parlament) Hendrik van Ommeren und Juliette Nassy. Damit Vater Hendrik das Medizinstudium abschließen konnte, zog die Familie in die Niederlande, aber Mutter Juliette und Sohn Henk mussten vor den Nazis nach Paramaribo fliehen, während Vater Hendrik in den Niederlanden zurückblieb. Gegen den Willen seines Vaters, der größeres mit ihm vorhatte, wurde Ashetu Schiffsfunker. Nach dem Krieg fand der abgemusterte Marconist eine Stelle bei Radio Holland, IJmuiden. Vater van Ommeren, ein sehr dominanter Mann, verachtete gleichermaßen den Funker und den Dichter Ashetu. Es wird vermutet, dass diese Verachtung der Grund war, dass Ashetu nach dem ersten Dichtband "Yanacuna" (1959) keine Zeile mehr veröffentlichte. Er blieb also beinahe völlig unbekannt.  "Yanacuna" erhielt sogar eine Einleitung von Cola Debrot, dem bekannten Schriftsteller und späteren Gouverneur der niederländischen Antillen, aber vergebens. In Ashetus Nachlass wurden nicht weniger als 29 unveröffentlichte Bände gefunden.
Die Verachtung seines Vaters und die Probleme einer buntgemischten Gesellschaft hatten wohl eine ungünstige Wirkung auf Ashetus labile Psyche und er musste sich in psychiatrische Behandlung begeben. Nach einem zurückgezogenen Leben starb er 1982 an Darmkrebs.
Erst in letzter Zeit wird Ashetus Gedichten mehr Aufmerksamkeit geschenkt. 2007 erschien eine Auswahl aus den Arbeiten "Dat ik zong" ("Dass ich sang"), ausgewählt durch Gerrit Komrij und 2011 eine ausführliche Anthologie durch Michiel van Kempen, Professor für niederländisch-karibische Literatur an der Uni Amsterdam, "Dat ik je liefheb" ("Dass ich dich liebe"). Van Kempens Nachwort "'Ik ben een neger" poezie als graf voor Surinaamse demonen"' habe ich im Übrigen viel Material für diesen Post entnommen.

Liebhaber der niederländischen Poesie denken unweigerlich an Slauerhoff, den anderen Seemann und Schiffsarzt (das wäre eher nach dem Geschmack von Vater van Ommeren gewesen), der auch auf Süd-Amerika fuhr. Slauerhoffs Gedicht "O Enjeitado" endet mit den Zeilen

Auch mich hat der Wahn überkommen;
Auch ich hab' entdeckt und genommen,
Der ich später alles verlor,
Um an des trägen Stromes Saum
Am Grab des grandiosen Traums
Zu sterben: “tudo é dor”.

Auch Ashetu besuchte Portugal. "Tudo é dor" und am Ufer des Tejo zu sterben waren Motive, die ihn ansprachen und von ihm benutzt wurden. "Enjeitado" bedeutet "Findelkind", und vielleicht fühlte der von seinem Vater verachtete Ashetu sich so. Auch der Titel des ersten Dichtbandes, ("Yanacuna", in Sranantongo, d.h. im Surinamischen: Yana - weit weg, Spanisch: Cuna - Wiege, in van Kempens Interpretation) könnte in diese Richtung weisen.
Es gibt andere Außenseiter, an die Ashetus Kunst mich erinnert, z.B. Lodeizen und Achterberg, beide Meister darin, mit Alltagswörtern rätselhafte Spannung hervorzurufen, oder van Schagen und Noordstar, die in ihren Gedichten auf "Poesie" verzichteten und dementsprechend erst viel später Anerkennung fanden. Buddingh's Glosse:

Wie das Blatt sich wenden kann

um 1936
lasen wir alle
begeistert und voller Ehrfurcht
Marsman und Slauerhoff
jetzt, dreißig Jahre später,
dreißig Jahre weiser,
halte ich es lieber mit
Noordstar und van Schagen.

(C. Buddingh', Gedichten 1938-1970)

Übersetzung Jaap Hoepelman, April 2019

könnte man getrost um "Bernardo Ashetu" erweitern.
Ashetus Poesie ist  kryptisch, aber vielleicht sind die schönsten Gedichte nicht unbedingt die, die man versteht, sondern die, die man verstehen möchte.

Wehmut

Es war in diesem Winter, dass
der Neger mit dem langen roten
Mund mir seine Bananen anbot.
den bitterkalten schneebedeckten Weg auf dem
er sich endlos weiterschleppte, hatte
er vollgestreut mit Millionen
Ananaswürfeln, und als ich
ihn bezahlte mit einer strahlenden
Scheibe Tropensonne, lachte er sanft
und sehr wehmütig.


Übersetzung Jaap Hoepelman Juli 2024

Marcel

Er schlich sich auf Spitzen von
hellen Schleichern vom Dach

Seine Sitten waren erquicklich leicht.

Er stürzte auf rote Steine
bei klarem Winterwetter
und niemand verstand den fremden
Pfau bei seiner teuren Beerdigung.

Nur Gott.
Und dies war der süße Marcel.

Marcel

Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2020


Bring Blumen

So sprach der Wind,
so das Wasser und
so dunkel waren die
Wolken nie gewesen.
Ein weißer Vogel flog scheu,
flog aufgeschreckt, flog trunken zur Küste
während der Jüngling
auf dem ächzenden Schiff hastig
schrieb,
bring Blumen, schrieb er,
bring Blumen auf das Grab
von dem, der nicht mehr ist.

Breng bloemen

Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2020 

Freitag, 5. September 2025

Ed Hoornik. Prophetisches im Alltäglichen.



Pogrom 
1938

                                                                                       Ed Hoornik 1910-1970

Die Poesie der Pfarrer wurde von den "Achtzigern" (wir sprechen vom 19. Jahrhundert) als hausbacken verspottet und regelrecht in die Verdammnis geschrieben. Die Achtziger ersetzten sie durch die Anbetung der poetischen Schönheit und den individuellsten Ausdruck der individuellsten Gefühle. Nach den Schrecken des ersten Weltkriegs aber war die Zeit der formvollendeten Lyrik vorbei. In Flandern, wo der erste Weltkrieg heftig wütete, beendete Paul van Ostaijen das Erbe der Achtziger. Er schrieb in Umgangssprache und scherte sich nicht um die ehrwürdigen Formen der überlieferten Poetik. Die Niederlande waren von der Katastrophe verschont geblieben; hier wirkte die Tradition der Achtziger länger nach, z.B. in sehr beachtlichen Dichtern wie Leopold und Boutens. Als die Zeiten immer bedrohlicher wurden, war es auch in den Niederlanden mit der Tradition der dichterlichen Dichter vorbei. In der Zeitschrift "Forum" wurde der Ausdruck eines persönlichen Standpunktes gefordert, anstatt eines wohligen Verbleibs in der makellosen Form. Die Diskussion trug den Namen "Vorm of Vent" ("Muse oder Macker"). Der Literat du Perron verzichtete, wie van Ostaijen, auf die poetische Sprache zugunsten der Umgangssprache. Diesen Stil nannte man "Parlando". Er hatte großen Einfluß, auch bei "unpolitischen" Dichtern, wie Achterberg und Vasalis.
In Amsterdam übernahmen Maurits Mok, Jac. van Hattum, Gerard den Brabander und Ed Hoornik diesen Stil, mit einer Vorliebe für die kleinen Dinge, das Anekdotische, den Spott, die Umgangssprache, das "Normale". Wenn man an die Genremalerei denkt, sind das eigentlich sehr "niederländische" Besonderheiten. Die vier wurden sogar zur "Amsterdamer Schule" erhoben.
Die drei letztgenannten gaben einen gemeinsamen Gedichtband heraus mit dem Titel "Drie op één Perron" (Drei auf einem Bahnsteig), damit anspielend auf den Einfluß du Perrons. Heute werden sie nur noch selten zitiert, dafür haben van Hattums schöne Schlußzeilen aus "140 Pond" ("140 Pfund") in alter Frische überlebt:

"Hoe meer ik drink, hoe meer ik eet,
  Hoe meer gewicht van Hattum heet".

"Je mehr getrunken, je mehr gespeist,
je mehr Gewicht van Hattum heißt"

Die kleinen Themen, das Normale und Anekdotische waren sowieso für keinen der Dichter besonders tragfähige Konzepte, und Hoornik wendete sich aus einem besonderen Grund von ihnen ab: 
Er war eine sehr prominente literarische Persönlichkeit. Er war Romanschreiber Dichter Zeitschriftenredakteur, Theaterautor, Rezensent - und ein ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus'. Als Zeitungsrezensent befolgte er nicht die Zensurvorschriften der deutschen Besatzung, sein hier übersetztes Gedicht wahr wohlbekannt. Infolgedessen musste er untertauchen, wurde aber verhaftet und in das Gefangenenlager Vught verbracht, in dem viele Vertreter der niederländischen Prominenz als Geiseln gehalten wurden. Einer von ihnen war der Romanautor und Dichter Simon Vestdijk, von dem ich in diesem Blog ein Gedicht übersetzt habe.
In Mai 1944 wurde Hoornik nach Dachau transportiert, wo er von den Amerikanern befreit wurde. Nach all dem Erlebten war eine Weiterführung der Poesie des "Alltäglichen" nicht länger möglich und Hoornik wandte sich einer eher theologischen und metaphysischen Thematik zu. 
Aber gerade in der Poesie des Alltäglichen und Normalen war Hoornik imstande in einem klassisch gewordenen Gedicht das ganz und gar nicht Alltägliche und Normale, das da kommen würde, zu prophezeien:

Pogrom

Ist das der Mond, in seinem letzten Viertel
oder ein Gesicht, im Qualm- und Flammenrahmen?
Wo ist Berlin, und wo das Scheunenviertel?
Flüchtete der Junge, als die Banden kamen?
-
Ist das sein Schatten, der am Ufer steht
ist dies das Wasser, das ihn langsam nahm,
ist dies die Grenadierstraße, von dem es hin zur Spree geht?
Es ist der Amstelstrom, und dies ist Amsterdam.
-
Am Rembrandtsplein geht jetzt der Tag zu Ende,
über den Dächern beenden Lichtfontänen ihn...
Ich press' die Nägel tiefer in die Hände.
-
De Jodenbreestraat führt zu einem Abgrund hin;
ich sehe meinen Schatten zucken an den Wänden...
Zehn Stunden dauert nur die Bahnfahrt nach Berlin.


Ed. Hoornik (1910 – 1970)
aus: Steenen (1939)
Verlag: A.A.M. Stols

Übersetzung Jaap Hoepelman September 2025


 

Sonntag, 22. September 2019

Joost Baars


Bildergebnis für joost baars
1975 -

Nach den vielen hier vorgestellten aber toten Dichtern(m/w/d) wollte ich meine Aufmerksamkeit etwas mehr den heutigen Dichtern(m/w/d) der niederländischen Sprache zuwenden, aber so leicht entkomme ich der Geschichte und den "niederländischen" Themen nicht.
In 1784, wir sind wieder zurück in den aufgeklärten Zeiten eines Antoni Staring, wurde von einigen Bürgern "De Maatschappij tot Nut van 't Algemeen", die "Gesellschaft zum Nutzen der Allgemeinheit", gegründet. Die Gesellschaft strebte danach, den allgemeinen Wohlstand zu erhöhen durch die Entwicklung des Allgemeinwissens, durch Gründung von Schulen, Bibliotheken, einer nicht-gewinnorientierten Sparkasse und sonstigen wohllöblichen Maßnahmen. Auch künstlerische Aktivitäten wurden gefördert und die jeweiligen Nachfolgeorganisationen der Sparkasse verwalten bis zum heutigen Tag Fonds zur Unterstützung der Kunst und der Künstlern. 


Tagung der "Gesellschaft" in der 
alten lutherische Kirche zu Amsterdam,
1791

Der VSB-Preis* für die beste Neuerscheinung des Jahres wurde 2018 Joost Baars verliehen. Baars ist Buchhändler, er dichtet, schreibt Essays und gibt Anthologien heraus. Obwohl er sich nach eigenem Bekunden keiner der offiziellen Kirchen zugehörig fühlt, wird es jedoch treuen Lesern dieses Blogs sehr bekannt vorkommen, dass die religiöse Einstellung, die die Kultur der Niederlande zum größten Teil ihrer Geschichte charakterisiert, auch in den Motiven der "Kosmologie der Brücke" mühelos wieder zu erkennen ist. Ich kann keine detaillierte Gedichtanalyse betreiben, aber soviel ist klar: Baars verbindet Alltagsleben und Religion, Leben und Tod mittels Begriffe der neueren Physik, eingebettet einer biblisch anmutenden Sprache (z.B. Jesaja 43.1 "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen: Du bist mein!") - und nicht zuletzt die eigene Panik, womit wir bei einem festen Moment der neueren niederländischen Dichtung wären, wie bei Nijhoff, Hanlo, Elsschot oder Achterberg.
Baars neues Gedichtband und insbesondere dieses Gedicht erwiesen sich als großer Erfolg, und wie ich glaube, zurecht.

Kosmologie der Brücke

da öffnete sich unter ihr in was genannt wurde Brücke ein Wurmloch

da erfasste die Materie die wie selbstverständlich sie umgab         
             Wohnraum Leuchte Laminat Tisch Bücherbrett
              und Zelle um Zelle das Gewebe in dem sie war verfasst

      sie griff sich an den Polen fest

da in der Schwerkraft das was genannt wird Schwerkraft
             woraus was uns gründet entliehen wird
             wie ein Magnetfeld rundum den Planeten
             das dem zum Schluss nicht widersteht

da 112te ich die Sprache die ich hatte
             die Adresse (und es gab)
             den Krankenwagen (und er kam)
             es ist ihr Herz (sie war noch da)
             das wegfällt (Wurmloch)

da klang die Stimme und es war Zeit
             genug für das was sich vollziehen musste

da lag sie auf dem Teppich wie ein Neugeborenes
             das ohne Namen auf den Nenner wartet

Joost Baars (1975)

Kosmologie van het Tapijt

Aus: Binnenplaats (2017),
Verleger: Van Oorschot.

* VSB: Die "Verenigde Spaarbanken"

Übersetzung Jaap Hoepelman, September 2019.

Dienstag, 30. April 2024

Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

    

Willem Godschalck van Fockenbroch 

1640-1670


Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens, de Schoolmeester, van Schagen, AshetuAchterberg, Slauerhoff, Komrij,...die Liste kann mühelos fortgesetzt werden. Über Willem Godschalck van Fockenbroch ist wenig bekannt, aber er trieb das Außenseitertum sehr weit. Sein mageres Gehalt als Armenarzt reichte nicht zum Leben, dazu litt er heftig unter Liebeskummer (darin, allerdings, war er keine Ausnahme). Um seinen Schwermut zu vertreiben rauchte er Pfeife. Er war richtig süchtig. Ob er, als Amsterdamer, die Pfeife nur mit Tabak stopfte ist mir leider nicht bekannt. Sein Lebensmotto passt zur seiner Sucht und zu seiner Stimmung: "Fumus Gloria Mundi" - "Der Welten Glanz ist nichts als Rauch". Zu seiner Melancholie passte das Genre der Burleske, das sich gerne über Feierliches lustig macht, wie Focquenbroch sich über seine vergeblich Angebeteten und über sich selbst traurig-lustig machte. So verknüpfte er gerne das petrarkische Sonett, in dem klassisch-erhaben unerreichbare Schönheit bejammert wird mit unverschnitten Erotischem, Unanständigem und Fäkalischem, was ihm bis in unsere Zeit übel genommen wurde:

"Seine Arbeiten sind so schmierig und platt, wie sie in unserer Literatur selten Vergleichbares finden...er suhlt sich in Wolllust und Schmutz wie ein Schwein im Schlamm", entrüstete sich der Literaturhistoriker Kalff noch Anfang des 20. Jahrhunderts.

Focquenbroch hatte also einiges mit dem Spott der Dichter der Romantik gemein und er wird heute, wo der Anstand andere Formen angenommen hat, zunehmend geschätzt.

Durch Geldmangel und Liebeskummer getrieben, musterte Focquenbroch 1668 an bei der West-Indischen Companie (WIC) als "Fiscaal", eine Art Zollbeamter. 

              Das Lager der WIC. Amsterdam, 1655

                                                                            Hauptniederlassung des WIC in Amsterdam
                                              (1623-1647) 

Die WIC hatte das Alleinrecht für die Niederlande auf  die Ausfuhren aus der Elfenbein-, der Gold- , und der Sklavenküste. Die Handelsware entsprach im Wesentlichen den Namen der Küsten. 


Elfenbein-,Gold- und Sklavenküste um 1650

Der "Fiscaal" hatte als eine seiner Aufgaben die Bekämpfung der Schmuggler, gegen Teilhabe an der beschlagnahmten Schmuggelware. Focquenbrochs Standort war Elmina an der West-Afrikanischen Küste, der wichtigste niederländische Stützpunkt dort, aber auch andere Mächte hatten sich in West-Afrika festgekrallt, darunter Frankreich, England, Dänemark, Schweden und Brandenburg. 

Elmina wurde als Hölle auf Erden beschrieben, die Überlebensdauer der Holländer wird mit 60 Wochen angegeben. 

Aus Elmina schickte Focquenbroch seine Gedichte dem Freund Ulaeus zu, der sie unter dem Titel " Thalia of Geurige Sang-Goddin" (1668, 1669) und posthum als "Afrikaense Thalia" veröffentlichte.

Der Titel ist ein gutes Beispiel für Focks (so nannte er sich oft) burlesken Humor: Thalia ist die Muse der komischen Dichtung, aber "geurig" bedeutete im 17. Jahrhundert nicht nur "wohlriechend" und "verspielt", sondern auch "anrüchig".

Focquenbroch starb 1670 mit 30 Jahren, vermutlich an Gelbfieber.

                        Fort Elmina, 17. Jahrhundert.

Focquenbrochs Motto passt in gewissem Sinne auch zur WIC. 1792 ging die Kompanie pleite und wurde aufgelöst. 1821 wurden die meisten Archivalien einem Altpapierhändler verkauft (vielleicht aus Scham?) während die übriggebliebenen während eines Feuers im Marinedepartement in Rauch aufgingen (1844). Somit blieb von Fock außer einer Reihe von Gedichten und einiger Komödien fast nichts übrig. Eine ausgeklopfte Pfeife und etwas Rauch.


Sonett


Wie könnte ich, o schöne Klorimene, dir

gefallen, ich, der ich als Mensch geboren

und du, so scheint's, hast einen dir erkoren,

der jetzt dein Herz hat, einen wie ein Tier.


Ach, jetzt versteh' ich: nur mit einem Biest

das weibliche Geschlecht zur Liebe ist bereit.

Herr Jupiter begriff es, als vor langer Zeit

er öfters göttlich aufs Gesicht gefallen ist,


weswegen endlich er, zum Besseren belehrt,

für Leda hat den Schwan herausgekehrt

und Frau Europa hat entführt als Stier.


Es kann also noch Mensch noch Gott gewinnen:

Wer eine Liebschaft will mit einer Frau beginnen,

muss mehr nicht sein, als nur ein Tier.


(Klinkdicht)

Übersetzung Jaap Hoepelman, Dez. 2021


Das obige Sonett kam noch ziemlich gesittet daher, aber Fock konnte auch anders, z.B. um sich an einem Nebenbuhler zu rächen,  zur ewigen Entrüstung der Sittenmeister:


Grabschrift


Hier liegt ein feiner Pinkel, der wohl daran

verstarb, dass er mit seinem Ballermann

aus Tollerei, aus Zeitvertreib,

gespielt hat auf dem Nachbarinnenleib.

Wo er jetzt ist? Ich kann nur raten,

ich glaube nach wie vor jedoch:

Todsicher wird er in den Himmel nicht geraten,

wenn er den Eingang sucht durch dieses Loch.


(Graf-Schrift)

Aus: Tweede Deel Van Thalia, of Geurige Zang-Goddin (1668)

Übersetzung Jaap Hoepelman, Dez. 2021


"er suhlt sich in Wolllust und Schmutz, wie ein Schwein im Schlamm" meinte der gute Kalff und trotz neuerlicher Wertschätzung bleibt Focquenbrochs Ruf ziemlich ruiniert. Weitere Beispiele seiner Schweinereien können uns also nicht genieren:


Auf die schwarzen Zähne des

 Fräulein N.N.


Dein Mund, Gesims aus angerauchten Zähnen,

Zeigt deutlich dem, der was davon versteht:

Man braucht das heiße Feuer deines Ofens nicht erwähnen,

von dem der schwarze Rauch bis hoch ans Kauwerk geht.


(uit "Alle de Werken van Willem Godschalck van Focquenbroch")

Übersetzung Jaap Hoepelman Dez. 2021



Auf Gret


Gret sagt, sie lässt zu sich nur ihre Freunde rein;

Ja, wo im Lande, sag' ich, mögen ihre Feinde sein?


Übersetzung Jaap Hoepelman Dez. 2021


Um das Bild Focquenbrochs abzurunden, hier noch ein ernsthaftes Gedicht. Obwohl, bei der Arbeit kommen mir dann doch Zweifel, ob sich nicht auch hier die Burleske das böse Köpfchen erhebt. 


Eranemite (aus der Afrikaense Thalia)

Übersetzung Jaap Hoepelman 2021



Hendrick Goltzius, 
Das Gesicht 1576


Montag, 28. Juli 2025

Namen im diesem Blog

      Ihr, die hier eintretet,....




Achterberg, Gerrit
Adriaan Roland Holst
Adwaita
Aegidius
Andreus
Ashetu, Bernardo
Bellamy, Jacobus
van Eeden, Frederik

Montag, 6. Januar 2025

M. Vasalis. Der Tod



M. Vasalis 1909-1998

M. Vasalis, Pseudonym von Margaretha Droogleever Fortuyn-Leenmans. Von Beruf Kinderpsychiaterin hat sie in ihrem Leben nur sehr wenig veröffentlicht: Drei Bündel zwischen 1940 und 1954 und postum das von ihren Kindern besorgte "De Oude Kustlijn". Dafür gehören diese zu den am meisten verkauften Dichtbündeln der niederländischen Literatur und ihre Zeilen gehören zum klassischen Zitatenschatz.  Zu den großen Erneuern gehörte sie wohl nicht, dazu sind ihre Gedichte zu Regelkonform. Auch fand ihr erster kreativer Ausbruch gerade vor der Periode der "Fünfziger" statt, eine Gruppe, zu der sie qua Hintergrund und Habitus nicht gehören konnte. Sie schien etwas "aus der Zeit gefallen". Dafür können ihre besten Gedichte es mit denen der Fünfziger, die sie heftig beschimpften (warum doch immer diese Agression bei den "Erneuern"?), mühelos aufnehmen. Ich vergleiche ihre Kunst gerne mit der des Gerrit Achterbergs, der es auch hervorragend verstand die Dinge und die Sprache des Alltags poetisch aufzuladen. Sie wurde 1974 ausgezeichnet mit dem Constantijn Huyghenspreis und 1982 mit dem P.C. Hooftpreis für Poesie.
Meine früheren Versuche ihre Poesie ins Deutsche zu übersetzen finden sie hier.
Als eine Leserin dieses Blogs mich darauf hinwies, dass der kleine Sohn der Dichterin in WWII während einer Polio-Epidemie verstarb, bekam für mich die Zeile "Bevor er ging, gab er ein kleines Bild mir..." (mit dem brillanten Reim "portretje...maar wat let je") eine fast profetische Ausdruckskraft.    


 Der Tod


Der Tod hat mir gezeigt die kleinen, interessanten Dinge:

schau, ein Nagel - sagte der Tod - und das sind Taue

Ich schau ihn an, ein Kind. Er ist mein Meister,

den ich bewundre, dem ich traue

der Tod.


Er zeigte alles: Getränke, eine Pille,

Pistolen, Gashahn, steile Hänge,

ein Bad, Rasierer, Laken zum Erhängen

"einfach so" - für wenn das ist dein Wille,

der Tod.


Bevor er ging, gab er ein kleines Bild mir...

"Ich weiß nicht, man vergisst so leicht,

es kommt gerade recht vielleicht

für wenn's nicht mehr dein Wille

ist, zu sterben,

doch überleg es dir.'

sagte der Tod.



Aus "Parken en Woestijnen"
van Oorschot B.V. 1940

Übersetzung Jaap Hoepelman Januar 2025

De Dood


Mittwoch, 28. Juli 2021

Jan Kal und der Mont Ventoux

                               Jan Kal 1946 - 

Nach dem Krieg  machte es für viele Dichter  (wie LodeizenKouwenaarLucebertAndreus) keinen Sinn, die althergebrachten Formen weiter zu betreiben. Andere (wie M. Vasalis und Gerrit Achterberg) blieben bei der Tradition und wurden auch weiterhin geschätzt. Trotzdem machte die Beherrschung des Handwerks in dieser Zeit oft einen etwas verschämten Eindruck und versteckte sich gerne unter der Maske der Spaßpoesie. In den Siebzigern aber gewannen Dichter, die Wert legten auf die Beherrschung des Metiers wieder an Selbstvertrauen, nicht zuletzt durch den Einfluss von Gerrit Komrij. Das Sonett (war es nicht immer ein Gipfel der Dichtkunst gewesen?) fand wieder Beachtung. Auch das letzte Gedicht des Hans Andreus, geschrieben auf dem Sterbebett, ist ein Sonett. Elemente der Spaßpoesie hatten aber ihren Einzug gehalten, darunter welche des Sports, der in akademischen Seminaren mit Verachtung bestraft wird. Sport findet man z.B. bei Scheepmaker und bei Jan Kal, dessen erstes Bündel Gedichte sogar eine Sportart im Titel trägt. Kal hat als Student der Medizin angefangen und sich dann aus romantischen Gründen aufs Dichten verlegt, romantisch wie Piet Paaltjens, an wie er mich irgendwie erinnert. Kal schreibt sogar fast ausschließlich Sonette. Schon sein erstes Gedicht, "Mont Ventoux", hierunter mein Versuch einer Übersetzung, ist ein Sonett:


                                                                             Der Mont Ventoux
        

                                                                         

                                                                                 

Jan Kal


Mont Ventoux

Dichten ist radeln auf dem Mont Ventoux,

hier steckte Tommy Simpson damals auf.

Todmüde in dem tragischen Verlauf

quälte sich der Weltmeister dem Endstrich zu.


An diesem Col sind viele abgehängt,

erste Kategorie, seitdem tabu.

Es riecht nach Tannenduft, Sunsilk Shampoo,

das braucht man, wenn man an den Abstieg denkt.


Es macht unendlich müde, alles was man tut;

der Mont Ventoux ist wohl die schlimmste Schinderei,

also, man überlege wohl, eh' man beginnt.


Doch schaffe ich, sogar in dieser Glut,

den Gipfel dieser kahlen Wüstenei:

Eitelkeit und Haschen nach dem Wind.


Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2021.


Aus: Jan Kal, Fietsen op de Mont Ventoux: (1974) Uitgeverij de Arbeiderspers



                        Denkmal für Tommy Simpson


                                                                                      Mont Ventoux: Höhenprofil


Dichtung, Sport, Leichtigkeit und Ernst lassen sich also sehr wohl mit einander in Verbindung bringen. Nicht umsonst hat Jan Kal als Thema für sein erstes Sonett den Aufstieg auf den Mont Ventoux gewählt: Petrarca, der Vater der Kunst des Sonetts hat 1336 die  Erstbesteigung des Mont Ventoux beschrieben und passend dazu aus den Bekenntnissen des Augustinus zitiert:

"Da gehen die Menschen, die Höhen der Berge zu bewundern und die Fluten des Meeres, die Strömungen der Flüsse, des Ozeans Umkreis und der Gestirne Bahnen, und verlieren dabei sich selber."

Das Sonett schließt, wie es sich gehört für einen niederländischen Dichter, mit einem Zitat aus Prediger 1,12 in dem man die Themen des Gedichtes gebündelt wiederfindet:

"Solch unselige Mühe hat Gott den Menschenkindern gegeben, dass sie sich damit quälen sollen.

Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind." 


Ich nehme an, dass es Jan Kal gefallen würde zu vernehmen, dass seine Gedanken auch in höchsten philosophischen Kreisen Zustimmung finden:

Sloterdijk: So um die zweieinhalb Stunden. Man muss wissen, dass der Mont Ventoux eine sehr bizarre abweisende Aura hat. Wenn man die Vegetationsgrenze erreicht, ist man plötzlich in einer lunaren Landschaft. Die Rennradfahrer spüren davon natürlich nicht viel, weil sie vor Anstrengung blind sind. Wir Amateure waren am letzten Aufstieg so phänomenal langsam, dass man ständig diese todeszonenhafte Stimmung des Gipfelbereichs gespürt hat. Wenn man dann auch noch an dem Denkmal für den armen Simpson vorbeifährt, der da 1967 kurz vor dem Gipfel verendete, ist man schon ziemlich demoralisiert und denkt für ein paar Sekunden über die Sinnhaftigkeit des Unternehmens nach.

Aus "Hundsgewöhnliche Proletarier", Interview mit Peter Sloterdijk, Der Spiegel, 07,07,2008,



Ed Hoornik. Prophetisches im Alltäglichen.

Pogrom   1938 Pogrom                                                                                                             Ed Hoornik ...