Dienstag, 18. April 2023

Louis Couperus. Ein Pantum. Pantum?

           

                                                Louis Couperus
                                                     1863-1923

Pantum (1886)

Oh, zittre, Flöte, voller Tönenzauber!

die Nacht ist wie von Liebe überfüllt 

Und endlos rauscht's im Bambuslaube;

Vanille seufzt ein Duft so schwül....


Die Nacht ist wie von Liebe überfüllt....

Die Liebe wird in meinem Lied entfleuchen

Vanille seufzt ein Duft so schwül....

Aïla! Hör' auf meine Seufzer!


Die Liebe wird in meinem Lied entfleuchen.

Wenn nicht, erweicht von meinem Leid,

Aïla hör' auf meine Seufzer,

Aïla halte auf mein Rufen ein....


Wenn nicht - erweicht von meinem Leid,

Oh, Seele, weich' in meinem Singen!

Aïla! Halte auf mein Rufen ein;

Meine Lippen rufen deine Lippen!


Oh, Seele, weich' in meinem Singen!

Vanille seufzt ein Duft so schwül....

Meine Lippen rufen deine Lippen:

die Nacht ist wie von Liebe überfüllt!


Vanille seufzt ein Duft so schwül....

Und endlos rauscht's im Bambuslaube....

Die Nacht ist wie von Liebe überfüllt....

Oh, zittre, Flöte, voller Tönenzauber!


Louis Couperus (1863-1923)

aus: Orchideeën (1886)



Pantum?


Der Pantum (Nl. pantoem, Fr. pantoum) ist eine ursprünglich malaiische Versform, die auf der Insel Java beliebt war. Ein Pantum besteht aus Vierzeilern, die zur Hälfte im nächsten Vierzeiler wiederkehren und zwar so, dass die Zeilen 2 und 4 der ersten Strophe als Zeilen 1 und 3 der zweiten wiederholt werden und so weiter, bis zur Schlussstrophe, in der die 2. Zeile gleich ist an der 3. und die 4. an der 1. der Anfangsstrophe. Als besonders raffiniert gilt, wenn die sich wiederholenden Zeilen der Form nach identisch sind, ihren Sinn sich, je nach ihrer Stellung im Gedicht, ändert. Pantums können gereimt sein (wie Couperus' hier übersetzter "Pantoem"), aber als halb-improvisierte Form bedienen sie sich sie oft der Assonanzen, eine Freiheit, die ich mir in der Übersetzung auch genommen habe.

Der Pantum wurde1829 in Frankreich durch Victor Hugo eingeführt und von verschiedenen französischen und einigen niederländischen bzw. belgischen Dichtern benutzt. Aber wie war Couperus' Beziehung zur malaiischen Dichtung? Woher stammte diese kulturelle Appropriation?
Couperus war Sohn von John Ricus Couperus, Gerichtsrat zu Padang und am Obergericht Batavia und von Catharina Geertruida Reijnst, die Tochter von Jan Cornelis Reijnst, dem stellvertretenden Generalgouverneur Niederländisch-Indiens. 

Das Obergericht in Batavia (heute Jakarta)

Er war Urenkel von Abraham Couperus, Gouverneur von Niederländisch-Malakka. 

Malakka, (Johannes Vingboons, 1665)

Verheiratet war er mit Elisabeth Baud, Tochter eines Assistent-Residenten (eine hohe Verwaltungsfunktion in Niederländisch-Indien) und Enkelin von Guillaume Louis Baud, sZ Kolonialminister und Mitglied des Staatsrates. Seine Nichte Trudy war verheiratet mit Gérard de la Valette, einem anderen Residenten in NL-Indien. Kurz: Couperus entstammte der niederländisch-indischen Kolonial-Elite.  Geboren wurde er 1863 in Den Haag, 1872 zog die Familie wieder nach Indien, 1878 zurück nach den Haag.
 
Couperus Museum, den Haag

Couperus hatte also ausreichend Gelegenheit, mit malaiischen Dichtformen Bekanntschaft zu machen. 1883 erschien Couperus erstes Gedicht in Druck, 1884 sein erstes Dichtbündel "Een Lent van Vaerzen" ("Ein Gedichtenschatz") , 1886 das Bündel "Orchideeën", in dem "Pantum" auftritt. 

Das Einband von "Orchideeën. Jugendstil par excellence.

Couperus war ein typischer Vertreter des Fin de Siècle, die Zeit um 1900, in dem Lebensüberdruss und Leichtlebigkeit einen gespenstischen Paartanz aufführten auf dem Weg zum ersten Weltkrieg. Die Zeit des Jugendstils. Willem Kloos, dem etwas hemdsärmeligen Anführer der "Achtziger", Träger höchster literarischer Autorität in diesen Jahren, gefielen weder die sublimen Gefühle des empfindsamen jungen Dichters, noch dessen blumige Sprache und er schrieb eine vernichtende Kritik. Couperus war dermaßen schockiert, dass er sich entschied nie mehr zu dichten und sich stattdessen auf die Prosa zu verlegen. Schade, nach dem "Pantum" zu urteilen,  denn Literaturkritik ist genau so abhängig vom Zeitgeist, wie die Literatur selbst, wobei die Literatur im Allgemeinen länger Bestand hat als die Literaturkritik. 
Für den wahren Dandy im Fin de Siècle war feine Konditorware von ausnehmender Wichtigkeit. Prousts "Madeleine" hat sich einen Platz in der Literaturgeschichte redlich verdient.  Couperus aber stand ihm in Sachen feiner Backwaren nur wenig nach. Das Bild des Louis Couperus hat sich etabliert, wie er durch den Haag flanierte, dabei seine Lieblingskonditorei am "Noordeinde" besuchend, um "Koekjes. Véle bróze koekjes" ("Kekse. Viéle mürbe Kekse") zu bestellen. Die Welt der Haager Elite, häufig mit Interessen in niederländisch Indien war die Welt des Dandys Couperus. 
Nach dem durch Kloos Kritik verursachten Schock, wendete Couperus sich dem Sujet des Frauenschicksals zu, ein häufiges Motiv der europäischen Literatur zu der Zeit (Effi Briest, Madame Bovary, Anna Karenina usw.), diesmal im Milieu der Haager Oberschicht.  In seinem ersten Roman "Eline Vere" (1889), beschreibt er den Ennui, die Lebensuntüchtigkeit und das schicksalhafte Abgleiten einer überempfindlichen jungen Frau in den Selbstmord. 


Die "Eline Vere" wurde zunächst in Folgen in der Zeitung "Het Vaderland" veröffentlicht, und festigte auf einen Schlag Couperus' Ruf als Schriftsteller. 
Wie so oft war auch Couperus dandyhafte Eleganz in erster Linie eine Pose. Er muss berserkerhaft gearbeitet haben. Die Liste seiner Hauptarbeiten enthält Romane, daneben Kurzgeschichten, Märchen, Kritiken, Reiseberichte, Feuilletons. Außerdem war er rastlos unterwegs in u.a. Italien, Frankreich, niederländisch Indien und Japan. Die Datenbank der Übersetzungen der niederländischen Literatur enthält 165 Übersetzungen seiner Werke in den verschiedensten Sprachen. 
Viele seiner Romane spielen im niederländisch-indischen Milieu, wie "Die stille Kraft" und "Von alten Menschen, den Dingen die vorübergehen". "Die Bücher der kleinen Seelen" (1901-1902) wird verglichen mit Tomas Manns Buddenbrooks (1902) und ist wie dieser ein Roman über eine Gesellschaft im unvermeidlichen Niedergang. Der Roman in vier Teilen ist situiert in der Oberschicht den Haags und natürlich spielt auch hier der Kolonialismus im Hintergrund mit.
Schicksal, Dekadenz und Zerfall sind Hauptmotive der Arbeiten Couperus, nicht nur in den "indischen", sondern auch in den historischen Romane. Nicht umsonst lautet der Titel einer der Werke "Schicksal" ("Noodlot", das klingt in meinen Ohren noch etwas hoffnungsloser), in dem die zwei Hauptprotagonisten sich gemeinsam umbringen als Figuren im Spiel des Schicksals.
Man sollte vielleicht nicht zu viel Zukunft in Kunstwerke einer bestimmte Periode hineinprojizieren, aber den unvermeidlichen Untergang in Dekadenz, das dem hoffnungslos überdehnten niederländischen Kolonialimperiums beschoren war, auch ohne die Beschleunigung des 2. Weltkriegs, hat Couperus in seinen Werken vorausgeahnt.


Übersetzung Jaap Hoepelman April 2023

Eine Kurzgeschichte, sogar zweisprachig, in der viele Eigenheiten von Couperus' Kunst gebündelt sind finden sie hier: De Binocle - Das Opernglas.





Sonntag, 16. April 2023

Van Ostaijen: Die Alpenjäger.

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Flämisch ist die Sprache des "Olla Uogala". Paul van Ostaijen (1896-1928) war Flame, und seine Gedichte zeigen, dass sich im vergangenen Jahrtausend einiges getan hat:

Paul van Ostaijen
1928

Alpenjägerlied

Für E. du Perron.

Ein Herr, der die Strasse hinabsteigt
ein Herr, der die Strasse hinaufsteigt
zwei Herren, die ab- und aufsteigen
das heisst der eine Herr steigt hinab
und der andere Herr steigt hinauf
direkt vor dem Laden von Hinderickx und Winderickx
direkt vor dem Laden von Hinderickx und Winderickx von den
berühmten Hutmachern
treffen sie auf einander
der eine Herr nimmt den Zylinderhut in die rechte Hand
der andere Herr nimmt den Zylinderhut in die linke Hand
dann gehen der eine und der andere Herr
der rechte und der linke der hinauf- und der hinabsteigende
der rechte der hinabsteigt
der linke der hinaufsteigt
dann gehen beide Herren
jeder mit seinem Zylinderhut seinem eigenen Zylinderhut seinem bluteigenen
Zylinderhut
aneinander vorbei
direkt vor der Tür
vom Laden
von Hinderickx und Winderickx
von den berühmten Hutmachern
dann setzen beide Herren
der rechte und der linke der hinaufsteigende und der hinabsteigende
einmal aneinander vorbei
sich die Zylinderhüte wieder auf den Kopf
man verstehe mich wohl
jeder setzt sich den eigenen Hut auf den eigenen Kopf
Das ist ihr gutes Recht
Das ist das gute Recht von diesen beiden Herren


(Übers. Jaap Hoepelman November 2017)

Eine außerordentlich präzise Beschreibung einer Alpenlandschaft. Kein Wunder, dass van Ostaijen einer meiner Lieblingsdichter ist.

Alpejagerslied

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Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

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