Hugo Claus 1929-2008
Ieper (franz., engl. "Ypres", Deutsch "Ypern") ist eine kleine mittelalterliche Stadt im "Westhoek", im Südwesten Belgiens, berühmt um ihr Tuchgewerbe. Die Tuchhalle, aus dem 13. Jahrhundert, war damals eines der größten bürgerlichen Gebäuden nördlich der Alpen.
Vom Norden her, wie es der Schlieffenplan vorsah, gibt der Westhoek über Ypern Zugang zu den Häfen an der Kanalküste. Also wurde Ypern belagert. Es stellte sich bald heraus, dass die neue Kriegstechnik eher die Verteidigung als den schnellen Durchmarsch ermöglichte. Der deutsche Vormarsch stockte für die Dauer des ganzen Krieges an ungefähr der gleichen Stelle in einem Bogen vor Ypern. Die Deutschen versuchten mit aller Macht an Ypern vorbei die Häfen an der Kanalküste Belgiens zu erreichen. Engländer, Franzosen und Belgier versuchten dies mit aller Macht zu verhindern. Von 1914 bis 1918 fanden vor Ypern vier Schlachten statt (oder fünf, je nachdem, wie man zählt). Die Engländer versuchten Hill Sixty und Hill Sixty One, die den Deutschen eine gute Übersicht boten, mit gewaltigen Minen zu sprengen.
Die Belgier öffneten nach der alten Sitte der Niederen Lande die Seeschleusen bei Nieuwpoort, so dass das Wasser der Nordsee das Land überflutete. Ansonsten schickten die Befehlshaber in vier Schlachten ihre Mannschaften immer wieder aus den Laufgräben durch den Schlamm der Acker durch Stacheldrahtverhaue ins Maschinengewehrfeuer. Ein Weiterkommen war unmöglich.
Das verhinderte nicht die ununterbrochene Beschießungen. Es verhinderte auch nicht den ersten Einsatz von Clorgas und Senfgas, das entsprechend "Yperit" genannt wird.
Der Boden in West-Flandern besteht aus dem fettesten, fruchtbarsten Ton, den man sich denken kann. In diesem Boden vergruben die Kriegsparteien sich in einem Geflecht von Laufgräben, gestützt von Säcken aus gestampftem Sand.
Die gute Erde aber hatte sich durch die pausenlosen Bombardements und den Starkregen in eine Art von schlammigem, fettem Schleim verwandelt, in dem Leichen und Leichenteile auftauchten und untergingen und der sich in den Laufgräben sammelte.
"Der fürchterliche Schlamm, das schlimmste, was es gibt, der Schlamm in dem eine Armee herumkriecht, in dem Pferde, Männer, Kanonen, Wagen aussehen wie Ungeziefer, getunkt in Dreck; gärender Eiter, der den flämischen Boden überdeckt und auffrisst, der die Landschaft verschlingt...." (Maurice Duwez ‘La boue des Flandres’).
Es gibt eine Pflanze, der blüht in solchen verwüsteten Böden, wenn andere Pflanzen längst aufgegeben haben: Klatschmohn, eine "Pionierpflanze". Im überdüngten Schlamm um Ypern blühte der Klatschmohn (englisch "poppy") wie besessen. Durch das Gedicht (1915) des Kanadiers John McCrae, "In Flanders Fields", wurde die Mohnblume zum Symbol für den Krieg im britischen Empire.
Das Gedicht steht noch in der Tradition des poetischen Heroismus, zu dem bald keine Poesie mehr passen wollte .
So erscheint das Gedicht des Hugo Claus wie ein Kommentar auf McCraes "In Flanders Fields".
Hugo Claus
In Flanders Fields
Der Ton hier hat die fetteste Krume.
Auch nach all den Jahren ohne Dung,
hier könntest einen Totenlauch du züchten,
der alle Märkte sprengt.
Jedes Jahr zeigen sie den spärlicheren Kameraden:
Hill Sixty, Hill Sixty One, Poelkapelle.
In Flanders Fields fahren die Mähdrescher
immer engere Kreise um sich windende Gräben
aus gestampften Sandsäcken, die Gedärme des Todes.
Die Butter dieses Landstrichs
schmeckt nach Klatschmohn.
Hugo Claus
Gedichten 1969-1978/De Bezige Bij
Von der schönen Stadt Ieper und ihrer Lakenhalle war nach Kriegsende nur dies übriggeblieben:
Die Zahl der Opfer der Ypernschlachte betrug insgesamt ungefähr 450000.
Nach diesem Krieg konnten Gedichte in Flandern nicht mehr die gleichen sein. Die nördliche Niederlande waren im 1. Weltkrieg neutral geblieben. Der Abbruch der alten Normen fand dort erst nach dem 2. Welkrieg statt.