Mittwoch, 17. Januar 2024

Gerrit Komrij. Dichter des Vaterlandes.

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Gerrit Komrij
1944-2012

Gerrit Komrij war Dichter, Theaterschriftsteller, Kritiker, Übersetzer und vieles mehr. Seine Beiträge erwartete man gespannt mit jeder neuen Zeitungsauflage. Als Dichter war er ein strenger Vertreter der vollendeten Form und der perfekten Beherrschung des Handwerks. Er hatte nur wenig übrig für die freien Formen der Fünfziger.

Um der Tradition der niederländischen Dichtung wieder zu mehr Wertschätzung zu verhelfen, gab Komrij drei Bände heraus mit einer persönlichen Auswahl aus 10 Jahrhunderten Poesie, später bekannt unter dem Namen "Der Große Komrij".

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Komrij hatte eine gewisse Vorliebe für Außenseiter und Außenseiterliteratur und er verfügte über einen reichhaltigen Fundus. Sein Standardwerk in dieser Hinsicht ist die enzyklopädische "Kakafonie" in der Nachfolge des Josef Feinhals. 

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Auch die unten stehende "Patentuhr" zeigt diese Vorliebe. Zu monieren wäre höchstens, dass Komrij in der "Patentuhr" nicht, Feinhals zu Ehren, die in höheren Kreisen gerne benutzte Cohiba, sondern eine Gouda-Kerze genommen hat.
Die Literatur, die sich mit dem Hintern und dessen elementaren Funktionen beschäftigt, ist, kann man sagen, überwältigend. Die "Patentuhr" befindet sich in der guter Gesellschaft von beispielsweise Tomi Ungerer 

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und Wolfgang Amadé Mozart

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Auch die Komödien des Römers Plautus kamen nicht ohne einen erheiternden Flatus aus. Dagegen wurde mit dem Tode bestraft, wer während eines Gelages des Kaisers Caracalla einen streichen ließ, womit die ganze Bandbreite der Rezeption von Ungehörigkeiten dargestellt wäre. 
In der frühen Aufklärung der Niederlande des 17. Jahrhunderts veröffentlichte Adriaan Beverland einige Schriften zur Sexualität. 


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Adriaan Beverland und eine Partnerin.
Das provokant gezeigte Buch ist das 
verabscheute "Peccatum Originale".

In diesen griff er Spinozas Gedanken auf, dass die Bibel ein Werk von Menschen für Menschen sei  und schloss, dass die biblischen Gebote und Verbote betreffs der Fleischeslust ebenso Menschenwerk seien. Beverland trat offen ein für die Gleichheit und Gleichwertigkeit von männlicher und weiblicher Lust und er lebte seine Überzeugung. Es war ein unerhörter Affront für die calvinistische Gesellschaft. Beverland wurde aus den Niederlanden verbannt und er verbrachte den Rest seines Lebens im Exil in London.* Noch 1930 verweigerte die niederländische Regierung dem berühmten Dichter P. C. Boutens eine königliche Auszeichnung, wegen "Gerüchten", obwohl Boutens seine Autorschaft der notorischen "Strophen des Andries de Hoghe" vehement leugnete.
Komrij aber wurden 70 Jahre später viele und wichtige Ehrungen zuteil und gegen Ende seines Lebens wurde er sogar Dichter des Vaterlandes. Spinozas Aufklärungswille hatte sich in den Niederlanden dann doch erhalten, wenn auch manchmal unterschwellig. 

Spaßdichtung und Obszönität sind aber nur Nebensache in der "Patentweckuhr". Sie sind die Maske, hinter denen ein romantischer Dichter seine Melancholie verbirgt, wenn er leicht spöttisch einen Jüngling beschreibt, der begeistert wie ein junges Fohlen losspringt bei jeder blödsinnigen Idee. Er selbst? Komrij mochte Gefühlswallungen nicht und mied das lyrische "ich". Das distanzierte "du" war ihm lieber. Manchmal auch sicherte ein schöner Ausrutscher ins Absurde den nötigen Distanz. 




Komrijs Patentweckuhr

I

Du hattest immer leise den Verdacht
Dass du im Herzen trugst den Funken des Genies.
Du erfandest dauernd Neues, Tag und Nacht.
(Denn du erwarbst das Reifezeugnis

Ja nicht vergebens, nicht umsonst, oh nein.)
In hundertsiebenzehn Patenten warst du drin.
Du konntest Heil und Segen sein
Der Menschheit; fast wie eine Heilssoldatin.

Doch dann fiel dir der Wecker ein, der kann
"Es" ohne Lärm - ein Weilchen ist es her. Jedoch
Bedarf es eines Bleistifts oder Kreidestücks, sodann
Die gute Kerze, zum Schluss das eigne Arschloch.

2

So könnte man es nennen: Göttliche Simpelheit!
Form folgt Funktion! Beinahe kostenlos!
Dazu poetisch! Nicht länger kam die Zeit
Giftig und blechern scheppernd aus der Dose.

Zuerst mit Bleistift machtest du zehn Striche
Rundum der Kerze; Eine für jede Stunde in der Nacht,
Die du normalerweise schliefst. Kerben ging auch, statt Striche.
Dann schobst du sie, sanft strahlend, mit Bedacht

Hinein in die Rosette, senkrecht: Sechs Striche tief,
Hattest du vier Stund' zu schlafen vor;
Acht tief, zwei Stunden Schlaf; So einfach lief
Es: Die Stunden, die du schliefst lugten hervor.

3

So ruhest du mit einem Feuerchen am Darm.
Und wenn die Zeit zum Aufsteh'n wieder da ist
Berührt das treue Flämmchen sanft und warm
Ganz zärtlich deinen Ausgang, bis du wach bist.

Du tänzelst aus der Bettstatt, frisch und pumperlgsund
(Besorg' dir aber Kerzen einer guten Qualität
Damit das Wachs dir nicht den Arsch verklumpt)
Wonach es fröhlich pfeifend an die Arbeit geht.

Vor kurzem wolltest du früh raus, und triebst
Die Uhr wohl sieben Strich um Strich zutiefst
Hinein. Bis dir ein Furz die Flamme ausblies
Und du dich unberührt verschliefst.

4

Nochmal, dein Wecker ist ja fast perfekt.
Der Nachteil, klar, du liegst auf deinem Bauch
und schläfst voll nackt, den Hintern hochgestreckt.
Das kalkulierst du mit, dann funktioniert es auch.

Du hast erneut Patent beantragt. Warum nicht?
Denn während Weckuhren der alten Sorte
Verlässlich sind, so wie ein Netz winddicht,
Glost deine Uhr, die Nacht erleuchtend, fort.

Und jeden Morgen, siehe: Schon schmort der Stopfen;
Man hüpft vom Bett in edelster Gesinnung
Geht auf die Straße, bittend generös zu opfern
Für die Laken- und die Daunendeckeninnung.

Übersetzung Jaap Hoepelman Mai 2019

Komrij liest "De Patentwekker"


*Jonathan Israel

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