Sonntag, 25. Februar 2018

De Dapperstraat

 Afbeeldingsresultaat



 Jacques Bloem (gesprochen "Blum") gehörte mit dem gleichaltrigen P.N. van Eyck zur - grobgerechnet - gleichen Generation wie van Ostaijen und Nijhoff. Verlust, Sehnsucht, unerreichtes Verlangen waren Themen eines Mannes, der, wie man sagte, mit 16 schon den Eindruck eines Greises machte. Für fleißige amtliche Tätigkeiten war er, der mit Mühe sein Jurastudium abgeschlossen hatte, wahrlich nicht geeignet. Er lebte für die Literatur und für seine Poesie, an der er unablässig schliff.  In 1949 bekam er den Constantijn Huygens Preis für sein Gesamtwerk. Er behört zu den am meisten geliebten Dichtern der Niederlande, seine gesammelten Gedichte sind (laut Königlicher Bibliothek) bis heute 18 Mal neu aufgelegt worden.  Ich habe versucht ein wenig weg zu kommen vom Thema Tod und Trauer und ausgerechnet bei Bloem bin ich fündig geworden. "Schlichtweg glücklich" ist der Anfang der letzten Zeile seines Sonetts "De Dapperstraat". Dazu muss man wissen, das de Dapperstraat im Osten Amsterdams die traurigste, heruntergekommenste Häuserschlucht war, die man sich nur vorstellen kann. Wer das braucht zum Glücklichsein - ist Bloem. "Kennen Sie fröhliche Musik? Ich nicht.", scheint Schubert einmal gesagt zu haben. Bloem hätte es über seine Poesie sagen können.



 Jakobus Cornelis (Jacques) Bloem (1887 – 1966)
 1945.
De Dapperstraat

Natur ist für Zufriedene und Leere.
Zumal: Was ist Natur in diesem Land?
Ein Wald wie eine Zeitung und am Rand
Zwei Villen und nur Ortsverkehre.

Dann sind mir lieber in der Stadt die grauen Wege,
Die Grachten in der Kaiwand eingepasst.
Die Wolken sind am schönsten wenn sie umfasst
Von Gauben sich durch die Luft bewegen.

Alles ist viel für den, der wenig Hoffnung hegt
Die Wunder dieses Lebens sind verborgen
Bis sie sich plötzlich zeigen in ihrer wahren Art.

Dies habe ich mir nämlich überlegt
Verregnet an einem miesen Morgen,
Schlichtweg glücklich in De Dapperstraat.


J.C. Bloem (1887-1966)
Übersetzung Jaap Hoepelman Oktober 2017

Dapperstraat

Das Bild zeigt de "Vrolikstraat" ("Fröhlich-Straße") im gleichen Viertel. Nicht die "Dapperstraat". Aber ich fand es irgendwie passend.

Afbeeldingsresultaat voor "De Dapperstraat"


Im allmählig veryuppende Dapperviertel wird Bloem inzwischen an einer Häuserwand geehrt:

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Samstag, 24. Februar 2018

P. N. van Eyck, der Gärtner und das P-Wort

                                        
 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/80/PNvanEyck1914.gif


Pieter Nicolaas van Eyck (1887-1954) war Dichter, Kritiker und Professor an der Universität Leiden. Ein einflußreicher Mann, erster Träger des Constantijn Huygens Literaturpreises. Seine Arbeiten werden eigentlich kaum noch gelesen und seine Auffassung vom Dichter als von einem über die Massen erhabenem Seher kommt heute nicht mehr gut an. Um so vergnügter hat man festgestellt, dass sein Gedicht "Der Gärtner und der Tod" ein Fragment des Romans  "Le grand écart" von Jean Cocteau nacherzählt. Gravitätisch bedauerte man, nicht umhin zu können, von einem Plagiat zu sprechen, ein Urteil, das ziemlich tödlich ist in einem Land, in dem es von überoriginellen Literaten nur so wimmelt und das deswegen gerne wiederholt wird. Ich kann dem überhaupt nichts abgewinnen. La Fontaine hat Aisopos nacherzählt, Shakespeare bediente sich wo es ihm beliebte, wie  auch Goethe, Hofmannsthal, Kehlmann usw., Mozart nahm Clementi, Brahms Beethoven, alle schreiben ab bei Homer und Bibel, auch die Maler genierten sich nicht - alles böse, böse Plagiatoren. Nur die Literaturkritiker versündigten sich nicht, trugen dafür aber wenig zur Literatur bei. Vielleicht sollten wir uns lieber darüber freuen, dass es dem verkopften, trockenen Professor gelang, aus Cocteaus glanzloser Nacherzählung ein ausgesprochen elegantes kleines Gedicht zu kreieren. Wenigstens einmal. Es ist nicht umsonst, dass das Gedicht zu den beliebtesten der Literatur der Niederlande gehört. Es ist die alte Geschichte von einem Menschen, der verzweifelt versucht dem Tod zu entkommen und diesem dadurch natürlich regelrecht in die Arme läuft. Die Geschichte geht mindestens zurück auf den Babylonischen Talmud, wurde vom persischen Dichter Rumi übernommen und vom französischen Multitalent Cocteau folgendermaßen von Jerusalem nach Persien transponiert:
Un jeune jardinier persan dit à son prince: “J’ai rencontré la Mort ce matin. Elle m’a fait un geste de menace. Sauve-moi! Je voudrais être par miracle, à Ispahan ce soir.”
Le bon prince prête ses chevaux. L’après-midi, ce prince rencontre la Mort. “Pourquoi lui demande-t-il avez-vous fait ce matin, à notre jardinier, un geste de menace?”
“Je n’ai pas fait un geste de menace,” répond-elle, “mais un geste de surprise. Car je le voyais loin d’Ispahan ce matin et je dois le prendre à Ispahan ce soir.”

Und hier ist van Eycks Darstellung. Besser, oder? Viel besser:

Der Gärtner und der Tod

Ein persischer Adliger:

Heut' Morgen stürzt mein Gärtner, die Züge schreckverzerrt,
hinein in mein Gemach: "Verzeihen Sie mir Herr!

Im Rosengarten Herr, schnitt' ich Gebüsch ins Lot,
dann schaut' ich hinter mir. Da stand der Tod.

Erschrocken rannt' ich fort bis ich den Ausgang fand,
doch sah gerade noch die Drohung seiner Hand.

Herr, Herr, ich fleh' Sie an, Ihr Pferd, dass ich die Sporne streiche,
damit, bevor der Abend fällt, ich Isfahan erreiche!" -

Heut' Mittag (längst war der Gärtner fort)
begegne ich dem Tod an ebendiesem Ort.

"Warum", so frage ich, denn wartend steht er still aufrecht,
"heut' Morgen zeigtet Ihr die Drohung meinem Knecht?"
 
Mit einem Schmunzeln spricht er: "Nein, kein Drohen
vor dem beim Rosenbeet Ihr Gärtner ist geflohen.

Ich war verblüfft, als heute früh hier hat sein Werk getan,
den ich am Abend holen sollt' in Isfahan."

 P.N. van Eyck 1926

De tuinman en de dood

Übersetzung J. Hoepelman August 2017

Freitag, 23. Februar 2018

Hans Andreus. Das letzte Gedicht.



 Ã„hnliches Foto


"Das letzte Gedicht" schreibt Andreus auf seinem Sterbebett.  Er findet zurück zum Sonett, eine Form, die auf strenge Einhaltung der Formalien beruht. Andreus beherrscht sie frei und ohne Probleme, aber an einer Stelle macht er einen kleinen Sprach"fehler", den ich persönlich das Berührendste finde vom ganzen Gedicht. "Dit wordt het laatste gedicht wat ik schrijf,". Die Standardsprache (ABN, Algemeen Beschaafd Nederlands, Allgemeingültiges Zivilisiertes Niederländisch - das gibt es) verlangt Relativpronomen "dat" statt "wat" an dieser Stelle. Aber es war ihm egal. Ihm fehlte einfach die Kraft, daran noch etwas zu ändern in seiner Ansprache an den Herrn. Ich habe für die Übersetzung das Pronomen "wo" gewählt. Ich habe es in der Form häufiger im Schwäbischen gehört und habe mich früher darüber gewundert. Die können wohl kein Deutsch, meinte ich. Ich lag natürlich falsch. Alles, nur kein Hochdeutsch, wurde ich später von offizieller Seite belehrt.
"wo bleibe ich mit diesem Licht von mir" spricht ein ständig wiederkehrendes Thema von Andreus an, das ihn fast bis zum Wahnsinn beherrschte. Sie finden es z.B. auch im "Maulwurf", vom vorherigen Blogpost.



Hans Andreus (1926-1977)

Das letzte Gedicht

Dies wird das letzte Gedicht wo ich schreibe,
jetzt wo mein Leben fast vorbei ist,
ist mir die Schöpferwut etwas verleidet:
es wütet mir der Krebs im Leibe,

und, Herr (so sprech' ich dich mal wieder an,
obwohl Du mir nicht recht vorstellbar bist,
aber ich quassle lieber einen an
als nur so in den Raum und es ist

die leichteste Art mit Dir zu sprechen),
wie nun weiter, wo bleibe ich mit diesem Licht
von mir, von Dir, wenn das Fallen, weg in

das unvermittelt Unbenennbare beginnt?
Ob Du mir dazu ein unverdichtes
Wort, das man nicht sagen muss, erfindest?


Aus: VERZAMELDE GEDICHTEN (ed. Gerrit Borgers, Jan van der Vegt en Pim de Vroomen) (1983)
Uitgever: Bert Bakker, Amsterdam 


Laatste Gedicht


Übersetzung Jaap Hoepelman Dezember 2017

Hans Andreus Maulwurf

Hans Andreus (1926-1977)

Maulwurf

dass ich wohne in der Erde,
wühle durch die große Mutter,
grabend bei ihr ein- und ausgeh',

und dass ich die Gefahr
scheue von allem unter der Sonne -
gut, aber muss ich nicht leben

so wie ich bin, blind
und mit der Unrast in den Pfoten
von einem Grund durchtränkt von Toten?


Aus: Natuurgedichten en andere
Verlag: uitg. Holland, Haarlem 1970

Mol

Übersetzung Jaap Hoepelman Dezember 2017

Hans Andreus. Geschichte.

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Hans Andreus
1959

Geschichte

Hie und da ein Dorfdepp
kämpft noch seinen eigenen Krieg,
lehnt sich an seine leergeräumte
Weltbühne und wartet noch

auf nächste Woche mit besseren Komödianten.


Aus: Verspreide gedichten
Maatstaf, 7e jaargang 8 november 1959

Geschiedenis

Vertaling Jaap Hoepelman Dezember 2017




Hans Andreus und die drei Fliegen

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Nach soviel Tod und Trübsal in den letzten Posts, ist es Zeit zum Aufatmen. Hans Andreus hat unglaublich charmante, leichtfüßige Kinderpoesie geschrieben. Poesie für Kinder in der niederländischen Literatur ist sowieso ein Thema, das eine eigene Behandlung verdient. Nicht, dass Andreus ein problemloser Bruder Leichfuß gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Er kämpfte mit schweren psychischen Problemen. Ungeachtet aller Kummer - die Gedichte bleiben leicht, natürlich und elegant.


 Hans Andreus (Pseud. von Johan Wilhelm van der Zant, 1926 – 1977)

 1975

Die drei Fliegen

Drei Fliegen kamen angeflogen
haben um die Wette gelogen,

Draußen auf der grünen Tonne
Faulenzend in der Sommersonne.

Die erste sagte: "Ich schlug mit diesem Bein
einem Stier den Schädel ein."

Die zweite sagte: "Ich bin der schnellste Flieger,
in einer Stunde bin ich im Land der Tiger."

Die dritte sagte: "ich bin so hoch geflogen,
noch höher als der Regenbogen."

Es wurde kühl, fing an zu winden,
das können Fliegen nicht gemütlich finden.

Sie flogen schnell ins Haus hinein
Dort fielen ihnen noch mehr Lügen ein.


=============================
Hans Andreus
Aus dem Band 'Kinderversjes',
Uitgeversmaatsschappij Holland

Drie vliegen

Übersetzung Jaap Hoepelman
Dezember 2017



Donnerstag, 22. Februar 2018

Hanlo und der Tod rückwärts gelesen

                                                                                                                              

  
      Jan Hanlo (1912 – 1969)



Wenn es um die Liebe oder um den Tod geht und wenn um die Liebe, dann trotzdem um den Tod, hilft  Jan Hanlo's Gedicht "Wir kommen zur Welt" aus der Misere. Es kommt nur auf die Blickrichtung an. Es geht einem besser, wenn man die Sache vom Ende her denkt.

Hanlo war kein unproblematischer Mensch, wenigstens zu seiner Zeit wurde das so empfunden. Hanlos Gedicht "Zo meen ik dat ook jij bent" (So, denke ich, dass auch du bist) (Zo meen ik) ist in Bulgariens Hauptstadt Sofia an der Mauer des Naturkunde-Museums zu lesen, in einer Zeit, in der nicht-genehme Poesie von öffentlichen Wänden entfernt wird. Ich kann nur hoffen, dass Hanlo nicht der Pinsel eines politisch-korrekten Anstreichers zum Opfer fällt.

                                                               


  Jan Hanlo

1946
 
WIR KOMMEN ZUR WELT

Wir kommen zur Welt mit Trauer, aus den Gräbern;
mit Trauer, die sich ziemt, weil wir noch tot sind,
Der Leib ist entstanden aus Erde und Pflanzen,
um einmal zu finden den sicheren Hafen.

Den sicheren Hafen: Den Schoß einer Mutter,
wo die wilde Geschichte, allmählich und langsam,
sich endlich beruhigt; ich irre im Vater.
In gesonderten Strömen vollzieht sich das Leben.

Doch kehren wir wieder zum gemessenen Leichzug;
der Leichwagen führt, mit sich spannendem Zaumzeug,
die Pferde, ruhig, bis kurz vor dem Sterbhaus,
Im Rückwärtsgang gehen die Freunde des Weges.

Das Sterbhaus? Nein – lass Lebhaus es heißen,
denn, wenn unter Schmerzen, der Tote erwacht hier,
genest von den Leiden, kommt wieder zu Kräften,
mit Ernst und mit Weisheit nimmt auf sich die Zukunft.

Die Werke des Tages gilt's nun zu vollbringen:
das Brechen der Brücken, das Schleifen der Städte,
das Schöpfen lebendiger Tiere und Früchte,
das Werk auch der Pinsel und weißelnder Stifte.

Erquickend ist meistens die Arbeit und stärkend.
Doch nützlich – das Verfüllen von Zechen,
das Verstecken von Kohle und stinkendem Öl
an passender Stelle, tief unter der Erde.

Auch edelstes Streben macht müde und hungrig.
Nichts Edleres gibt's als das Schöpfen
von Pflanzen aus formlosen Stoffen,
von Rehen, von Rindern und prächtigen Hühnern,

von Vögeln und hunderten Arten von Fischen
und hunderten Arten von Pflanzen und Wesen,
die dann, wenn's so weit ist, die Natur neu bereichern:
die stammlosen Wurzeln, die Stoppeln der Halme.


Und sitzend am Tische mit sauberem Leinen,
gebärt unser Mund, mit dem größten Vergnügen,
Früchte, Radieschen, formvollendet bereits;
Dann und wann ist das kühlende Feuer zu Diensten.

Gewehre suchen die heilende Kugel.
Das niemals versagende ziehende Messer,
bringt Leben zum Leib; kein Wissen auf Erden
konnte je dies Geheimnis ergründen.

Vortreffliches füllt im Vergehen die Jahre,
Hässliches auch, ich übergehe dies mal.
Im Laufe der Zeit wird das Leben harmonisch,
wenn wir erreichen die Zeit unsrer Jugend.

Die Zeit unsrer Jugend, die Zeit unsrer Schönheit.
Klar klingen die Stimmen, die frei heraus rufen.
Blau sind die Augen oder auch dunkel.
Die Zeit unsrer Jugend, wer kann sie beschreiben.

Die Schulen helfen Vergessen zu lernen.
Sie bringen die weißen, ruhigen Stellen
in unsre Gedanken, sie lehren das Lachen
und einsame Spiele, einfach betrieben.

Wir werden stets kleiner,
wir fahren dahin,
Zurück bleibt eine verlassene Fläche.


Übersetzung: J. Hoepelman, März 2014

Komen ter wereld

Mittwoch, 21. Februar 2018

Elsschot ein Zyniker?


Elsschot wird wohl als Zyniker dargestellt. Und ja, sein Wortgebrauch kann drastisch sein. Aber braucht nicht gerade der überempfindliche Mensch Drastik als Schutzschild? Wer "Am Totenlager eines Kindes" liest, kann ihn nicht als Zyniker betrachten, ganz im Gegenteil. Ich empfinde das Gedicht als schmerzhafte Erinnerung an Mattheus 28, 16-20 eines Nicht- oder Nichtmehrgläubigen. "Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." Das erste Vers unseres Gedichtes sagt klar und deutlich, dass die Welt eben nicht untergegangen ist. Sie hätte es aber tun sollen. Nicht einmal das blöde Haus ist in sich zusammengefallen. Ein Heiland ist unser zynischer Agnostiker wohl nicht. Was kann er, Hilfloser, sonst tun? "Es ist vollbracht" - aber nicht an ihm, dem Nichtheiland, sondern an einem Kind. Was bleibt übrig? "Wenn ihr zum Beten bittet
bleib’ ich ein Weilchen noch in eurer Mitte,". Nicht zum Ende der Welt, aber immerhin...Das Gedicht endet mit der verzweifelte Bitte, nicht um Auferstehung, wie bei der Tochter des Jairus, sondern um Verschonung von Verderb und Verrottung. Wenigstens das...

 W. Elsschot (1882-1960)
1908     



Am Totenbett eines Kindes

Die Erde hat nicht aufgehört zu gehen,
als dein Herzchen stehen blieb
das Sternenlicht ist angeblieben
und auch das Haus blieb einfach stehen.

Klagen und Schluchzen halfen nicht.
Man hatte tröstend zum Kaffee gedeckt:
es hat dein Stimmchen nicht erweckt,
in deinen Augen kam kein Licht.

Du wirst wohl nimmermehr erwachen,
denn du bliebst reglos, während man im Flur
das leise Knarren unterm Fuß erfuhr
desjenigen, der kam um zu zu machen.

Seht, liebe Leute, es ist vollbracht.
Was tun? Wenn ihr zum Beten bittet,
bleib’ ich ein Weilchen noch in eurer Mitte,
denn schlafen ist wohl nicht heut’ Nacht.

Aber gibt’s nicht unter Ihnen allen
doch ein verborgenes Genie
das mir versichern kann, dass sie
den Würmern nicht anheim wird fallen?

 
Übersetzung J. Hoepelman   Juni 2017

Doodsbed van een kind

Matthäusevangelium 28,16–20,
http://bibeltext.com/mark/5-41.htm

Dienstag, 20. Februar 2018

Die Ehe bei Elsschot


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In Rotterdam schrieb Elsschot "die Ehe", die drastische Beschreibung einer ausgelöschten Ehe, in dem poetische Ornamentalik keinen Platz hat. Erstaunlich, profetisch mit 28! Die Zeile "denn zwischen Traum und Tat steht das Gesetz im Weg' und praktische Probleme", in ihrer sarkastischen Gegenüberstellung von geträumtem Mord und nicht erfolgter Tat, ist eine feste Größe im niederländischen Zitatenschatz. Es ist aber nicht die Frau, sondern der Mann, der als ekelhaft, bedrohlich und feige dargestellt wird. Gottvergessen - eigentlich erstaunlich, dass Elsschot, der nicht gerade ein Kirchengänger war, dieses Attribut benutzt um einen besonders widerlichen Menschen zu beschreiben. Es lässt mich daran zweifeln, ob "er sah die größte Sünde sich in Teufelspflicht verkehren" nur eine ironische Anspielung auf die katholische Morallehre ist. Zumindest kann man sagen, dass man der christlichen Vorstellungswelt nicht leicht entkommt. "O Gott, es gibt keinen Gott" dichtete Multatuli (den Elsschot sehr bewunderte ) im "Gebet des Unwissenden", (Gebed). In Elsschots "Am Totenlager eines Kindes" kehrt diese Spannung wieder. Ich hebe es auf für den nächsten Post.




Willem Elsschot (1882-1960)

1910

Die Ehe

Als er verspürte, wie in der Nebelwand der Zeit
das Leuchten in den Augen seiner Frau nicht mal mehr funzelte,
die Wangen welkten, und die glatte Stirn verrunzelte
da wandte er sich ab und tat sich rasend Leid.

Er fluchte und er tobte, wurde vor Wut verzehrt
und maß sie mit dem Blick, doch konnte nicht begehren,
er sah die größte Sünde sich in Teufelspflicht verkehren
und wie sie zu ihm hoch sah wie ein krankes Pferd.

Doch krank wurde sie nicht, obwohl sein Höllenmund
ihr saugte die Gebeine aus, die weiter mussten tragen.
Zu sprechen traute sie sich nicht, zu fragen oder klagen,
sie zitterte und stand und lebte und blieb gesund.

Er dachte: ich erschlage sie, setze das Haus in Brand.
Ich muss den Schimmel von den steifen Füßen waschen
und waten durch das Wasser, rennen durch heiße Asche    
zu einer and'ren Liebsten in einem and'ren Land.

Erschlagen tat er aber nicht, denn zwischen Traum und Tat
steht das Gesetz im Weg' und praktische Probleme,
und Wehmut auch, die niemand dir kann nehmen,
die vor dem Schlafen kommt, als sich der Abend naht.

Und so verging die Zeit. Den Kindern wurde klar -
sie sahen, dass der Mann, den Vater sie genannt
reglos und stumm am Feuerplatz gebannt,
ein gottverfluchter, grauenhafter Popanz war.

Huwelijk


Übersetzung Jaap Hoepelman, Mai 2017

Samstag, 17. Februar 2018

Das zweitbeliebteste Gedicht


Nijhoffs Gedicht "De moeder de vrouw" (die Mutter die Frau) wurde in einer Umfrage zum zweitbeliebtesten Gedicht der Niederlande gekürt. An erster Stelle stand, bezeichnenderweise, ein Gedicht mit der gleichen Thematik. Breite Flüsse, die unendlich weite Landschaft, die dadurch hervorgerufene Seelen- und Gefühlslage. Die Anfangszeile des Gedichts "Ik ging naar Bommel om de brug te zien." kennt in den Niederlanden fast jeder (so war es wenigstens mal). Bommel, das nur nebenbei, ist die kleine Stadt, wo sich die Brücke befindet. Nijhoff ruft eine überreiche Bilder- und Bedeutungslandschaft hervor, in der Umgangssprache zwar, aber in makelloser Sonettform. Geht es hier um Leben und Tod, getrennt durch den Fluss des Lebens? Die Brücke als Verbindung zwischen beiden? Die Frau am Schiffsruder - lenkt sie wirklich oder wird sie nicht vielmehr fortgetrieben, wie jeder versteht, der mal im Rhein versucht hat zu baden? Wie jeder im Fluss des Lebens von Gott fortgetrieben wird?
Die Brücke war für die damalige Zeit ein technisches Meisterwerk, und das Gedicht schlägt zwischen erster und letzter Zeile eine Brücke zwischen Technik und Gott - so kann man es auch lesen. So kann man nicht nur, so sollte man es lesen. Nicht im Sinne von "es geht hier um", das war nicht richtig ausgedrückt. Aber das Kaleidoskop von Bildern, Gefühlen und Gedanken bei der Betrachtung einer niederländischen Landschaft, das darf man sich schon leisten.



    

Die Eisenbahnbrücke bei (Zalt)bommel


 Martinus Nijhoff (1894-1953)

          Die Mutter die Frau
 (1933)

Ich zog nach Bommel, die neue Brücke sehen.
Ich sah die neue Brücke. Zwei Gegenseiten
die sich einmal schienen zu meiden,
wurden wieder Nachbarn. Minuten, vielleicht zehn,
dass ich dort lag, im Gras; mein Tee getrunken,
mein Kopf gefüllt mit Landschaft weit und breit -
dass unvermittelt inmitten der Unendlichkeit
mir eine Stimme in den Ohren hat geklungen.

Eine Frau war es. Das Schiff auf dem sie fuhr
fuhr langsam mit dem Strom unter der Brücke durch.
Sie war allein am Deck, sie stand am Ruder,

und was sie sang, dass hörte ich, das Psalmen waren.
O, dachte ich, o, dass da die Mutter würde fahren.
Preise Gott, sang sie, Seine Hand wird dich bewahren.


Übersetzung Jaap Hoepelman November 2017

De moeder de vrouw

Aus: Verzamelde gedichten
Amsterdam, Bert Bakker, 1978

Die Erweiterung der alten Brücke wurde 1933 eingeweiht. Sie war also
zur Entstehungszeit des Gedichts wirklich neu.
Den Krieg hat sie nicht unbeschädigt überstanden.
Sie wurde wieder instand gesetzt und viel später
durch eine Neukonstruktion ersetzt.

  Afbeeldingsresultaat voor bommelse brug


            

Afbeeldingsresultaat voor bommelse brug
 Die neue Brücke wurde zu Ehren des Dichters "Martinus Nijhoff Brücke" getauft.

Mittwoch, 14. Februar 2018

P. C. Hooft und das petrarkische Sonett

Wir haben Nijhoff und den sicheren und sowieso nicht fleißig eingehaltenen Pfad der Chronologie kurz verlassen für einen Abstecher nach Avignon, wo Petrarca der europäischen Dichtkunst das Sonett bescherte. Auch - mit gebührendem Abstand - den Niederlanden.
Pieter Corneliszoon Hooft (1581-1647) war ein früher Vertreter der Renaissance in den Niederlanden. Er bereiste 1598-1601 Frankreich und Italien und führte eine Vielzahl der Genres und Formen der italienischen und französischen Renaissance in die Niederlande ein. Als Truchsess ("drost") und Vogt ("baljuw") residierte er im Schloss zu Muiden (bei Amsterdam),         

                     

Afbeeldingsresultaat voor hooft p. c.                                             Gerelateerde afbeelding                                                                  
  



wo er einen begeisterten Kreis von befreundeten Literaten um sich sammelte (später "Muider Kring"("Kreis") genannt). Das petrarkische Sonett war eine der von ihm bevorzugten Formen, häufig verwendet in Liebesliedern. Die Emblemata amatoria erschienen 1611 in Niederländisch, Latein und Französisch, weswegen ich mich frei fühle die deutsche Übersetzung eines Sonetts beizusteuern:




P.C. Hooft
1609
*
"Mein Schatz, mein Schatz, mein Schatz." So sprach beim Küssen sie,
derweil mein Mund an ihrem Mund sich weidete.
Die Wörtchen alle drei, die schamvoll sich bescheideten,
Flossen mir ins Ohr und wühlten (weiß nicht wie)

Meine Gedanken auf, stets mahlend, müde nie,
Dem Ohr nicht trauend diese Wörter aufzugreifen.
So fragt' ich ob sie meinte, was ich nicht wagte zu begreifen,
Mit diesen unverhofften Worten; und sie wiederholte sie.

O Reichtum meines Herzens, das vor Freuden überquoll!
Betäubt sank meine Seele in die ihre wundervoll.
Doch als der Morgenstern dem Taglicht wich

War, in der klaren Sonne, das Traumbild bald gewesen.
Himmlische Götter, wie konnt' es sein, dass Schein dem Wesen,
Leben dem Traum, und Traum dem Leben derart glich?

Übersetzung J. Hoepelman
Januar 2018

Für Liebhaber hier der Text im Niederländischen der Renaissance:

Mijn lief, mijn lief, mijn lief; soo sprack mijn lief mij toe,
    Dewijl mijn lippen op haer lieve lipjes weiden.
    De woordtjes alle drie wel claer en wel bescheiden
    Vloeiden mijn ooren in, en roerden ('ck weet niet hoe)
    Al mijn gedachten om staech maelend nemmer moe;
    Die 't oor mistrouwden en d woordjes wederleiden.
    Dies ick mijn vrouwe bad mij claerder te verbreiden
    Haer onverwachte reên; en sij verhaelde' het doe.
    O rijckdom van mijn hart dat over liep van vreuchden!
    Bedoven viel mijn siel in haer vol hart van deuchden.
    Maer doe de morgenstar nam voor den dach haer wijck,
    Is, met de claere son, de waerheit droef verresen.
    Hemelsche Goôn, hoe comt de Schijn soo naer aen 't Wesen,
    Het leven droom, en droom het leven soo gelijck?

Dienstag, 13. Februar 2018

Nijhoff, dèr Mouw, Awater und Adwaita.


                                                                                                                     
Nach Nijhoffs geballter Poesie wenden wir uns kurz Adwaita (1863-1919) zu, der mit dem Namen Awater vielleicht mehr zu tun hatte, als wohl gedacht wird. Johan Andreas dèr Mouw (Adwaita) war Sprachwissenschaftler, Philosoph und Dichter. Sanskrit war eine der Sprachen, die er studierte neben Latein und Griechisch. "Adwaita" bedeutet soviel wie Nicht-Doppelheit, Nicht-Dualität, Einheit: Sanskrit "a-dwaita" - "Nicht-Zweiheit". (im Wortstamm "dwai" ist unschwer "zwei" zu erkennen). Das "A-" in "Awater" war Nijhoff  nicht fremd: Nijhoff und dèr Mouw hatten eine Beziehung in der Philosophie und Poesie eine große Rolle spielten bis zu dèr Mouws Tod in 1919.
Das Streben nach Einheit in allem, wie es dèr Mouws Pseudonym ausdrückte war schwer durchzuhalten und die Zweiheit von  täglichem Leben und absolutem Sein konnte einen wie dèr Mouw, der ein brillianter aber schwieriger, in verschiedener Hinsicht gespaltener Mensch war, und zudem Brahman, schier zur Verzweiflung bringen:


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Johan Andreas dèr Mouw (1863-1919)


Ich bin Brahman
*
Ich bin Brahman
*
Ich bin Brahman. Aber die Magd kommt nimmer.
So schaffe ich zuhause das Bisschen, das ich kann:
Spülwasser schütt' ich fort und befülle neu die Kanne;
nur hab' ich keinen Lappen und ich verschütte immer.

Síe sagt, die Arbeit taugt ja nicht für einen Mann.
Ich komm' mir hilflos vor und sie tut mir so Leid,
wenn sie die lang verwöhnte praktische Unfähigkeit
verwöhnt mit allem was sie in der Pfanne zaubern kann.

Und stets verehrt' ich Ihn, der stetig sich erweitert
Im Zauberwerk der Welt, der Kunst, des Wissens:

wenn sie mir reicht den Teller Haferbrei,
und ich an ihren Fingern seh' die Risse,

dann fühle ich die gleiche Andacht brennen
für Sonne, Bach, und Kant, und ihre schwiel'gen Hände.

Johan Andreas dèr Mouw (1863-1919)
Uit: Volledig dichtwerk (1986) Uitgever: G.A. van Oorschot , Amsterdam

Übersetzung Jaap Hoepelman Juni 2017, 
Mai 2019 mit Anregungen von Paul Claes.



Samstag, 10. Februar 2018

Zurück zu den Anfängen: Berceuse und Marc grüßt

Zu den beliebtesten Gedichte van Ostaijens gehören die, in denen die Sprache kunstvoll zu den Anfängen zurück geführt wird. Marc ist übrigens Marc Jespers, der Sohn von Floris Jespers, mit dem van Ostaijen lustigen Schabernack trieb im "Lobgedicht auf Singer". Marc grüßte morgens zuerst mal die alten bekannten: die Gemälde seines Vaters. Dieses vielleicht:


         Gerelateerde afbeelding
               
  (Floris Jespers, Fisch)

Paul van Ostaijen
 1924

Marc grüßt morgens die Dinge

Tach Mann aufm Rad auf der Vase mit Blumen
                         plumplumen
tach Stuhl nebem Tisch
tach Brot aufm Tisch
tach Fischerlein-Fisch mit der Pfeife
                        und
tach Fischerlein-Fisch mit der Mütze
                        Mütze und Pfeife
                        vom Fischerlein-Fisch
                        gutentach

TAA-ACH FISCH
tach lieber Fisch
tach kleines Fischelein mein

Aus: Paul van Ostaijen, Verzamelde gedichten. (Verzameld werk deel 1 + 2) (ed. Gerrit Borgers). Prometheus / Bert Bakker, Amsterdam 1996 (dertiende druk)

Übersetzung J. Hoepelman November 2017




Paul van Ostaijen
April 1927


Berceuse Nr. 2

Schlaf wie ein Riese
Schlaf wie eine Rose
Schlaf wie ein Riese von Rose
Rieslein
Röslein
Süßekeksdöselein
schließe die Türe der Dose
Ich schlafe

Berceuse Nr. 2

Aus: Verzamelde gedichten. (Verzameld werk deel 1 + 2) (ed. Gerrit Borgers). Prometheus / Bert Bakker, Amsterdam 1996 (dertiende druk)

Übersetzung Jaap Hoepelman Nov. 2017

Freitag, 9. Februar 2018

SINGER

Nach dem 1. Weltkrieg musste van Ostaijen nach Deutschland flüchten. Den Eindruck, der das auf ihn machte sieht man an den "Alpenliedern" (Posts 25.01.'18, 5.02.'18), und am "Lobgedicht auf Singer". Dada-ismus, Expressionismus, Modernismus, sie spielen alle ihre Rolle, sowie eine ordentliche Portion Sarkasmus und schlichte Lust am Spiel. Floris Jespers, der im Lobgedicht so ausgiebig gepiesackt wird, ist der Maler Floris Jespers (1889-1965), ein Freund van Ostaijens. Das Grabmal für van Ostaijen auf dem Schoonselhof in Antwerpen ist von der Hand von Oscar Jespers, Floris' Bruder.


Afbeeldingsresultaat voor floris jespers 

(Bildnis van Ostaijen durch Floris Jespers)

Paul van Ostaijen
 

1928

LOBGEDICHT AUF SINGER



Schwinger
    Singer
        Nähmaschine
Hört
    Hört
        Floris Jespers hat sich eine Singernähmaschine gekauft
Was
    Was
        doch
    Jespers Singer Nähmaschine
wieso
    doch
        ich sag's Ihnen
        Floris Jespers hat sich eine Singernähmaschine gekauft
Warum
    wodurch
        was will er
Doch
    er wird
        wieso
            Circulez
                denn
SINGERS NÄHMASCHINE IST DIE BESTE

die beste
    warum
        wie kann das sein
            wer weiß das schon
                alles ist Schein
Singer und Sankt Augustin
Genoveva von Brabant
        besitzt auch eine Singer
            die Jungfrau von Orleans

Eine Singer?
doch
doch doch doch ich sage Ihnen eine Singer
verstehen Sie kein Niederländisch mein Herr
Circulez
    Für Garderobe keine Haftung
ich will eine Nähmaschine
jeder hat ein Recht auf eine Nähmaschine
ich will eine Singer
jedermann eine Singer
Singer
    Sänger
        Meistersänger
            Hans Sachs
hat Hans Sachs keine Singermaschine
warum hat Hans Sachs keine Singer
Hans Sachs hat ein Recht auf eine Singer
Hans Sachs soll eine Singer haben
Jawoll
    Das ist sein Recht
        Dreimal ist Schiffsrecht
            Es lebe Hans Sachs
                Hans Sachs hat Recht
Er hat Recht auf
SINGERS NÄHMASCHINE IST DIE BESTE

alle Menschen sind gleich vor Singer
Circulez
eine Singer
Panem et Singerem

Panem et Singerem Panem et Singerem Panem et Singerem

        et Singerem et Singerem

Ich will eine Singer
wir wollen eine Singer
wir fordern eine Singer
Was wir wollen ist unser gutes Recht
        ein feste Burg ist unser Gott

Panem et Singerem    Panem et Singerem    Panem et Singerem

                   et Singerem et Singerem

Warum
    wieso
        was will er
            was wird er
Salvation Army
Bananas atque Panama
    der Mann hat Recht
    er hat Recht
Recht hat er jawoll
    jawoll
        jawoll
            warum
            wer sagt das
            wo ist der Beweis
    jawoll er hat Recht

Panem et Singerem    Panem et Singerem    Panem et Singerem

    Singerem Singerem

SINGERS NÄHMASCHINE IST DIE BESTE

Vertaling Jaap Hoepelman November 2017


Singer

Paul van Ostaijen
Aus: Verzamelde gedichten
Uitgever: Bert Bakker, Amsterdam, 2005

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