Sonntag, 26. August 2018

Vondel. Kinderleiche, kindlich, kindlich leicht.


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Joost van den Vondel

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Es waren unruhige Zeiten. Vondel wurde geboren in Köln, als Kind von Antwerpener Mennoniten,
die vor der Gegenreformation geflüchtet waren. Als auch in Köln die Verfolgungen zunahmen
flüchtete die Familie weiter nach Amsterdam. Sie betrieb dort einen Handel in Textilien, den Vondel für seinen Lebensunterhalt später übernahm.



Joost entwickelte sich  zu einem Dichter zunächst von Gelegenheitsgedichten, später zum bekanntesten Amsterdamer Dichter und Bühnenautor.
Die nördlichen Niederlande entwickelten sich zum "Republik der Vereinten Niederlande" und Amsterdam zur weltweit führenden Handelsstadt.





Die zunehmende Wichtigkeit der Stadt verlangte nach einem eigenen Theater und in 1638 wird de "Schouwburg" (eine Vondelsche Wortschöpfung) geöffnet mit der Aufführung von Vondels "Gysbrecht van Aemstel", ein Geschichtsdrama in Anlehnung an Vergils Aeneis.


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Der "Gysbrecht" machte einen solchen eindruck, dass das Stück 300 Jahre Repertoire gehalten hat als Eröffnungsspiel des neuen Theaterjahrs.
In den 1960-er Jahren wurden die Aufführungen unmöglich gemacht mithilfe von Tomaten und anderem Obst, im Zuge des allgemeinen Aufbruchs In Eine Bessere Zukunft. Ob das Theater sich seitdem dramatisch verbessert hat, weiß ich nicht.
Vondel schrieb 33 Tragödien, dazu Übersetzungen klassischer Autoren, Lehrgedichte, Lobgedichte und Spottverse. Während seine umfangreichere Werke heute manchmal schwer zugänglich sind und statisch wirken durch die feierlich schreitende Kunst der Alexandrinen und dem Gebot der aristotelischen Prinzipien, können seine kleinere Gedichte auch heute noch überzeugen durch Gefühl, Eleganz und Sprachkunst.
Vondel hielt sich beileibe nicht abseitig von den damaligen Machtkämpfen und Streitereien, und kam dadurch häufig in größere Probleme. Ein heftiger Streit war der zwischen "Arminianen" und "Gomaristen" über die Auslegung der Prädestination, eine grundlegende Frage im Calvinismus, die in den wenigen Zeilen dieses Blogs nicht zu erklären ist, die aber untrennbar mit Fragen der Politik verbunden war, wie damals praktisch alles. Darüber mehr im nächsten Posting.
Vondels Privatleben war voller Tragödien. Er verlor seine Frau und alle 5 Kinder, drei davon im sehr jugendlichen Alter. Um seine Frau für den Verlust des kleinen Constantin noch vor dessen ersten Geburtstag zu trösten, schrieb Vondel "Kinder-lyck", ein kindlich-leichtes Trauergedicht, noch immer eines der beliebtesten der niederländischen Literatur.
"Kinder-lyck" bedeutet "Kindlich" und "Kinderleiche", je nachdem, wie man "-lyck" ausspricht. Schwer zu übersetzen, bei aller Ähnlichkeit.



                                                                  J. van den Vondel
1632


Kindlich leicht

Constantinchen, liebes, leichtes
Cherubinchen, das von oben
um die ird'schen Eitelkeiten
lacht in milder Seligkeit.
Mutter, sagt es, warum weinst du,
warum greinst du über meine Leich'?
Oben leb' ich, oben schweb' ich,
Engelchen im Himmelreich.
Dort blinke ich, dort trinke ich
was der Schenker alles Guten
schenkt den Seelen, die dort spielen,
wirbeln, voller Übermut.
Lerne abgeklärt zu reisen
zu Palästen, aus dem Schlick
dieser Welt, in der nichts hält.
Ewig geht vor Augenblick.


Übersetzung Jaap Hoepelman 25.08.2018



Donnerstag, 23. August 2018

Gerrit van de Linde: Der Schulmeister. Liebe ist das nicht...

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Gerrit van de Linde (Pseudonym "De Schoolmeester"- "Der Schulmeister")(Rotterdam, 1808 – Londen, 1858) bereitete sich in Leiden auf das Pfarramt vor, bis ihn ein bedauerlicher Vorfall an der Weiterführung seiner Studien hinderte. Er beschreibt den Grund folgendermaßen: "lieber als mich noch länger auf dem ausgetretenen und dürren Trampfelpfad der theologischen Lehrmeinungen aufzuhalten, warf ich mich mit Leib und Seele auf ein vernachlässigtes und nicht ausreichend erforschtes Kapitel der Chemie": Der junge, hoffnungsfrohe Student der Gottesgelehrtheit hatte eine Affäre mit der Ehefrau des Leidener Chemieprofessors van der Boon Mesch angefangen. Der Chemieprofessor rächte sich, indem er van de Linde in den Niederlanden dermaßen unmöglich machte, dass dieser sein Theologiestudium aufgeben und nach London flüchten musste, wo er eine erfolgreiche Schule gründete, offensichtlich nicht gehindert durch irgendwelche Englischkenntnisse. Der Verlust für die Theologie kann nicht übermäßig groß gewesen sein, der Gewinn für die Sprachkunst war dafür um so größer. Denn van der Linde war ein Virtuose der Sprache und seine heiteren Verse erfreuten sich lange großer Beliebtheit. Ansonsten war das Leben eines Schulmeisters eine mühsehlige und durch Armut geplagte Quälerei, wie es aus dem Jammerklacht an den Freund van Lennep hervorgeht. Hoffentlich empfinden heutige Schulmeister es anders.

Schulmeister

Er, der aus freier Kaprice,
In einer Hinterkammer,
Kopfschmerzen wie ein Hammer,
Und eine verstopfte Nase
Und eine beklemmte Blase,
Und Gelüste wie ein Bock,
Ein Nacken wie im Stock,
Und Türen, die nicht schließen,
Und alle Scheiben leck,
Podagra in den Füßen,
aussieht so wie ein Geck;
Ist minder zu beklagen,
Als der, der drei Paar Tage,
Die Klassenzimmerblagen,
Die Furzluft und den Dreck,
Rotznasen, Eselsfragen,
Das ekelhafte Nägelnagen,
Das kratzend Läusejagen,
Die schmutzig weißen Kragen,
Das gottverdammte Plagen
Der Jugend muss ertragen.


De Schoolmeester, um 1834.

Schulmeister


Übersetzung Jaap Hoepelman November 2017

Dass van de Linde wahrlich nicht für das Studium der Theologie geeignet war, geht auch aus folgender Glosse an van Lennep hervor (Jacob van Lennep), die, finde ich, ein interessantes Licht wirft auf Sitten und Moral im frühen 19. Jahrhundert.. Van Lennep, im Übrigen, war selber ein einflussreicher Dichter und Schriftsteller,

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"Rijksadvocaat" (eine Stellung vergleichbar mit der des Staatsanwalts), ein liberaler Mann, Erstherausgeber von Multatulis "Max Havelaar" und Herausgeber von Vondels Gesamtwerke, ein treuer Unterstützer van de Lindes und, wie aus seiner Biographie hervorgeht, der richtige Adressat für das folgende kleine Reim:

Gerrit van de Linde
Für van Lennep
1834
-----
Wenn manchmal die bösen Fleischeslüste dich tun plagen
empfehle ich dir du weisst schon was ich meine bis Holland zu vertagen
Denn die englischen Huren wird keiner dir rekommandieren
Sie liegen in den Pfulen wie Statuen nach dem Gefrieren
Und um dafür zu sorgen, dass eine englische Hurfrau beim Ficken sich ein wenig regt
Musst du eine andere darunter legen, die vom Schluckauf wird bewegt.


Übersetzung Jaap Hoepelman

August 2018



Gerrit van de Linde
voor van Lennep

1834

‘Als somtijds de booze lusten van het vleesch je mogten kwellen
Zou ik je maar raden om je weet wel wat ik meen tot in Holland uit te stellen
Want de Engelsche hoeren zal niemand je recommanderen
Ze liggen net als bevroren monumenten in de veren
En om te maken dat een Engelsche hoervrouw onder het naayen een beetje leeft
Zou je er een andere onder moeten leggen die den hik heeft’.

Dienstag, 21. August 2018

Lévi Weemoedt. Liebe und Rausch.



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Lévi Weemoedt

Lévi Weemoedt, Pseudonym von Isaäck Jacobus van Wijk 
(Vlaardingen, 1948). Weemoedt ist bekannt geworden durch seine Kurzgedichte, oft humoristisch mit einer melancholischen Pointe, ein ertappter Romantiker fast, mit Anklängen an Piet Paaltjens.  Auch tragi-komische Kurzgeschichten gehören zu seinem Œuvre. Erste Bekanntheit bekam er als Redacteur der satyrischen  Amsterdamer Studentenzeitschrift Propria Cures, aus der viele bekannte Schriftsteller, Publizisten und Kabarettisten hervorgegangen sind.



Reiche Vergangenheit

Ich war betrunken, als du bist gekommen
ich war betrunken, als du weggezogen bist
zwischendurch kann viel passieren, 
wenn man mal betrunken ist.


Aus: Rijk Verleden (1999)
Uitgever: Donker


Übersetzung Jaap Hoepelman 21.08.2018

Montag, 13. August 2018

Annie M. G. Schmidt. Sebastian

Afbeeldingsresultaat voor annie m.g.schmidt



Annie M. G. Schmidt (Kapelle, 1911 - Amsterdam 1995) war eine niederländische Dichterin, die durch Theaterstücke, Cabaret, Lieder, Musicals, Fernsehen und vieles mehr berühmt wurde. Am allermeisten durch ihre Kindergedichten und -geschichten. Ihre Gedichte zeichnen sich durch eine mühelose Virtuosität aus. Sie gehört ohne Übertreibung zum niederländischen und flämischen Erziehungskanon. Ich bin mit ihren Gedichten und Texten groß geworden und ich spürte: Diese Gedichte sind nicht echt für Kinder. Das war das Schöne daran. Durch ihr Humor und durch ihre Respektlosigkeit wurde eine ganze Generation Kinder vor der traditionellen Spruitjeslucht (Rosenkohlmief, vergleichbar mit dem Muff von tausend Jahren in Schland) gerettet. Von einigen wird sie auf einer Stufe mit Astrid Lindgren gestellt. 




Sebastian


Dies ist die Spinne Bastian,
mit dem's kein gutes Ende nahm.
HÖRT ZU!
Er sagte allen anderen Spinnen:
Komisch, was ich jetzt erlebe,
ich spüre einen Drang tief drinnen.
Ein Spinnennetz will ich jetzt weben.
Da sagten alle andere Spinnen:
O, Sebastian, nein, Sebastian,
komm Sebastian, lass das bitte,
willst du echt ein Netz beginnen
bei der Kälte? Das wird bitter. 
Sagte Sebastian den Spinnen:
Groß muss das Netz ja gar nicht sein,
es muss nicht draußen, es geht auch drinnen,
hinter den Gardinen geht's auch klein.
Sagten alle andere Spinnen:
O, Sebastian, nein, Sebastian, 
bitte Sebastian, lass es sein!
Es ist so gefährlich drinnen, 
so gefährlich für uns Spinnen.
Sagte Bastian eigensinnig:
Nein, der Trieb ist mir zu groß.
Sagten alle Spinnen innig:
Sebastian, es wird dein Tod...

O, o, o, Sebastian!
Mit dem's kein gutes Ende nahm.
Durch das Fenster schlüpfte er nach drinnen.
Eigensinnig. Ohne Bange.
Sagten alle andre Spinnen:
Schaut, er hängt mit seinem DRANG!
PAUSE
Etwas später wurde mal eben
diese Nachricht durchgegeben:
Drinnen hat man einen Mord begangen.
Mit dem Kehrwisch wurde Bastian gefangen.


In: Annie M. G. Schmidt
Dit is de spin Sebastiaan (1951)



Übersetzung Jaap Hoepelman
13.08.2018

Sebastian





Donnerstag, 9. August 2018

Annie M. G. Schmidt. Einem kleinen Mädchen.



Afbeeldingsresultaat voor annie m.g. schmidt





Annie M.G. Schmidt (1911-1995)

Einem kleinen Mädchen

Dies ist das Land, wo die Erwachsene wohnen.
Du darfst noch nicht hinein: Hier ist es böse.
Hier gibt es keine Feen, hier gibt's Hormone.
und für alles sucht man eine Lösung.

In diesem Land gibt es das immer gleiche Abenteuer,
es ist von Männern und von Frauen.
Einhörner gibt es nicht und nicht das kleine Ungeheuer.
Und hinter jeder Mauer gibt es neue Mauern.

Und alle Dinge haben hier zwei Seiten
und Teddybären sind hier tot,
und böse Stücke gibt's auf bösen Zeitungsseiten,
die schreiben böse Männer für ihr böses Brot.

Hier ist ein Wald ein Haufen Bäume,
Soldaten sind hier nicht aus Zinn, und klein.
Es ist das Land der Großen ohne Träume.
Hab keine Angst, du darfst noch nicht hinein.


In: En wat dan nog?
1950


Übersetzung Jaap Hoepelman, 09.08.2018


Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

     Willem Godschalck van Fockenbroch  1640-1670 Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens , de ...