Donnerstag, 25. April 2019

J. C. van Schagen und J. C. Noordstar: Zwei Außenseiter.


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J. C. van Schagen
1891-1985

J. C. van Schagen steht etwas abseits des Kanons der niederländischen Poesie. Er war Jurist und hatte promoviert mit Thesen über das Fischereiwesen. 1942 kündigte er seine Stellung bei der  Stadtverwaltung in Rotterdam um sich weiter zu entwickeln als Graphiker und Maler. 1925 erschien sein erster Gedichtband "Narrenweisheit" mit Prosagedichten, in denen auf Reim und Metrum verzichtet wurde. Van Schagen lehnte jede Form von absichtlich herbeigeführte Künstlichkeit ab, um in spinozistischer Gleichmut Urteilen, Bilder und Symbolen zu nehmen wie sie kommen, oder auch nicht. "Narrenweisheit" wird vorangegangen von einem Motto aus Spinozas "Ethik":
 "Wem klar ist, dass alles aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur hervorgeht und geschieht nach den ewigen Gesetzen dieser Natur, der wird nichts finden, das er für hassenswert, lächerlich oder minderwertig erachten könnte und er wird keinen bemitleiden."


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Die einzig existierende Abschrift 
von Spinozas "Ethica". Vaticanbibliothek
Krankentrost

Wenn ich jetzt sterbe,
wird das große Meer mich nehmen
Und ich werde sein in den endlosen Wogen.
Und ich werde sein in der Brandung an fernen Stränden und in
den weißen Feiern der Mondnacht,
Im Wasserwirbel in der Pfahlbuhne.
Immer dasselbe. Immer.

Wenn ich jetzt sterbe
Wird der große Wind mich nehmen
Und ich werde sein in seinem ewigen Zug.
Ich werde sein im Treiben der Wolken und in der tiefen
Rührung des Herbstes,
In dem Märchen, dass warnt an Deinem Ohr, in der
Nacht, auf dem einsamen Weg.
Immer dasselbe. Immer.

Wenn ich jetzt sterbe,
Wird die große Erde mich nehmen
Und ich werde sein in ihrem warmen Atem.
Ich werde sein im Gras entlang dem stillen Weg und im
Nebel abends über den Landen,
Im fernen Schrei eines hoch vorbeiziehenden
Vogels, an einem Septembermittag.
Immer dasselbe. Immer.

Aus Narrenwijsheid 1925

Übersetzung Jaap Hoepelman April 2019


"Narrenweisheit" wollte nicht so recht passen in die symbol-, reim-, metrum- und gefühlsgeladene Dichtung seiner Zeit , aber der Band war ein großer Erfolg. 

In seinen späteren Arbeiten verknappte er die Form immer mehr, bis seine Dichtung sich den japanischen Haikus annäherte.

Irgendwo muss es sein
irgendwo muss es sein
so ein verwilderter Garten
alter Stille

der Baum vor dem Haus
leise diesigt er seine Geschichte
niemand begreift es

es hat geregnet
der Garten dampft gute Gerüche
Erde, die verlangt.

"Ergens moet het zijn"

Übersetzung Jaap Hoepelman April 2019
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Ich kam viel herum
gar von Hemd bis Hose, sagte der Floh
des Bettlers

Der mathematische Floh
lotet das endlose Nichts
in dem einen Punkt

"Klein vlooientheater"

Übersetzung Jaap Hoepelman April 2019

Van Schagens Motto über dem Band "Ik ga maar en ben" ("Dann gehe ich mal und bin") war folgerichtig: "Meine letzte Arbeit wird ein weißes Blatt sein".

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Obwohl gerne gelesen, wurde van Schagen vom offiziellen Literaturbetrieb nicht ganz ernst genommen. Diese Haltung hat sich aber ziemlich geändert, und einigen sind der Meinung, dass der Außenseiter seiner Zeit weit voraus war.




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J. C. Noordstar 1907-1987

J. C. Noordstar war das Pseudonym von Arnold Jan Pieter Tammes, Professor für Völkerrecht und internationale Beziehungen an der Universität Amsterdam. Als gutes Beispiel für seine kunstlose Kunst zeige ich hier:

Als ich ein kleiner Junge war

Als ich ein kleiner Junge war
legte ich mich abends zwischen den kalten Laken.
Mein Bett war groß und weit wie das Weltmeer,
ich kuschelte mich wie eine zusammengerollte Schnecke.
Doch später wurde mein Körper größer und härter, 
und wenn ich die Beine strecke
dann stößt mein harter Kopf gegen die Bettplanke.
Oh ja, wenn du größer wirst
stößt dein Kopf gegen die Bettplanke.



Übersetzung Jaap Hoepelman April 2019

Montag, 8. April 2019

J. H. Leopold. O, wo geblieben...


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J.H. Leopold
1865 - 1925


Um meinem alten Wohnhaus Pappeln stehen
"mein  Lieb, mein Lieb, o wo geblieben"
feuchte Alleen,
gelbe Blätter hinfaellig sind.

Es regnet, regnet, eines nur hört man
"mein Lieb, mein Lieb, o wo geblieben"
man vernehmen kann
Überverdruss, still wird der Wind.

Das Haus hallt hohl und düster ist
"mein Lieb, mein Lieb, o wo geblieben"
Geflüster ist
wo Bühne ist, wo Balken sind.

Es wohnt da einer vornübergeknickt
"mein Lieb, mein Lieb, o wo geblieben"
ins Leere blickt
und Frieden nicht und Ruh' nicht findet.

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(Verzen , 1912)

Peppels

Übersetzung Jaap Hoepelman, April 2019

Montag, 1. April 2019

J. H. Leopold


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                                                                                                                                    J.H. Leopold 
                                                                                                                                   1865 - 1925





Wie Boutens war J. H. Leopold Altphilologe und wie Verwey war er ein Bewunderer Spinozas. 1902 veröffentlichte er "Ad Spinozae opera posthuma", eine Studie über das Latein Spinozas. 
Er war ein ausnehmender Gelehrter und seine Schüler bezeugen, dass er auch eine beeindruckende Lehrerpersönlichkeit war. 
Er veröffentlichte über Beethoven (er war ein hervorragender Klavierspieler) und Balzac, 
editierte Marcus Aurelius, übersetzte Epictetus und Epicurus und schuf Nachdichtungen von Omar Kayyam. 
Ablehnung als Hochschullehrer in sowohl Groningen als Leiden, eine gescheiterte Beziehung und zunehmende Taubheit verstärkten seine Neigung sich aus der Welt zurück zu ziehen in eine eigene, voller paranoider Fremdheit und Einsamkeit. 
Ein Bild des möblierten Zimmers in dem er er sein Leben lang wohnte ist erhalten geblieben, 
mitsamt Klavier und womöglich Beethoven-Noten:


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Er veröffentlichte Zeit seines Lebens sehr wenig, und das Wenige teilweise auch erst nachdem Dichterkollege Boutens eine Sammlung, entgegen Leopolds Willen, veröffentlicht hatte. Die Schriftgelehrten schlingern in der Kategorisierung seiner Dichtung zwischen Symbolismus und Romantik. Auch betont man gerne, dass seine Dichtung "vorausweist".  Symbolist oder Romantiker wie er gewesen sein mag, in der Filosofie bevorzugte er die "sparsamen, präzisen Denker", nicht Hegel oder Fichte, dafür Hobbes oder eben Spinoza, in anderen Worten: Die Aufklärung.
Einige seiner Gedichte gehören zum Kanon der Dichtung in niederländischer Sprache:



Lass' die Läden geschlossen sein
wiege wiegele weine
und die Stille ungebrochen sein
wiege wiegele weh

Wenn das Kindlein leiden will
müde und friedlich,
dass das strahlende Äuglein still
schläfrig bedeckt sich 

Dann kommt bald die Träumefrau
wird ganz leise gehen
niemals will die scheue Frau
wach die Kinder sehen

Und sie wird in langer Nacht
am Kissen träumen
mit flatterhafter Falterpracht
das Kindlein erfreuen

Und die Mär wird neu beginnen
schön und entsetzlich
und sie wird sich tausendmal besinnen
und sie wird nie fertig

Lass' die Läden geschlossen sein
wiege wiegele weine
und die Stille ungebrochen sein
wiege wiegele weh




Laat de luiken geloken zijn

Übersetzung Jaap Hoepelman März 2019



"O, wenn ich tot werd', tot werd' sein
komm dann und flüstre, flüstre was liebes,
die bleichen Augen werd' ich öffnen
und ich werd' nicht verwundert sein.
Und ich werd' nicht verwundert sein;
in dieser Liebe wird der Tod
allein ein Schlafen, Schlafen beruhigt
ein Warten auf dich, ein Warten sein"

Aus: Verzen, 1912

O als ik dood zal, dood zal zijn

Übersetzung Jaap Hoepelman März 2019, Mai 2020

Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

     Willem Godschalck van Fockenbroch  1640-1670 Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens , de ...