Sonntag, 22. September 2019

Joost Baars


Bildergebnis für joost baars
1975 -

Nach den vielen hier vorgestellten aber toten Dichtern(m/w/d) wollte ich meine Aufmerksamkeit etwas mehr den heutigen Dichtern(m/w/d) der niederländischen Sprache zuwenden, aber so leicht entkomme ich der Geschichte und den "niederländischen" Themen nicht.
In 1784, wir sind wieder zurück in den aufgeklärten Zeiten eines Antoni Staring, wurde von einigen Bürgern "De Maatschappij tot Nut van 't Algemeen", die "Gesellschaft zum Nutzen der Allgemeinheit", gegründet. Die Gesellschaft strebte danach, den allgemeinen Wohlstand zu erhöhen durch die Entwicklung des Allgemeinwissens, durch Gründung von Schulen, Bibliotheken, einer nicht-gewinnorientierten Sparkasse und sonstigen wohllöblichen Maßnahmen. Auch künstlerische Aktivitäten wurden gefördert und die jeweiligen Nachfolgeorganisationen der Sparkasse verwalten bis zum heutigen Tag Fonds zur Unterstützung der Kunst und der Künstlern. 


Tagung der "Gesellschaft" in der 
alten lutherische Kirche zu Amsterdam,
1791

Der VSB-Preis* für die beste Neuerscheinung des Jahres wurde 2018 Joost Baars verliehen. Baars ist Buchhändler, er dichtet, schreibt Essays und gibt Anthologien heraus. Obwohl er sich nach eigenem Bekunden keiner der offiziellen Kirchen zugehörig fühlt, wird es jedoch treuen Lesern dieses Blogs sehr bekannt vorkommen, dass die religiöse Einstellung, die die Kultur der Niederlande zum größten Teil ihrer Geschichte charakterisiert, auch in den Motiven der "Kosmologie der Brücke" mühelos wieder zu erkennen ist. Ich kann keine detaillierte Gedichtanalyse betreiben, aber soviel ist klar: Baars verbindet Alltagsleben und Religion, Leben und Tod mittels Begriffe der neueren Physik, eingebettet einer biblisch anmutenden Sprache (z.B. Jesaja 43.1 "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen: Du bist mein!") - und nicht zuletzt die eigene Panik, womit wir bei einem festen Moment der neueren niederländischen Dichtung wären, wie bei Nijhoff, Hanlo, Elsschot oder Achterberg.
Baars neues Gedichtband und insbesondere dieses Gedicht erwiesen sich als großer Erfolg, und wie ich glaube, zurecht.

Kosmologie der Brücke

da öffnete sich unter ihr in was genannt wurde Brücke ein Wurmloch

da erfasste die Materie die wie selbstverständlich sie umgab         
             Wohnraum Leuchte Laminat Tisch Bücherbrett
              und Zelle um Zelle das Gewebe in dem sie war verfasst

      sie griff sich an den Polen fest

da in der Schwerkraft das was genannt wird Schwerkraft
             woraus was uns gründet entliehen wird
             wie ein Magnetfeld rundum den Planeten
             das dem zum Schluss nicht widersteht

da 112te ich die Sprache die ich hatte
             die Adresse (und es gab)
             den Krankenwagen (und er kam)
             es ist ihr Herz (sie war noch da)
             das wegfällt (Wurmloch)

da klang die Stimme und es war Zeit
             genug für das was sich vollziehen musste

da lag sie auf dem Teppich wie ein Neugeborenes
             das ohne Namen auf den Nenner wartet

Joost Baars (1975)

Kosmologie van het Tapijt

Aus: Binnenplaats (2017),
Verleger: Van Oorschot.

* VSB: Die "Verenigde Spaarbanken"

Übersetzung Jaap Hoepelman, September 2019.

Freitag, 13. September 2019

Staring, Dichter und Heer van de Wildenborch.

Anthony Christiaan Winand Staring (1767-1840) geportretteerd door P Velyn, uitgeven doorJohannes Immerzeel
Antoni Christiaan Wijnand Staring
1767-1840



"Viel Feind, viel Ehr". 1672, das "Katastrophenjahr", war es doch etwas viel der Ehre, als Frankreich und England die Republik gleichzeitig angriffen, unterstützt von den Bistümern Köln und Münster (unter "Bomben Behrend", dem Bischof von Galen).

Het verbranden van de Royal James tijdens de Slag bij Solebay', door Willem van de Velde
Willem van de Velde.
Die Seeschlacht bei Solebay.
Die "Royal James" wird gesprengt.

Die Republik besiegte zwar die kombinierten Flotten von England und Frankreich in der Seeschlacht von Solebay, aber den französische Feldzug, wie üblich mit endlosem Raub, Mord und Zerstörung verbunden, konnte man nur dadurch aufhalten, dass man große Teile des Landes unter Wasser setzte. Es war tatsächlich eine Katastrophe.

                      Historie van de Oude Hollandse Waterlinie | Ontdek de Oude ...                        De Oude Hollandse Waterlinie - Ontdek de Oude Hollandse ...     
                     Die "holländische Wasserlinie"                        Prinz Willem III inspiziert die Wasserlinie     


In der Bevölkerung gab man den Brüdern Johan und Cornelis de Witt die Schuld. Die Wut wurde noch befeuert durch die Tatsache, das die Zinsen auf Leibrenten verringert worden waren, nachdem der Mathematiker Johan de Witt (der selbige - Mathematiker konnten damals noch Premier werden) berechnet hatte, dass sie zu hoch angesetzt seien. Gute Mathematik ist aber nicht immer taktisch geschickt: Die de Witts wurden von einem rasenden Mob ermordet und geschunden. Einige Historiker vermuten aber auch ein Komplott in der Kette der Reibungspunkte zwischen den Parteien der Orangisten und der Regenten.
Das Land war zerrüttet. Das "Goldene Zeitalter" war vorbei und es fing eine lange Periode des Niedergangs an, die sich auch in der Literatur bemerkbar machte. Aber wie ein Amsterdamer Philosoph schon sagte: Ieder nadeel hep ze voordeel - Jeder Nachteil hat seinen Vorteil. 30 Prozent der Bevölkerung zog weg aus den Städten und aufs Land. Dadurch verschob sich der wirtschaftliche Schwerpunkt der Niederlande. Durch die neuen Arbeitskräfte, neue Arbeitsmethoden und Techniken und durch Trockenlegungen wurde das Land vom Importeur von Nahrungsmitteln zum Exporteur. Auch ohne Tomaten konnte damit  gutes Geld verdient werden und man tut es immer noch.  Neben den nun mal nicht adligen Kaufleuten in den Städten des Westens spielten wieder andere Bevölkerungsschichten ihre Rolle. In Gelderland, also nach holländischem Verständnis janz janz weit weg vom Zentrum der Macht war das mittelalterliche Raubritterschloss "Wildenborch" gelegen.
1768 wurde es von den Staaten von Gelderland dem Grafen van Limburg Stirum verkauft und später von Damiaan Hugo Staring, dem Vater unseres jetzigen Dichters, erworben.
Wildenborch - JungleKey.nl Afbeelding

Sohn Antoni Christiaan Staring war ein sehr vielseitiger Mann. Auf seinem Gut pflanzte er Wälder, betrieb eine Baumschule, legte Moorgebiete trocken und entwarf landwirtschaftliche Geräte. Auf seinen Ländereien errichtete er eine Schule für die Kinder seiner Landarbeiter. Seine Bibliothek in der Wildenborch, zum Teil noch erhalten,  umfasste Bücher über Poetik, Jura, Erziehung, Sprachwissenschaft, Naturwissenschaften und vieles mehr. Für die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflichte als Gutsherr studierte er Jura in Harderwijk  und Botanik und Physik in Göttingen (1786-1789). Starings wahre Liebe galt aber der Poesie. Auch verfasste er Erzählungen und er schrieb Lieder.
Mit dem damaligen, stagnierenden Literaturbetrieb der Niederlande hatte der landwirtschaftliche Provinzbaron wenig zu tun. Vielleicht war das auch gut so: Staring hatte schon in seiner Jugend die "Basia" (Kussgedichte) des Neo-Lateiners Janus Secundus kennengelernt, kam in Göttingen


       Janus Secundus
          1511 -1536

näher mit der deutschen Klassik und Romantik in Berührung und er wusste diese Elemente im hier übersetzten Gedicht "Gedenken" virtuos zu verbinden. Durch den Einfluss der gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Gesellschaften zur Spracherneuerung steht Starings Sprache der heutigen Sprache viel näher, als die seiner Vorgänger. So wird verständlich, dass "Gedenken" noch immer zu den beliebtesten Gedichte der Niederlande zählt, ja, sogar eines der schönsten Gedichte der niederländischen Sprache genannt wird.


Gedenken

Uns schützte tropfend Laub der Weiden,
Wo ich mit ihr geduckt am Weiher saß;
Die Schwalbe überflog die Weide
Und spielte ums silberne Gras;
Das Laub, vom Dufthauch leicht bewegt,
Erzitterte zart angeregt.

Es wurde still; das Tropfen hörte auf;
Kein Vogel mehr am Himmel flog;
Der Tau stieg an den Hügeln auf,
Wo sich das Abendrot verzog;
Der Mai sang seine Abendweise!
Wir hörten es und wurden leise.

Ich sah sie an und tief bewegt,
Schmolz Seel' mit Seel' in ein.
O Zauberbann, so sanft auf mich gelegt
Von dieser Augen Schein!
O dieses Mundes Atems Süße,
Flüsternd schlingend unsre ersten Küsse!

Uns deckte friedlich Laub der Weide;
Die Dämmerung zog auf;
Das Dunkel überzog die Weiden;
Wir standen zögernd auf.
Leb' lang in seligem Gedenken fort,
Geweihte Stund'! Geheil'gter Ort!

                           -

Die verschiedenen Fassungen tragen die Jahreszahlen 1786 bis 1837 

Übersetzung Jaap Hoepelman September 2019

Herdenking
J. P. Guépin "Starings 'Herdenking'".

Staring ist auch bekannt um seine Gedichterzählungen und humoristische Epigramme. An einem Epigramm versuche ich mich hier noch. Es wurde in der Schule häufig unterrichtet und es zeigt Starings virtuose Behandlung der Sprache:

Der Hundekampf

Rul Weitgereist, auf seinen Reisen,
Sah unglaublich viel! Zwei Bullenbeißer
Kämpften vor dem Weinhaus in der Polenstadt,
Wo er gerade Unterkunft bekommen hat.
"Solch'  Kämpfen, Leute! -- Sie verschlangen
Einander regelrecht! Mit jedem Biss ein Bein
Ab oder Ohr - und glatt wie Speck hinein!
Für's Trennen war's zu spät! Zu fangen
gab's die Reste: - bei meiner Ehr',
Die Schwänze, und nicht mehr."

Het hondengevecht.

Übersetzung J. Hoepelman September 2019


George Morland C1790s Soft-ground Etching. Fighting Dogs ...



Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

     Willem Godschalck van Fockenbroch  1640-1670 Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens , de ...