Dienstag, 30. April 2024

Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

    

Willem Godschalck van Fockenbroch 

1640-1670


Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens, de Schoolmeester, van Schagen, AshetuAchterberg, Slauerhoff, Komrij,...die Liste kann mühelos fortgesetzt werden. Über Willem Godschalck van Fockenbroch ist wenig bekannt, aber er trieb das Außenseitertum sehr weit. Sein mageres Gehalt als Armenarzt reichte nicht zum Leben, dazu litt er heftig unter Liebeskummer (darin, allerdings, war er keine Ausnahme). Um seinen Schwermut zu vertreiben rauchte er Pfeife. Er war richtig süchtig. Ob er, als Amsterdamer, die Pfeife nur mit Tabak stopfte ist mir leider nicht bekannt. Sein Lebensmotto passt zur seiner Sucht und zu seiner Stimmung: "Fumus Gloria Mundi" - "Der Welten Glanz ist nichts als Rauch". Zu seiner Melancholie passte das Genre der Burleske, das sich gerne über Feierliches lustig macht, wie Focquenbroch sich über seine vergeblich Angebeteten und über sich selbst traurig-lustig machte. So verknüpfte er gerne das petrarkische Sonett, in dem klassisch-erhaben unerreichbare Schönheit bejammert wird mit unverschnitten Erotischem, Unanständigem und Fäkalischem, was ihm bis in unsere Zeit übel genommen wurde:

"Seine Arbeiten sind so schmierig und platt, wie sie in unserer Literatur selten Vergleichbares finden...er suhlt sich in Wolllust und Schmutz wie ein Schwein im Schlamm", entrüstete sich der Literaturhistoriker Kalff noch Anfang des 20. Jahrhunderts.

Focquenbroch hatte also einiges mit dem Spott der Dichter der Romantik gemein und er wird heute, wo der Anstand andere Formen angenommen hat, zunehmend geschätzt.

Durch Geldmangel und Liebeskummer getrieben, musterte Focquenbroch 1668 an bei der West-Indischen Companie (WIC) als "Fiscaal", eine Art Zollbeamter. 

              Das Lager der WIC. Amsterdam, 1655

                                                                            Hauptniederlassung des WIC in Amsterdam
                                              (1623-1647) 

Die WIC hatte das Alleinrecht für die Niederlande auf  die Ausfuhren aus der Elfenbein-, der Gold- , und der Sklavenküste. Die Handelsware entsprach im Wesentlichen den Namen der Küsten. 


Elfenbein-,Gold- und Sklavenküste um 1650

Der "Fiscaal" hatte als eine seiner Aufgaben die Bekämpfung der Schmuggler, gegen Teilhabe an der beschlagnahmten Schmuggelware. Focquenbrochs Standort war Elmina an der West-Afrikanischen Küste, der wichtigste niederländische Stützpunkt dort, aber auch andere Mächte hatten sich in West-Afrika festgekrallt, darunter Frankreich, England, Dänemark, Schweden und Brandenburg. 

Elmina wurde als Hölle auf Erden beschrieben, die Überlebensdauer der Holländer wird mit 60 Wochen angegeben. 

Aus Elmina schickte Focquenbroch seine Gedichte dem Freund Ulaeus zu, der sie unter dem Titel " Thalia of Geurige Sang-Goddin" (1668, 1669) und posthum als "Afrikaense Thalia" veröffentlichte.

Der Titel ist ein gutes Beispiel für Focks (so nannte er sich oft) burlesken Humor: Thalia ist die Muse der komischen Dichtung, aber "geurig" bedeutete im 17. Jahrhundert nicht nur "wohlriechend" und "verspielt", sondern auch "anrüchig".

Focquenbroch starb 1670 mit 30 Jahren, vermutlich an Gelbfieber.

                        Fort Elmina, 17. Jahrhundert.

Focquenbrochs Motto passt in gewissem Sinne auch zur WIC. 1792 ging die Kompanie pleite und wurde aufgelöst. 1821 wurden die meisten Archivalien einem Altpapierhändler verkauft (vielleicht aus Scham?) während die übriggebliebenen während eines Feuers im Marinedepartement in Rauch aufgingen (1844). Somit blieb von Fock außer einer Reihe von Gedichten und einiger Komödien fast nichts übrig. Eine ausgeklopfte Pfeife und etwas Rauch.


Sonett


Wie könnte ich, o schöne Klorimene, dir

gefallen, ich, der ich als Mensch geboren

und du, so scheint's, hast einen dir erkoren,

der jetzt dein Herz hat, einen wie ein Tier.


Ach, jetzt versteh' ich: nur mit einem Biest

das weibliche Geschlecht zur Liebe ist bereit.

Herr Jupiter begriff es, als vor langer Zeit

er öfters göttlich aufs Gesicht gefallen ist,


weswegen endlich er, zum Besseren belehrt,

für Leda hat den Schwan herausgekehrt

und Frau Europa hat entführt als Stier.


Es kann also noch Mensch noch Gott gewinnen:

Wer eine Liebschaft will mit einer Frau beginnen,

muss mehr nicht sein, als nur ein Tier.


(Klinkdicht)

Übersetzung Jaap Hoepelman, Dez. 2021


Das obige Sonett kam noch ziemlich gesittet daher, aber Fock konnte auch anders, z.B. um sich an einem Nebenbuhler zu rächen,  zur ewigen Entrüstung der Sittenmeister:


Grabschrift


Hier liegt ein feiner Pinkel, der wohl daran

verstarb, dass er mit seinem Ballermann

aus Tollerei, aus Zeitvertreib,

gespielt hat auf dem Nachbarinnenleib.

Wo er jetzt ist? Ich kann nur raten,

ich glaube nach wie vor jedoch:

Todsicher wird er in den Himmel nicht geraten,

wenn er den Eingang sucht durch dieses Loch.


(Graf-Schrift)

Aus: Tweede Deel Van Thalia, of Geurige Zang-Goddin (1668)

Übersetzung Jaap Hoepelman, Dez. 2021


"er suhlt sich in Wolllust und Schmutz, wie ein Schwein im Schlamm" meinte der gute Kalff und trotz neuerlicher Wertschätzung bleibt Focquenbrochs Ruf ziemlich ruiniert. Weitere Beispiele seiner Schweinereien können uns also nicht genieren:


Auf die schwarzen Zähne des

 Fräulein N.N.


Dein Mund, Gesims aus angerauchten Zähnen,

Zeigt deutlich dem, der was davon versteht:

Man braucht das heiße Feuer deines Ofens nicht erwähnen,

von dem der schwarze Rauch bis hoch ans Kauwerk geht.


(uit "Alle de Werken van Willem Godschalck van Focquenbroch")

Übersetzung Jaap Hoepelman Dez. 2021



Auf Gret


Gret sagt, sie lässt zu sich nur ihre Freunde rein;

Ja, wo im Lande, sag' ich, mögen ihre Feinde sein?


Übersetzung Jaap Hoepelman Dez. 2021


Um das Bild Focquenbrochs abzurunden, hier noch ein ernsthaftes Gedicht. Obwohl, bei der Arbeit kommen mir dann doch Zweifel, ob sich nicht auch hier die Burleske das böse Köpfchen erhebt. 


Eranemite (aus der Afrikaense Thalia)

Übersetzung Jaap Hoepelman 2021



Hendrick Goltzius, 
Das Gesicht 1576


Namen im diesem Blog

   

Ihr, die hier eintretet,....



Achterberg, Gerrit
Adriaan Roland Holst
Adwaita
Aegidius
Andreus
Ashetu, Bernardo
van Eeden, Frederik

Montag, 15. April 2024

Slauerhoffs Einsamkeit

Jan Jacob Slauerhoff (1898-1936)

In einem früheren Beitrag schrieb ich über Slauerhoff: "Slauerhoff war einer der wichtigsten Dichter, Novellisten und Romanciers in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Als Schiffsarzt fuhr er auf Reisen nach niederländisch Indien, auf der Japan-China-Linie, auf der Holland-Westafrika Linie und auf dem königlich-holländischen Lloyd nach Süd-Amerika. 1934 eröffnete er eine ärztliche Praxis in Tanger, in der Hoffnung, dass der Verbleib in Nord-Afrika seiner schwachen Gesundheit gut tun würde. Es half nichts, 1936 zog er wieder in die Niederlande, wo er wenige Monate später in einem Pflegeheim verstarb.

Slauerhoff wird beschrieben als Poète Maudit, verlassen, nirgends zuhause, zutiefst pessimistisch, von allen ungeliebt, im Streit mit allen, insbesondere den Kollegen-Schriftstellern. Ein schwieriger Mensch, aber der Kapitän eines der Schiffe auf denen er fuhr nannte ihn den besten Kumpel, den ein Seemann haben könnte; "der Schwarze Chor", die Heizer, nannten ihn die beste Pille mit der sie je gefahren wären."
 
Von der Einsamkeit handelt auch das folgende Sonett:


Briefe auf dem Meer


Gelesen werden sie, die Male ungezählt,

Obwohl der Stoff bekannt und abgenutzt.

Das Leben wird in allen Sprachen gleich erzählt,

Die Zeilen nach und nach bis auf die Worte abgelutscht.


Doch wieder aufgefaltet, beim Abendmahl allein,

Nachts auf der Wache, in der Koje, bei der Beladung,

Er, der verbeißt das ständige Alleinsein, 

Findet in den Buchstaben noch Nahrung.


Zwischen liebster und dich liebende, das was er

Liest bleibt gleich, Kinder, Haus, Dorf und Insel, allein  

Bei Heirat, Geburt und Tod ändert sich die Leier


Nach vielen Reisen ist's als ob ein Schleier

Alles Bekannte an Land umhüllt, man ist allein,

Gehört zum Schiff und bleibt beim Wasser.


J. J. Slauerhoff (1898-1936)

Übersetzung Jaap Hoepelman April 2024

Brieven op zee

Aus: Een eerlijk zeemansgraf (A.A.M. Stols, Rijswijk 1941)

Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

     Willem Godschalck van Fockenbroch  1640-1670 Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens , de ...