Donnerstag, 12. Mai 2022

Anna Bijns. Mehr Saures als Süßes. Streitschrift und Refrain.

 

Anna Bijns
Antwerpen 1493-1575

Die Reformation kannte Twitter nicht, dafür reichlich Flugblätter und Streitschriften. Die Teilnehmer legten sich damals wie heute keine vornehme Zurückhaltung auf.*


       Papst Alexander VI. Um 1500 **

Teufel mit Luther als Sackpfeife um 1535**



Anna Bijns (1493-1575) war eine Ausnahmeerscheinung. Sie ergriff eifrig die Partei der Päpstlichen und obwohl sie als Frau zu den offiziellen Kammern der "rederijkers" (rhetoriker) nicht zugelassen wurde, war sie als Dichterin hochgeschätzt und gepriesen. 
Sie war die Tochter einer Antwerpener Schneiderfamilie und auch ihr Vater war schon bei den Rhetorikern aktiv.  Bijns Begabung muss früh aufgefallen sein - es wird vermutet, dass sie es war, die als 15-jährige in 1512 erwähnt wird, als Beinahe-Siegerin in einem Dichterwettbewerb mit einem Refrain auf Maria.  
Mit der armseligen Kürze einer Twittermitteilung hatten die rederijkers nichts am Hut. Ein Refrain hatte aus mindestens 4 Strophen zu bestehen, abgeschlossen mit einem Kehrreim. Das Refrain bleibt Bijns bevorzugte Form, in der sie ihre Virtuosität in Reim und Rhythmus voll ausspielen konnte, besser als alle Kollegen Rhetoriker. Sie wandte es in vielen Gedichten und Pamphleten an, meistens gerichtet gegen die teuflischen lutherschen Einblasungen.  Ihr erstes Band erscheint 1528, 


"Dit is een schoon ende suverlick boecxken inhoudende veel scoone constige refereinen van de eersame ende ingeniose maecht, Anna Bijns" 

das zweite und das dritte 1548 und 1567. Es folgen viele Nachdrucke. Daneben sind umfangreiche Handschriftensammlungen erhalten mit  ihren Arbeiten die zum Repertoire der Rhetoriker gehörten, darunter Liebesgedichte und recht sarkastische über Ehe und Familie: "Glücklich die Frau ohne Mann!". Ihre Sprache konnte  richtig derb sein. Einen Mann, der sich um einen Säugling kümmert stellt sie so bildhaft dar, dass einem ein Gemälde Adriaan Brouwers einfällt. Ich habe aber gelernt, dass sich in dieser Hinsicht im Laufe der Zeit nichts Grundlegendes geändert hat:

Adriaan Brouwer Antwerpen 1605-1638 "Der Geruch"



"En als 't hem bescheten heeft, moet ik schiere
 
Het grofste gruis van den doeken spoelen.
 
Pis, kindeken pis, pis, ik dan krajiere,
 
Wanneer dat 't kakken wille of poelen."

Und hat's geschissen, bin ich in Eile,
Die dicken Batzen aus den Windeln zu pulen.
Piss, Kindelein, piss, piss, ich könnte weinen,
Wenn's kacken möchte oder strullen.


Sie heiratete nicht. Einige vermuten, dass ihr Sinnspruch "Mehr Saures als Süßes" darauf zurück zu führen ist, andere, dass sie damit auf ihre Neigung zu Satire und bissigen Spott anspielt. Vielleicht trifft beides zu. 
Bis ins hohe Alter unterrichtete sie in ihrer eigenen Schule in Antwerpen. 


Gedenktafel Keizerstraat 57, Antwerpen

Anna Bijns verdankte ihren Erfolg der Druckpresse. Nicht nur als DichterIn: Als "Branbanter Sappho"  war sie,  Anfang und Mitte des 16. Jahrhunderts, der in den Niederlanden am meisten gedruckte Autor überhaupt. Ihre Kunst wurde über die der männlichen Kollegen-Dichter gestellt. In späteren Jahrhunderten geriet Bijns kunstvoll gedrechselte Poesie - wie auch die der Rhetoriker allgemein - in Vergessenheit. In letzter Zeit, mit unter dem Einfluss von Gerrit Komrij, dem großen Rhetoriker der Neuzeit, findet eine bescheidene Bijns-Renaissance statt.  Von 1985 bis 2016 existierte sogar ein Anna Bijns Preis als Pendant zum P. C. Hooft Preis um die Arbeit weiblicher Autoren angemessen zu würdigen. 

Eines der bekanntesten Refrains der Anna Bijns ist ein polemischer Vergleich zwischen Martin Luther, dem Reformator, und Maarten (Martin) van Rossem, Graf, Bandit und notorischer Kriegsverbrecher (man verzeihe den Anachronismus), woraus van Rossem als der bessere hervorgeht, mit dem Kehrreim:

"Doch scheint Martin van Rossem der beste von zweien."

Und ja, manchmal standen Bandenchef und Reformator sich recht nah:



Maarten van Rossem
1478-1555

"Sengen und Brennen sind die Zierde des Krieges"



Martin Luther 
1483-1546

"man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss."

Für Bijns war Luthers Treiben aber schlimmer, weil fataler für das Seelenheil, als van Rossems Mordbrennerei. 
Sarkastisch konnte sie sein: Im Vergleich zwischen van Rossem und Luther scheint sie sich auf einen Lutherschen Spruch ("Die Welt schändet immer, was man loben soll, und lobt, was man schänden soll." ***) zu beziehen.

Anna Bijns

um 1545 



"Doch scheint Martin van Rossem der beste von zweien"



Martin van Rossem, inmitten seiner Mörderbande,

Hat schon viele schöne Häuser abgebrannt.

Aber stelle einmal Luthers Tun daneben:

Durch den sind Kirchen, Klausen, Klöster überrannt,

Manch braver Leute Kind, die Zahl ist unbekannt,

Aus den Klöstern gejagt, dem Verfalle preisgegeben,

Rauben müssen sie und stehlen, um zu überleben,

Einige von ihnen machen mit beim Rossemschen Gelichter.

Doch warum allein bei Rossem ein Geschrei erheben?

Zeigt nicht Luther eine schlimmere Geschichte?

Mache auf die Augen, ich kenne Dich zwar nicht,

Du, der Rossem tadelt und Luthers Lob will sprechen, ***

Schaue doch auf alles das, was dieser hat verrichtet.

Größer als van Rossems sind die Lutherschen Verbrechen.  

Ist es Dir auch gleich, was falsch ist und was wahr,

Diese Wahrheit kannst Du nicht verneinen:

Tugend fehlt den beiden Martins ganz und gar,

Doch van Rossem Martin scheint der bessere von zweien.


Van Rossems Belagerung von Antwerpen 1542




(Handschrift A)

(De beste van tween)

*Gewalt in der Sprache


*** "Die Lutherum loeft ende Rossom laect."

Übersetzung Jaap Hoepelman, Mai 2022


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