Dienstag, 17. Dezember 2019

Brederode. "'Het kan verkeren - Es kann sich ändern".

Bredero's ware gezicht: zijn portret | Koninklijke Bibliotheek

Gerbrand Adriaensz. Brederode
1585-1618
Sinnspruch: Het kan verkeren - Es kann sich ändern.

Im späten Mittelalter entstanden insbesondere in den südlichen Niederlanden die in Kammern organisierten "rederijkers", nach dem französischen Vorbild, der "rhétoriqueurs". Die rederijkers waren Liebhaber der schönen Literatur, die sich quasi unabhängig von ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Stellung trafen um ihre Kunst auszuüben. "Ausüben" kann man durchaus wörtlich nehmen - die Dichtkunst wurde als ein Handwerk betrieben, in dem die Kunstfertigkeit hochangesehen war. Nebenbei hatten die rhetorischen Kammern eine wichtige gesellschaftliche Funktion als Textlieferanten bei wichtigen Anlässen, Festlichkeiten, hohem Besuch usw. 
Nach den Anfängen der Aufstand der Niederlande gegen Habsburg-Spanien wurden verschiedene Städte in den Niederlanden von den spanischen Truppen, anachronistisch gesagt, magdeburgisiert. 


Das Blutbad zu Naarden



1576 traf es Antwerpen, die führende Handelsstadt der Niederlande. 

De Spaanse Furie, anoniem, ca 1585, MAS

1576. Die Spanische Furie zu Antwerpen.

1585 wurde die Stadt endgültig durch den Herzog von Parma, Alexander Farnese, eingenommen. 

Parma's brug tijdens het beleg van Antwerpen

Die Einnahme von Antwerpen über die Schiffbrücke des Alexander Farnese


Die flämischen Bürger flohen zu tausenden in die nördlichen Niederlande, häufig nach Amsterdam. Es war der Anfang des raketenhaften Aufstiegs Amsterdams als Handelsstadt und als Hauptstadt von Kunst und Kultur. Mit den kultivierten Flamen kamen auch die nordniederländischen Kammern der rederijkers zu neuer Blüte. Brederode wurde Mitglied der Kammer "De Egelantier" ("Die Wildrose"), welche von P. C. Hooft, einem der Großen des 16.-17. Jahrhunderts und Truchsess zu Muiden geleitet wurde. Brederodes Kunst war aber ganz anders geartet als die von Hooft. Nicht dessen erhabene Themen in erhabener Dichtersprache: Brederode bevorzugte das Lied, den Schwank und die Komödie. Er war ein stolzer Bürger der aufsteigenden Stadt und verwendete häufig den Amsterdamer Dialekt, z. B. um den Kontrast mit den versnobten, hochnäsigen aber dafür ziemlich abgerissenen flämischen Neubürgern hervor zu heben. Die Komödie "Der Spanische Brabanter" lebt davon:

Jerolimo, der spanische Brabanter:

T'Is wel een schoone stadt, moor 'tvolcxken is te vies:
In Brabant sayn de liens ghemaynlijck exkies
In kleeding en in dracht, dus op de Spaansche mode,
Als kleyne Konincxkens of sienelaycke Goden. 

Die Stadt ist schön, doch die Leute sind grobschlächtig
In Brabant sind die Leute exquisit und prächtig
In Kleidung und im Stil, die Mode wie in Spanien
Wie kleine Könige, wie Götter in Arkadien.

Dagegen Byateris, eine Amsterdamer Trödlerin:

Doe ick jongh en weeldich was had ick Vryers met hoopen,
Doe docht ick niet iens om spelden en garen te kóópen,
Ick had de lieve tijdt van al mijn vrienden raat,
Daarom so gatet mijn ghelijck het myn nou gaat,
Mijn goetje is verslempt, myn kliertjes zijn versleten,
Ick waar al langh vergaen had ick gheen raet gheweten,
Wat heb ick in mijn jeught oock menich man ghehadt
Ja wel so veel, so veul als yemandt inde Stadt.
Ick mien mochtense melcander met de handt anraacken,
Sy souwen wel een hier deur, jy moeter deur tot Haarlem toe maken.

Als ich jung war und üppig hatt' ich Freier in Haufen,
Weder Fäden noch Nadeln musste ich kaufen,
Wohl lag die Familje mir ständig in den Ohren,
Es geht, wie es geht, viel hab' ich verloren,
Mei Sach ist verschlampt, die Kleider zerschlissen,
Eine Frau muss sich helfen, nur wie muss sie wissen.
Ja, in der Jugend hatt' ich Mannsbilder satt, 
Mehr als die meisten hier in der Stadt.
Ich denke, würden die sich die Hände reichen
Es würde einer Kette bis Haarlem gleichen.


Historische Kaart - Reproducties Historische Kaarten


Der kleine Fischereihafen Amsterdam wuchs explosionsartig. Nicht nur Flamen, sondern Immigranten aller Länder strömten zu. Es war wie in New York im 19. Jahrhundert. Und in dem ganzen Trubel zog Brederode um die Häuser und sang verliebte Liedchen. Oder er tat so, denn vergebliche Liebesmüh lag schwer im Trend."Love's Labours Lost", schrieb schon Zeitgenosse Shakespeare.
Dezember 1617 ist Brederode auf dem Eis eingebrochen als er mit seinem Schlitten aus Haarlem zurückfuhr nach Amsterdam. Wenig später ist er an den Folgen gestorben. Het kan verkeren...


Liedchen

Nachts ruhen gar die Diebe
Kein Tier, das sich noch regt
Auch meine große Liebe
Hat sich zur Ruh' gelegt
Nur ich bin aufgeblieben
Nur ich bin aufgeregt
------------------------------------------------------
Ich seh' die Wolken treiben
Ich seh' den Mondenschein
Ich seh', dass ich muss bleiben
Und ohne Trost muss sein!
Ach, will mich nicht vertreiben
Und lass dich auf mich ein.
-------------------------------------------------------
Will, Lilie, erheben,
Erheben meinen Sinn,
Du Hoffnung meines Lebens,
Meine Verführerin.
Ach will barmherzig geben
Den Tausch für meine Minn'
------------------------------------------------------
In Furcht und Freud' gefangen
Im pausenlosen Streit
von Sorge und Verlangen
Möcht' ich zu dieser Zeit
Den Trost zu gern' empfangen
Um den ich hab' gefreit.
------------------------------------------------------
Mein ungestilltes Schmachten
Löscht meinen Kummer nicht.
Willst du mich denn verachten,
Die alles mir versprichst?
Doch siehe, Unbedachter,
Sie ruht und ahnt es nicht.
-------------------------------------------------------
So schlafe, mein Behagen,
Was ziehe ich herum?
Was nützen meine Klagen
Wenn du bleibst taub und stumm?
Ich werd's geduldig tragen
Und wünsche gut zu ruh'n
-------------------------------------------------------
Adieu Prinzessin lieblich,
Fürstin meines Gemüts
Adieu und träum' genüsslich
Und schlafe fest und süß
Ach, mir ist es unmöglich
Zu ruhen ungeküsst.

Liedchen CXLVII
aus dem Groot lied-boeck, 1622

https://www.youtube.com/watch?v=7rjsgJyUa88

Freitag, 22. November 2019

Multatuli: Woutertje Pieterse und das Räuberlied.

Multatuli
1820-1887

Boekwinkeltjes.nl - De geschiedenis van Woutertje Pieterse ...


Von 1862 bis 1877 arbeitete Multatuli an seinen "Ideen", eine Loseblattsammlung Skizzen, Aphorismen und Notizen, die ihm eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit verschafften. Es war das richtige Vehikel, seine Einfälle ungehemmt los zu werden. Teil der Ideen waren ein vollständiges Schauspiel "Fürstenschule" ("Vorstenschool") und der Entwicklungsroman "Der kleine Walther" ("De Geschiedenis van Woutertje Pieterse"). "Der kleine Walther" beschreibt den Werdegang eines empfindsamen, romantischen kleinen Jungen und wird als den ersten Entwicklungsroman der kindlichen Psyche in der niederländische Literatur betrachtet. Es war nie Multatulis Absicht "Den kleinen Walther" als eigenständigen Roman heraus zu geben. Erst 1900 wurde aus den "Ideen" von Multatulis Witwe, Mimi Hamminck Schepel,  einen Auszug erstellt und als "Woutertje Pieterse" heraus gegeben. 


Mimi Hamminck Schepel - Wikipedia
Mimi Hamminck Schepel
1839-1930


Der aphoristische Stil der "Ideen" durchzieht den ganzen Roman und führt zu sketchenähnlichen Szenen, die dazu beitrugen, dass "Woutertje Pieterse" nach dem "Max Havelaar" zum beliebtesten Werk des Autors wurde. Ein gutes Beispiel ist die Szene in der Meister Pennewip Familie und Nachbarn an Hand eines von Wouter selbst geschriebenen Gedichtes eindrucksvoll demonstriert, dass Walter zu den "Räubern, Mördern, Frauenschindern und Brandstiftern" gehört. Dabei war die Aufgabe gewesen, ein Gedicht über die Tugend zu schreiben!
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Fragment aus Multatulis Ideen (1862 - 1877).



- Ich werde Ihnen etwas, das er geschrieben hat vorlesen, sprach der Schulmeister und wer dann noch zweifelt an der Verdorbenheit dieses Knaben...
Die Gesellschaft versprach einmütig nicht zweifeln zu wollen. Das Fragment, das der Schulmeister daraufhin vorlas, war tatsächlich derart, dass Zweifel fast unmöglich war und auch mir, der ich Walter zu meinem Helden gemacht habe, wird es schwer fallen, den Leser davon zu überzeugen, dass er nicht so schlimm war, wie es aussieht in seinem fürchterlichen

"Räuberlied

Mit dem Schwert,
auf dem Perd,
helmbewährt und das Haupt hoch gehalten
Auf ihn los! Und dem Feinde den Schädel gespalten
Auf geht's heute!

- Ach du lieber Gott, rief  die ganze Gesellschaft, isser tollwütig?

Auf geht's heute!
Auf dem Weg,
Bei dem Steg,
Und mit Hieben und Stichen
Die Dragoner verjagen, und den Grafen vernichten...

- Lieber guter Gott, was hatter denn gegen den Grafen? jammerte die Mutter.

- Um die Beute!

- Siehst du, es ist wegen der Beute, sagte Fräulein Laps, ich sag ja immer, man fangt mit der Bibel an, und...

Und die Beute
Ist die Braut, die ich heute...

- Hast du sowas je....seine Braut! Der hat gerade gewechselt!

Und die Beute
Ist die Braut, die ich heute
Mit dem Stahl mir gekauft...

- Mit dem Sta...a...a...a...ahl?

Und die Beute
Ist die Braut, die ich heute
Mit dem Stahl mir gekauft...
Und ich flieg', federleicht, führe mit sie im Sattel,
Zu der Grotte...

- Himmlischer Gnaden, was will er in der Grotte?

Wie der Wind
So geschwind'
Jag' ich hin mit der Fracht,
Und ich geb' auf ihr Schreien und Winseln nicht...

- Ach, gerechtiger Frieden, das Mensch winselt deswegen!

Und ich geb' auf ihr Schreien und Winseln nicht Acht!
Welch Genuss!

- Genuss nennt er das! Mich fröstelt's!

Und dann wieder
auf-und-nieder,
Rechts und links durch das Land...

- Ach Jesses, da geht er wieder!

Und dann wieder
auf-und-nieder,
Rechts und links durch das Land,
Hier ein Hofgut zerstört, dort ein Kloster verbrannt,
Nur zum Spaß!

- Die Hölle ist in den Jungen gefahren...zum Spaß!

Dann wieder nach vorn
Dem Rosse die Spor'n
Auf zu neuen Abenteuern...

- Schon wieder? Wo im Namen Gottes will er jetzt schon wieder hin? Man könnte ohnmächtig...

Dann wieder nach vorn
Dem Rosse die Spor'n
Auf zu neuen Abenteuern,
Und mein Weg ist gezeichnet durch Blut und durch Feuer,
Denn Rache...

- Guter Gott, was haben sie ihm denn getan?

Denn Rache
Kann nur Sache
Des Waldkönigs sein...

- Ist er wahnsinnig? ...Ich werde ihn königen!

Denn Rache
Kann nur Sache
Des Waldkönigs sein,
Der das Zepter verteidigt, gegen alle allein...

- Was'n das für'n Ding?

Der das Zepter verteidigt, gegen alle allein...
Und Panier!
Auf, hurrah...
Ich greif' an, folge mir!

Die Gesellschaft schauderte bei dieser Einladung.

Und Panier!
Auf, hurrah...
Ich greif' an, folge mir!
Kein Geschöpf wird verschont,
Alle Männer gehängt...

- Riechwasser! Gertrude, du siehst, dass ich...

Alle Männer gehängt, und die Frauen...

- Riechwasser!...Riechwasser!

...die Frauen verhöhnt,...

- Riechwasser, Riechwasser, Riechwasser...Gertrude!

die Frauen verhöhnt,
Nur zum Spaß!"

- Nur zum Spaß...wiederholte der Schulmeister im Grabeston, nur zum Spaß!
Er...macht...diese...Dinge...zum...seinem...Ver...gnü...gen!


Die ganze Gesellschaft lag in Ohnmacht, sogar Stoffels Pfeife war ausgegangen.
Aber Walter machte einen ganz entspannten Eindruck, und als seine Mutter ihn ausreichend verhauen hatte um ihre Geistesgegenwart zurück zu gewinnen, legte er sich nicht unzufrieden hin in einer Ecke des Hinterzimmers, wo er bald einschlummerte um von Fancy zu träumen.

Übersetzung Jaap Hoepelman
November 2019
Roverslied
Roverslied
Als Kurzoper

Montag, 18. November 2019

Multatuli: "Bis zum heutigen Tag"...


Eduard Douwes Dekker 
(Pseud. Multatuli, 1829-1887)

Nicht nur die Geschichte von Hassans Datteln gehört in den niederen Landen zum Standardrepertoire, sondern auch die Geschichte der Thugater, die so vorzüglich melken konnte. Multatuli war ein großer Befürworter der Frauenemanzipation. Er bewunderte - anfänglich - die Schauspielerin Mina Kruseman, die die Rolle der Königin Louise spielte in Multatulis Drama "Fürstenschule" aus 1872.


Een afbeelding van Mina in haar tijd als artieste / Bron: Schift.nl
Mina Kruseman, 1835-1922


                                                            Vorstenschool - Wikipedia



Mina Kruseman war eine der ersten Feministinnen in den Niederlanden. Sie bestand sehr auf ihre Unabhängigkeit und ließ sich von keinem etwas sagen. Auch nicht von Multatuli, der mit der Schauspielkunst der Kruseman gar nicht einverstanden war und sich so lange beschwerte, bis Kruseman aufgab, was das Ende der Beziehung bedeutete.
Eine andere Mina war die politisch und intellektuell  ungleich bedeutendere Wilhelmina Drucker, die sich Multatulis Geschriften und Standpunkten sehr zugeneigt fühlte und einen Roman über die Ungleichbehandlung nach Multatulis "Max Havelaar" modellierte.
36 best images about kopstukken 20ste eeuw on Pinterest ...
Wilhelmina Drucker 1847-1925

Sie führte sie einen lebenslangen harten Kampf für Gleichberechtigung, Anerkennung und Pazifismus, teilweise zusammen mit der Ärztin und Sexualreformerin Aletta Jacobs, und verdiente sich so den Ehrennamen "Eiserne Minna".
Multatulis Veröffentlichungen spielten eine wichtige Rolle in der Emanzipationsbewegung, und sie waren besonders wirksam durch seine Bekanntheit als Schriftsteller und seinen brillanten Schreibstil. Die folgende "achte Geschichte von der Autorität", ist ein sprechendes Beispiel.


Achte Geschichte von der Autorität
(aus "Minnebriefen" 1861.)

Thugater melkte die Kühe ihres Vaters, und sie melkte gut, denn die Milch,
welche sie nach Hause brachte, lieferte mehr Butter als die Milch, die von ihren
Brüdern nach Hause gebracht wurde. Ich werde dir sagen, wie das zustande kam,
und gib fein acht, Fancy*, damit du es weißt, wenn auch du einmal ausziehen wirst zum Melken.
Ich sage es dir aber nicht, damit du melken wirst wie Thugater, sondern um dich
auf das Beispiel ihrer Brüder aufmerksam zu machen, denen es besser erging dadurch,
dass sie schlechter melkten. Dafür aber klüger.

Bevor bei den Bauern das Jungvolk auf die Weide geht,
ja, lange vor dieser Zeit, stehen die Kühe am Gitter und warten,
damit man sie entlastet vom Überfluss, den sie eigentlich bereit halten
für ihre Kälber. Aber die Menschen essen die Kälber, weil sie meinen dafür geeignet zu sein,
und dann gibt es zuviel Milch in den Eutern.

Was aber geschieht, während die Kühe mit dümmlichem Gesicht vor dem Gitter warten?
Während sie da stehen schwimmen die leichtesten Anteile der Milch, der Rahm, das Fett, die Butter, nach oben und treiben somit am weitesten entfernt von der Zitze.
- "Zitze" heißt "Tepel" auf Niederländisch und ist männlich, was ich ziemlich albern finde.

Und siehe, Thugater hatte keine Eile, aber ihre Brüder schon.

Denn diese behaupteten, dass sie ein Recht hätten auf etwas anderes, als die Kühe ihres Vaters zu melken.
Aber sie dachte an dieses Recht nicht.

- Mein Vater hat mir beigebracht zu schießen mit Pfeil und Bogen, sprach einer der Brüder.
Ich kann leben von der Jagd, und ich will durch die Welt ziehen, und arbeiten auf eigene Rechnung.

- Mir hat er das Fischen beigebracht, sagte der zweite. Ich wäre verrückt immer nur zu melken für einen anderen.

- Mir zeigte er, wie man eine Schute baut, rief der dritte. Ich hacke einen Baum um und setze mich darauf, im Wasser.
Ich möchte wissen, was es zu sehen gibt auf der anderen Seite des Sees.

- Mich gelüstet es, mit der blonden Gune zusammen zu ziehen, erklärte der vierte, dass ich ein eigenes Haus habe, mit Thugaters da drinnen, um für mich zu melken.

So hatte jeder Bruder einen Wunsch, eine Begierde, einen Willen.
Und sie waren so erfüllt von ihren Neigungen, dass sie sich nicht die Zeit nahmen, den Rahm mitzunehmen, den die Kühe bei sich behalten mussten, ohne Nutzen für irgendeinen.

Aber Thugater molk bis zum letzten Tropfen.

- Vater, riefen endlich die Brüder,  wir gehen!

- Und wer wird melken? fragte der Vater.

- Na klar, Thugater!

- Und was wird, wenn sie auch Lust bekommt auf fahren, fischen, jagen, in die Welt ziehen?
Was, wenn auch ihr der Gedanke kommt, sich mit etwas Blondem oder Braunem
zusammen zu tun, dass sie ein eigenes Haus habe, mit allem, was dazu gehört?
Ihr werdet mir nicht fehlen, aber sie, weil die Milch, die sie nach Hause bringt so fett ist.

Da sagten die Söhne, nach einigem Nachdenken:

- Vater, bring ihr nichts bei, dann wird sie weiter melken bis zum Ende ihrer Tage. Zeige ihr nicht, wie eine gedehnte Schnur, sich zusammenziehend einen Pfeil abschießt.
Dann wird sie keine Lust auf jagen verspüren.
Halte für sie die Eigenschaft der Fische verborgen, die einen scharfen Haken verschlucken, wenn dieser versteckt ist unterm Köder.
Sie wird nicht daran denken Haken oder Netze auszuwerfen.
Erkläre ihr nicht, wie man einen Baumstamm aushöhlt um damit zur anderen Seite des Sees überzusetzen.
Dann wird sie keine Lust verspüren auf die Überseite.
Und niemals lasse sie wissen, wie sie mit Blond oder Braun ein eigenes Haus erwerben kann,
und alles, was dazugehört.
Dies alles lasse sie nie wissen, o Vater, dann wird sie bei Euch bleiben und die Milch Deiner Kühe wird fett sein.

Also sprachen die Söhne. Doch der Vater, der ein sehr vorsichtiger Mann war, erwiderte:

Ihr Lieben, was hindert sie daran, zu wissen, was ich sie nicht lehrte? Was, wenn sie eine Libelle sieht auf einem schwimmenden  Ast?
Was, wenn der verzwirnte Spinnfaden, sich zusammenziehend, den Spinnrocken forttreibt, bei Zufall?
Was, wenn sie am Ufer des Baches einen Fisch beobachtet, der nach dem Wurm schnappt, und sich gierig verbeißt in die scharfe Hülse des Rohrs?
Und was, endlich, wenn sie das Nest findet, das die Lerchen sich bauen im Klee in Mai?

Die Söhne dachten wiederum nach, und sagten:

- Sie wird daraus nichts lernen, Vater! Sie ist zu dumm, als dass sie Begierde schaffte aus Wissen.
Auch wir hätten nichts gewusst, wenn Du uns nichts gesagt hättest.

Aber der Vater antwortete:
- Nein, dumm ist sie nicht. Ich fürchte, dass sie von sich aus lernen wird, was ihr ohne mich nie gelernt hättet. Dumm ist Thugater nicht!

Wieder dachten die Söhne nach, - diesmal tiefer, - und sie sagten:

-Vater, sage ihr, dass Wissen, Begreifen und Begieren...sündig ist für ein Mädchen!

Diesmal war der sehr vorsichtige Vater zufrieden.

Er ließ seine Söhne davon ziehen, zum Fischfang, zur Jagd, in die Welt, in die Ehe, ...überall hin.
Aber Thugater verbot er das Wissen, das Begreifen und die Begierde, und sie melkte in Einfalt weiter bis zum Ende.

Und so ist es geblieben, bis zum heutigen Tag.

* Fancy ist eine Fantasiegestalt, die in Multatulis Schriften häufig auftritt.

Achtste geschiedenis van gezag

Übersetzung Jaap Hoepelman
November 2019

Samstag, 16. November 2019

Multatuli und Hassans Datteln.


Eduard Douwes Dekker 
(Pseud. Multatuli) 
1820-1887

1861,  2 Jahre nach seinem anti-kolonialen Paukenschlag "Max Havelaar" schrieb Multatuli seine "Minnebriefe" eine als Roman verfasste Sammlung Briefe, Geschichten, Märchen - "Es ist alles! Poesie, Sarkasmus, Politik, Wolllust, Schärfe, Logik, Theologie...alles", schrieb Multatuli. Willem Frederik Hermans,  selber ein höchst eigenwilliger Literat, berühmt um seine beißende Polemiken, nannte die "Minnebriefe" "einen der unbändigsten Bücher, welche die niederländische Literatur vorzuweisen hat". Nach dem "Max Havelaar" hatte die anti-autoritäre Einstellung Multatuli nicht verlassen, im Gegenteil: Die Briefe enthalten 9 Parabeln, genannt "Geschichten von der Autorität". Obwohl keine Gedichte im eigentlichen Sinne, finde ich sie doch sehr poetisch in Form und Sprache. Sie sind poetisch nicht weit entfernt vom "Lied des Saidjah", dem großen Prosagedicht in "Max Havelaar". Deswegen übersetze ich hier die vielleicht bekannteste Geschichte - bestimmt nicht als erster, denn Multatuli war eine Zeitlang sehr bekannt in deutschen Kreisen -, die Geschichte von Hassans Datteln. Und man wird sehen...sie ist aktuell bis zum heutigen Tag.



Multatuli 1861

Neunte Geschichte von der Autorität

Hassan verkaufte Datteln in den Straßen von Damaskus.
Wenn ich sage, dass er sie verkaufte, meine ich eigentlich, dass er sie nicht verkaufte, denn seine Datteln waren so mickrig, dass keiner sie kaufen wollte.

Erfüllt von Trübsinn und Neid musste er zuschauen, wie jeder den reichen Aouled bevorzugte,
der neben ihm auf einer Matte seine Wohnung hatte.
Denn man wohnte auf Matten in Damaskus, hoch aufgeschichteten Matten, weil man kein Dach über dem Kopf hatte.
Aouleds Reichtum bestand dementsprechend nicht aus Häusern, sondern aus einem Garten,
der sehr fruchtbar war, ja, so fruchtbar, dass die Datteln die dort wuchsen so groß waren wie drei gewöhnliche Datteln.
Und deswegen kauften die Vorbeigänger Datteln von Aouled, und nicht von Hassan.

Da kam ein Derwisch in die Stadt, der zuviel an Weisheit besaß und zu wenig an Nahrung;
zumindest tauschte er sein Wissen für Speise, und man wird sehen, wie es unserem Hassan wohl erging bei diesem Tausch.

- Gib Du mir zu essen, bat ihn der Derwisch, und ich werde für Dich tun, was kein Kalif für Dich tun kann. Ich werde das Volk dazu bringen, Deine Datteln zu kaufen, indem ich sie groß mache,
ja, größer als die Früchte des Aouled...Wie groß sind die?

- Leider, Derwisch, den Allah geschickt hat, - ich küsse Deine Füße - Aouleds Datteln - möge Allah ihm Krämpfe geben - sind dreimal größer als gewöhnliche Datteln!
Tritt herein auf meine Matte, überkreuze Deine Beine, sei gesegnet, und lehre mich, wie ich meine Datteln groß mache und das Volk dazu bringe, sie zu kaufen.

Hassan hätte fragen können, wieso der Derwisch, der doch so fähig war, Bedarf an Speise hatte?
Aber Hassan suchte nie Händel. Er bot seinem Gast gekochtes Leder an,
alles was übrig geblieben war von einem gestohlenen Ziegenbock.

Der Derwisch aß, sättigte sich, und sprach:

- Dreimal größer als gewöhnliche Datteln sind die Früchte Deines Nachbarn, ...wie groß möchtest Du, dass Deine werden, o Hassan, Sohn des... ich weiß nicht wessen?

Hassan dachte kurz nach und sprach:

Möge Allah Dir Kinder schenken und Vieh!
Ich wünschte mir, dass meine Datteln dreimal größer wären, als dass Du sie machen kannst.

- Sehr wohl, sprach der Derwisch. Schau her, ein Vogel, den ich mitgebracht habe aus dem fernen Osten.  Sage ihm, dass Deine Datteln so groß sind, wie drei!

- Ich wünsche Dir Frauen und Kamele, o Derwisch - der angenehm riecht wie Oliven, aber was nützt es, wenn ich dem Vogel sage, was nicht ist?

Tue wie ich Dir sage, sprach der weise Mann. Deswegen bin ich Derwisch, dass Du mich nicht begreifst.


Hassan wünschte dem Vogel Länge der Feder, und nannte ihn Rock.
Aber es war kein Rock.
Es war ein kleiner Vogel, einem Raben in etwa ähnlich, mit loser Zunge und hüpfendem Gang.
Der Derwisch hatte ihn mitgenommen aus Indalus, wohin Kaufleute ihn gebracht hatten über das Meer aus dem Land, wo die Menschen ähnlich sind wie Neger, obwohl es weit entfernt von Afrika liegt.
Hassan nannte ihn Rock, weil er bemerkt hatte, dass jemand, den man um etwas bittet, sich vergrößert. Und auch umgekehrt. Wer etwas braucht von einem anderen, schrumpft.
So war das, in Damaskus.

Hassan schrumpfte und sprach:

- Ich bin dein Sklave, o Vogel Rock! Mein Vater war ein Hund,...und meine Datteln sind so groß wie drei!

- So ist's richtig, sprach der Derwisch. Mach weiter so und fürchte Allah.

Hassan machte weiter.
Er fürchtete Allah und sagte dem Vogel immer wieder, dass seine Datteln unmöglich groß waren.
Der Lohn der Tugend ließ nicht lange auf sich warten.
Keine dreimal hatte der Kalif sämtliche Haremdamen umbringen lassen,
keine Mutter hatte ausreichend Zeit gehabt ihre Töchter ordentlich vorzubereiten auf den Markt zu Rhum, kein einziges Ziegenböcklein hatte Hassan gefunden um ihm Gesellschaft zu leisten und ihn am Leben zu erhalten auf seiner Matte, und siehe, der Vogel rief:
- Mein Vater ist ein Hund, - das war unnötig, aber er sprach Hassan nach.
- Mein Vater ist ein Hund, kriege Länge der Feder, die Datteln von Hassan, Ben...
Ich kenne Hassans Vatersnamen nicht, und wenn er ein Hund war, kommt es auch nicht darauf an.

- Hassans Datteln sind dreimal größer als sie sind!

Es gab damals noch neunmal Kluge in Damaskus, die dem widersprachen.
Aber das dauerte nicht lange. Irgendetwas war in der Stimme des Vogels, etwas, das sich auswirkte auf die Strahlbrechung der Luft. Die Datteln wuchsen und wuchsen...in den Augen der Leute...

Und der Vogel rief immerzu weiter:

- Hassans Datteln sind dreimal größer als sie sind!

Und sie wuchsen,...man überdehnte sich das Maul um reinbeißen zu können.

Und Aouled wurde sehr mager. Hassan aber kaufte viele Ziegenböcke und Lämmer, und er überdachte seine Matte, er wurde sehr ehrlich, und betrachtete es als eine Schande, wenn jemand, der selber keine Lämmer hatte, eins aufaß, das ihm, Hassan, gehörte.
Und er fürchtete Allah weiterhin.

Diesen Reichtum und diese Freude verdankte er dem kleinen Vogel, der immer das Gleiche sagte, und die Lüge zur Wahrheit machte durch Wiederholung.
Jeder war der Meinung, dass Hassans Datteln groß seien, jeder war gezwungen sie zu kaufen, jeder...

Außer Hassan selber, der sich heimlich versorgte bei Aouled, dessen einziger Kunde er war.

Und so ist es geblieben, bis zum heutigen Tag.



Negende geschiedenis van gezag

Übersetzung Jaap Hoepelman November 2019

Samstag, 9. November 2019

Nico Scheepmaker. Fußball und das Wunder der Übersetzung

Mal wieder etwas ganz anderes: Ende der 60-er Jahre, am Anfang der Fußballrivalität zwischen Deutschland und Hup Holland und lange vor Jules Deelder, schuf Nico Scheepmaker, Jounalist, Übersetzer, Slavist und Dichter nicht nur einen Höhepunkt der Fußballdichtung, sondern auch den Höhepunkt der totalen Fußballübersetzung, komplett mit taktischem Foul. Wie man sieht: Die Sonettform ist unverwüstlich.

Bildergebnis für nico scheepmaker
Nico Scheepmaker
1930 - 1990

"De Gedichten", 
Bert Bakker, Amsterdam, 1991


Het totale voetbal
Strik, Colombain, Van Beveren en Haan,
Pijs, Fransen, Bleijenberg en Advocaat,
Matthijssen, Overweg, Rep, Kwakkernaat,
Beek, Van der Kuijlen, Lelieveld en Zwaan,
Van Eeden, Hovenkamp, Kleton, Cabo,
Schneider, Kornelis, Bos en Klijnjan,
Smid, Krijgh en Oosterwold, Drost, Kolkman,
Van Kraay, Fernandez, Hoeben, Tetteroo.
Walbeek, Van Esdonk, Donkers en Redel,
Gritter en Schipper, Ouwens en Israel.
Herben, Van den Dungen, Jansen en Krol,
Coté, Marijt, Van Veen, Schrijver en Mol.
Rijsbergen, Schaafstra, Keizer en Vonk,
Van Kooten, Van der Ban, Suurbier en Pronk.
*
Das totale Fussball*
Kleff, Wimmer, Hoeneß, Held und Beckenbauer,
Kapellmann, Jung, Grabowski, Franke, Klein,
Müller, Geye, Wunder, Nigbur und Hölzenbein,
Erwin und Helmut Kremers, Zobel, Assauer,
Krauthausen, Doctor Kunter, Wittkamp und Beer,
Fichtel, Flohr, Breitner, Budde und Savkovic,
Hoffmann, Lútkebohmert, Kostedde, Rupp und Hosic,
Brenninger, Blau und Handschuh, Köppel und Scheer,
Vogt, Pröpper, Schwarzenbeck, Cullmann, Sziedat,
Deterding, Brück, Nickel und Overath,
Netzer und Heynckes, Kohle, Walitza,
Dürnberger, Löhr, Wolter, Konopka,
Maier, Roth, Jensen, Jung, Diehl und Hansen,
Danner, Schulz, Bonhof, Kulik und Jansen

* sic

Sonntag, 6. Oktober 2019

Jacqueline E. van der Waals, die begabte Tochter eines berühmten Vaters.

                                                                                                                          Jacqueline E. van der Waals - Nederlandse Poëzie Encyclopedie
Jacqueline E. van der Waals
                                                                                                                               1868-1922
                                                                                                                                (Pseudonym U.E.V - 
                                                                                                                                                                   "Una Ex Vocibus")
Jacqueline van der Waals, Laatste verzen · dbnl


Jacqueline Elisabeth van der Waals war Lehrerin, Schriftstellerin, Übersetzerin und Dichterin.
Sie war Schülerin der uns inzwischen wohlbekannten "HBS" ("Höhere Bürgerschule") gewesen, eine Schulart in der ihr Vater, der spätere Nobelpreisträger Johannes Diderik van der Waals, Sohn einer Handwerkerfamilie, für einige Zeit Direktor war. Ein typischer Vertreter des "zweiten goldenen Jahrhunderts". Wie ich schon in einem vorherigen Post schrieb: Die HBS war wahrlich nicht die schlechteste Schulart gewesen.

Johannes Diderik van der Waals - Wikipedia

Johannes Diderik van der Waals
1910 Nobelpreis für Physik

Jacqueline war eine begabte Frau. Sie übersetzte aus dem Deutschen, Englischen, Norwegischen und Dänischen, beschäftigte sich u.a. mit Nietsche, Ibsen und Kierkegaard, trieb Sport, spielte Klavier... aber auch für begabte Kinder ist es nicht immer leicht Kind eines noch begabteren Elternteils zu sein. Vater Van der Waals wahr ein verschlossener Mensch, der seinen Kindern wenig Freiheit ließ. Dieser Zug verstärkte sich, als seine Frau, Anne Smit, 1881 an Tuberkulose starb. Dieser Schlag warf ihn völlig aus der Bahn. Die Wohnung, nicht weit vom Rijksmuseum in Amsterdam, wo er den Lehrstuhl Physik innehatte, wurde in eine Art Mausoleum verwandelt. Die Vorhänge des Wohnzimmers blieben bis 1902 geschlossen. Van der Waals war lange Zeit nicht mehr im Stande zu veröffentlichen. In seiner Verzweiflung schrieb auch er Gedichte. In dieser Hinsicht allerdings wurde er von seiner Tochter eindeutig übertroffen. In ihrem autobiografischen Roman "Noortje Velt" beschreibt Jacqueline die häusliche Atmosphäre, die sie als tödlich erdrückend empfunden haben muss. Das Spannungsverhältnis von Tod, Gott, Schönheit und Glück ist ein häufiges Motiv in ihren Gedichten. Sie war sehr Religiös und einige ihrer Gedichte genießen in der evangelischen Gemeinschaft der Niederlande noch immer große Beliebtheit, aber in der heutigen Poesierezeption kommt ihre Kunst nicht mehr gut an. "Höhe und Tiefe dessen, was wirkliche Literatur heißt, hat sie nie erreicht", schrieb eine bekannte Wochenzeitschrift in den Neunzigern und diese alpenländische Metaphorik verstellte auf lange Zeit einen vorurteilsfreien Blick auf ihre melancholische, kunstvoll-einfache Poesie. 1921 wurde bei ihr Magenkrebs festgestellt. Kurz vor ihrem Tod diktierte sie auf dem Sterbebett die "Letzten Verse", die als ihre besten betrachtet werden und in denen sie die Dissonanz aus Trauer, Glück, Schönheit, Gott und Tod endlich auflösen konnte. 
Selbsttötung kam für sie nicht in Frage. Auf Schmerzmittel hatte sie verzichtet.
                                                                           

Seitdem ich's weiß


Seitdem ich's weiß - ich weiß es wohl, obschon
Man unter uns aus Takt umgeht
Das böse Wort, das man leicht missversteht,
Zu schnell vergreift man sich im Ton.

Seitdem ich's weiß, wurden mir Überfluss
Und Schönheit, und die Süße aller Dinge,
Die mich umduften und umringen
Doppelt so lieblich und zum doppelten Genuss.

Seitdem ich's weiß, scheint mir die Atmosphäre
Durchatmet, zart durchhaucht und schwül,
Als ob mir mein Empfinden, mein Gefühl
Noch einmal schärfer, noch einmal feiner wäre.

Seitdem ich's weiß, wird dem, der mir begegnet,
Fremden und Freunden allentwegen,
Weil Rührung und Vertrauen mich bewegen,
Ein freundlicherer Gruß entgegnet.

Seitdem ich's weiß, naht Gott mir sich.
Oft, als im Spiel der Welt ich mich verlor,
So tief, so ernst wie nie zuvor,
Spürt' ich auf einmal Gottes Lächeln über mich.

Sinds ik het weet



Übersetzung Jaap Hoepelman
Oktober 2019

Sonntag, 22. September 2019

Joost Baars


Bildergebnis für joost baars
1975 -

Nach den vielen hier vorgestellten aber toten Dichtern(m/w/d) wollte ich meine Aufmerksamkeit etwas mehr den heutigen Dichtern(m/w/d) der niederländischen Sprache zuwenden, aber so leicht entkomme ich der Geschichte und den "niederländischen" Themen nicht.
In 1784, wir sind wieder zurück in den aufgeklärten Zeiten eines Antoni Staring, wurde von einigen Bürgern "De Maatschappij tot Nut van 't Algemeen", die "Gesellschaft zum Nutzen der Allgemeinheit", gegründet. Die Gesellschaft strebte danach, den allgemeinen Wohlstand zu erhöhen durch die Entwicklung des Allgemeinwissens, durch Gründung von Schulen, Bibliotheken, einer nicht-gewinnorientierten Sparkasse und sonstigen wohllöblichen Maßnahmen. Auch künstlerische Aktivitäten wurden gefördert und die jeweiligen Nachfolgeorganisationen der Sparkasse verwalten bis zum heutigen Tag Fonds zur Unterstützung der Kunst und der Künstlern. 


Tagung der "Gesellschaft" in der 
alten lutherische Kirche zu Amsterdam,
1791

Der VSB-Preis* für die beste Neuerscheinung des Jahres wurde 2018 Joost Baars verliehen. Baars ist Buchhändler, er dichtet, schreibt Essays und gibt Anthologien heraus. Obwohl er sich nach eigenem Bekunden keiner der offiziellen Kirchen zugehörig fühlt, wird es jedoch treuen Lesern dieses Blogs sehr bekannt vorkommen, dass die religiöse Einstellung, die die Kultur der Niederlande zum größten Teil ihrer Geschichte charakterisiert, auch in den Motiven der "Kosmologie der Brücke" mühelos wieder zu erkennen ist. Ich kann keine detaillierte Gedichtanalyse betreiben, aber soviel ist klar: Baars verbindet Alltagsleben und Religion, Leben und Tod mittels Begriffe der neueren Physik, eingebettet einer biblisch anmutenden Sprache (z.B. Jesaja 43.1 "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen: Du bist mein!") - und nicht zuletzt die eigene Panik, womit wir bei einem festen Moment der neueren niederländischen Dichtung wären, wie bei Nijhoff, Hanlo, Elsschot oder Achterberg.
Baars neues Gedichtband und insbesondere dieses Gedicht erwiesen sich als großer Erfolg, und wie ich glaube, zurecht.

Kosmologie der Brücke

da öffnete sich unter ihr in was genannt wurde Brücke ein Wurmloch

da erfasste die Materie die wie selbstverständlich sie umgab         
             Wohnraum Leuchte Laminat Tisch Bücherbrett
              und Zelle um Zelle das Gewebe in dem sie war verfasst

      sie griff sich an den Polen fest

da in der Schwerkraft das was genannt wird Schwerkraft
             woraus was uns gründet entliehen wird
             wie ein Magnetfeld rundum den Planeten
             das dem zum Schluss nicht widersteht

da 112te ich die Sprache die ich hatte
             die Adresse (und es gab)
             den Krankenwagen (und er kam)
             es ist ihr Herz (sie war noch da)
             das wegfällt (Wurmloch)

da klang die Stimme und es war Zeit
             genug für das was sich vollziehen musste

da lag sie auf dem Teppich wie ein Neugeborenes
             das ohne Namen auf den Nenner wartet

Joost Baars (1975)

Kosmologie van het Tapijt

Aus: Binnenplaats (2017),
Verleger: Van Oorschot.

* VSB: Die "Verenigde Spaarbanken"

Übersetzung Jaap Hoepelman, September 2019.

Freitag, 13. September 2019

Staring, Dichter und Heer van de Wildenborch.

Anthony Christiaan Winand Staring (1767-1840) geportretteerd door P Velyn, uitgeven doorJohannes Immerzeel
Antoni Christiaan Wijnand Staring
1767-1840



"Viel Feind, viel Ehr". 1672, das "Katastrophenjahr", war es doch etwas viel der Ehre, als Frankreich und England die Republik gleichzeitig angriffen, unterstützt von den Bistümern Köln und Münster (unter "Bomben Behrend", dem Bischof von Galen).

Het verbranden van de Royal James tijdens de Slag bij Solebay', door Willem van de Velde
Willem van de Velde.
Die Seeschlacht bei Solebay.
Die "Royal James" wird gesprengt.

Die Republik besiegte zwar die kombinierten Flotten von England und Frankreich in der Seeschlacht von Solebay, aber den französische Feldzug, wie üblich mit endlosem Raub, Mord und Zerstörung verbunden, konnte man nur dadurch aufhalten, dass man große Teile des Landes unter Wasser setzte. Es war tatsächlich eine Katastrophe.

                      Historie van de Oude Hollandse Waterlinie | Ontdek de Oude ...                        De Oude Hollandse Waterlinie - Ontdek de Oude Hollandse ...     
                     Die "holländische Wasserlinie"                        Prinz Willem III inspiziert die Wasserlinie     


In der Bevölkerung gab man den Brüdern Johan und Cornelis de Witt die Schuld. Die Wut wurde noch befeuert durch die Tatsache, das die Zinsen auf Leibrenten verringert worden waren, nachdem der Mathematiker Johan de Witt (der selbige - Mathematiker konnten damals noch Premier werden) berechnet hatte, dass sie zu hoch angesetzt seien. Gute Mathematik ist aber nicht immer taktisch geschickt: Die de Witts wurden von einem rasenden Mob ermordet und geschunden. Einige Historiker vermuten aber auch ein Komplott in der Kette der Reibungspunkte zwischen den Parteien der Orangisten und der Regenten.
Das Land war zerrüttet. Das "Goldene Zeitalter" war vorbei und es fing eine lange Periode des Niedergangs an, die sich auch in der Literatur bemerkbar machte. Aber wie ein Amsterdamer Philosoph schon sagte: Ieder nadeel hep ze voordeel - Jeder Nachteil hat seinen Vorteil. 30 Prozent der Bevölkerung zog weg aus den Städten und aufs Land. Dadurch verschob sich der wirtschaftliche Schwerpunkt der Niederlande. Durch die neuen Arbeitskräfte, neue Arbeitsmethoden und Techniken und durch Trockenlegungen wurde das Land vom Importeur von Nahrungsmitteln zum Exporteur. Auch ohne Tomaten konnte damit  gutes Geld verdient werden und man tut es immer noch.  Neben den nun mal nicht adligen Kaufleuten in den Städten des Westens spielten wieder andere Bevölkerungsschichten ihre Rolle. In Gelderland, also nach holländischem Verständnis janz janz weit weg vom Zentrum der Macht war das mittelalterliche Raubritterschloss "Wildenborch" gelegen.
1768 wurde es von den Staaten von Gelderland dem Grafen van Limburg Stirum verkauft und später von Damiaan Hugo Staring, dem Vater unseres jetzigen Dichters, erworben.
Wildenborch - JungleKey.nl Afbeelding

Sohn Antoni Christiaan Staring war ein sehr vielseitiger Mann. Auf seinem Gut pflanzte er Wälder, betrieb eine Baumschule, legte Moorgebiete trocken und entwarf landwirtschaftliche Geräte. Auf seinen Ländereien errichtete er eine Schule für die Kinder seiner Landarbeiter. Seine Bibliothek in der Wildenborch, zum Teil noch erhalten,  umfasste Bücher über Poetik, Jura, Erziehung, Sprachwissenschaft, Naturwissenschaften und vieles mehr. Für die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflichte als Gutsherr studierte er Jura in Harderwijk  und Botanik und Physik in Göttingen (1786-1789). Starings wahre Liebe galt aber der Poesie. Auch verfasste er Erzählungen und er schrieb Lieder.
Mit dem damaligen, stagnierenden Literaturbetrieb der Niederlande hatte der landwirtschaftliche Provinzbaron wenig zu tun. Vielleicht war das auch gut so: Staring hatte schon in seiner Jugend die "Basia" (Kussgedichte) des Neo-Lateiners Janus Secundus kennengelernt, kam in Göttingen


       Janus Secundus
          1511 -1536

näher mit der deutschen Klassik und Romantik in Berührung und er wusste diese Elemente im hier übersetzten Gedicht "Gedenken" virtuos zu verbinden. Durch den Einfluss der gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Gesellschaften zur Spracherneuerung steht Starings Sprache der heutigen Sprache viel näher, als die seiner Vorgänger. So wird verständlich, dass "Gedenken" noch immer zu den beliebtesten Gedichte der Niederlande zählt, ja, sogar eines der schönsten Gedichte der niederländischen Sprache genannt wird.


Gedenken

Uns schützte tropfend Laub der Weiden,
Wo ich mit ihr geduckt am Weiher saß;
Die Schwalbe überflog die Weide
Und spielte ums silberne Gras;
Das Laub, vom Dufthauch leicht bewegt,
Erzitterte zart angeregt.

Es wurde still; das Tropfen hörte auf;
Kein Vogel mehr am Himmel flog;
Der Tau stieg an den Hügeln auf,
Wo sich das Abendrot verzog;
Der Mai sang seine Abendweise!
Wir hörten es und wurden leise.

Ich sah sie an und tief bewegt,
Schmolz Seel' mit Seel' in ein.
O Zauberbann, so sanft auf mich gelegt
Von dieser Augen Schein!
O dieses Mundes Atems Süße,
Flüsternd schlingend unsre ersten Küsse!

Uns deckte friedlich Laub der Weide;
Die Dämmerung zog auf;
Das Dunkel überzog die Weiden;
Wir standen zögernd auf.
Leb' lang in seligem Gedenken fort,
Geweihte Stund'! Geheil'gter Ort!

                           -

Die verschiedenen Fassungen tragen die Jahreszahlen 1786 bis 1837 

Übersetzung Jaap Hoepelman September 2019

Herdenking
J. P. Guépin "Starings 'Herdenking'".

Staring ist auch bekannt um seine Gedichterzählungen und humoristische Epigramme. An einem Epigramm versuche ich mich hier noch. Es wurde in der Schule häufig unterrichtet und es zeigt Starings virtuose Behandlung der Sprache:

Der Hundekampf

Rul Weitgereist, auf seinen Reisen,
Sah unglaublich viel! Zwei Bullenbeißer
Kämpften vor dem Weinhaus in der Polenstadt,
Wo er gerade Unterkunft bekommen hat.
"Solch'  Kämpfen, Leute! -- Sie verschlangen
Einander regelrecht! Mit jedem Biss ein Bein
Ab oder Ohr - und glatt wie Speck hinein!
Für's Trennen war's zu spät! Zu fangen
gab's die Reste: - bei meiner Ehr',
Die Schwänze, und nicht mehr."

Het hondengevecht.

Übersetzung J. Hoepelman September 2019


George Morland C1790s Soft-ground Etching. Fighting Dogs ...



Samstag, 17. August 2019

Zurück zu Paaltjens, Sempre, die türkische Trommel und Probleme der Übersetzung.

Piet Paaltjens - Literatuurmuseum




Piet Paaltjens
(François Haverschmidt, auch HaverSchmidt
1835 - 1894)

Hör ich auf Sempre ein Waldhorn
Oder auch türkische Trommel -
Das kann mich zu Tränen bewegen
Und - ich weiß selbst nicht weswegen.

Fragt mich ein aktives Mitglied:
Was ist an der türkischen Trommel
Oder dem Waldhorn dir so gelegen? -
Dann weiß ich selbst nicht weswegen

Ist's weil in besseren Tagen
Ein Freund die türkische Trommel
nicht ungeschickt konnte regen?
Ach - ich weiß selbst nicht weswegen.


Aus: Immortellen, 1850-1852.

Übersetzung Jaap Hoepelman
August 2019

Romantiek (1800-1900) – Leeskunst

Das kleine Gedicht ist eines meiner Lieblingsgedichte der Romantik. Die geheimnisvolle erste Zeile! Was bedeutet "Sempre"* ? Was hat das Waldhorn mit diesem unbekannten Wort zu tun? Wieso "auf Sempre"? Das Waldhorn ist ein schwieriges Instrument, das Geschick erfordert und romantische Gefühle hervorruft. Aber die türkische Trommel? Und wieso verschwindet das Waldhorn in der dritten Strophe und bleibt nur die türkische Trommel übrig?
Das Gedicht gibt also Rätsel auf, es ist ironisch, es übertreibt, es parodiert die gängigen tränenreichen Genres und es lässt Nicht-Zusammenpassendes unvermittelt auf einander stoßen. Es ist das Musterbeispiel eines romantischen traurigen Verses, der zur gleichen Zeit seine eigene Parodie ist. Man kann aber nicht sagen, dass der Dichter sich anstellte und nur posierte: Als die unbeschwerte (nun ja) Studentenzeit vorbei war und HaverSchmidt seinem Ruf als Pfarrer folgen musste, hat seine Trauer ihn nach und nach eingeholt und er hat sich umgebracht.

Ich habe hier schon einige von Paaltjens Gedichten übersetzt und hatte schon lange den Wunsch, mich auch an diesem in den Niederlanden berühmten Gedicht zu versuchen. Es war nicht einfach. Ich muss gestehen, dass ich als Übersetzer eigentlich versagt habe: Die niederländische Fassung enthält nur ein einziges, sich wiederholendes Reim in den Zeilen 2 und 4:

"... Turkse Trom"
-             ...
"...ik zelf niet waarom"

Es gelang mir einfach nicht, dazu die passenden deutschen Reime zu finden. Die "türkische Trommel" wollte sich nun mal nicht mit "warum" paaren, und widersetzte sich allen Kniffen. Deswegen habe ich den Reim auf die Zeilen 3 und 4 gelegt. Mit schlechtem Gewissen. Etwas ganz Wichtiges im Rhythmus und Klang habe ich nicht hinbekommen: " trom, waarom/trom, waarom/trom, waarom"....Darauf reimt sich "bom, bom, bom" (kurzes "o"), d.h. "bumm, bumm, bumm" - genau wie der dumpfe Klang der türkischen Trommel, vielleicht in einem Trauermarsch. Genau wie in einem Trauermarsch erfolgen die Schläge im gemessenen langsamen Rhythmus, d.h. mit einer Zeile dazwischen, nicht in zwei schnell aufeinander folgenden Reimen. Ein anderes Gedicht aus der gleichen Sammlung lässt die Vermutung zu, dass es sich hier tatsächlich um einen verstorbenen Freund handelt.
Mit meinen "e"-Reimen konnte ich diese Klangwirkung nicht erreichen. Schade, aber vielleicht bleibt trotzdem etwas übrig von der überempfindlichen Stimmung der Zeit. Tuberkulose, Cholera, Syphilis, Typhus...und Heines Buch der Lieder - für Trauer und Melancholie gab es ausreichend Grund und Vorbilder.
Für einen besseren Eindruck bringe ich hier das niederländische Original. Schwer zu verstehen ist es ja nicht.

Piet Paaltjens

Hoor ik op Sempre een waldhoorn
Of ook wel een Turkse trom,
Dan moet ik zo bitter wenen;
En - ik weet zelf niet waarom.

Vraagt een der werkende leden:
'Hoe kan een Turkse trom
Of een waldhoorn u zo roeren? -
Dan weet ik zelf niet waarom.

Is 't wijl in beetre dagen
Een vriend de Turkse trom
Niet onverdienstlijk bespeelde?-
Ach, ik weet zelf niet waarom.

Aus: Immortellen, 1850-1852.

* "Sempre" steht für für "Sempre Crescendo",
die Musikgesellschaft der Studenten in der Universitätsstadt Leiden.

Montag, 8. Juli 2019

Boutens. Berlin 1910.

Ähnliches Foto
P. C. Boutens
1870 -1943




Rosengarten
Berlin

1910


Ich habe etwas beinah schönes angeschaut
Hier, wo die Jagd der Oberflächlichkeit
Alles schöne feil für Gold
Besitzen will, und so entweiht -
Ich habe etwas beinah schönes angeschaut:
Im vom Verkehr umsummten Park
Abseits von seinen Asphaltwegen,
Wie in einer Straße eine zugebaute Kirche,
Fand einen Rosengarten ich gelegen:
Dort in sonndurchstrahlter Blumenwolke
Schwiegen vom unbehobelbaren Volke
Leeres Geschwätz, hohles Getue.
Einen Augenblick der Ruhe...
Nur Rosenstauden, Rosenständer!
So dacht' ich - mittendrin
Stand von der doofen Kaiserin
Der doofere Kleiderständer.

Übersetzung Jaap Hoepelman Juli 2019



Ähnliches Foto



Montag, 1. Juli 2019

Kloos. Der allerpersönlichste Ausdruck der allerpersönlichsten Gefühle.

Ähnliches Foto
Willem Kloos, 1859-1938

Karel van het Reve (1921- 1999) war Professor für Slavistik in Leiden und als Literaturkritiker einer der witzigsten und schärfsten essayisten seiner Zeit. Eine besondere Begabung hatte er im Bloßstellen von festgefügten Klischees, ob politisch, literarisch oder wissenschaftlich.
In einem früheren Blog schrieb ich über die Rolle der "Achtziger", eine Dichtergruppe, die in den Niederlanden half das Quasi-Monopol der Pfarrer-Dichter zu beenden. Die Achtziger ersetzten die behäbigen Sprache und Moral der Pfarrer-Dichter durch "den allerpersönlichsten Ausdruck der allerindividuellsten Gefühle". So drückte sich Willem Kloos aus, der wohl als Anführer der Gruppe betrachtet wird. Tatsächlich war ihre Sprache neu und ihre Themen waren es auch - verglichen mit denen der Pfarrer-Dichter (und natürlich war Multatuli vorangegangen). Einige ihrer Werke gehören zum Kanon der niederländischen Literatur und kein Schüler kommt drum herum (wenigstens war es so zu meiner Zeit). Es sind gute Gedichte darunter, keine Frage. Aber "allerpersönlichster Ausdruck der allerindividuellsten Gefühle"?
In der Zeitung "NRC" schrieb van het Reve unter dem Pseudonym "Henk Broekhuis":

Ähnliches Foto

"Hier habe ich etwas für Sie, woran Sie bestimmt fest glauben: Künstler drücken Gefühle aus. ... Kloos sagt: "allerpersönlichster Ausdruck der allerindividuellsten Gefühle".  Unsinn natürlich, denn wenn ein Gefühl allerindividuellst wäre, würde es keinen interessieren und wenn dessen Ausdruck allerindividuellst wäre, würde ihn kein Leser* verstehen. Kloos geht ganz anders zu Werke. Er schreibt über Bäume, die verdorren im Herbst und die ihn an den eigenen Tod gemahnen. Das ist kein individuelles Gefühl, sondern ein literarisches Klischee, und Kloos war bei weitem nicht der erste, der es benutzte. Eine überfahrene Katze erinnert viel schärfer an den eigenen Tod....Was den allerindividuellsten Ausdruck anbetrifft: Ein Sonett in dem "spoen" sich reimt auf "seizoen" ("sputen"  auf "Saison", ein ziemlich  gewrungenes Reim bei Kloos, J.H.) kann man auch nicht gerade "allerindividuellst" nennen. ..."

Ähnliches Foto
Karel van het Reve



Alles wahr und ernüchternd natürlich. Aber Kloos hat trotzdem eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt bei der Erneuerung der niederländischen Poesie, und das folgende Gedicht hat - mit anderen - seinen Platz verdient:





Ich wein um Blumen

Ich wein' um Blumen, in der Knosp' gebrochen
Und vor dem Morgen ihrer Blüte schon vergangen,
Ich weine um die Liebe, die ist abgebrochen,
Und um meines Herzens unverstandenes Verlangen.

Du kamst, ich wusste - und Du bist gegangen...
Kaum habe ich gesehen, kein Wort gesprochen:
Bewegungslos im kurzen Wahn gefangen
Im ewigen Schatten meiner Pein verkrochen:

So wie ein Vögelein in stiller Nacht
Auf einmal aufwacht, weil der Himmel leuchtet,
Und meint der Tag bricht an und will ein Liedchen wagen,

Doch noch bevor verschlafen es  die Äuglein aufmacht,
Ist's wieder dunkel, und traurig nur fließt scheu
durch schläfriges Geblätter eine schwache Klage.



Ik ween om bloemen

Willem Kloos
Uit: Verzen (1894)

Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2019

* Die Verdoppelung, Verdreifachung oder gar Vervierfachung der Endung der Substantive zur         korrekten Darstellung des Personengeschlechtes ist im Niederländischen nicht üblich.

Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

     Willem Godschalck van Fockenbroch  1640-1670 Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens , de ...