Montag, 29. Juni 2020

Han G. Hoekstra. Das niederländische Kinderbuch (für unartige Kinder)

Han G. Hoekstra-biografie | Joke Linders
Han G. Hoekstra
1906-1988

Hieronymus van Alphens Kindergedichte waren für artige Kinder der besseren Kreise geschrieben. Passende Lektüre und liebevolle Ermahnungen sollten die kindliche Entwicklung in die gewünschte Richtung lenken und die elterliche Autorität war die elterliche Autorität war die elterliche Autorität. Nach 170 Jahre voller Krisen und Kriege war davon nicht mehr viel übrig. 1947 schuf der Dichter-Journalist Han G. Hoekstra mit "Het verloren schaap" ("Das verlorene Schaf") eine Sammlung Kindergedichte, in dem zum ersten Mal in den Niederlanden nicht die artigen, sondern die unartigen Kinder im Mittelpunkt standen und die Unartigkeit gepriesen wurde. "Spielt mal mit den Schmuddelkindern" könnte man sagen. Hoekstras Gedicht für Erwachsene "Die Zeder" gehört übrigens zu den beliebtesten der niederländischen Literatur.
Während der Kriegszeit hatte Hoekstra sich geweigert in die sg. "Kulturkammer" einzutreten, in der die niederländischen Künstler gleichgeschaltet werden sollten. Er konnte also nicht mehr veröffentlichen und fing an für die eigenen Kinder Gedichte zu schreiben. Hoekstra gehörte zur Redaktion der ehemaligen Widerstandszeitung "het Parool", die eine wichtige rolle spielte in der Nachkriegsliteratur mit u.a. Simon Carmiggelt, Annie M. G. Schmidt und Zeichnern wie Fiep Westendorp
In 10 stappen succesvol illustrator worden
und
Wim Bijmoer.





De Kinderen uit de Rozenstraat
Die Kinder aus der Rosenstrasse.

Die Kinder aus der Rozenstraat,
die haben immer schwarze Knie,
sie haben meistens Löcher in den Ärmeln
und putzen sich die Zähne nie.

Die Kinder aus der Rozenstraat,
die haben immer Splitter in der Hand,
sie haben immer ungekämmte Haare,
und sind verbeult, verknubbelt und verschrammt.

Die Kinder aus der Rozenstraat,
die gehen meist auf nackten Füßen,
und sie sind immer auf der Gasse,
als ob sie nie zum Essen müssen.

Die Kinder aus der Rozenstraat,
ich glaub, die müssen nie ins Bad,
sie dürfen alles, was ich nicht darf.
Ich möcht mal wohnen in der Rozenstraat...

Übersetzung Jaap Hoepelman, Juni 2020

De Kinderen uit de Rozenstraat

 
Ein "Gang" bei der Rozenstraat.

De Rozenstraat (Rosenstrasse - sprich "z" wie deutsch "s") liegt im Jordaan-Viertel, heute ein angesagtes Viertel für Touristen, Feinkostgeschäfte und Künstler, vor 100-150 Jahren ein Viertel der extremsten Armut mit bis 90.000 Einwohnern, eine in sich zusammengefallene Brutstätte von Seuchen aller Art. Sein zu wollen wie die Barfußkinder aus der Rozenstraat war wirklich etwas anderes als sich freuen über einen Hut voller Pflaumen von Herrn Papa...
Unter diesen Umständen war eine nicht gerade brave und obrigkeitshörige Bevölkerungsschicht entstanden. Man hatte eine eigene Kultur und einen eigenen Dialekt. Die Leute kamen oft in Aufstand, das letzte Mal vor dem Krieg, 1934 ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise und von der Armee mal wieder niedergeschlagen. Manchmal muten die Gründe auf den ersten Blick skurril an, wie beim"Aalaufruhr" von 1886. Aus ethisch-ästhetischen Gründen hatte die Obrigkeit den Leuten das grausame Spiel des "Aalziehens" verboten. Diese wollten sich aber eine der wenigen Vergnügungen nicht verbieten lassen und auch dieses Mal  wurde der Aufstand durch die Armee unterdrückt. Es gab an die dreißig Tote.


Aalziehen
Der Aalaufruhr 1887


1947 waren durch Sanierungsarbeiten der Gemeinde die Wohnumstände in einigen anderen  Armenvierteln etwas verbessert worden, aber im Jordaan war man zu der Zeit noch nicht sehr weit gekommen. Hoekstras "Kinder aus der Rozenstraat" nagte also nicht einfach an der Autorität. Es zeigte in kindgerechter Sprache wohlerzogenen Kindern aus wohlanständigen Verhältnissen, dass Kinder aus ganz anderen Umständen sogar beneidenswert sein konnten. Eine doch sehr romantische Vorstellung:

Amsterdam liep behoorlijk achter in de 19e eeuw - YouTube
Der Jordaan: Eine einzige Bruchbude

Land van krotten en knechting - NEMO Kennislink
Keine hübsche Grachten sondern offene Kloaken

Armoede : Mensen kijken naar de fotograaf in de Wijde Gang ...
 und vollkommen überbevölkert.






Samstag, 6. Juni 2020

Hieronymus van Alphen. Das niederländische Kinderbuch (für artige Kinder)..



Hiëronymus van Alphen (H.J. Backer, 1836).jpg
Hieronymus van Alphen 
1746-1803

1778 erschien in Utrecht Hieronijmus van Alphens "Proeve van Kleine Gedigten voor Kinderen"  ("Versuch einiger kleinen Gedichte für Kinder"). Van Alphen wollte den Versuch wagen, leichte Gedichte für Kinder in verständlicher Sprache und ansprechender Form anzubieten.
In Deutschland waren Christian Felix Weiße

Christian Felix Weiße 
1726-1804
und Gotlob Burmann ihm mit Gedichten für Kinder vorangegangen, von denen van Alphen sich an einigen Stellen inspirieren ließ. Ganz allgemein hat van Alphen, auch in seinen theoretischen Schriften, viel zum zunehmenden Einfluss der deutschen Literatur in den Niederlanden beigetragen.
Van Alphen war Jurist und avancierte nach einigen Zwischenstationen 1793 zum "thesaurier-generaal" (Finanzminister) der Republik der Vereinten Niederlanden. 1795, nach dem Einzug französischer Truppen und dem Zusammenbruch der Republik trat van Alphen von seinen Ämtern zurück. 
Die "Kleine Gedigten" waren ganz im Stile der neuen, aufgeklärten Pädagogik geschrieben, nach van Alphens Motto "Mein Spielen ist Lernen, Mein Lernen ist Spielen". Sie waren ein sofortiger Erfolg. Ein gewisser niederländischer Utilitarismus war ihnen natürlich nicht fremd. "Dass ich für die Handvoll Pflaumen ungehorsam wäre? Nein.", meint klein Hänschen. Aber unter Umständen könnten einige Aktien und etwas Grundbesitz die Lage ändern.
Das Bändchen wird bis heute in Faksimile herausgegeben. Es war der Anfang der niederländischen Kinderliteratur, die wenigstens zu meiner Zeit blühte und gedieh. In diesem Blog habe ich mich einige Male an Kinder- und Jugendgedichten von bekannten Dichtern versucht, z. B. von Hans Andreus und Paul van Ostaijen. Auch Han G. Hoekstra muss hier erwähnt werden. Ich selber habe die Gedichte von Annie M. G. Schmidt und Willem Wilmink immer besonders gerne gemocht.
Von van Alphen hatten sie sich weit entfernt.


Der Pflaumenbaum
Eine Geschichte
1778


Hieronymus van Alphen
1746-1803


illustratie

Kleiner Hans sah Pflaumen prangen,

O! Sie waren eiergroß.

Scheinbar wollte Hänschen pflücken,

wenn auch Vater es verbot.

Es kommt, sprach er, weder Vater,

noch dem Gärtner zu Gesicht:

Einem Baum, so voll beladen,

fehlen fünf, sechs Pflaumen nicht.

Aber besser, ich gehorche,

pflücke nicht und lass' es sein.

Dass ich für die Handvoll Pflaumen

ungehorsam wäre? Nein.

Fort geht Hänschen: Doch der Vater,

der versteckt gelauschet hat,

trifft ihn beim Spazierengehen

vorne auf dem Mittelpfad.

Komm mein Hänschen, sagt der Vater,

komm mein kleiner Herzensdieb!

Jetzt werd' ich dir Pflaumen pflücken;

jetzt hat Vater Hänschen lieb.

Feste hat Papa geschüttelt,

Hänschen sammelte geschwind;

Hänschens Hut war voller Pflaumen,

im Galopp sprang fort das Kind.

De pruimeboom
Eene vertelling


Und...ach ja, Parodien gab es natürlich reichlich. Hier ist eine von John O'Mill


Kleiner Hans sah Pflaumen prangen
O! Sie waren eiergroß;
Der Gärtner sah die vollen Backen,
Schlug den fiesen Schnorrer tot.


John O'Mill (1915-2005)

Uebersetzungen Jaap Hoepelman
6 Juni 2020.

Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

     Willem Godschalck van Fockenbroch  1640-1670 Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens , de ...