Sonntag, 9. Juli 2023

Dr. Schaepman und die katholische Emanzipation

 


Herman Schaepman 1844-1903

Nach dem achtzigjährigen Krieg, 1568-1648, waren die Katholiken in den Niederlanden von höheren Ämtern ausgeschlossen. Ihre Kirchen waren umgewidmet worden, ihre Religion konnten sie nicht in der Öffentlichkeit ausüben. 

                      Große oder Sankt Bavo-Kirche, Haarlem,
          seit 1578 protestantisch.

Ihre Lage führte zu der Entstehung von versteckten Kirchen, wie in Amsterdam "Unser Lieber Herr auf dem Dachboden", der städtischen Obrigkeit wohlbekannt, aber nach der merkwürdigen niederländischen Sitte* "gedoogd", d.h. toleriert. Die Hanfgebraucher, die im gleichen Viertel von der Toleranzpolitik ("gedoogbeleid") profitieren, wissen wovon ich rede.  Dass die Dichterin Anna Bijns nicht begeistert war vom lutherischen Glaubenseifer, versteht, wer die Berichte über das Wirken der Bildersturm liest,  z.B. in der Antwerpener Liebfrauenkathedrale, oder in der Bibliothek des Domikanerklosters zu Gent, dessen Inhalt vollständig in den Fluss Leye geworfen wurde,  so dass man trockenen Fußes vom einen Ufer zum anderen gehen konnte.

Der Bildersturm 20 August 1566 in der
Liebfrauenkathedrale zu Antwerpen


Die Benachteiligung der Katholiken (und anderen Religionsgemeinschaften) dauerte bis 1796 das "emancipatiedecreet" vom Parlament der unter französischem Druck entstandenen Batavischen** Republik angenommen wurde. Das bedeutete nicht, dass es den nicht-reformiert-protestantischen Religionen leicht gemacht wurde ihre formell gleichwertige Rolle zu gestalten. Um 1850 macht sich der Dichter-Pastor De Génestet noch lustig über die diskriminierende Sitzordnung der Aula der Universität Amsterdam, die nicht-calvinistische Studenten hinter eine Trennwand zwang:

Den Lutheraner, Remonstrant,
Bei solchem Festgenuss
schiebt und drängt man aufeinander
hinter das Schott - als Ausschuss

(Übers. Jaap Hoepelman)




Im mühsamen Prozess der Umformung der Republik der sieben Provinzen zu einem Nationalstaat wurde u. A. versucht, die von den Protestanten übernommenen Kirchgebäuden der katholischen Kirche zurück zu geben. Das Vorhaben stieß auf dermaßen starken Widerstand, dass die Regierung sich 1824 gezwungen sah die Zuständigkeit für Kirchbauten per königlichem Dekret an sich zu ziehen. Die Besitzverhältnisse sollten unverändert fortbestehen, während die Verantwortung für Instanthaltung und Neubau in der Praxis den Ingenieuren der "Rijkswaterstaat" (die Wasserbau-Autorität, in der die versiertesten Ingenieure beheimatet waren) überantwortet wurde. Die Regierung gewährte finanzielle Unterstützung bei Bau und Renovierung. Die Regelung galt nicht nur für die katholische, sondern auch für andere Glaubensgemeinschaften, z.B. die jüdische. Die verinnerlichte calvinistische Sparsamkeit blieb dabei oberstes Gebot, was eine Reihe schlichter, ingenieurmäßig gebauter Kirchen zur Folge hatte***.


Die Moses und Aaron-Kirche, Amsterdam,
(offiziell St. Antonius-Kirche),
Lage vor 1888

Ein nicht ganz typisches Beispiel ist die Moses und Aaron-Kirche in Amsterdam, gebaut unter Oberaufsicht des Rijkswaterstaats, interessanterweise an der Stelle eines Hauses in dem 1632-1641 Spinoza gewohnt hatte und wo sich seit 1649 eine versteckte Kirche befand.
Nach der Wiederinstandsetzung der römisch-katholischen niederländischen Kirchenprovinz, 1853, wurde nach und nach ein katholisches öffentliches Gemeinschaftsleben organisiert, vielleicht am sichtbarsten in den allmählich ungleich opulenteren Kirchenbauten, die Vater Pierre und Sohn Joseph Cuypers im ganzen Land realisieren konnten. 


                                                                                                                         
Neue Sankt Bavo Kathedrale Haarlem 1895, 
Pierre und Joseph Cuypers.



                                                                                        
          Pierre Cuypers 1827-1921                                                                                                            
Joseph Cuypers 1861-1949 
                                                                                                                                               

Anfangs noch als neogotisch-katholisch verspottet und verurteilt, wurde Vater Cuypers die öffentliche Anerkennung zuteil, als er die Aufträge für das Amsterdamer Reichsmuseum und den Zentralbahnhof  erhielt.

            Rijksmuseum Amsterdam 1885 Pierre Cuypers


Centraal Station Amsterdam, 1889, Pierre Cuypers
                                                                                   

Pierre Cuypers gestaltete auch das Denkmal für den Priester-Politiker-Dichter über den diese Post eigentlich berichten sollte: Hermanus Johannes Aloysius Maria (Herman) Schaepman ("Dr. Schaepman"), der eine Schlüsselrolle in der katholischen Emanzipation spielte und der der erste Priester in der niederländischen zweiten Kammer (dem Parlament) war (1880). Sozialpolitisch war er eher auf der "fortschrittlichen" Seite zu verorten, religiös dafür streng konservativen, "ultramontanen" Auffassungen zugetan. In seinem Konservatismus fand er sich zusammen mit dem gleichermaßen konservativen protestantischen Politiker Abraham Kuyper. Auf diese Weise konnten die beiden, wenn es um die Macht ging sehr flexiblen Herren, die Übermacht der jahrzehntelang herrschenden Liberalen Partei beenden.

Pierre Cuypers
Denkmal für Herman Schaepman

Schaepman war Priester, Gelehrter, geschickter Politiker, hervorragender Sprecher und, wie sein belgischer, priesterlicher Kollege Guido Gezelle, Dichter.  Er war sprachlich weniger innovativ als dieser und richtete sich eher nach älteren Vorbildern, wie Isaac da Costa oder Willem Bilderdijk. Ein kleines Gedicht aber hat mir sehr gefallen, vielleicht weil ich mich heute genau so verwirrt fühle, wie Schaepman vor bald 130 Jahren, vielleicht auch weil es die Lösung für alle Verwirrungen, für Schaepman eine Selbstverständlichkeit, in diskreter Zurückhaltung nicht erwähnt.

Mundi Magister I

Ein Chaos ist unser Jahrhundert, ein Mahlstrom, in dessen Kreise
Sich Gedanken drängen, Meinungen, Beweise,
In dem mit jeder Welle eine Wahrheit jäh verschwindet,
Die, später hochgespült, sich abgeändert wiederfindet;
Ein fürchterlicher Sog, rasend und verrückt
Wächst er von Mal zu Mal. Begeistert und entrückt
Wird von der Menge auf das Rettungswort gehört,
Das alle Rätsel löst, jedes Gebet erhört,
Das in den Herzen aufsteigt der abgekämpften Leute,
Die sich nach Ruhe sehnen; Doch bleibt es immer Schein! Das Heute
Vergeht, - der Morgen sieht neue Wahrheit entstehen,
Die, wie die Mutter, durch die Tochter wird vergehen.

Herman Johan Aloysius Maria Schaepman (1844-1903)
Aus: Verzamelde dichtwerken (1899)

(Übers. Jaap Hoepelman Juli 2023)




*  Wenn nicht zurückgehend auf  den (im Übrigen nicht gar so makellosen) Desiderius Erasmus, dann doch wenigstens auf Willem van Oranien: "Ein Fürst hat nicht das Recht über die Gewissen seiner Untertanen zu verfügen", oder Spinoza: "im Übrigen ist es jedem gestattet zu denken was er will, und zu sagen was er denkt". 

** Batavische Republik, nach den romantisierten Batavern, den angeblichen germanischen Ahnen unseres Poldervölkchens.

*** Für Kenner und Liebhaber erlaube ich mir hier einen kleinen, damals gängigen Wortwitz über diese Schlichtheit in irrelevanter Weise mit dem Nijhoffschen Gedicht "Awater" in Verbindung zu bringen: "Wat er staat is waterstaat".









Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

     Willem Godschalck van Fockenbroch  1640-1670 Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens , de ...