Boutens
Lethe
Wie, über den blinden, brennenden Basalt
Kann ich den Weg zur Lethe finden?
Oh, dass die Gedanken schwinden,
Noch vor dem Abendfall.
Ich weiß, dass Tod und Dunkel kommen,
Wenn Tages Blendlicht einmal war,
Doch ich will Ruhe, tief und klar,
Und jeder Traum von mir genommen.
Denn wer, wie ich, von Kind bis Knabe,
Von Mann bis Graubart darbt,
Liegt, wenn er denn des Todes starb,
Nur ruhelos im Grabe...
Die süße Macht des Lachens und der Tränen
Gab mir und nahm mir's Leben
Doch meine Augen konnten sehen
Und stets die Füße gehen
Wie oft zog seitdem, ob ich saß, ob ging,
Vor meinem wachen Auge, einerlei
Der lange Zug vorbei
Erinnerung an Lust, die nie verging?
Warum nur muss ich ständig sehen, was ich weiß?
Alles rettungslos Vollbrachte,
Alles rettungslos Gedachte:
Wen kümmern noch die Taten eines Greis'?
Oh, bevor der Tod die Glieder bindet
Und sie für ewig bettet
Gibt's nichts, das mir das Auge rettet,
Und aus dem Alb den Ausweg findet?
Oh klare Seele, rotes Blut,
Oh Herz, das irr dazwischen liegt
Gibt's keinen, der in Schlaf euch wiegt
Zusammen und für gut?
Mein Fuß kann vor dem Abendfall
Noch viele Meilen gehen.
Hilft keiner mir begehen
Den Weg in Lethes Tal?
Wer, über den blinden, brennenden Basalt
Hilft mir zur Lethe finden?
Oh, dass die Gedanken schwinden
Noch vor dem Abendfall!
Aus "Stemmen", 1907
Übersetzung Jaap Hoepelman, Februar 2021