Donnerstag, 22. Februar 2018

Hanlo und der Tod rückwärts gelesen

                                                                                                                              

  
      Jan Hanlo (1912 – 1969)



Wenn es um die Liebe oder um den Tod geht und wenn um die Liebe, dann trotzdem um den Tod, hilft  Jan Hanlo's Gedicht "Wir kommen zur Welt" aus der Misere. Es kommt nur auf die Blickrichtung an. Es geht einem besser, wenn man die Sache vom Ende her denkt.

Hanlo war kein unproblematischer Mensch, wenigstens zu seiner Zeit wurde das so empfunden. Hanlos Gedicht "Zo meen ik dat ook jij bent" (So, denke ich, dass auch du bist) (Zo meen ik) ist in Bulgariens Hauptstadt Sofia an der Mauer des Naturkunde-Museums zu lesen, in einer Zeit, in der nicht-genehme Poesie von öffentlichen Wänden entfernt wird. Ich kann nur hoffen, dass Hanlo nicht der Pinsel eines politisch-korrekten Anstreichers zum Opfer fällt.

                                                               


  Jan Hanlo

1946
 
WIR KOMMEN ZUR WELT

Wir kommen zur Welt mit Trauer, aus den Gräbern;
mit Trauer, die sich ziemt, weil wir noch tot sind,
Der Leib ist entstanden aus Erde und Pflanzen,
um einmal zu finden den sicheren Hafen.

Den sicheren Hafen: Den Schoß einer Mutter,
wo die wilde Geschichte, allmählich und langsam,
sich endlich beruhigt; ich irre im Vater.
In gesonderten Strömen vollzieht sich das Leben.

Doch kehren wir wieder zum gemessenen Leichzug;
der Leichwagen führt, mit sich spannendem Zaumzeug,
die Pferde, ruhig, bis kurz vor dem Sterbhaus,
Im Rückwärtsgang gehen die Freunde des Weges.

Das Sterbhaus? Nein – lass Lebhaus es heißen,
denn, wenn unter Schmerzen, der Tote erwacht hier,
genest von den Leiden, kommt wieder zu Kräften,
mit Ernst und mit Weisheit nimmt auf sich die Zukunft.

Die Werke des Tages gilt's nun zu vollbringen:
das Brechen der Brücken, das Schleifen der Städte,
das Schöpfen lebendiger Tiere und Früchte,
das Werk auch der Pinsel und weißelnder Stifte.

Erquickend ist meistens die Arbeit und stärkend.
Doch nützlich – das Verfüllen von Zechen,
das Verstecken von Kohle und stinkendem Öl
an passender Stelle, tief unter der Erde.

Auch edelstes Streben macht müde und hungrig.
Nichts Edleres gibt's als das Schöpfen
von Pflanzen aus formlosen Stoffen,
von Rehen, von Rindern und prächtigen Hühnern,

von Vögeln und hunderten Arten von Fischen
und hunderten Arten von Pflanzen und Wesen,
die dann, wenn's so weit ist, die Natur neu bereichern:
die stammlosen Wurzeln, die Stoppeln der Halme.


Und sitzend am Tische mit sauberem Leinen,
gebärt unser Mund, mit dem größten Vergnügen,
Früchte, Radieschen, formvollendet bereits;
Dann und wann ist das kühlende Feuer zu Diensten.

Gewehre suchen die heilende Kugel.
Das niemals versagende ziehende Messer,
bringt Leben zum Leib; kein Wissen auf Erden
konnte je dies Geheimnis ergründen.

Vortreffliches füllt im Vergehen die Jahre,
Hässliches auch, ich übergehe dies mal.
Im Laufe der Zeit wird das Leben harmonisch,
wenn wir erreichen die Zeit unsrer Jugend.

Die Zeit unsrer Jugend, die Zeit unsrer Schönheit.
Klar klingen die Stimmen, die frei heraus rufen.
Blau sind die Augen oder auch dunkel.
Die Zeit unsrer Jugend, wer kann sie beschreiben.

Die Schulen helfen Vergessen zu lernen.
Sie bringen die weißen, ruhigen Stellen
in unsre Gedanken, sie lehren das Lachen
und einsame Spiele, einfach betrieben.

Wir werden stets kleiner,
wir fahren dahin,
Zurück bleibt eine verlassene Fläche.


Übersetzung: J. Hoepelman, März 2014

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