Freitag, 22. Oktober 2021

Jeremias de Decker und der Hexenglaube

 



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Rembrandt, Porträt
des Jeremias de Decker 1609-1666

1782 wurde Anna Göldi in Glarus in der Schweiz als letzte Hexe in Europa verbrannt. Das war fast 100 Jahre nachdem in Amsterdam 1691 Balthazar Bekkers "Betoverde Wereld" erschienen war (1693 auf Deutsch als "Die Bezauberte Welt" veröffentlicht)

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Balthazar Bekker
1634 - 1698

Bekkers Fundamentalkritik wurde in ganz Europa eifrig  studiert. Sein Buch wurde ihm aber von der reformierten Kirche nicht in Dank abgenommen. Die Kirche setzte ihn als Prediger ab und schloss ihn vom Abendmahl aus. Der Oberbürgermeister von Amsterdam jedoch, der Mathematiker Johannes Hudde, bestimmte, dass Bekkers Gehalt weiterhin bezahlt wurde, was diesem ermöglichte zu überleben und zu arbeiten.
Noch einmal fast hundert Jahre früher, 1603, fand in der Provinz Holland die letzte Hexenverbrennung statt. Das Gedicht von Jeremias de Decker zeigt, dass Kritik am Hexenglauben sich wenig später allgemein verbreitet hatte. 
De Decker war Händler in Gewürzen und auch der Mennonit Abraham Paling, zu dessen Traktat de Deckers Gedicht die Einleitung darstellte, war ein kleiner Kaufmann. 



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Palings "Maske der Zauberei abgerissen"

Kritik am Hexenglauben hatte es immer schon gegeben, er kam aber von gelehrten Theologen und Doktores der Medizin. Das besondere an de Decker und Palingh (es gibt noch andere, vergleichbare Beispiele) war, dass sie eben nicht zur intellektuellen Elite gehörten, wobei de Decker sich zum durchaus geachteten und erfolgreichen Dichter weitergebildet hatte. Beide waren trotzdem eher gewöhnliche Kaufleute in einer Republik von Kaufleuten, die mit der nüchternen Überprüfung von Rechnungen, Menge und Qualität von Gütern und der Zuverlässigkeit von Atlanten beschäftigt waren - nicht mit Hexengeschichten. Dazu kam, dass die Wissenschaft sich inzwischen sprunghaft entwickelt hatte. Es war die Zeit, dass man anfing, genau wahrzunehmen. Nicht länger nahm man fantastische Geschichten begeistert oder verängstigt hin, sondern man traute sich, einfach hinzuschauen, auch wenn es um Dinge ging, die eng mit Aberglauben und Ängsten verbunden waren. Zu Deckers Zeiten entdeckte Leeuwenhoek mit seinem Mikroskop Samenzellen, sowie Bakterien im Mundschleim und vieles andere mehr, ohne Scheu vor den magischen Eigenschaften der entsprechenden Flüssigkeiten. Auch Leeuwenhoek war "nur" ein Kaufmann, und er entschuldigte sich in Briefen an die Royal Society ausführlich dafür, dass er nur Niederländisch konnte und kein Latein. Die Lage erinnert ein wenig an die Gründung der HBS in 1863.


                                                    
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Der Arzt Swammerdam analysierte mit Hilfe des Mikroskops die Anatomie der bis dahin als wenig interessant betrachteten Insekten, entdeckte die roten Blutkörperchen (Blut! Der Ganz Besondere Saft!), Ovarialfollikel, Kontraktion des Froschmuskels usw., usw.,


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während Huygens als kühler Physiker die Ringe des Saturns, des Planeten der Alchimisten und Magier, beobachtete und den Mond Titan entdeckte, womöglich mit von Spinoza geschliffenen Linsen. Auch entwickelte er die Pendeluhr, unerlässlich für die genaue Wahrnehmung in naturwissenschaftliche Experimente und für genaue Positionsbestimmungen auf See.

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Hudde, wie wir sahen, war Mathematiker. Er half seinem ehemaligen Kommilitonen Johan de Witt, dem "Raadspensionaris" (Premier) der Niederlande, mithilfe von Logarithmentafeln neuartige Tabellen für die Lebensversicherung zu entwickeln. Auch bestimmte er Methoden, die optimale Zuladung der VOC-Schiffe zu berechnen. Kurzum: Es waren keine guten Zeiten für den Hexenglauben.
Die Geschichte von Balthazar Bekker und der reformierten Kirche zeigt aber, dass noch ein langer Weg zu gehen war, auch in Holland.




Auf Abraham Palinghs
"Die Maske der Hexerei abgerissen"


Warum verliert die Zauberei
Die verfluchte Raserei
An den Orten ihre Macht,
Wo der Glauben hingebracht,
Und nicht Menschenfirlefanz
Will verdunkeln seinen Glanz,
Zwingt Vernunft und Schrift zu schweigen
Und zu tanzen nach Roms Reigen?
Weil der Deibel flieht die Klarheit
Der neu hergestellten Wahrheit,
Und den blendendhellen Tag
Sein Auge nicht ertragen mag?
Oder ist es, weil am Tiber
Man mit Aberglaubenfieber
Blendende Geschäfte macht und dreist
Träufelt in den schlichten Geist
Einfacher Laien ohne Schrift
Ständig ein das Zaubergift,
Damit die Traum- und Lügenlehre
Man beständig hält in Ehre?
Ja, das ist es, das der Grund,
Dass in Rom zu jeder Stund'
Man ständig mit Papisten eifert,
Ständig gegen Hexen geifert,
Foltert, mordet außer Rand und Band!
Wenn doch nur Richter mit Verstand
Würden ernsthaft überlegen:
Nichts davon kann man belegen!
Und anstatt von Pfaffenthemen
Die Vernuft als Richtschnur nehmen;
Und nicht länger rasend schänden
Ihr Gewissen, ihre Hände;
Befleckten sich in blinder Wut
Mit Strömen von unschuld'gem Blut!
Ihr schrägen Richter am Gericht
Glaubt Ihr denn die Wahngeschicht',
Díe Märe, dass ein armes Weib
Mit weichem Herz und schwachem Leib,
Ängstlich Schrecken meidend, Grauen,
Sich wohl tollkühn würde trauen
Sich mit dem Teufel einzulassen,
Erlauben ihm sie anzufassen
Und sie wäre dann im Stande
(Welch' verleumderische Schande!
Wie sie gottloser nicht sein kann!)
Zu bewirken, was nur Gott kann?
Wem, ja wem um alles in der Welt
Solcher Kinderkram gefällt?
Doch warum weilet Ihr noch hier?
Sucht Bescheid bei Johan Wier,
Oder Scots gelehrte Bände
Nehmt einmal in eure Hände,
Nicht Spinäus, nicht Bodin:
Wendet euch zum Palingh hin,
Der der faulen Zaubergeschicht'
Die Maske reißt vom Angesicht;
Den ganzen Irrsinn zerrt ins Licht;
Der mit dem Aberglauben bricht,
Der im Gekrös' von Opfertieren,
Im Vogelflug und Tirilieren,
Und in den Linien der Hand
Nie ein Quentchen Wahrheit fand;
Der hirnverbrannte Ceromanten,
Hydromanten, Geomanten,
Das ganze Wünschelrutenpack
Steckt in den großen Lügensack.
Der Amuletten, Salben, Zauberbrei
Entlarvt als Mumpitz, Augenwischerei,
Und die Magier der Ahnen,
Dardanos, Zalmolxis, zeigt als Scharlatane.
Du Zauberrichter, wenn Du dieses liest,
Dein Tun Dich trotzdem nicht verdrießt,
Du Dich noch immer nicht bekehrst,
Stur deinen Stiefel weiter fährst,
Willst immer noch den Deibel fangen
Mit Feuer und mit Folterzangen,
Dann sei Dir sicher und gewiss,
Dass der Fürst der Finsternis,
Der Dich spornt mit scharfen Sporen,
Dich fester hat bei Hals und Ohren,
Tiefer hockt in Deinen Eingeweiden,
Als die, die Deinen Feuertod erleiden.

J. de Decker.
1659


Übersetzung Jaap Hoepelman August 2019.


Ceromantie - Wahrsagerei mittels Würfeln.
Hydromantie- Wahrsagerei aus der Bewegung von Wasseroberflächen.
Geomantie - Wahrsagerei aus Sandfiguren.
Zalmolxis wurde von den Thrakiern als Gottheit verehrt. Sein Ehrendienst
ging einher mit einer Prozedur, die darin Bestand, dass ein Bote mit verschiedenen Bitten zum Zalmolxis (der sich im Verborgenen hielt) geschickt wurde. Danach wurde der Bote in dazu aufgestellte Speere geworfen. Starb er, war er ein guter Bote gewesen. Starb er nicht, war er ein schlechter Bote und musste deswegen sterben. Die Ähnlichkeit mit der Wasserprobe für Hexen ist offensichtlich und wird auch de Decker nicht entgangen sein.
Dardanos war der mythische Vater der Trojaner. er soll sich in einen Magier
verwandelt haben. Unter dem Titel "Schwert des Dardanos" war eine Anleitung
bekannt zur Herstellung magischer Amulette.
Spiräus, Bodin: Zwei fanatische Hexenjäger.
Johannes Wier, Reginald Scot kämpften gegen den Hexenglauben bereits im 16. Jahrhundert.

Afgeruckt Momaensicht







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