Donnerstag, 8. Februar 2024

Anna Blaman. Auftakt zu den 60ern.



Anna Blaman (Johanna Vrugt)

1905 -1960



Die Spinne


Der silbern wogende Schoß,

mein Liebes, das jungfernhaft heile Netz,

das grauenhaft schöne Trauungsbett

das Fanggespinst des Todes -

ich hab' es gesponnen zwischen den Bäumen,

zwischen Sonne und Erde gestreckt

und überall, wo ich entdeckte

deine süß-summenden Sucherträume. 

Ich fange dich auf im wiegenden Bett

Oh Wunde in meinem Jungfernnetz,

Oh Liebes, verloren in meinem Schoß,

Oh Klammergriff in Liebesnot -

ich wickle dich ein in Seidengewalt,

ich halte mit tausend Armen dich umkrallt,

ich ersticke dich im Kokon aus Glut,

ich trinke dein sanftes weißes Blut,

das rinnend schwallt und schreit -


und sattgetrunken auf der Nabe

meines zerrissenen Totenrades

ich lieg' gerädert und befreit.


Anna Blaman (1906-1960)
aus: Anna Blaman over zichzelf en anderen (1963)

Übersetzung Jaap Hoepelman, Februar 2024

De Spin


Ich hab mal über Pieter Cornelis Boutens geschrieben und seine Angst, sich zu dem zu bekennen, was er war. Er verneinte lebenslänglich vehement der Autor der offenherzigen  "Nachgelassenen Strophen des Andries de Hoghe" zu sein, aus denen ein Fragment an einige Zeilen  der "Spinne" erinnert:

"...
Und andre mittlerweil', wie finstre Schemen,
Augen hinter Schattenlarve schwelend,
schleichen und gleiten durch das dichteste Gewühle,
und oft mir nähert sich unmerklich eine Geste
dem dumpfen Grienen gleich: "Du bist einer wie wir"-
und von den Lippen tropft heiseres Geflüster,
Sprache in der ein Mensch nicht singen kann,
 ..."

Auf gleichgeschlechtliche Liebe lag zu Boutens Zeiten noch ein schweres Tabu.  In 1930 verweigerte die Regierung Boutens eine königliche Auszeichnung, aufgrund von hartnäckigen "Gerüchten", obwohl Boutens zu den prominentesten Dichtern der Niederlande zählte. Der Schriftsteller und Arzt Aletrino, obwohl Autor einer aufgeklärten Studie aus 1897, in der Homosexualität als gesund und normal beschrieben wird, versuchte panisch, zusammen mit de Haans Ehefrau, die Auflage des Romans "Pijpelijntjes" von Jacob Israel de Haan aus dem Markt zu kaufen.  Pijpelijntjes hat als Thema die homoerotische Beziehung zweier Freunde, die leicht als de Haan und Aletrino zu erkennen sind. De Haan verlor über die Affäre seine Anstellungen. Der Dichter Kloos tauchte ab in einer Scheinehe, Couperus ebenso, de Haans Ehe wird als "Verstandsehe" beschrieben, Gezelle war sowieso Priester. Gerrit Komrij mit seiner  Sottise "Jeder Künstler der Neues bringt, jeder Avant-Garde-Dichter, ist Homo. Das Umgekehrte gilt nicht"  lag nicht weit daneben. In den Kriegsjahren wurde die Lage richtig bedrohlich. Das (etwas kostengünstig geratene) "Homomonument" in Amsterdam erinnert an die Verfolgung Homosexueller weltweit. 


Es dauerte bis zu den 60ern, bis die Herrschaft der Tabus in vielen Bereichen sich langsam zu lösen anfing. Der Krieg war vorbei, das Kolonialreich hatte sich aufgelöst, die Autoritäten, die kläglich versagt hatten, wurden in Frage gestellt, gegen den Krieg in Vietnam und die Regimes in Spanien und Portugal wurde demonstriert. Eine Art fröhlicher  Anarchismus, die "Provo-Bewegung" ("Provo" wie "Provokation"), fand großen Anklang. Das Umweltthema kam auf, "Witte fietsen", "Witkarren" (weiße Fahrräder und weiße Wägelchen für alle) wurden ausprobiert, die Kirchen verloren rapide an Ansehen. Der Schriftsteller Gerard Reve bekannte sich offen zu seiner Homosexualität, trat paradoxerweise trotzdem in die katholischen Kirche ein,  beschrieb in seinem Roman "Nader tot U" ("Näher zu Dir") seine Vorstellung sich mit Gott "in Gestalt eines einjährigen, mausgrauen Esels" zu vereinigen und gewann den darauf folgenden Prozess,  der 1966 wegen Blasphemie gegen ihn eröffnet wurde. Es war ein ziemliches Durcheinander. Das Königshaus wurde mit manchmal nicht ganz feinen Mitteln angegriffen, so wurde Königin Juliana in einer Karikatur als Schaufensterhure zum Lohn von 5,2 Millionen Gulden (die Zulage des Königshauses) dargestellt. Interessanterweise wurde der Zeichner nicht verurteilt, was in dialektisch versierten Kreisen als besonders perfide Form der repressiven Toleranz aufgefasst wurde.
Anna Blaman starb zu früh für diese Minirevolution, aber sie hatte wichtige Weichen gesetzt: Sie arbeitete als Dramaturgin und Übersetzerin am Theater in Rotterdam, sie lebte ihre Sexualität als etwas selbstverständliches und sie arbeitete das Selbstverständliche in ihre Werke ein, z.B. im Roman Eenzaam Avontuur (Einsames Abenteuer) aus 1948, der ein großer Erfolg war und viele Auflagen kannte. Obwohl Homosexualiteit unter Frauen in Kirche und Gesellschaft nicht so rabiat verfolgt wurde wie unter Männern und enge Beziehungen unter Autorinnen in den Niederlanden wohlbekannt waren, wie die von Betje Wolff und Aagje Deken, 

führte Einsames Abenteuer zu gewaltiger Erregung in konservativen Kreisen. "Miserabel", "schmierig", "extravagant", "zusammenhangslos", "schwachsinnig", urteilten einige Kitiker. Es wurde sogar quasi im Scherz ein Büchertribunal errichtet, das Blaman sehr betroffen machte (und womit die Organisatoren unbewusst daran erinnerten, dass Frauen als Homosexuelle vielleicht weniger verurteilt wurden, dafür in der Vergangenheit als Hexen um so mehr und zwar im Wesentlichen aus dem gleichen Grund).
Die Anerkennung für ihre Werke aber wuchs und Anna Blaman wurde mit wichtigen Auszeichnungen geehrt, darunter der Prosapreis der Stadt Amsterdam (1956) und der P.C. Hooft-Preis, der wichtigste Literaturpreis der Niederlande (1957). In Rotterdam wurde ein Denkmal für sie errichtet in Form eines silbernen Motorrades.  


Anna Blaman fuhr Motorrad eben mit der gleichen Selbstverständlichkeit mit der sie über Homosexualität schrieb - Sensationen in den 40ern und den 50ern.


Die königliche Anerkennung, die Boutens - auf Betreiben der Regierung - verweigert wurde, wurde Anna Blaman dann doch zuteil, wie eine Art verspätete Wiedergutmachung: Sie traf sich mit Königin Juliana während des Bücherballs 1958.



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