Antoni Christiaan Wijnand Staring
1767-1840
"Viel Feind, viel Ehr". 1672, das "Katastrophenjahr", war es doch etwas viel der Ehre, als Frankreich und England die Republik gleichzeitig angriffen, unterstützt von den Bistümern Köln und Münster (unter "Bomben Behrend", dem Bischof von Galen).
Willem van de Velde.
Die Seeschlacht bei Solebay.
Die "Royal James" wird gesprengt.
Die Republik besiegte zwar die kombinierten Flotten von England und Frankreich in der Seeschlacht von Solebay, aber den französische Feldzug, wie üblich mit endlosem Raub, Mord und Zerstörung verbunden, konnte man nur dadurch aufhalten, dass man große Teile des Landes unter Wasser setzte. Es war tatsächlich eine Katastrophe.
In der Bevölkerung gab man den Brüdern Johan und Cornelis de Witt die Schuld. Die Wut wurde noch befeuert durch die Tatsache, das die Zinsen auf Leibrenten verringert worden waren, nachdem der Mathematiker Johan de Witt (der selbige - Mathematiker konnten damals noch Premier werden) berechnet hatte, dass sie zu hoch angesetzt seien. Gute Mathematik ist aber nicht immer taktisch geschickt: Die de Witts wurden von einem rasenden Mob ermordet und geschunden. Einige Historiker vermuten aber auch ein Komplott in der Kette der Reibungspunkte zwischen den Parteien der Orangisten und der Regenten.
Das Land war zerrüttet. Das "Goldene Zeitalter" war vorbei und es fing eine lange Periode des Niedergangs an, die sich auch in der Literatur bemerkbar machte. Aber wie ein Amsterdamer Philosoph schon sagte: Ieder nadeel hep ze voordeel - Jeder Nachteil hat seinen Vorteil. 30 Prozent der Bevölkerung zog weg aus den Städten und aufs Land. Dadurch verschob sich der wirtschaftliche Schwerpunkt der Niederlande. Durch die neuen Arbeitskräfte, neue Arbeitsmethoden und Techniken und durch Trockenlegungen wurde das Land vom Importeur von Nahrungsmitteln zum Exporteur. Auch ohne Tomaten konnte damit gutes Geld verdient werden und man tut es immer noch. Neben den nun mal nicht adligen Kaufleuten in den Städten des Westens spielten wieder andere Bevölkerungsschichten ihre Rolle. In Gelderland, also nach holländischem Verständnis janz janz weit weg vom Zentrum der Macht war das mittelalterliche Raubritterschloss "Wildenborch" gelegen.
1768 wurde es von den Staaten von Gelderland dem Grafen van Limburg Stirum verkauft und später von Damiaan Hugo Staring, dem Vater unseres jetzigen Dichters, erworben.
Sohn Antoni Christiaan Staring war ein sehr vielseitiger Mann. Auf seinem Gut pflanzte er Wälder, betrieb eine Baumschule, legte Moorgebiete trocken und entwarf landwirtschaftliche Geräte. Auf seinen Ländereien errichtete er eine Schule für die Kinder seiner Landarbeiter. Seine Bibliothek in der Wildenborch, zum Teil noch erhalten, umfasste Bücher über Poetik, Jura, Erziehung, Sprachwissenschaft, Naturwissenschaften und vieles mehr. Für die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflichte als Gutsherr studierte er Jura in Harderwijk und Botanik und Physik in Göttingen (1786-1789). Starings wahre Liebe galt aber der Poesie. Auch verfasste er Erzählungen und er schrieb Lieder.
Mit dem damaligen, stagnierenden Literaturbetrieb der Niederlande hatte der landwirtschaftliche Provinzbaron wenig zu tun. Vielleicht war das auch gut so: Staring hatte schon in seiner Jugend die "Basia" (Kussgedichte) des Neo-Lateiners Janus Secundus kennengelernt, kam in Göttingen
Janus Secundus
1511 -1536
näher mit der deutschen Klassik und Romantik in Berührung und er wusste diese Elemente im hier übersetzten Gedicht "Gedenken" virtuos zu verbinden. Durch den Einfluss der gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Gesellschaften zur Spracherneuerung steht Starings Sprache der heutigen Sprache viel näher, als die seiner Vorgänger. So wird verständlich, dass "Gedenken" noch immer zu den beliebtesten Gedichte der Niederlande zählt, ja, sogar eines der schönsten Gedichte der niederländischen Sprache genannt wird.
Gedenken
Uns schützte tropfend Laub der Weiden,
Wo ich mit ihr geduckt am Weiher saß;
Die Schwalbe überflog die Weide
Und spielte ums silberne Gras;
Das Laub, vom Dufthauch leicht bewegt,
Erzitterte zart angeregt.
Es wurde still; das Tropfen hörte auf;
Kein Vogel mehr am Himmel flog;
Der Tau stieg an den Hügeln auf,
Wo sich das Abendrot verzog;
Der Mai sang seine Abendweise!
Wir hörten es und wurden leise.
Ich sah sie an und tief bewegt,
Schmolz Seel' mit Seel' in ein.
O Zauberbann, so sanft auf mich gelegt
Von dieser Augen Schein!
O dieses Mundes Atems Süße,
Flüsternd schlingend unsre ersten Küsse!
Uns deckte friedlich Laub der Weide;
Die Dämmerung zog auf;
Das Dunkel überzog die Weiden;
Wir standen zögernd auf.
Leb' lang in seligem Gedenken fort,
Geweihte Stund'! Geheil'gter Ort!
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Die verschiedenen Fassungen tragen die Jahreszahlen 1786 bis 1837
Übersetzung Jaap Hoepelman September 2019
Herdenking
J. P. Guépin "Starings 'Herdenking'".
Staring ist auch bekannt um seine Gedichterzählungen und humoristische Epigramme. An einem Epigramm versuche ich mich hier noch. Es wurde in der Schule häufig unterrichtet und es zeigt Starings virtuose Behandlung der Sprache:
Der Hundekampf
Rul Weitgereist, auf seinen Reisen,
Sah unglaublich viel! Zwei Bullenbeißer
Kämpften vor dem Weinhaus in der Polenstadt,
Wo er gerade Unterkunft bekommen hat.
"Solch' Kämpfen, Leute! -- Sie verschlangen
Einander regelrecht! Mit jedem Biss ein Bein
Ab oder Ohr - und glatt wie Speck hinein!
Für's Trennen war's zu spät! Zu fangen
gab's die Reste: - bei meiner Ehr',
Die Schwänze, und nicht mehr."
Het hondengevecht.
Übersetzung J. Hoepelman September 2019