Mittwoch, 13. November 2024

Hugo Claus. In Flanders Fields.

 



Hugo Claus 1929-2008

Belgien wird wohl das Schlachtfeld Europas genannt. Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung Belgiens und seine strategische Lage zwischen England, Frankreich und den deutschen Staaten führten dazu, dass es immer heftig umkämpft wurde, als Einflussbereich, als Besitz oder als Durchzugsgebiet. Allgemein bekannt ist die Schlacht bei Waterloo mit 50.000 Opfern, andere sind eher in Vergessenheit geraten, waren aber nicht weniger verlustreich. Die Schlachten um Ostende (1601-1604) zum Beispiel, zählten mit insgesamt 100.000 Opfern fast doppelt soviel.  Auf knapp 30.000 km² gibt es in Belgien über 3.000 Schlachtfelder. Zu den grauenhaftesten gehören die Schlachtfelder um Ypern.


Ieper (franz., engl. "Ypres", deutsch "Ypern") ist eine kleine mittelalterliche Stadt im "Westhoek", im Südwesten Belgiens, berühmt durch ihr Tuchgewerbe. Die Tuchhalle, aus dem 13. Jahrhundert, war damals eines der größten bürgerlichen Gebäude nördlich der Alpen.

Die Tuchhalle um 1860

Nach Kriegsende

Vom Norden her, wie es der Schlieffenplan vorsah, gibt der Westhoek über Ypern Zugang zu den Häfen an der Kanalküste.  Also wurde Ypern belagert. Es stellte sich bald heraus, dass die neue Kriegstechnik eher die Verteidigung als den schnellen Durchmarsch ermöglichte. Der deutsche Vormarsch stockte für die Dauer des ganzen Krieges an ungefähr der gleichen Stelle in einem Bogen vor Ypern. Die Deutschen versuchten mit aller Macht an Ypern vorbei die Häfen an der Kanalküste zu erreichen. Das Empire, Frankreich und Belgien versuchten dies mit aller Macht zu verhindern. Von 1914 bis 1918 fanden vor Ypern vier Schlachten statt (oder fünf, je nachdem, wie man zählt). Die Kräfte des Empires versuchten Hill Sixty und Hill Sixty One, die den Deutschen eine gute Übersicht boten, mit gewaltigen Minen zu sprengen. 



Die Belgier öffneten nach der alten Sitte der Niederen Lande die Seeschleusen bei Nieuwpoort, so dass das Wasser der Nordsee das Land überflutete. Ansonsten schickten die Befehlshaber in vier Schlachten ihre Mannschaften immer wieder aus den Laufgräben durch den Schlamm der Äcker durch Stacheldrahtverhaue ins Maschinengewehrfeuer. Ein Weiterkommen war unmöglich.


Das verhinderte nicht die ununterbrochene Beschießungen. Es verhinderte auch nicht den ersten Einsatz von Chlorgas und Senfgas, das entsprechend "Yperit" genannt wird.


Der Ortsname "Poelkapelle" ruft vielleicht keine Erinnerungen wach, aber "Langemarck", unmittelbar daneben auf der Karte, hat noch lange in der deutschen Kriegsfolklore eine Rolle gespielt.


Der Boden in West-Flandern besteht aus dem fettesten, fruchtbarsten Ton, den man sich denken kann. In diesem Boden vergruben die Kriegsparteien sich in einem Geflecht von Laufgräben, gestützt von Säcken aus gestampftem Sand.


Die gute Erde aber hatte sich durch die pausenlosen Bombardements und den Starkregen in eine Art von schlammigem, fettem Schleim verwandelt, in dem Leichen und Leichenteile auftauchten und untergingen und der sich in den Laufgräben sammelte.


"Der fürchterliche Schlamm, das schlimmste, was es gibt, der Schlamm in dem eine Armee herumkriecht, in dem Pferde, Männer, Kanonen, Wagen aussehen wie Ungeziefer, getunkt in Dreck; gärender Eiter, der den flämischen Boden überdeckt und auffrisst, der die Landschaft verschlingt...." (Maurice Duwez ‘La boue des Flandres’).

Es gibt eine Pflanze, die blüht in solchen verwüsteten Böden, wenn andere Pflanzen längst aufgegeben haben: Klatschmohn, eine "Pionierpflanze". Im überdüngten Schlamm um Ypern blühte der Klatschmohn (englisch "poppy") wie besessen.  Durch das Gedicht (1915) des Kanadiers John McCrae, "In Flanders Fields",  wurde die Mohnblume im britischen Empire zum Symbol für den Krieg. 


Das Gedicht steht noch in der Tradition des poetischen Heroismus, zu dem bald keine Poesie mehr passen wollte
So erscheint das Gedicht des Hugo Claus wie ein Kommentar auf McCraes "In Flanders Fields". 

Hugo Claus

In Flanders Fields

Der Ton hier hat die fetteste Krume.

Auch nach all den Jahren ohne Dung,

hier könntest einen Totenlauch du züchten,

der alle Märkte sprengt.

Die wackligen englischen Veteranen werden spärlich.

Jedes Jahr zeigen sie den spärlicheren Kameraden:
Hill Sixty, Hill Sixty One, Poelkapelle.

In Flanders Fields fahren die Mähdrescher

immer engere Kreise um sich windende Gräben

aus gestampften Sandsäcken, die Gedärme des Todes.

Die Butter dieses Landstrichs

schmeckt nach Klatschmohn.


(Übersetzung Jaap Hoepelman, November 2024)

Hugo Claus
Gedichten 1969-1978/De Bezige Bij

Von der schönen Stadt Ypern und ihrer Tuchhalle war nach Kriegsende nur dies übriggeblieben:


Die Zahl der Opfer der Ypernschlachten betrug insgesamt ungefähr 450.000.

Nach diesem Krieg konnten Gedichte in den südlichen Niederlanden nicht mehr die gleichen sein. Die nördlichen Niederlande waren im 1. Weltkrieg neutral geblieben. Der Bruch mit der alten Ästhetik fand dort erst nach dem 2. Welkrieg statt. 

Hugo Claus war ein äußerst produktiver und vielseitiger Schriftsteller. Zu seinen Arbeiten gehören Romane, Gedichte, Theaterstücke und Drehbücher. Er war Filmregisseur, Redakteur, Übersetzer,  Herausgeber und Mitarbeiter avantgardistischer Zeitschriften. Als Maler war er Teil der Gruppe COBRA

als Dichter gehörte er mit Lucebert zu den wichtigsten "Fünfzigern". Er war einer der einflussreichsten niederländisch-sprachigen Schriftsteller; in der Liste seiner Preise und Auszeichnungen fällt nur der Nobel-Preis durch Abwesenheit auf, aber man munkelt, dass nicht viel gefehlt hat.

Belgien, zersplittert und umkämpft, auf der Bruchlinie der Sprachen und Kulturen, hat große Kunst und häufig darin das Karikaturale, Groteske, Surrealistische und Absurde hervorgebracht. 

          
        James Ensor 1891
Muziek in de Vlaanderenstraat
Musik in der Flandernstrasse


James Ensor. 1889
De Intrede van Cristus in Brussel
Christus' Einzug in Brüssel

Es ist kein Zufall, dass der Stoffumschlag von Claus' Magnum Opus "Het verdriet van Belgie",  ("Der Kummer Belgiens"),  das Gemälde "Musik in der Flandernstrasse" des James Ensor (1860-1949) zeigt. Ensor war alles auf einmal: grotesk, surreal und karikatural und "Der Kummer Belgiens" ist es auch. Und mit 775 Seiten ein voluminöser Entwicklungsroman über einen Jungen in einer Umgebung in einem Land zwischen den Blöcken, in dem jede Entscheidung, jede Wahl nur eine falsche sein kann. 
Nur Lüge und Verstellung bleiben übrig. Und so entwickelt der kleine Junge sich zum Schriftsteller, zum Autor der ersten Romanhälfte.





Dienstag, 15. Oktober 2024

Die Ballade vom Gasfitter

 


Bildergebnis für gerrit achterberg
Gerrit Achterberg
1905 - 1962

Ich habe mich an eine Art Mammutaufgabe gewagt. Gerrit Achterbergs Ballade vom Gasfitter, ein Zyklus von 14 Sonetten. Achterberg hatte ernste psychische Probleme. Seine Vermieterin (Geliebte?) hat er erschossen und ihre Tochter...man weiß es nicht so genau. Er wurde verschiedene Male in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.  In seinem Wahn versuchte er immer wieder die Ermordete herauf zu beschwören, und diesen Wahn vermischte er mit christlichen Motiven. Er kam aus einem streng christlichen Elternhaus, und Gott, Tod, Teufel, Jesus, Petrus, Geliebte und Personal der psychiatrischen Klinik liefen bei ihm durcheinander. Er war aber ein brillianter Dichter. Die Art in der er Alltagssprache wie selbstverständlich in Poesie verwandelte war stilbildend für viele Nachkriegsdichter. Martinus Nijhoff , eine Schlüsselfigur des 20. Jahrhunderts, hat ihn sehr bewundert. In der "Ballade vom Gasfitter" findet man diese Elemente alle wieder: Biblisches und Alltägliches werden vermischt und scheinbar banales technisches Vokabular wird mit Symbolik aufgeladen. Die Nähe und den Gegensatz von "God" (Gott) und "gat" (Loch) nutzt Achterberg virtuos in der Darstellung des Wahnsinns seines Klempners.  Hat die Pistole nicht ein Loch verursacht? Die "Ballade" ist nicht leicht zu interpretieren, aber Achterbergs Wimmelbild aus Bildern und Bedeutungen stellt ja nicht umsonst die Welt eines Wahnsinnigen dar.
Die Ballade vom Gasfitter wurde 1954 mit dem Poesiepreis der Gemeinde Amsterdam ausgezeichnet. Für sein gesamtes poetisches Werk erhielt Achterberg 1959 den Constantijn Huygens Preis. 

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Die Ballade vom Gasfitter

Gerrit Achterberg, 1953.

I

Du bist von hinten zu den Wohnstätten gekommen.
An den Fassaden, zwischen den Gardinen,
bist Du fortlaufend aus dem Nichts erschienen
als ich im Gehen Einblick hab' genommen.

Im Weitergehen musst Du ab und an erscheinen,
das nächste Fenster gibt mir Recht und du wirst aufgenommen.
Ein Jansen wohnt hier, Jansen mit den seinen,
in seinem Namen möchtest Du entkommen.

Doch das heißt nichts. Die Türen sind geduldig;
sie haben Klingel, Briefkasten und Stufen.
Der Apfelkaufmann lockt mit seinem Rufen,
und es gibt viele Arten Dieterich.
Auch ich komme herein, todernst, total unschuldig,
zu Ihren Diensten, als Gasfitter berufen.

II

Dann - am hellen Tag bei Dir bei meiner Arbeit,
vermummt als Angestellter der Gemeinde - gehen
meine Augen rund und sehe ich Dich stehen.
Die Decke wird zum Deckel mit der Zeit.

Die Wände sind aus Erde. Wir laufen an.
Die Kammer ist gesättigt, wie ich merke.
Es geht auch nicht. Ich zieh' die Schrauben an.
Beschränk' ich mich auf  die Gewerke,

so bleiben wir bei unserem Inkognito,
während ich bückend, kniend, den Fehler richte,
bäuchlings überprüfend, was ihn verursacht.
Und immerzu nur denken: Es ist besser so.
Totschweigen, mit einem Hammerschlag vernichtet.
Totstille, die die Hammerschläge heil macht.

III

Sollte ich die Wohnung inundieren?
Oder Löcher in das Gasrohr drehen?
Ich kann die Falle sehen; muss Schlüsse inspizieren
und mach' den Fehlschluss hastig ungeschehen.

Dann würde nämlich später in der Zeitung stehen:
"Aus unbekanntem Grunde fand ein Fitter,
in der Ausübung seines Bestehens,
den Tod durch Gaserstickung. Das Geschehen
im nächsten Wohntrakt war genau so bitter,

wo die Vermieterin ein gleiches Ende fand.
Sie lag vornüber, in der ausgestreckten Hand
steckte ein Brief, in dem am Anfang stand geschrieben:
"Egal wie groß die Welt, ich komme wieder".
Sie wurde, scheint es, überrascht beim Lesen
kein Überspiel ist es gewesen".

IV

Das kleine Loch ist endlich dicht.
Langsam suche ich mein Zeug bei-
sammen, die Beine sind wie Blei.
Der Schweiß läuft über mein Gesicht.

Als ob ich Übermenschliches verrichte,
will ich mit einer Geste mich erklären,
und dreh' mich zu Dir um, doch Du bist nicht mehr
da. Es gibt nur noch das späte Mittaglicht.

Den Werkzeugkasten hebe ich vom Boden auf
und stell' ihn auf die Schulter. Im Gang
erwecken meine Schritte hallenden Gesang.
Die Tür fällt zu. Der Straßenlärm hat beinah auf-
gehört. Ein dichter Nebel nimmt die Sicht.
Recht hatt' ich diesmal offensichtlich nicht.

V

Wieder zuhause, es ist Essenszeit,
ich bin zu Tisch, da geht das Telefon.
Ich nehm' den Hörer ab und in bestimmtem Ton
klingt eine neue Order von der Überseite.

Der Herr Direktor. Seine Stimme laut und schrill,
mit im Verborgenen ein weicher Ton.
"Morgen in die gleiche Strasse gehst du, mein Sohn.
Es ist sehr wichtig, was ich von dir will".

Kein Esel stößt sich zweimal an dem gleichen Stein.
Am besten wär', ich blieb' hier nicht allein,
lieber noch heute Abend angeschaut
das Hochhaus, auf die schnelle hingebaut
dort gegenüber. Mit jedem Nummernschild
wird mir dann klarer, was er von mir will.

VI

Ich konnte diese Nacht nicht mehr erfahren.
Der Hausmeister war eingeschlafen. Abgespannt,
weswegen ihm die Nummern glatt entfallen waren.
Sein Kopf lag auf dem Arm gekantet. Gespannt


warf ich den Blick durchs Fenster. Es wehte
sanfter Wind. Auch raschelte es leise
über dem Boden. Pflichtvergessen lebte
hier ein Mensch, der mir aus dieser Scheiße

hätte helfen können, wenn es nicht
so leer geworden wäre und zu düster,
als dass ich hätte wecken dürfen mit Geflüster.
Dann würde er den Kopf verlieren. Das ging nicht.
Auch den Direktor koste es das Haupt.
Niemand hört mich gehen. Hat er aufgeschaut?

VII

Schon unterwegs, kaum ist die Nacht vorbei,
der Schlaf noch in den Augen, scheinen mir
die Straßen in der ersten Stunde vogelfrei,
dabei bezog das Endziel schon Quartier.

Ein sicheres Gefühl, wie früher nie gewesen.
Einer von der Direktion, auf einem Zwei-
rad. Ich grüße, doch er er schaut an mir vorbei.
Sicher wieder Knatsch mit seinem Besen.

Vielleicht erscheint es ihm verdächtig,
dass er mich trifft in Stadtbereichen,
wo ein Fitter nichts mehr kann erreichen.
Hier wohnt ein junges, ruchloses Geschlecht
in einem anderen Licht. Wo man mich registriert hat.
Deswegen richte ich die Schritte richtung Stadt.

VIII

Ich nähere mich der letzten Möglichkeit.
Weiße Knöpfe, in einer Reihe bissbereit,
verspotten mich, wie falsche Zähne aufgereiht.
Verbissen führen meine Finger Streit.

Während ich im Stehen nagelbeiß',
springt jäh die Tür auf. Als wäre sie bestellt -
die Putze hat den  Ascheeimer hingestellt.
Ich hätte mich sonst nie entschieden, doch ich weiß:

Die Zeit ist knapp. Das Loch, wo ist es, will ich wissen.
Sie zeigt nach oben mit einer Spur Sarkasmus,
die bedeutet: Du bist wohl nicht ganz dicht.
Das weiß ich; Ohne Beten bin ich aufgeschmissen.
Der Aufzug fährt nun aufwärts richtung Schluss
von dem, was noch kein Fitter hat gedichtet.

IX

Je höher, dass ich steige, umso größer die
Entfernung zwischen Dir und mir. Das Leben
fühlt sich an von Nickel und von Stahl umgeben.
Ein leeres Nietloch gab's in diesem Bau noch nie.

Hier gibt's kein Gas. Gott ist das Loch. Er stürzt
die Tiefen über mich, um zu erleben
an einem dreisten Fitter, das Gefühl sich göttlich zu erheben.
Ein Loch, das sich mit jedem Stockwerk kürzt.

Stockwerk über Stockwerk stürzt nach unten.
Bestürzter kann kein Fitter sein.
Womöglich fällt ein letztes Wort mir ein,
wenn ich ihn frage nach dem ersten Grund.
Ich verspüre einen Stoß. Hier muss ich raus
und setz' mich Seinem Ratschluss aus.

X

Türe an Türe öffnen sich die Säle.
Herren aller Zungen, Rassen, Länder
rufen im Chor, als sähen sie Gespenster:
"Uns kannst du keinen Stuss erzählen."

Bin ich dafür unterirdisch auf dem Bauch gelegen?
Hat mir der Abstieg in der Glasschacht
nur einen Beutel Schmutzwäsche gebracht?
Hört, wie die sich emsig hin und her bewegen.

In dieser Gegend schau' ich mich ein wenig um.
Inzwischen wird es Mittag, soviel ist mir klar.
Die Schulen haben aus. Die Stoßzeit ist gekommen.
Die Kinder, von den Müttern mitgenommen,
erzählen. Fahrräder klingeln. Autos fahr-
en schnell an mir vorbei, als stünd' ich nur herum.

XI

In der Asche drehen Gasfabriken leer
um ihre Achse; es konnt' ein Vakuum entstehen.
Bedenke Leser! Nur eine Seite vorher
sah seine Pläne grandios daneben gehen

derjenige, der ohne Hoffnung auf nur irgendwas,
ängstlich wie ein Hund davon geschlichen war,
doch der im Blitzlicht Ihrer Augen las,
wie die Erwartung eines Fitters war.

Zur Chefetage nehme ich die Kürzung.
Der Herr Direktor öffnet mir persönlich
und unterwirft mich einer schmerzlosen Befragung.
Hier weiterhin zu lügen lohnt sich nicht.
In seiner Brille wimmelt es, als weint er über mich.
Er schüttelt meine Hand, ermannt sich, zieht sein Spottgesicht.

XII

Der christliche Gewerkschaftsbund, zu dieser Zeit
ruft alle Klempner auf, sich unverzüglich zu beeilen
zur Hauptversammlung, um ihnen mit zu teilen,
dass einer unter ihnen die Regeln hat entweiht,

weil er mit den Instrumenten hat geschafft,
wo immer er sich aufhielt, so der Befund
und wegen Schäden an der Körperschaft,
fordert Bekenntnis seiner Schuld aus diesem Grund.

Zum ersten Mal in der Geschichte
knien die Gas- und Wasserwerker nieder,
ohne zu suchen, wo die Löcher sich verstecken;
zusammen, solidarisch in den letzten Ecken.
Dann spricht der Leiter: Sündige nie wieder!
Sie ziehen hin, sind sich todsicher.

XIII

Nach Jahren finden wir den Klempner
wieder, im Altersheim. Die Haare ausgebleicht,
ein seniler Rentner, der im Verzeichnis
aller Straßen mümmelnd auf die Namen zeigt.

Tisch und Bett muss er benützen
mit Boten, Wechsler und Monteur.
Weil mit ihm Essenfassen ein Malheur
ist, kriegt er ständig auf die Mütze.

Bis zu seinem Tod ist er versorgt.
Krankheits- und Begräbnisbeitrag reichen
gerade um genügend Karitas zu zeigen
und zu verhindern, dass der Vater ihn entsorgt.
Obdach stellt die öffentliche Hand.
Das Recht auf Kautabak gehört zum Reglement.

XIV

Die Augen gingen zu zum Schluss.
Der Mund ging auf und wurde zugebunden.
Gemessen wurde er und für gepasst befunden,
den Sarg zu füllen, der Länge nach sechs Fuß.

Alle erbrachten ihm den letzten Gruß:
Jansen, Putze und Direktor, in dieser Stunde
mit denen aus dem Hochhaus fest im Bunde,
wie ich, in Frack, Stock und Zylinder, wie es muss.

Am Grab hielt jedermann den Mund.
Man trat hervor und schaute kritisch zu,
wie der Fitter langsam in den Grund
sank, vielleicht um Irrtümer zu sichten
als er dabei war, sein letztes Loch zu dichten.
Er ruht in Gott. Die Erde deckt ihn zu.



Übersetzung Jaap Hoepelman
November 2019

De Ballade van de Gasfitter
Iemand van de Directie

Sonntag, 13. Oktober 2024

Namen im diesem Blog

      Ihr, die hier eintretet,....




Achterberg, Gerrit
Adriaan Roland Holst
Adwaita
Aegidius
Andreus
Ashetu, Bernardo
Bellamy, Jacobus
van Eeden, Frederik

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Nijhoff: Das Lied der törichten Bienen.

 



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Das Lied der törichten Bienen ist ein Klassiker der niederländischen Poesie. Die Sprache ist manchmal exaltiert, aber bleibt trotzdem in der Nähe der Umgangssprache. Das Gedicht ist dermaßen mit Bildern, Metaphern und Assoziationen aufgeladen, dass es viele Generationen Niederlandisten in Lohn und Brot gehalten hat. Das Gleichnis der Bienen geht sowieso zurück bis auf die Antike, wie das des Dichters, der bis zur Selbstvernichtung das Höhere anstrebt. Das Reimschema, eine Verkettung a-b-aa, b-c-bb, c-d-cc , usw., wie aneinander geschaltete Glieder einer Kette erinnert an die "Scala Naturae", "die große Stufenleiter der Natur". Aufstieg und Fall des Ikaros! Zu dicht an die Sonne geraten! Der fallende Schnee, der ewige Kreislauf der Natur, des Weltalls meinetwegen...

(Andere Gedichte Nijhoffs in diesem Blog: Awater, Het Uur U, De Moeder de Vrouw)


                  Martinus Nijhoff  (1894-1953) 
                  
1925


            
      Das Lied der törichten Bienen                             


Ein Duft von höhrem Seim
verbitterte die Blumen,
ein Duft von höhrem Seim
trieb uns aus unsrem Heim.

Der Duft, und leises Summen,
im Himmelblau gefroren,
der Duft, und leises Summen,
ein stetig früh Verstummen

riet uns, Gedankenlosen,
die Gärten aufzugeben,
rief uns, Bedenkenlosen,
zu rätselhaften Rosen, 

weit weg von Volk und Leben,
auf Abenteuer aus,
weit weg von Volk und Leben,
jauchzend hinauf zu schweben.

Niemand stellt von Natur aus
sich seinem Trieb entgegen,
niemand hält von Natur aus
leibhaft den eignen Tod aus.

Stets heftiger erlegen
und strahlender erleuchtet,
stets heftiger erlegen
dem Zeichen zu begegnen

stiegen wir, entfleuchend,
entführt, verklärt, entdorben,
stiegen wir, entfleuchend,
als Glitzerungen leuchtend -

Es schneit, wir sind gestorben,
heimwärts hinab gerieselt -
es schneit, wir sind gestorben.
Es schneit auf unsrem Korbe.

Übersetzung Jaap Hoepelman 
Oktober/November 2020

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Willem Wilmink. Die niederländische Kinderpoesie ist...anders.

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Willem Wilmink (1936-2003) schrieb für Kabarett und Fernsehen, war Sänger und Liedermacher, schrieb Kinderbücher und Kindergedichte, übersetzte aus dem Deutschen, Englischen, Französischen und Afrikaans, schrieb mittelalterliche Texte neu - ein echtes Multitalent. Er war ein technisch brillanter Dichter. Genau das, was wir jetzt als Unterbrechung brauchen nach vielen Värsen Trauer und Trübsal, Melancholie und Metaphysik. Ich habe seinen "Jan Olifant" in der Übersetzung ein klein wenig den schlandschen Umständen angepasst. Ich liebe "Jan Olifant" als wunderbares Beispiel für die niederländische Kinderpoesie, die doch ein wenig ... anders ist.


  Hans Elefant


Nach „Jan Olifant“ von Willem Wilmink 

Ihr lieben Kleinen, hier in Schland,
Das Leben von Hans Elefant
Wird jetzt, bis ins Detail belegt,
Von Doktor Hoepelman verlegt.
Es geht hierbei nicht um Gewinn,
Nicht Geld hat Hoepelman im Sinn.
Nein, nein, nur Sittsamkeit und Tugend
Der allerliebsten schlandschen Jugend.

Hans Elefant, das glaube mir,
War echt ein riesenhaftes Tier.
Das größte Tier im Zirkus Knie
Litt oftmals an Melancholie.
Das ist, wenn übergroße Tiere
Lebensfreud und -lust verlieren.

Keiner, der das so traurig fand
Als unser Hans, der Elefant:
    „In der Piste klein gehalten,
Kann sich kein Elefant entfalten.
Ich will im Zirkus Knie nicht sein,
Will in die weite Welt hinein.“
In der von Knie verkannten Lage
Hörte niemand Hansens Klage,
Bis, unter Beifall und Applaus,
Auf Musik von Johann Strauß,
Der Elefant den Ausgang fand,
Den Hintern zeigte und verschwand.

      Hans trabte keuchend durch die Gassen,


Hier konnte man ihn nicht mehr fassen.
Im Stadtpark setzte er sich hin,
Dann kam ihm plötzlich in den Sinn:
„Der Park ist gar nicht überdacht,
Ich brauch `ne Bleibe für die Nacht!“ 


Doch da kommt Rettung in der Not,
Die Heilsarmee in Schwarz und Rot.
Es wird gesungen und gepfiffen,
Hannes ist zutiefst ergriffen.
Ein Bett und eine alte Hose
Hat die Armee für Obdachlose.
„Ein feste Burg“ klingt aus, und dann
Schließt unser Hans sich denen an.

Wochenlang ging es ihm gut,
Man gab ihm Essen, einen Hut,
Mit dem er überglücklich winkte,
Und dabei die Tür ausklinkte


Und gestärkt durch's Evangelium
Sah sich nach einer Bude um.

Die Wirtin, in den besten Jahren,
Liess vor Schrecken einen fahren
Und rief: “Ich hab‘ nur Herren hier,
Vermiete keinem Rüsseltier.“
„Gnä Frau“, sagt Hans, „Sie seh'n nicht gut.
Kein Rüsseltier trägt einen Hut“.



Das stimmt. So wird er angenommen,
Bekommt anständig Unterkommen.
Die Wirtin hat sich abgeregt:
„Er ist ein Herr der Rüssel trägt.“ 

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Durchfall hat der arme Tropf,
Sitzt immer wieder auf dem Topf.
Beim kleinsten Pupser, müsst ihr wissen,
  Hat er sich gleich vollgesch…

Schon klingelt es. Ein Polizist,
Der mit dem Zweck gekommen ist,
Zu prüfen, ob wer da so spritzt
 Den Personalausweis besitzt.
 Doch leider ist dem Elefant
Der Ausdruck völlig unbekannt.
Ein Personalausweis? Wieso? 
Am Kopf nicht. Ob vielleicht am Po?
Nicht ohne Zirkuseleganz
Dreht sich Hans in Richtung Schwanz.
Doch die Ermittlungen ergeben
Nur ein mittelschweres Beben.     

         Mit einem Knall der Scheiben sprengt
Wird der Schutzmann angesengt.
Halt! Sie begehen ein Verbrechen…“
Der Kommissar will weiter sprechen,
Doch keiner hört den Polizeiwachtmeister,
Geschmort im Elefantenkleister.

Ich bin nicht sicher ob du weißt,
Dass, wer eine Amtsperson bescheißt
Oftmals bestraft wird auf Bewährung,
Sozusagen zur Belehrung,
Doch wer Pech hat mit dem Richter
Geht auf Jahre in den Trichter.

Hans Elefant erging es schlecht.
Streng sprach Herr Schräg, der Richter, Recht:   
„Ähem! Dies ist ein freies Land,
Sogar für einen Elefant.
Sich persönlich einzukoten
Ist im Gesetzbuch nicht verboten.
A A auf einen Privatier
Ist erlaubt laut BGB.
Strengstens zu bestrafen ist: Kleister
 auf einen Polizeiwachtmeister"

 Ein ganzes Jahr gesiebte Luft,
Anstaltsfraß und Abortduft.
Gerne mag an großen Tieren
Man Exempel statuieren.

Neue Freunde gab es bald,
Knastbrüder in der Haftanstalt.
Da gab es Heinz, den Panzerknacker,
Und Barnabas, den Software-Hacker,
Und auch die Brüder Gaunering
Drehten schon so manches Ding.
Verurteilt für Erbschleicherei
War eine Gräfin mit dabei.
Solch kriminelle Energie -
Das gab es nicht im Zirkus Knie.

Im Hof trafen sich Gangsterrunden,
Fluchtpläne wurden bald gefunden.
Man würde…doch ich schweige still,
Weil ich noch länger leben will. 

In den Nachrichten, um acht
Wurden diese News gebracht:
„Aus der Anstalt Oberkochen
Sind Verbrecher ausgebrochen.
Alle wurden schnell gefasst,
Das Personal hat aufgepasst.


 Nur Loxodonta Indicus
Vor dem man sich sehr hüten muss
(Auch genannt „die alte Falte“),‏
Wurde vom Zaun nicht aufgehalten.

Wieder trabt nun Hans dahin,
In den Süden zieht es ihn.
Das ist ein Gangsterparadies,
Dort gibt es jede Menge Kies.
Falscher Adel und Halbseiden
Müssen keinen Mangel leiden.

Chancen gibt es dort zuhauf,
Z.B. für den Kunstverkauf.
Ein Originalimpressionist,
Wenn man Finanzberater ist.
Für die betuchte Haute Volée
Eröffnet Hans ein Atelier.
Rembrandt, Spitzweg, Albrecht Dürer,




Bildhauwerke für den Führer.
 Große Kunst in Öl auf Leinen,
Großformatig und im Kleinen:
Von Töpfertisch und Staffelei,
Für jeden ist etwas dabei.

Jetzt also, durch Kitsch und Tand
Wird Hans ein reicher Elefant,
Besucht mit Regelmaß die Bank
Mit wohlgefülltem Panzerschrank.

Das Personal ist sehr beflissen,
Trotzdem wird Hans angeschissen.
Hans ist nicht dumm, er spürt sehr wohl -
Leer ist die Freundlichkeit und hohl.

Abends liegt er dann allein,
Schläft vor Traurigkeit nicht ein.
Das Leben hat so keinen Sinn,
So ohne Elepartnerin,
Elefrau mit Hirn und Herz,
Kumpelin im Faltennerz,
Um zu teilen sich die Schüssel
Und zu schlafen Rüss- an Rüssel.

„Fantin sucht Fant“: Im Abendblatt
Gibt es Inserate satt,
Doch im trüben Einerlei
Ist die Eine nicht dabei.
Doch dann, an einem Sonntagmorgen,
Hat‘s ein Ende mit den Sorgen:
„Elefrau, noch jung in Jahren
Sucht Elemann, gern auch erfahren.
Nur bei echtem Interesse
Schreib an diese Postadresse.“ 

 Nichts, das jetzt den Hans noch hält.
Er schreibt umgehend und…gefällt.
Und nach einem Probejahr
Sind sie und er ein Elepaar.

Sie leben meistens sorgenfrei,
Auch Fantilein sind bald dabei
 Und beim Besuch im Zirkus Knie
Schaut sie auf ihn und er auf sie.

                                                            Die zärtlichste Beziehungskiste
Fing an in einer Zirkuspiste. 




                                                  
Übersetzung Jaap Hoepelman 2014

Dienstag, 17. September 2024

Herzog Jan






Herzog Jan I von Brabant
1252-1294
Aus den Brabantse Yeesten von Jan van Boendale (1440-1450)

Dass das bemerkenswerte Verhältnis zwischen Köln und Düsseldorf nicht an letzter Stelle einem niederländischen Minnesänger zu verdanken ist, war mir nicht bekannt, bis ich mich für dieses Kapitel ans Werk machte.  
Das herkömmliche Bild des lieblichen Minnesängers kann ziemlich in die Irre führen:  


Der Minnesänger Herzog Jan I von Brabant verdiente seine Sporne in erster Linie als Draufgänger in der Schlacht und als gefürchteter Raufbold in Turnieren.
Den Düsseldorfern ist die Schlacht von Worringen (1288) ein Begriff. Das Düsseldorfer Stadterhebungsmonument erinnert daran und hat für mich Ähnlichkeit mit dem Minnesänger...

Detail Düsseldorfer Stadterhebungsmonument.

Die Hauptkontrahenten in der Schlacht waren der Kölner Erzbischof, Siegfried von Westerburg, und Rainald von Geldern auf der einen Seite und eben Herzog Jan (Johann) I von Brabant auf der anderen.

Es war keine geringe Sache. Mehr als 10.000 Kombattanten waren an der Schlacht beteiligt, darunter tausende Ritter. Um die 2000 Tote soll es gegeben haben.


Die Schlacht von Worringen.
Aus den Brabantse Yeesten von Jan van Boendale (1440-1450)

Die Liste der Interessenten erstreckt sich bis hinauf zum Papst und zum französischen König und liest sich wie ein who-is-who des nord-west europäischen Adels. Die Teilnehmer waren alle in irgendeiner Art mit einander verwandt oder verschwägert. So waren Rainald von Geldern und Jan I von Brabant Schwäger,  verheiratet mit Halbschwestern aus dem Hause Dampierre. Die Dampierres hatten sowieso überall die Finger drin, wir erinnern uns, dass auch Margarete, Gräfin von Konstantinopel mit einem Dampierre, Wilhelm, verheiratet war, für dessen Anspruch auf die Grafschaft Holland eine Armee in die Schlacht um Walcheren geschickt, und vernichtend geschlagen wurde.
Rainald von Gelderns erste Ehe endete mit dem frühen Tod seiner Gattin, Irmgard von Limburg. Rainald leitete daraus einen Anspruch auf das Herzogtum Limburg ab. Leider hatte Jan I von Brabant die Rechte auf Limburg bereits einem von Irmgards Verwandten, Adolf Graf von Berg, abgekauft. Rainald, jetzt verheiratet mit einer Dampierre, konnte den Brabanter Machtgewinn nicht akzeptieren, ebenso wenig wie der Bischof von Köln, Siegfried von Westerburg. Vermittlungsversuche scheiterten, es musste zur Schlacht kommen.  Auf Rainalds Seite war das Haus Luxemburg mit von der Partie. Auf Herzog Jans Seite kämpften Kölner und Düsseldorfer Bürger für ihre Rechte gegenüber dem Kölner Erzbischof.
Jan I, der minnesingende Herzog, erschlug im Laufe des Gefechtes Heinrich VI und 3 seiner Brüder und damit eine ganze Generation des Hauses Luxemburg. Um es kurz zu fassen: Nach einer wüsten Metzelei obsiegte Jan.

Herzog Jan im Codex Manesse
1305-1315. Man sieht das Banner mit dem Limburger  (rot) und 
dem Brabanter Löwen (gold).

Ein Bild in der Nuova Cronica stellt die Niederlage Rainalds dar. In den Händen hält Rainald Federn als Zeichen der Kapitulation. Links neben ihm die erschlagenen Luxemburger. In der Mitte rechts Herzog Jan, mit dem entsprechend neugestalteten Wappenschild der Brabanter.

Die Kapitulation des Reynalds von Geldern, Nuova Cronica


Düsseldorf  erhielt als Dank für die Unterstützung die Stadtrechte.

Herzog Jan war nicht nur ein wüster Raufbold. Er ist in Brabant noch in einer anderen Eigenschaft bekannt, sogar beliebt geworden: Als Kulturmäzen. Am Brüsseler Hof begann man Urkunden allmählich auf Niederländisch anstatt Französisch zu verfassen. Jan liebte und förderte Musik, Sang- und Dichtkunst, gutes Essen und einen guten Tropfen. Einer Überlieferung nach ist der Name des legendären Königs des Bieres, Gambrinus, eine Verballhornung von "Jan Primus" und eine schöne Überlieferung sollte man nicht ohne Not aus der Hand geben.


Im Übrigen: Die Biermarke "Hertog Jan" wird noch heute in Brabant und Limburg (NL) angeboten.

                                    


Der Herzog befleißigte sich selber als Minnesänger. An seinem Hof  waren deutsche, niederländische und französische Sänger tätig. Im Codex Manesse sind von Jan selber verfasste Minnesänge enthalten, angelehnt an französischen Mustern, in einer ins Hochdeutsche tendierende Sprache.**  Das bekannteste wohl:

Eens meien morgens vroege
Was ic opghestaan;
In een scoen boemgerdekine
Soudic spelen gaen.
Daar vant ic drie joncfrouwen staen,
Si waren so wale ghedaen,
Dene sanc voor, dander sanc na:
Harba lori fa, harba harba lori fa,
Harba lori fa!

Doe ic versach dat scone cruut
In den boemgardekijn,
Ende ic verhoorde dat suete gheluut
Van den magheden fijn,
Doe verblide dat herte mijn,
Dat ic moeste singhen na:
Harba lori fa, harba harba lori fa,
Harba lori fa!

Doe groette ic die alrescoenste
die daer onder stont.
Ic liet mine arme al omme gaen
Doe ter selver stont;
Ic woudese cussen an haren mont;
Si sprac: “Laet staen, laet staen, laet staen”.
Harba lori fa, harba harba lori fa,
Harba lori fa!

Mein Versuch:


Eines Morgens früh in Mai
Wollt' ich keine Zeit verlieren;
In der schönen Obstbaumwiese
Wollte ich mich verlustieren.
Ich sah bald drei Jungfern fein,
Schöner könnten sie nicht sein,
Sie standen wechselsingend da:
Harba lori fa, harba harba lori fa,
Harba lori fa!

Als ich die schönen Blüten sah
In der Obstbaumwiese,
Und hörte eh' ich's mir versah
Das Singen von den Mägden fein,
Könnt' ich glücklicher nicht sein,
Und sang im Einklang mit der Schar:
Harba lori fa, harba harba lori fa,
Harba lori fa!

Dann grüßte ich die allerschönste,
Die in ihrer Mitte stand.
Innig wollt' ich sie umschlingen,
Auf der Stelle, gleich, wo ich sie fand;
Ob sie aufs Küssen sich verstand?
Sie sprach: "Es wird und wird Dir nicht gelingen".
Harba lori fa, harba harba lori fa,
Harba lori fa!

( Jaap Hoepelman, Jan. 2022)

mit der kryptischen Zeile "Harba lori fa!", die als Okzitanisch (die Sprache der Troubadoure), Latein Herba flores facit’ , gedeutet wird, d.h. als eine erotische Anspielung: "Im Gras sprießen die Blümelein". Es ist bekannt, dass Herzog Jan eine Menge Blümelein hat sprießen lassen.
Das wiederum erinnert mich an das bekannte niederländische Volksliedchen, durch Hoffmann von Fallersleben ins Deutsche übernommen, in dessen Version leider die Erotik der Tugendhaftigkeit Platz gemacht hat:

De winter is vergangen
Ik zie des meis virtuut.
Ik zie die looverkens hangen,
Die bloemkens spruten in 't kruud.
In genen groenen dale
Daar is't genoeglijk zijn,
Daar zinget die nachtegale,
End' zoo menig vogelkijn.

"Die bloemkes spruten in 't kruud." - 'Herba flores facit', - "Harba lori fa!". Ach so!
Das hat man uns in der Grundschule nicht beigebracht.

Hier Hoffmanns entschärfte Version:

Der Winter ist vergangen,
ich seh des Maien Schein,
ich seh die Blümlein prangen,
des ist mein Herz erfreut.
So fern in jenem Tale,
da ist gar lustig sein,
da singt Frau Nachtigale
und manch Waldvögelein.

Hertog Jans Fähigkeiten als Kämpfer wurden ihm zum Verhängnis. 1294 wurde er in Bar-Le-Duc in einem Turnier getötet. Er wurde in Brüssel bestattet, more teutonico, was mich auf eine morbide Art fasziniert. Sein Leichnam wurde gekocht? Wieso das denn?*

*Inzwischen habe ich mich etwas schlauer gemacht. Der "mos teutonicus" war eine Methode,
verstorbene Kreuzritter ("Teutonen" in einem weiten Sinne) zurück nach Europa zu befördern,
ohne die unangenehmen Folgen des monatelangen Transports zurück in die Heimat, wo die Ritter
bevorzugt beerdigt werden wollten. Der Körper wurde in Wasser oder Wein gekocht, das Fleisch
gepökelt für den Transport, wenn es nicht in Palästina beerdigt wurde und das Skelett gereinigt.
Das erklärt natürlich nicht, weswegen ausgerechnet Herzog Jan, der seine martialische
Fähigkeiten eher in der Gegend Kölns beweisen konnte als in Palästina, more teutonico
beerdigt wurde. Vielleicht war man der Meinung, dass eine Zubereitung in Wein noch am ehesten 
mit den herzöglichen Angewohnheiten vor seinem Ableben in Übereinstimmung zu bringen war.

** Frank Willaert "Niederländische Lyrik"

Hugo Claus. In Flanders Fields.

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