Samstag, 7. September 2024

Anton de Kom. Strijden ga ik - Ich werde kämpfen.

 

Cornelis Gerard Anton de Kom (1898 - 1945)

In einem früheren Post habe ich versucht Antoine de Koms Gedicht "Mijn Opa is zo bloot" (mein Opa ist so nackt) für mich selbst und für mein imaginiertes deutsches Publikum zu erklären. Antoine de Koms Gedicht ist seinem Großvater Anton de Kom gewidmet. Anton de Kom war vieles: Aufklärer über die Sklaverei in Suriname und derer fortdauernde Folgen, Arbeiterberater, Kritiker der Misstände der Kontraktarbeit und Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung der Niederlande. Ein bewundernswerter Mann. Er war auch Autor des anti-kolonialistischen Manifests "Wij Slaven van Suriname", das 1934 in zensierter Form erschien und bald darauf verboten wurde. Erst 1980 erschien es ungekürzt in den Niederlanden, dann aber mit großem Erfolg. In 2021 erschien es als "Wir Sklaven von Suriname" auf Deutsch.  


Wij Slaven van Suriname, Auflage 1934

                                                                                                                             Deutsche Auflage 2021


Nach seinem Abschluss als Diplom-Buchhalter in Paramaribo (der Hauptort Surinames) arbeitete de Kom von 1916 bis 1920 als Angestellter der Balata-Compagnie***.


Die Konzessionsgebiete der Balata-Compagnie in Suriname in 1920



Nach Beendung der Sklaverei (1863*) versuchten die Niederlande nicht nur die Nachfahren der Sklaven, sondern auch Arbeiter aus anderen Gegenden (Britisch Guyana, Britisch Indien, Niederländisch Indien) für die Plantagearbeit einzusetzen. Die Kreolen, Javanen und Hindustanen arbeiteten für die Balata-Compagnie unter dem System der s.g. "Livrets". Schon seit 1909 galt das Livretsystem, in denen die Arbeitsbedingungen der ungelernten Kontraktarbeiter festgelegt wurden. Viel mehr Freiheit als die Sklaven in der gar nicht so vergangenen Vergangenheit hatten die Kontraktarbeiter nicht. De Kom engagierte sich für die Interessen der Arbeiter, aber in 1920 kündigte er und zog in die Niederlande. Die genauen Gründe für seine Kündigung fand ich nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass sie in Zusammenhang standen mit der praktischen Unmöglichkeit als kleiner Angestellter etwas für die Arbeiter zu erreichen. Vielleicht auch, dass der Plan für das spätere "Wir Sklaven von Suriname" in ihm reifte und die Notwendigkeit des Quellenstudiums entstand. In den Niederlanden war de Kom aktiv in der linken Presse und Politik und es entstanden Beziehungen mit antikolonialen Aktivisten aus Niederländisch-Indien, Beziehungen die sich bis Suriname herumsprachen, die aber auch alle Alarmschellen der niederländischen Autoritäten klingeln ließen. Denn Indien, später Indonesien, war ein ganz anderes Kapitel als das im Königreich winzige Suriname, mit seinen damals ungefähr 140000 Einwohnern. Der gefährliche Unruhestifter musste unbedingt in strenge verdeckte und nicht verdeckte Quarantäne.

In dieser Zeit arbeitete de Kom an "Wir Sklaven von Suriname". Er konnte die Arbeit nicht abrunden, weil er in 1932 mit seiner Familie zurück nach Suriname zog, wegen der Gesundheitszustand seiner Mutter, die verstarb bevor er Suriname erreichte. Der Ankunft der de Koms am 4. Januar hatte sich herumgesprochen und sie wurden von einer großen Menge am Hafen begrüßt. In Paramaribo gründete de Kom ein Beratungsunternehmen für Kontraktarbeiter im Hof seiner Eltern. Einen Monat später organisierte er einen Aufmarsch der Kontraktarbeiter zur Residenz des Gouverneurs, um für die Rechte der Arbeiter zu protestieren. Er wurde verhaftet und ohne jegliche rechtliche Grundlage eingesperrt im "Fort Zeelandia".

Eine Woche Später versammelte sich eine protestierende Menge vor der Niederlassung des General-Staatsanwalts. Als das Gerücht sich verbreitete, dass man de Kom freilassen würde, wollte die Menge den Platz nicht verlassen. Die Polizei trat auf den Plan, es wurde geschossen, es gab Tote und Verletzte. De Kom und Familie wurden in Mai ohne weitere prozedurale Feinheiten nach Holland zurück verschifft.

Während seiner Zeit als Angestellter bei der Balata-Compagnie hatte de Kom das Livretsystem auf das Beste kennengelernt. Gegen die Bedingungen des Livrets der Balata-Compagnie protestiert de Kom in "Wir Sklaven von Suriname". Einige Zeilen übersetze ich hier. Das von mir benutzte Wort "Neger" in der Übersetzung stimmt überein mit der Verwendung durch de Kom, der eine Begabung für Sarkasmus hatte:
"Die Balata-Compagnie legt dem Neger ihr "Livret" vor, ein umfangreiches Gesetzbuch,...ohne gesetzliche Grundlage, ... aber geschützt durch Polizei und Armee. Und der Neger unterschreibt. "In vollkommener Freiheit" unterschreibt er mit Daumenabdruck,...und ab diesem Augenblick ist der Unterschied zwischen ehemaligem Sklaven und freiwilligem Kontraktarbeiter wahrlich nicht groß."

"Der Neger ist verpflichtet jede ihm aufgetragene Arbeit...genau nach Vorschrift auszuführen.
Die Gesellschaft hat jederzeit das Recht den Vertrag ohne Aufgabe von Gründen zu beenden, bei einer Kompensierung von 10,- Gulden.
Der Neger darf keinen  Besuch empfangen, ... auch nicht von seiner Frau,...
Der Neger darf das Arbeitsgelände nicht verlassen,...
Der Neger erhält keine Bezahlung für ihm aufgetragene Arbeiten, falls diese für seine persönliche Arbeitsumstände unumgänglich sind...
Er erhält keine Bezahlung für den Transport der Balata.
Er erhält keine Entschädigung für die Übername von Aufgaben von kranken oder verunfallten Kameraden..."

De Kom führt die Liste der Bedingungen, denen die Kontraktarbeiter unterworfen sind weiter, ich habe hier nur einige der Bestimmungen des Würgevertrags gezeigt. De Kom wusste also genau worüber er sprach und das Gedicht "Der Balatableeder" bezieht sich fast Punktgenau auf das "Livret" und seine Folgen.
De Kom hat immer Gedichte geschrieben, aber die Umstände machten eine ordentliche Veröffentlichung unmöglich. Ein etwas obskures Band erschien in 1934.  Erst 1969 veröffentlichten surinamesische Studenten Gedichte daraus im Selbstverlag. In der Digitalen Bibliothek der Niederländischen Literatur findet man das Heftchen.   


Strijden ga ik, Heft 1969

"De Balatableeder" in de Koms Notitzbuch

De Koms Gedicht bezieht sich also auf die Bedingungen des Vertrags zu denen die Kontraktarbeiter verpflichtet wurden und dadurch in eine neue Art der Sklaverei gezwungen. Als antikoloniale Kampfpoesie kümmert es sich nicht gross um den poetischen Feinschliff und ist deswegen um so wirksamer.

Der Balatableeder**


Die schönen Tage sind vorbei

Kuli, Bleeder, Sklave feierte das Billigvergnügen

Ohne Arbeit streunend an den gold'nen Küsten

Anwerber sind voll dabei Arbeitstiere anzulügen,

So viele wie's den Bürgern mag gelüsten.  


Vor dem weißen Staatsvertreter

Kontrakt geschlossen, Daumenabdruck abgegeben

Mickervorschuss für den Sklaven, Anwerber kriegt reichlich Knete

Kontraktarbeiters Pläne voll daneben.

Frau und Kindern nix zum Geben.


Tief im Inland mitten im  Dickicht

Undurchdringbar, Romantik voller Schönheit,

Sumpf, Elend, Giftschlangen im Gestrüpp

Sklave ringt, kämpft, oft mit Krankheit

Hohe Rechnung, Verstehen ist nicht.


Neun Monate später zahlt die Compagnie***

Ab 3er-4er-5er-6er Qualität°

Nimm deinen Hungerlohn, halt dein Maul

Kein Wort über die Quantität

Recht bekommt die Firma, du aber nie.


Im Urwald, zwischen schönen Farnen

Ein Arbeiter stirbt, ein Prolet weniger

Was soll's, es ist nicht einer von den Oberen

Was schert ein Schwarzer oder Farbiger 

Der Bleeder weiß, er hält das Klewang in Händen.°°

(Übersetzung Jaap Hoepelman, August 2024)

De Balatableeder

Etwas mehr über de Kom und sein tragisches Schicksal findet man in meinem Post über das Gedicht seines Enkels, Antoine de Kom, das ich oben erwähnte und das mit dem vorliegenden Post als Einheit gelesen werden kann.

* 1863 ist das offizielle Ende der Sklaverei in Suriname. Mit Hilfe vertraglicher Bestimmungen wurde der Zustand der Abhängigkeit faktisch erst 1873 beendet...oder aber auch nicht, wie de Kom uns lehrt.

** Balata - Kautschuk. Balatableeder (vom englischen Verb "to bleed") - Kautschukzapfer. Balata spielte eine wichtige Rolle bei der Isolierung von Unterseekabeln.

*** Die Compagnie - "De Balata Maatschappij" - "Die Balata Gesellschaft, 'der Korken auf dem die Kolonie schwimmt', das Hätschelkind der Regierung, ...bis zur Krise von 1931" (Wij Slaven, p. 144)

° "Ab 3er-4er-5er-6er Qualität. Im Kapitel "Die Kontraktarbeit", heißt es, dass die Balata-Compagnie "später bezahlt für 1-e, 2-e, 3-e Qualität" und dass der Verdienst abhängt von der eingesammelten Menge.

°° "Klewang". In "Wij slaven van Suriname" (Seite 164), nennt de Kom das lange Messer der Balatableeder ein "Owru". Das "Klewang" war ein eher in niederländisch Indien eingesetztes, einschneidiges Langmesser mit einer gebogenen, schweren Spitze, ein Arbeitsgerät, aber auch eine gefürchtete Waffe der niederländisch indischen Armee. Dies mag der Grund sein, dass de Kom im Gedicht nicht von "Owru" spricht, sondern, wegen des furchterregenden Rufs, von "Klewang".


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