In einem früheren Post habe ich versucht Antoine de Koms Gedicht "Mijn Opa is zo bloot" (mein Opa ist so nackt) für mich selbst und für mein imaginiertes deutsches Publikum zu erklären. Antoine de Koms Gedicht ist seinem Großvater Anton de Kom gewidmet. Anton de Kom war vieles: Aufklärer über die Sklaverei in Suriname und derer fortdauernde Folgen, Arbeiterberater, Kritiker der Misstände der Kontraktarbeit und Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung der Niederlande. Ein bewundernswerter Mann. Er war auch Autor des anti-kolonialistischen Manifests "Wij Slaven van Suriname", das 1934 in zensierter Form erschien und bald darauf verboten wurde. Erst 1980 erschien es ungekürzt in den Niederlanden, dann aber mit großem Erfolg. In 2021 erschien es als "Wir Sklaven von Suriname" auf Deutsch.
Eine Woche Später versammelte sich eine protestierende Menge vor der Niederlassung des General-Staatsanwalts. Als das Gerücht sich verbreitete, dass man de Kom freilassen würde, wollte die Menge den Platz nicht verlassen. Die Polizei trat auf den Plan, es wurde geschossen, es gab Tote und Verletzte. De Kom und Familie wurden in Mai ohne weitere prozedurale Feinheiten nach Holland zurück verschifft.
Strijden ga ik, Heft 1969
Der Balatableeder**
Die schönen Tage sind vorbei
Kuli, Bleeder, Sklave feierte das Billigvergnügen
Ohne Arbeit streunend an den gold'nen Küsten
Anwerber sind voll dabei Arbeitstiere anzulügen,
So viele wie's den Bürgern mag gelüsten.
Vor dem weißen Staatsvertreter
Kontrakt geschlossen, Daumenabdruck abgegeben
Mickervorschuss für den Sklaven, Anwerber kriegt reichlich Knete
Kontraktarbeiters Pläne voll daneben.
Frau und Kindern nix zum Geben.
Tief im Inland mitten im Dickicht
Undurchdringbar, Romantik voller Schönheit,
Sumpf, Elend, Giftschlangen im Gestrüpp
Sklave ringt, kämpft, oft mit Krankheit
Hohe Rechnung, Verstehen ist nicht.
Neun Monate später zahlt die Compagnie***
Ab 3er-4er-5er-6er Qualität°
Nimm deinen Hungerlohn, halt dein Maul
Kein Wort über die Quantität
Recht bekommt die Firma, du aber nie.
Im Urwald, zwischen schönen Farnen
Ein Arbeiter stirbt, ein Prolet weniger
Was soll's, es ist nicht einer von den Oberen
Was schert ein Schwarzer oder Farbiger
Der Bleeder weiß, er hält das Klewang in Händen.°°
(Übersetzung Jaap Hoepelman, August 2024)
Etwas mehr über de Kom und sein tragisches Schicksal findet man in meinem Post über das Gedicht seines Enkels, Antoine de Kom, das ich oben erwähnte und das mit dem vorliegenden Post als Einheit gelesen werden kann.
* 1863 ist das offizielle Ende der Sklaverei in Suriname. Mit Hilfe vertraglicher Bestimmungen wurde der Zustand der Abhängigkeit faktisch erst 1873 beendet...oder aber auch nicht, wie de Kom uns lehrt.
** Balata - Kautschuk. Balatableeder (vom englischen Verb "to bleed") - Kautschukzapfer. Balata spielte eine wichtige Rolle bei der Isolierung von Unterseekabeln.
*** Die Compagnie - "De Balata Maatschappij" - "Die Balata Gesellschaft, 'der Korken auf dem die Kolonie schwimmt', das Hätschelkind der Regierung, ...bis zur Krise von 1931" (Wij Slaven, p. 144)
° "Ab 3er-4er-5er-6er Qualität. Im Kapitel "Die Kontraktarbeit", heißt es, dass die Balata-Compagnie "später bezahlt für 1-e, 2-e, 3-e Qualität" und dass der Verdienst abhängt von der eingesammelten Menge.
°° "Klewang". In "Wij slaven van Suriname" (Seite 164), nennt de Kom das lange Messer der Balatableeder ein "Owru". Das "Klewang" war ein eher in niederländisch Indien eingesetztes, einschneidiges Langmesser mit einer gebogenen, schweren Spitze, ein Arbeitsgerät, aber auch eine gefürchtete Waffe der niederländisch indischen Armee. Dies mag der Grund sein, dass de Kom im Gedicht nicht von "Owru" spricht, sondern, wegen des furchterregenden Rufs, von "Klewang".