Samstag, 20. September 2025

Reineke Fuchs. Der Anfang der Geschichte

 

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Reineke Fuchs
oder
Van de vos Reynaerde


von
Willem die Madocke maecte
 
Übersetzung Jaap Hoepelman 

Aus dem Mittelniederländischen,  Januar 2021.

"Reineke Fuchs? Den kennen wir doch?" Schon, aber wenig bekannt ist, dass Goethes Nachdichtung basiert auf einer  flämisch-niederländische Dichtung aus dem 13. Jahrhundert. Auch diese hatte eine lange Vorgeschichte. Die flämische Version wurde von einem Autor geschrieben, der sich "Willem die Madocke maecte"  ("Willem, der Madocke machte“) nannte, der aus Ost-Flandern stammte,  über den ansonsten wenig bekannt ist. 
"Van de Vos Reynaerde" gilt als ein Höhepunkt der mittelniederländischen Literatur. Der Text ist überraschend modern in seinem Sarkasmus ohne aufgesetzte Kunstfertigkeit. Willem gelang eine Kombination von Gesellschaftskritik, Satire, Abenteuergeschichte und Bubenstück. "Reynaerde" wird in dieser Übertragung "Reynaert" oder "Reyn" genannt. "Reynaert" bedeutet ""mit reinem Charakter". Nomen est omen...Reynaert zeigt in "Van de vos Reynaerde" nicht die Spur der moralischen Makellosigkeit eines ordentlichen Helden. Er war ein Betrüger, Sadist, Räuber, Schänder, Lügner... Seine Opfer waren aber nicht besser, nur dümmer, verschwiemelter, frömmelnder, habgieriger und verlogener. Der „Reynaert“ ist mittelalterlich drastisch, aber für Willems Zeitgenossen muss es ein Genuss gewesen sein, dass wirklich alle ihr Fett abbekamen.

Wer Lust und Zeit hat, die vollständige Geschichte zu lesen, um fest zu stellen, dass es nichts neues unter der Sonne gibt, der klicke hier

I

Der Hoftag

De Middel-Nederlandse Reinaert-verhalen in toegankelijke ...

Es war Pfingsten und zum Dank,
dass der Geist heruntersank
stand der Lenz in voller Blüte,
die Schwalben zeigten sich; es grünte
allenthalben. König Nobel nutzte die Gelegenheit,
sich zu zeigen sich in voller Wichtigkeit.
Also erging der bindende
Befehl sich unverweilt am Hofe einzufinden,
und alle Tiere, groß und klein,
trafen sich zum Hoftag ein.
Reynaert Fuchs hatte verzichtet,
viel Böses wurde über ihn berichtet,
es wär' wohl schlauer, meinte Reyn 
am Hoftag nicht dabei zu sein.

Alle Tiere hatten Grund zur Klage. Insbesondere Isengrim, der Wolf. Warum Reynaert gerade ihn auf dem Kieker hatte?  Nun, Isengrim ist ein grobschlächtiger Blödmann, aber ein großes Raubtier, also von hohem Adel. Reynaert ist ihm weit überlegen, aber er ist nur ein kleines Raubtier. Also aus niederem Adel. Wie im richtigen Leben: Das bringt Hass und Neid hervor, die sich hemmungslos austoben....

Den Anfang machte Isengrim.
Er hatte Grund für seinen Grimm!
„Sire, Ihro Majestät!
Kein Unrecht, das vor Ihrem Blick besteht,
kein Tort, wie uns von Reynaert angetan.
Was hat er meiner Frau getan,
und mich verdroschen und verhöhnt nicht minder!
Schlimmer noch! Was tat er meinen Kindern?!
Er tat was unverzeihlich ist:
Im Schlaf hat er sie vollgepisst.
Stockblind seitdem das erste Kind,
das zweite, und das dritte, Sire: Blind!

Auch Courtois der Mops und Kater Tybeert tragen ihre Beschwerden vor. Leider widersprechen ihre Aussagen sich im zentralen Punkt: Wem die gestohlenen Würstchen wohl gehören. 

Der Mops beklagte en français das Schicksal,
das ihm, dem armen Hund, nicht mal
un petit morceau de la saucisse
in aller Ruhe fressen ließe,
nichts blieb Courtois von diesem ´appeng
weil salopard Renard! es konnte schnappeng!
"Und dies, bedenken Majesté,
im Winter war, bei Frost und Schnee!"
Jetzt aber, aufgebracht, im Zorn,
schleicht Kater Tybeert sich nach vorn.
"Nicht nur Majestät allein
hat Gründe, außer sich zu sein.
Niemand hier in diesem Rund
hat zu klagen keinen Grund.
Doch Courtois erstaunt mich sehr -
die Würstchen - das ist lange her.
Zudem, sie waren gar nicht seine,
Majestät, die Würstchen waren meine!

Nicht ohne die eigene Rolle im günstigen Licht erscheinen zu lassen, berichtet Pancer der Biber über Reynaerts merkwürdigen Umgang mit dem niederen Grasfresser Cuwaert dem Hasen, der im Verlauf der Geschichte noch eine traurige Rolle spielen wird:

Pancer, der Biber, wiederum
sprach "Majestät, ich frage mich, warum
lässt man ihn laufen, diesen Mörder und Halunken!
Was hat er nicht erlogen und erstunken!
Meine Herren! Majestät! auch Sie
düpiert er für ein Federvieh!
Dem Hasen Cuwaert - neben mir -,
hört was Reynaert tat dem tadellosen Tier.
Cuwaert hat sich nämlich ernsthaft vor-
genommen Kapellan zu werden. Chor-
gesang gehört dazu. Fleißig übte er vokal
das Kredo, doch mit einem Mal,
beim „homo factus“, hört die Messe auf.

Opdrachten Middeleeuwen blok 3

Ich beschleunigte den Lauf
und sah, wie Reynaert mit dem kleinen,
festgeklemmt zwischen den Beinen,
sich an des Hasen Kopf und Kragen macht,
fast hätte er ihn umgebracht,
wenn ich nicht, Sire Majestät,
- dank Gott, es war noch nicht zu spät -,
entschlossen eingeschritten wäre
zu beenden diese fromme Lehre.
Edle Herren! Wie ist er  versehrt!
Wie stehen Kopf und Hals verkehrt!
Offensichtlich ist dem Dieb
nicht mal des Königs Frieden lieb!"

Die feudale Gesellschaft war in Sippen gegliedert. Die Mitglieder einer Sippe hielten zusammen und also springt Dachs Grimbeert, von niederem Adel, Reynaert bei:

Doch Grimbeert Dachs, der nicht verknuste
was er vom Oheim hören musste,
trat auf als Reynaerts Advokat.
Ein Sprüchlein hatte er parat:
„'Feindes Mund,
tut Falsches kund!':
Wieso steht Isengrims Gelichter
nicht als erstes vor dem Richter?"

Grimbeert fährt fort, das Verhältnis von Isengrim und Reynaert näher auszuleuchten:

"Wer, vom Karren voller Fischen
warf die Schollen und die Klieschen?
Du warst es! Und wer sammelte sie alle,
als sie in den Staub gefallen?
Du! Wer fraß sie alle in sich,
und ließ für ihn nur Gräten übrig?
Du! Dazu am Strick die Seite Speck?
Ein Happen und der Speck war weg!
Vergessen? Und als Reyn dich fragt dabei,
ob etwas für ihn übrig sei,
da höhntest du: 'Hier ist der Strick,
aber Vorsicht, Fett macht dick!'"

Auch andere Aspekte ihrer Beziehung werden eingehend besprochen:

"Es heult der treue Ehemann:
„Meine Frau nahm Reynaert ran!“.
Mindestens sind‘s sieben Jahre,
dass die zwei sich öfters paaren.
Durch ihre geile Lust getrieben
sind sie einander treu geblieben.
Was ist dabei? Eine Begattung! -
das Gegenteil einer Bestattung!"

Die auf französisch vorgebrachte Beschwerde des Mopshundes Courtois wird einwandfrei widerlegt:

"Und dann Courtois und die Saucisse,
die aber Reynaert seine ieße!
Die Klage folglich ohne Gegenstand!
Wo geht es hin mit diesem Land?
Der Mops, noch nicht einmal Jurist,
erklärt, dass mopsen Sünde ist?!"

Zum Schluss wartet Grimbeert mit der Nachricht auf, die alles Vorhergehende überflüssig machen und zum endgültigen Freispruch führen soll:

"Doch edle Herren allesamt,
längst ist es nicht mehr relevant,
denn Reynaert trägt ein haaren Kleid,
seit  Frieden und Gerechtigkeit
per Gesetz in Wirkung traten.
Deshalb - die erste seiner  Taten -
ist Reyn in eine Klause eingetreten,
wo seine Zeit vergeht mit beten.
Ja, die tägliche Kasteiung
ist für den Sünder wie Befreiung.
Aus Bußetuung schöpft er Kraft
isst Hirsebrei, trinkt Wurzelsaft.
Manpertus, seine Burg, hat er begeben.
Mager, bleich und fleischlos will er leben.
Sündenfreiheit  hofft er zu erreichen
und alle Schäden auszugleichen."

An diesem Augenblick tritt eine Wendung ein, die ernste Zweifel an Reynaerts sittliche Besserung aufkommen lässt:

Gerade wollte Grimm den Schluss erreichen,
da sah man einen Zug vom Hang herunter steigen,
vorne Canteclair, dahinter Coppe ohne Kopf.
Reyn hatte sie bei Kopf und Kropf
gepackt und alles abgebissen.
Dies ungeheure Sakrileg mußte der König wissen.
Canteclair, breit  schreitend von den Hügeln,
schlug langsam mit den beiden Flügeln.
Zur Linken und zur Rechten kam geschritten
die Vertretung aus der Sippe.
Cantaert ging links, und rechts befand,
in voller Pracht, sich Hahn Crayant,
der schönste Hahn im Flandernland.

illustratie

Canteclair schildert bewegt, wie es Reynaert durch einen unheiligen Trick gelingt ein Massaker unter den süßen Kücken anzurichten:

"der Frühling kam mit Blütenpracht,
die Schar wuchs auf; der Söhne acht,
der Töchter waren's geschätzte sieben.
Wie viele Spiele haben sie getrieben!
Bebrütet hat sie Henne Rode,
wie kunstvoll kratzte sie am Boden!
Sie waren stramm, gesund und rund;
und ihr Zuhause war ein Grund-
stück, geschützt mit einer Mauer,
kein Räuber lag hier auf der Lauer,
denn wurde einer zu begehrlich,
so wurde es für ihn gefährlich:
Im Schuppen hausten scharfe Bracken,
abgerichtet Räuberfleisch zu packen.
Die kleinen scharrten also unbesorgt.
Doch ach! Die Zeit war nur geborgt!
Zwei Wochen ließ er uns in Frieden,
mehr war uns leider nicht beschieden.

 The Tobacco Pipe Artistory: Reineke Fuchs and Meerschaum Pipes

Wenig später stand er draußen
wie ein reuevoller Klausner,
mit einem Siegelstück, das sagte,
dass es Majestät behagte,
dass alle Tiere aller Arten
treu des Königs Frieden wahrten.
Dazu noch führt der Schurke aus,
dass er wohnt in einer Klause,
sich mit Regelmaß kasteit
für seiner Seele Seligkeit.
Pilgerstab und Kutte fromm dabei
aus Langaerde, der Abtei,
und ein haaren Büßerkleid.
'Canteclair, von Sorgen sei befreit,
auf der Kasel habe ich geschworen:
Nichts haben Fleisch und Schmalz verloren
in meinem Alter und ich bete  - alldieweil,
es geht jetzt um mein Seelenheil.
Vesper, Non und Prim hab' ich zu sagen
jede Stunde, alle Tage.'
Er spricht den Segen über mich
und setzt mit frommer Miene sich
zum Beten. Frohgemut ließ ich die Kinder
scharren. Diese freuten sich nicht minder!
Bald hat das Beten er gelassen,
um uns draußen abzupassen.
Ich konnte leider nicht verhindern,
dass er das kleinste von den Kindern
hat gerissen. Er war wie im Delirium.
Der Anfang des Martyriums!
Er war auf den Geschmack gekommen,
mehr und mehr hat er genommen!
Nicht länger halfen uns die Bracken,
er konnte viele Küken packen,
bis von der ganzen Kinderschar
nur eine Vierzahl übrig war."

Auch wenn es sich nur um Hühner handelt, einen solchen Verstoß gegen das von ihm erlassene Friedensgebot kann Nobel nicht hinnehmen. Zunächst aber ist Besinnlichkeit angesagt:

"Wir konnten Coppes Zeit nur borgen,
Gottvater wird für ihre Seele sorgen.
Ich befehle, dass für Coppe nun erklinge
die Vigilie. Fanget an zu singen!

 Reynaert in tweevoud. Deel 1. Van den vos Reynaerde · dbnl

Sodann erwarten wir den Rat,
wie man bestraft ihn für die Tat."
Nun fing der Hofstaat an mit "do"
des "Placebo Domino".
Alle Verse mit Responsen, alle Texte zum Geleit,
leider reicht uns nicht die Zeit.
    Bei der Linde, tief bewegt,
wurde Coppe abgelegt.
In ein Grab ließ man sie ein,
darauf ein weißer Marmorstein,
auf dem, in schönster Antiqua,
legte man ihr Schicksal dar:
'Hier liegt begraben Henne Coppe,
  beim Kratzen war sie nicht zu toppen.
Reynaert hat den Mord verrichtet,
die Hühnersippe fast vernichtet.'

Dann wird Braun Bär vom Hofrat zum Emissär bestimmt, um Reynaert unter Androhung schrecklichster Strafen zum Hofe vorzuladen.  Brauns Schicksal nimmt seinen Lauf:

"Doch diese Warnung merk‘ dir gut:
Vor Reynaert sei wohl auf der Hut!
Du weißt doch, dass er Streiche tut!
Er fleht, er lügt, er schwört beim Blut,
Wenn's ihm gelingt, das sei dir klar,
stehst du wie Narr und Blödbär da."
"Majestät, ich danke für die Predigt,
doch dieser Fuchs ist fast erledigt.
Der spielt bald keine Streiche mehr,
ich bin ja nicht umsonst ein Bär!"

Tiecelijn. Jaargang 7 · dbnl




Reineke Fuchs. Der Anfang der Geschichte

  Reineke Fuchs oder Van de vos Reynaerde von Willem die Madocke maecte   Übersetzung Jaap Hoepelman  Aus dem Mittelniederländischen,  Janua...