Wir leben in nicht besonders guten Zeiten und der Hinweis, das es früher nicht besser war, ist auch nicht gerade "zielführend" wie man heute so sagt, egal was mit "Ziel" gemeint ist. Die Religion jedenfalls ist nicht unbedingt ein friedenstiftender Faktor. Für Vroman sind nicht die offiziellen Bekenntnisse, sondern ist alles in der Natur, ja die Natur selbst, heilig, sogar die eigenen Eingeweiden.
Gott ist eben überall, oder anders gesagt, alles ist göttlich, "Deus sive Natura" um mit Spinoza, fast naturwissenschaftlich, zu sprechen.
Das heißt nicht, dass das Denken über Gott oder Natur dadurch einfacher wird. Vroman vergleicht seine Gedanken mit Nachtfaltern, die hoffnungslos auf eine Scheibe prallen. Sein Gedicht "Nacht" ist in der Hinsicht vergleichbar mit Nijhoffs "Lied der törichten Bienen". Das große Licht ist tödlich für kleine Insekten wie wir.
Vromans "Ich Jude?" und "Nacht" passen somit vom Thema her gut zusammen in einem Post.
Leo Vroman
1995
Ich Jude?
Einen Jesusmäßigen Schlamassel
hast Du uns eingebrockt, o Herr.
Jude, Christ, Muslim: frommes Gescherr
hat uns, Sanftgläubigen, die Religion vermasselt.
So züchtet jede Gruppe einen Berg Verletzten,
verbunkert hinter stahlbesetzten
Rändern, wo Blindheit nicht als Mangel gilt
und Wahnsinn aus gerissenen Zähnen quillt.
Während ich glaube, dass alles heilig ist.
Sogar die eignen Eingeweiden,
wo keine Zelle und kein Atemzug je sicher ist,
kann ich von meinem Fleisch nicht scheiden.
„Psalmen“ 1995,
übersetz. J. Hoepelman Nov. 2016
Ik Jood?
Leo Vroman
1964
Nacht
Tiefer vornüber kann ich mich nicht beugen
über den Rand der Welt, unterbelichtet.
Mit dem Gesicht auf blinde Finsternis gerichtet
kann ich mich von Gottes Glanz nicht überzeugen.
Die fernste Näherung betracht' ich in den vielen
Gedanken, die ich sende in die Leere;
wenige nur, die wiederkehren,
doch ich verliere mich verbissen spielend
in meinem Schmerz, der sich zur Lust betäubt,
wenn ihren Wiederkehr, grausam versehrt,
ich als ein sich'res Zeichen Seines Daseins werte:
Dort gibt es eine Wand auf die, wer gläubig
fliegt zu Seinem Licht, geblendet prallt.
Vielleicht gibt in der stillsten Nacht
Er auf das kranke Flattern Acht,
wenn mein Denken raschelnd auf Sein Fenster knallt.
Aus: 262 gedichten
Querido 1964
Übersetzung Jaap Hoepelman 2017
Nacht