"Für wen dies liest" ist eines der früheren Gedichte Vromans. In 1949 waren Vroman und Tineke Sanders gerade 2 Jahre verheiratet, endlich zusammen, nachdem sie, verlobt in 1938, seit 1940 durch Vromans Internierung in japanischer Gefangenschaft getrennt gewesen waren. Die Intensität und der feierliche Ton des Gedichts scheinen dem zu entsprechen. Eine Liebeserklärung an Tineke. Der Titel jedoch beinhaltet mehr. "Für wen dies liest"... das sind Sie, lieber Leser, der Sie die gedruckten Lettern gerade vor Augen haben. Der Dichter versucht intensivst mit Ihnen in Verbindung zu treten, und bittet um Vergebung für seine Verletzlichkeit. Und doch, und zugleicherzeit...jetzt muss ich um Verzeihung bitten dafür, dass ich Sie langweilen muss mit einer Besonderheit der niederländischen Grammatik. Das Gedicht spricht zu einem Leser, der durchgehend mit "Gij", gebeugte Form "U" (großgeschrieben) angesprochen wird. "Gij/U" sind sehr formell, sehr feierlich. Gott spricht man mit "Gij" an. Die intime Form ist "jij/je". Und genau diesen Wechsel vollzieht Vroman in der letzten Zeile. Ich zeige hier die 5 letzten Zeilen auf Niederländisch, um die Wirkung dar zu stellen:
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tenzij Gij door de liefde zijt gedreven. ("Gij", "zijt" - beides gehoben)
Lees dit dan als een lang verwachte brief,
en wees gerust, en vrees niet de gedachte
dat U door deze woorden werd gekust:("U" - wiederum gehoben)
Ik heb je zo lief. ("je" - intim)
Jetzt haben wir aber ein Problem im Deutschen: Den Gegensatz "Gij" - "jij" gibt es nicht, man muss sich behelfen mit "Du" - "du". Dadurch kommt die auf Einmal eintretende Intimität - ist das Gedicht nicht doch eine Liebeserklärung an Tineke, oder an beide, Leser und Tineke? - leider gesprochen nicht voll zur Geltung. Ich musste mich mit "Du/Dich" - "dich" behelfen. Ich hoffe, Sie fühlen sich trotzdem angesprochen...
Tineke Vroman-Sanders (1921-2015) war antropologin und Schriftstellerin eigenen Ranges. Sie und Leo Vroman blieben ihr ganzes Leben zusammen. Davon berührende Zeugnisse in einigen späteren Posts. Als Dichterin veröffentlichte sie anfänglich unter ihrem Mädchennamen, Georgine Sanders.
Leo Vroman
1949
Für wen dies liest
Zum Lesen geb' ich Dir gedruckte Zeichen,
doch mit dem warmen Mund kann ich nicht sprechen,
die heiße Hand durch das Papier nicht stechen;
was kann ich tun? Ich kann Dich nicht erreichen
O, wenn ich trösten könnte, könnt ich weinen.
Komm, leg' Deine Hand auf das Papier; auf meine Haut;
erweiche dieses fremde durch den Druck Versteinern
des geschriebenen Wortes, oder sag es laut.
Manche Verse hab' ich schon geschrieben,
manch einem bin ich fremd geblieben
und den Gekränkten weiß ich nichts zu geben:
Liebe ist das einzige.
Liebe ist es meistens auch gewesen,
die mir den Bleistift in der Hand bewegte
bis ich mich schlafend über die Worte legte,
die Du jetzt wach wirst lesen.
Ich möchte unter dieser Seite sein
quer durch die Lettern des Gedichts
schauen in Dein lesendes Gesicht
und schmachten nach dem Schmelzen Deiner Pein.
Weck bitte diese Worte nicht vergebens,
Sie können sich ihr Nacktsein nicht vergeben;
und dass Dein Blick ihr Innerstes nicht streift
wenn Dich nicht Liebe dazu treibt.
Lies dies dann, wie den lang ersehnten Schrieb,
und sei beruhigt, und fürchte den Gedanken nicht,
dass Du von diesen Worten wardst geküsst:
Ich habe dich so lieb.
Überstzung J. Hoepelman
2017
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