Samstag, 2. August 2025

Jeremias de Decker und der Hexenglaube

 



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Rembrandt, Porträt
des Jeremias de Decker 1609-1666

1782 wurde Anna Göldi in Glarus in der Schweiz als letzte Hexe in Europa verbrannt. Das war fast 100 Jahre nachdem in Amsterdam 1691 Balthazar Bekkers "Betoverde Wereld" erschienen war (1693 auf Deutsch als "Die Bezauberte Welt" veröffentlicht)

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Balthazar Bekker
1634 - 1698

Bekkers Fundamentalkritik wurde in ganz Europa eifrig  studiert. Sein Buch wurde ihm aber von der reformierten Kirche nicht in Dank abgenommen. Die Kirche setzte ihn als Prediger ab und schloss ihn vom Abendmahl aus. Der Oberbürgermeister von Amsterdam jedoch, der Mathematiker Johannes Hudde, bestimmte, dass Bekkers Gehalt weiterhin bezahlt wurde, was diesem ermöglichte zu überleben und zu arbeiten.
Noch einmal fast hundert Jahre früher, 1603, fand in der Provinz Holland die letzte Hexenverbrennung statt. Das Gedicht von Jeremias de Decker zeigt, dass Kritik am Hexenglauben sich wenig später allgemein verbreitet hatte. 
De Decker war Händler in Gewürzen und auch der Mennonit Abraham Palingh, zu dessen Traktat de Deckers Gedicht die Einleitung darstellte, war ein kleiner Kaufmann. 



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Palinghs "Maske der Zauberei abgerissen"

Kritik am Hexenglauben hatte es immer schon gegeben, sie kam aber von gelehrten Theologen und Doktores der Medizin. Das besondere an de Decker und Palingh war, dass sie nicht zur intellektuellen Elite gehörten, wobei de Decker sich durchaus zum geachteten und erfolgreichen Dichter entwickelt hatte. Beide waren eben Kaufleute in einer Republik von Kaufleuten, die mit der nüchternen Überprüfung von Rechnungen, Menge und Qualität von Gütern und der Zuverlässigkeit von Atlanten beschäftigt waren - nicht mit Hexengeschichten. Dazu kam, dass die Wissenschaft sich inzwischen sprunghaft entwickelt hatte. Es war die Zeit, dass man anfing, genau wahrzunehmen. Nicht länger nahm man fantastische Geschichten begeistert oder verängstigt hin, sondern man traute sich, einfach hinzuschauen, auch wenn es um Dinge ging, die eng mit Aberglauben und Ängsten verbunden waren. Zu Deckers Zeiten entdeckte Leeuwenhoek mit seinem Mikroskop Samenzellen, Bakterien im Mundschleim und vieles andere mehr, ohne Scheu vor den magischen Eigenschaften der Flüssigkeiten. Auch Leeuwenhoek war "nur" ein Kaufmann, und er entschuldigte sich in Briefen an die Royal Society ausführlich dafür, dass er nur Niederländisch konnte und kein Latein. Die Lage erinnert ein wenig an die Gründung der HBS in 1863.                                     
Der Arzt Swammerdam analysierte mit Hilfe des Mikroskops die Anatomie der bis dahin als wenig interessant betrachteten Insekten, entdeckte die roten Blutkörperchen, Ovarialfollikel, Kontraktion des Froschmuskels usw., usw.,


Bildergebnis für swammerdam



während Huygens, der kühle Physiker, die Ringe des Saturns, des Planeten der Alchimisten und Magier, beobachtete und den Mond Titan entdeckte, womöglich mit von Spinoza geschliffenen Linsen. Auch entwickelte er die Pendeluhr, unerlässlich für die genaue Wahrnehmung in naturwissenschaftliche Experimente und für genaue Positionsbestimmungen auf See.

      Bildergebnis für huygens pendeluhr

Hudde war kein unbedeutender Mathematiker. Er korrespondierte u.a. mit Leibniz, Newton, Bernoulli, Huygens und Spinoza. Er half seinem ehemaligen Kommilitonen Johan de Witt, dem "Raadspensionaris" (Premier) der Niederlande, mithilfe von Logarithmentafeln neuartige Tabellen für die Lebensversicherung zu entwickeln. Auch bestimmte er Methoden, die optimale Zuladung der VOC-Schiffe zu berechnen. Es waren keine guten Zeiten für den Hexenglauben: Aus einer breiten Schicht der Bevölkerung gingen Appelle an die Vernunft hervor, wie in diesem Gedicht aus 1659, 11 Jahre vor der Erscheinung von Spinozas Tractatus Theologico-Politicus und lange bevor die Aufklärung sich in gelehrten Kreisen verbreitet hatte.
Die Geschichte von Balthazar Bekker und der reformierten Kirche zeigt aber, dass noch ein langer Weg zu gehen war, auch in Holland.



Auf Abraham Palinghs
"Die Maske der Hexerei abgerissen"


Warum verliert die Zauberei
Diese verfluchte Raserei
An den Orten ihre Macht,
Wo der Glauben hingebracht,
Und nicht Menschenfirlefanz
Will verdunkeln seinen Glanz,
Zwingt Vernunft und Schrift zu schweigen
Und zu tanzen nach Roms Reigen?
Weil der Deibel flieht die Klarheit
Der neu hergestellten Wahrheit,
Und den blendendhellen Tag
Sein Auge nicht ertragen mag?
Oder ist es, weil am Tiber
Man mit Aberglaubenfieber
Geschäfte macht und dreist
Träufelt in den schlichten Geist
Einfacher Laien ohne Schrift
Ständig ein das Zaubergift,
Damit die Traum- und Lügenlehre
Man beständig hält in Ehren?
Ja, das ist es, das der Grund,
Dass in Rom zu jeder Stund'
Man ständig mit Papisten eifert,
Ständig gegen Hexen geifert,
Foltert, mordet außer Rand und Band!
Wenn doch nur Richter mit Verstand
Sich ernsthaft würden überlegen:
Nichts davon kann man belegen!
Und anstatt von Pfaffenthemen
Die Vernuft als Richtschnur nehmen;
Und nicht länger rasend schänden
Ihr Gewissen, dabei die Hände
Tunkend, blind, in wilder Wut,
In Strömen von unschuld'gem Blut!
Ihr schrägen Richter am Gericht,
Glaubt Ihr denn die Wahngeschicht',
Die Märe, dass ein armes Weib
Mit weichem Herz und schwachem Leib,
Ängstlich Schrecken meidend, Grauen,
Sich wohl tollkühn würde trauen
Sich mit dem Teufel einzulassen,
Erlauben ihm sie anzufassen
Und sie wäre dann im Stande
(Welch' verleumderische Schande!
Wie sie gottloser nicht sein kann!)
Zu bewirken, was nur Gott kann?
Wem, ja wem um alles in der Welt
Solcher Kinderkram gefällt?
Doch warum weilt Ihr noch hier?
Sucht Bescheid bei Johan Wier,
Oder Scots gelehrte Bände
Nehmt einmal in eure Hände,
Nicht Spinäus, nicht Bodin:
Wendet euch zum Palingh hin,
Der der faulen Zaubergeschicht'
Die Maske reißt vom Angesicht;
Den ganzen Irrsinn zerrt ins Licht;
Der mit dem Aberglauben bricht,
Der im Gekrös' von Opfertieren,
Im Vogelflug und Tirilieren,
Und in den Linien der Hand
Nie ein Quentchen Wahrheit fand;
Der hirnverbrannte Ceromanten,
Hydromanten, Geomanten,
Das ganze Wünschelrutenpack
Steckt in den großen Lügensack.
Der Amuletten, Salben, Zauberbrei
Entlarvt als Mumpitz, Augenwischerei,
Und die Magier der Ahnen,
Dardanos, Zalmolxis, zeigt als Scharlatane.
Du Zauberrichter, wenn Du dieses liest,
Dein Tun Dich trotzdem nicht verdrießt,
Du Dich noch immer nicht bekehrst,
Stur Deinen Stiefel weiter fährst,
Willst immer noch den Deibel fangen
Mit Feuer und mit Folterzangen,
Dann sei Dir sicher und gewiss,
Dass der Fürst der Finsternis,
Der Dich spornt mit scharfen Sporen,
Dich fester hat bei Hals und Ohren,
Hockend tief in Deinen Eingeweiden,
Als diejenigen, die Deinen Feuertod erleiden.

J. de Decker.
1659


Übersetzung Jaap Hoepelman August 2019.


Ceromantie - Wahrsagerei mittels Würfeln.
Hydromantie- Wahrsagerei aus der Bewegung von Wasseroberflächen.
Geomantie - Wahrsagerei aus Sandfiguren.
Zalmolxis wurde von den Thrakiern als Gottheit verehrt. Sein Ehrendienst
ging einher mit einer Prozedur, darin bestehend, dass ein Bote mit verschiedenen Bitten zu Zalmolxis (der sich im Verborgenen hielt) geschickt wurde. Dann wurde der Bote in dazu aufgestellte Speere geworfen. Starb er, war er ein guter Bote gewesen. Starb er nicht, war er ein schlechter Bote und musste deswegen sterben. Die Ähnlichkeit mit der Wasserprobe für Hexen ist offensichtlich und wird auch de Decker nicht entgangen sein.
Dardanos war der mythische Vater der Trojaner. Er soll sich in einen Magier
verwandelt haben. Unter dem Titel "Schwert des Dardanos" war eine Anleitung
zur Herstellung magischer Amulette bekannt.
Spiräus, Bodin: Zwei fanatische Hexenjäger.
Johannes Wier, Reginald Scot kämpften gegen den Hexenglauben bereits im 16. Jahrhundert.


Afgeruckt Momaensicht







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Dienstag, 29. Juli 2025

Jan van der Noot: Wankelmut im Zeitalter der Glaubenskämpfe.

 

Jonker Jan Baptista van der Noot
1539-1595
"Tempera te Tempori"

Mit Anna Bijns lernten wir eine glühende Vertreterin des Katholizismus in Flandern kennen, zu gleicher zeit eine der einflussreichsten und am meisten gedruckten literarischen Persönlichkeiten der damaligen Niederlande. Bijns blieb dem Katholizismus ihr Leben lang (1493-1575) fest verbunden. Nicht ganz so standfest erwies sich Jonker Jan Baptista van der Noot, er konnte es vielleicht auch nicht sein - die Zeiten hatten sich geändert und waren womöglich noch gefährlicher geworden. Van der Noots Sinnspruch "Tempera te Tempori "passte gut zu seinem Leben und kann sogar frei übersetzt als Anspielung auf seinen Namen betrachtet werden: "Mach von der Not eine Tugend".

Van der Noots Dichtkunst bedeutete die Bekanntmachung für die Niederlande mit neuen Formen der Poesie, wie dem Sonett, der Ode, dem Jambus und dem Alexandriner. Ihm war sehr bewusst, dass er neue Formen der Poesie betrieb. Er verfügte über eine gehörige Portion Standesdünkel und wurde nicht von übertriebener Bescheidenheit geplagt. Fast ausnahmslos ließ er sich mit dem Lorbeerkranz des Poeta Laureatus abbilden, in der Nachfolge von Dante und Petrarca. 

Ode

Es war April, als Flora sich daran macht
Das Erdreich lieblich zu verschönern
Mit neu gewachs'ner Blumenpracht,
Als ich sie ansprach, meine ersehnte Schöne.

Liebste, sprach ich, schauen wir die Rose an
Die heute früh sich auf das herrlichste entfaltet hat.
Wir standen an der Stelle eine Zeitlang
Und suchten wo die Blume sich verborgen hat.

Wir fanden keine Rose, allein
Die Blütenblätter, alle abgefallen,
Beraubt von allen schönen, reinen
Farben, womit sie hat am Morgen uns gefallen.

Ach Liebste, sprach ich, ist's nicht schade,
Dass diese schöne Blume so schnell ist ausgefallen
Bevor einem erwiesen wurd' die Gnade
Sich zu erfreuen ihres Dufts, das Köstlichste von allem?

Oh ja, sprach sie, schön war die Blume, wirklich.
Deswegen, Liebste, sieh doch wie schnell es geht.
Erlaube, dass bald ich nenne dich
Barmherzig, Liebste, in allen Ehren, früh und spät.

Nutze die Zeit, um die es geht,
Es ist die schönste Zeit deines Bestehens,
Auf dass es dir auch nicht ergeht,
Wie mit der Blume ist geschehen.

(Übersetzung Jaap Hoepelman Juli 2025)

Van der Noots Ode 

Jonker (d.h. Junker) Jan van der Noot war Sohn einer einflußreichen adeligen und gut katholischen  Antwerpener Familie. Er war hervorragend ausgebildet, kannte sich aus in Latein, Italienisch, Spanisch, Englisch und Deutsch und beherrschte Französisch so gut wie Niederländisch. In seinen jüngeren Jahren trat er zum Calvinismus über und nahm Teil am calvinistischen Bildersturm in Antwerpen (1566-1567), wohl in der Hoffnung, standesgemäß Markgraf von Antwerpen werden zu können.


                              
Der Bildersturm. 
Zerstörungen in der Liebfrauenkathedrale zu Antwerpen, 20 augustus 1566.


"Calvinistischer Aufruhr bezwungen"

Der Aufstand wurde niedergeschlagen und als bekannt wurde, dass der Herzog von Alva sich für eine Strafexpedition auf den Weg in die Niederlande gemacht hatte, flüchtete van der Noot zusammen mit tausenden Antwerpenern nach London. Van der Noots Besitztümer wurden beschlagnahmt. Es war der Anfang einer ungefähr 10-jährigen Odyssee durch England, Frankreich, Italien und Deutschland während der er um des Brodeswillen Reimwerk en masse produzierte, um den jeweiligen Maezenen zu gefallen. Bekannt ist er aber aus einem anderen Grund: Schon in seiner Antwerpener Zeit hatte er sich einen Ruf als Dichter erworben, mit für die Niederlande neuartigen Poesie in der Nachfolge von Petrarca in Italien und den Pléiaden in Frankreich - insbesondere Ronsard, von dem er u.a. das bekannte "Mignonne, allons voir si la rose" frei übersetzte. Meinen Versuch einer Übersetzungsübersetzung findet man auf dieser Seite.  


                  
                                 Dante
  
                                                                                   Petrarca                                                                                                                                                                                                      
                 van der Noot
                                                                                                                
Bescheidenheit war van der Noots Sache nicht, dafür spielte er eine entscheidende Rolle im Übergang von den Refrains der in Flandern noch vorherschenden Rhetorikern, wie eben Anna Bijns, zu den moderneren Formen, z.B. bei Hooft und Vondel. Interessanterweise übte van der Noot durch seinen Aufenthalt in London sogar einigen Einfluss auf die englische Poesie aus: In der Verbannung war van der Noot nicht untätig - 1568 erschien "Het Theatre oft Toon-neel", eine Verhandlung in dem die römisch-katholische Überzeugung und Lebensart mit der calvinistischen kontrastiert werden. Vorangegangen wird das Pamphlet sowohl durch Epigrammen und Sonetten nach Petrarca und du Bellay, als durch vier ursprüngliche Sonetten von van der Noot selber, nach Themen der Apokalypse. Es erschien auch  eine französische und eine englische Übersetzung. Die englische Übersetzung wurde von oder mit der Unterstützung von Edmund Spenser

Edmund Spenser

erstellt, unter dem wortkargen Titel ‘A Theatre wherein be represented as well the miseries and calamities that follow the voluptuous Worldlings, as also the greate joyes and pleasures which the faithfull do enjoy. An argument both profitable and delectable to all that sincerely love the word of God. Devised by John van der Noodt’. Die Verhandlung ist Queen Elisabeth gewidmet, der Verfechterin der anti-römischen Bewegung. Spensers englische Übersetzung von van der Noots Opus wird als wichtige Stufe in der Entwicklung des englischen "blank verse" betrachtet. Das "Theatre" war zu der Zeit wohl eine der führenden Streitschriften des europäischen Protestantismus. Es erschien auch eine deutsche Übersetzung, "Theatrum das ist Schawplatz", zu Köln,1572, wohin es van der Noot verschlagen hatte, aber die deutsche Version war auffällig anders geartet: Die Ausfälle gegen den Papst und der Hass gegen die katholische Kirche waren abgemildert oder entfernt, so dass eine eher allgemeine Verhandlung über die menschlichen Untugenden und ihre bösen Folgen übrig geblieben war. Offensichtlich kündigte sich Van der Noots Rückkehr in den Schoß der Kirche an. In London erfolgte auch eine Ausgabe von "Het Bosken" ("der Hain") (nach Ronsards "Le Bocage"), eine Bündelung der neuartigen Dichtformen, mit denen van der Noot in seiner Antwerpener Zeit Bekanntheit erreicht hatte und mit denen die Dichtung der Renaissance, die in Italien und Frankreich angefangen hatte, in den Niederlanden weitergeführt wurde. 
Nach der Londoner Periode zog van der Noot durch Deutschland (Kleve, Köln), Paris (wo er sich mit den bewunderten Dichtern der Pléiade traf) und Italien. Während seiner Reise veröffentlichte er noch einige großangelegte epische Gedichte in der Nachfolge von Dante.
Erst die s.g. "Genter Pazifikation", ein von Wilhelm von Oranien in die Wege geleitete Modus Vivendi für Protestanten und Katholiken (1576), ermöglichte eine Rückkehr nach Antwerpen. Die "Furie van Antwerpen", d.h. die Plünderung von Antwerpen durch spanische Soldaten, die monatelang keinen Sold bekommen hatten, im gleichen Jahr, verzögerte den Rückkehr bis 1578. Die "Spaanse Furie" ging natürlich mit den üblichen Greueltaten vonstatten; wahrscheinlich zu hoch gegriffene Schätzungen belaufen sich auf 10.000 Tote. Ähnliche "Furien" fanden im Übrigen auch in Mechelen und Aalst statt.

Die Plünderung von Antwerpen

Richtig "angekommen" war der katholisch-calvinistisch-katholische van der Noot in Antwerpen aber erst 1585, nach der Eroberung Antwerpens für die Habsburger durch Alexander Farnese, den Herzog von Parma. Es war das Ende des goldenen Jahrhunderts Antwerpens und der Anfang des Aufstiegs von Amsterdam.

Eroberung Antwerpens durch Farnese 1585

Die Beschlagnahme seiner Besitztümer hatte van der Noot in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, die er dadurch zu lindern versuchte, dass er sich als Gedichteschreiber bei den Staaten von Brabant anbiederte, was ein bescheidenes Gehalt und eine unüberschaubare Reihe von völlig uninteressanten Lobpreisungsgedichten zur Folge hatte. 

Van der Noots mangelhafte konfessionelle Standfestigkeit, sein Ständesdünkel, seine Eitelkeit, seine Brotschreiberei und seine Abhängigkeit von italienischen und französischen Vorbildern wurden van der Noot, der bald in Vergessenheit geriet, Jahrhunderte später von Kritikern ein wenig pikiert vorgeworfen. Aber bei allen zeittypischen Schrullen war er es, der es der neuen Poesie der Renaissance ermöglichte, in die Niederlande Einzug zu halten.





Montag, 28. Juli 2025

Namen im diesem Blog

      Ihr, die hier eintretet,....




Achterberg, Gerrit
Adriaan Roland Holst
Adwaita
Aegidius
Andreus
Ashetu, Bernardo
Bellamy, Jacobus
van Eeden, Frederik

Samstag, 28. Juni 2025

de Afsluitdijk - der Abschlussdeich










M. Vasalis (1909 -1998)
(Margaretha Drooglever-Fortuyn-Leenmans)



Afsluitdijk - Abschlussdeich

Der Bus fährt wie ein Zimmer durch die Nacht
Die Straße ist gerade und der Deich ist endlos
links liegt das Meer, gezähmt doch ruhelos,
wir schauen raus, ein sanfter Mond scheint schwach.

Vor mir die jungen frischrasierten Nacken
von zwei Matrosen, die verhalten gähnen
sich später locker dehnen und danach
unschuldig schlafend an den Schultern lehnen.

Dann seh' ich plötzlich, wie im Traum, im Glas
dünn und durchsichtig mit uns'rem fest verbunden
mal klar wie wir, dann wiederum im Meer ertrunken,
den Geist von uns'rem Bus; das Gras
zerschneidet die Matrosen glatt entzwei.
Dort seh' ich auch mich selbst. Allein
mein Kopf wogt auf der Wasserfläche,
bewegt den Mund als spräche
er, ein märchenhafter Beifang.
Es gibt kein Ende oder Anfang
an dieser Fahrt, das Gestern und das Morgen angehalten,
nur dieses lange Heute, wunderlich gespalten.



Aus : Parken en Woestijnen. Amsterdam: Stols, 1940

(Übersetzung Jaap Hoepelman, Juni 2025)

Der "Afsluitdijk" (Abschlussdeich), Schnurgerade verlaufend zwischen den Provinzen Noord-Holland und Friesland, trennt er die Gewässer des Wattenmeers (NL: Waddenzee) vom Meerbusen "Zuiderzee" (NL: zee = D: Meer), der sich infolgedessen allmählig in einen Süßwassersee, "IJsselmeer" (D: See = NL: meer - können Sie noch folgen?) verwandelte. Es war eine Spitzenleistung der Wissenschaft und Ingenieurskunst, passend zum "zweiten goldenen Jahrhundert". Die erforderlichen Untersuchungen und Berechnungen wurden durchgeführt für den Staatsausschuß "Zuiderzee" unter der Leitung des Physiknobelpreisträgers Hendrik Antoon Lorenz, der mit dieser Arbeit fast zehn Jahre lang beschäftigt war. Am 28 Mai 1932 wurde die letzte Öffnung geschlossen. Es war auch höchste Zeit: Die "Zuiderzee" war ein ausgesprochen gefährliches Gewässer, das bei den Stürmen das Land regelmäßig überflutete, der letzte in Januar 1916, als große Bereiche der Zuiderzeeküste überflutet wurden (bis Amsterdam, mein Vater erzählte gerne darüber). Ein Jahr später wurde der Verkehrsweg über den Deich eröffnet. In den 1930-Jahren war eine Busfahrt über den über 32 Kilometer langen Deich selbstverständlich etwas ganz besonderes (und ist es eigentlich immer noch). Als technisches Hochständchen mutet ein Deich nicht auf Anhieb als Grund für poetische Ergüsse an. Aber für Vasalis war er der Anlass für eines der bekanntesten Gedichte der niederländischen Literatur. Der "Abschlussdeich" handelt von Zweiteilung, von Vorher und Nachher, von der Trennung von Nordsee und Zuiderzee, von der Bezwingung des ehemaligen Wasserungeheuers zum süßen (obwohl unruhigen, die Gefahr ist immer da) Binnenmeer, von Traum und Wirklichkeit, von Ordnung und Unordnung. Diese Zweiteilung wird aber Aufgehoben in der untrennbaren Verdoppelung des Spiegelbildes des fahrenden Wohnzimmers. Diese Aufhebung bestimmt auch die Struktur des Gedichtes. Der Anfang wird gemacht durch zwei faktisch beschreibende (bis zur Nackenrasur der Matrosen) ordentliche Quartette, die ein Sonett in der besten poetischen Tradition erwarten lassen. Wenn die Matrosen in der letzten Zeile des zweiten Quartetts einschlafen, ist das die Zäsur: Von einem wohlgefügten Sonett kann keine Rede mehr sein. Die Matrosen werden gnadenlos Zerschnitten, eine Zweiteilung diesmal ganz ohne Folgen. Der Kopf der Dichterin spricht wogend über Wasser wie ein Märchenwesen, Anfang und Ende, Gestern und Morgen verschwinden. Es bleibt nur ein rätselhaftes, unbeweglich zweigeteiltes Heute. 
So viele Bilder, geballt in so wenigen Zeilen...ich finde es schön.



Sonntag, 8. Juni 2025

Hans Andreus Liebespoesie: Leicht, Elegant.

 

Hans Andreus

1926-1977


Über Andreus Poesie schrieb ich in früheren Posts - seine Gedichte  sind leicht, natürlich und elegant, auch, wie hier, die Liebespoesie.

Für einen morgigen Tag

Wenn ich morgen sterbe
erzähl den Bäumen
wie sehr ich dich liebte.
Erzähl dem Wind,
der auf die Bäume steigt
und aus den Ästen fällt,
wie sehr ich dich liebte.
Erzähl es einem Kind,
jung genug, um zu verstehen.
Erzähl es einem Tier,
versuch' vielleicht allein es anzusehen.
Erzähl's den Häusern aus Stein,
Erzähle es der Stadt,
wie lieb ich dich hatte.

Aber sag es keinem Menschen,
glauben würden sie's dir nicht.
Glauben wollen würden sie's dir nicht
dass allein ein Mann,
dass allein eine Frau,
dass ein Mensch einen Menschen so liebte,
wie ich dich.

Voor een dag van morgen

Aus: Al ben ik een reiziger
Uitgeverij Holland 1959

(Übersetzung Jaap Hoepelman Juni 2025)

 

Dienstag, 27. Mai 2025

Simon Vestdijk: Schneller schreiben als Gott lesen kann.

 Simon Vestdijk

1898-1971



Vestdijks Denkmal in Doorn

Ich konnte leider keine unmittelbare Hinweise auf Napoleons Verbleib in Doorn zusammengoogeln, außer immer wieder welche auf Vestdijks Gedicht, die mir ja nicht weiter geholfen haben. Vestdijk hat aber ein Großteil seines Lebens in Doorn verbracht und ihm kann durchaus mal die Dorflegende überliefert worden sein über den Franzosenkaiser, der Unterkunft in einem Hof in Doorn gefunden hätte. Immerhin hatte Napoleon 1811 auf Inspektionsreise durch die Niederlande Amsterdam besucht
 
Napoleon wird empfangen vor einem Stadttor Amsterdams.
Bild Reinier Vinkeles

und warum sollte er nicht im zentral gelegenen Doorn Biwak gemacht haben?
Herrschaftliche Immobilien gab es in der Gegend in ausreichendem Maße,




das bekannteste wohl das "Haus Doorn", wo ein Jahrhundert später ein anderer Kaiser Refugium gefunden hat. 


Haus Doorn

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen: Nicht weit von Doorn gibt es einen pyramidenförmigen Hügel, von einem napoleontischen General mit Ägyptenfimmel zu Ehren seines Kaisers errichtet, und später in Erinnerung an die Schlacht bei Austerlitz "Pyramide von Austerlitz" getauft. 


Braucht es überzeugendere Hinweise?

Vestdijk war Artzt und dass Napoleon an Magenkrebs gestorben ist wird ihm wohl bekannt gewesen sein. So konnte er der dem bleichen Kaiser vertraute Belagerung mit Blei und Eisen eine wesentlich bedeutendere Belagerung gegenüberstellen.

Der Hof bei Doorn

In diesem Gehöft hat Napoleon

In achtzehnhundertelf die Nacht verbracht

Es war ein Frühlingstag, lau, ohne Sonne:

Der alte Bote, der Depeschen brachte

Ins Dorf am alten Postweg, wo er Biwak machte,

Schwitzte so stark, dass er es kaum ertragen konnte.


Der kleine Raum, wo jetzt der Kaiser schlief

War staubig, roch nach Kampfer und müffelte großmächtig

Und als ein Hahn vor seinem Fenster rief;

Äusserte der Kaiser sich verächtlich:

"Le coq gaulois!" - man sagt, dass er schlecht schlief,

Die Nacht. Ihm kam der Schlaf beim ersten Nagen nicht

Des Krebses, dem er in der Fremde unterlag...

Die Furcht der Dörfler vor ihm war nur mäßig;

Zu dick war er, der Blick zu flau, 

Zu klein war das Gefolge, - die Wache ließ, nachlässig,

Sie viel zu nah heran, an den getünchten und feierlich

Von Frankreich überflaggten Bau.

Die weiße Festung hat hier immer noch Bestand:

Eine Festung wahrlich, wo der bleiche Kaiser

Zum ersten Mal den Angriff überstand

Von Furcht und Schmerz anstatt von Blei und Eisen,

Und am unmerklich Fortkriechen des Zeigers

Beim Flackern des Kerzenlichts den Tod verstand.


(Gestelsche liederen

Verzamelde Gedichten, II, 63)


Simon Vestdijk war einer der produktivsten niederländischen Schriftsteller. Er war Romancier, Dichter, Essayist, Übersetzer, Musikkritiker, was Kollege-Dichter Roland Holst zur spöttischen Bemerkung veranlasste, dass er schneller schrieb als Gott lesen könne. In seiner Wahlheimat Doorn lebte er eigentlich als ziemlicher Einsiedler, was bei seiner Produktion kaum anders vorstellbar war. Trotzdem war er als Redakteur verschiedener literarischer Zeitschriften tätig, darunter das kurzlebige, aber dafür sehr einflussreiche niederländisch-belgische "Forum" (1932-1935), mit auf der niederländischen Seite M. ter Braak und E. du Perron und auf der belgischen Maurice Roelants.  

Simon Vestdijk mit den Forumredakteuren 
ter Braak und du Perron. 

Vestdijk figurierte sogar 12 Mal in der Vorwahl für den Nobelpreis für Literatur, was für niederländische Schrifsteller das höchst erreichbare ist.

Während des 2. Weltkriegs richtete der Besatzer in 1942 das Internierungslager "Michielsgestel" für die niederländische Elite mit einem Regime, das unter den Umständen "erträglich" genannt werden konnte, ein. "Hitlers Herrengefängnis" höhnte einer der Insassen. Vestdijk wurde dort 1942-1943 interniert, in erster Linie wohl wegen seiner Verbindung zu ter Braak und du Perron, beide prominente Nazi-Kritiker, beide bei Kriegsanfang gestorben. Die erleichterten Umstände der Internierung konnten nicht vom eigentlichen Zweck der Gefangenschaft ablenken: Bei gegebenem Anlass immer einige Geiseln zum standrechtlichen Vollzug in der Hand zu haben, wie z.B. nach einem - misglückten - Überfall auf einen Güterzug in Rotterdam.

Vestdijk verbrachte seine Zeit in Michielsgestel mit frenetischem Dichten, häufig unter dem Eindruk der immerwährenden Todesdrohung.
Diese Gedichte wurden später als "De Gestelsche Liederen" herausgegeben. "Der Hof bei Doorn" stammt aus diesem Band.
Einige der Werke Vestdijks sind ins Deutsche übersetzt; für eine Übersicht klicke man HIER.



Freitag, 16. Mai 2025

Marsman. Eine Vorahnung?


Hendrik Marsman 1899-1940


In einem früheren Post berichtete ich, wie Hendrik Marsman, der Schöpfer des "beliebtesten Gedichtes der Niederlande", 1940 versuchte an Bord des Dampfers "Berenice" von Frankreich nach England zu entkommen und dabei durch einen Torpedoangriff umkam. Das Meer und Schiffe spielen eine wichtige Rolle in Marsmans Poesie und weil in der Literatur nun einmal "alles geht" ist es kein Wunder, dass das Gedicht "Überfahrt" gerne als "Vorzeichen" gedeutet wird: 

Die Überfahrt

Das einsame schwarze Boot
fährt bei Nacht und Nebel
durch eine Finsternis, grausam und groß,
dem Tod, dem Tod entgegen.

ich liege tief im stöhnenden Raum,
kalt, verängstigt und allein
und ich weine um das klare Land,
das am Horizont verschwand
und ich weine um das düstre Land,
das blass am Horizont erscheint.

wer von der Liebe getroffen ist
und ist vom Blut übermannt,
der erfuhr noch das Dunkelste nicht,
dessen Leben verging nicht für immer;
denn die letzte Niederlage
trifft das Herz wenn es kämpft mit dem Tod.

oh! die Fahrt zum ewigen Land
durch die Finsternis grimmig und groß
in der nie verblassenden Angst,
dass der Tod das Ende nicht ist.

De Overtocht

Übersetzung Jaap Hoepelman Mai 2025

Samstag, 12. April 2025

Reisender tourt Golgotha.

 Gerrit Achterberg

1905-1962

Reisender "tourt" Golgotha


Sie haben ihn, ohne danach zu fragen

ob Er es könnt' ertragen,

mit Nägeln an ein Kreuz geschlagen.


Und als Er dort dann litt und hing,

-  ein Nagel ist ein übles Ding -

sprach Er: Vater verzeih es ihnen.


Sprach Er: Sie wissen nicht was sie tun.

Sie wollten sich damit hervortun -

mal schauen - was wird Er jetzt tun?


Aber Er betete für sie,

und sterbend hatte Er für sie,

für ihr Gewissen, noch ein Alibi.


Und ich stand weiter weg, und tat,

als ob ich plauderte mit einigen Soldaten,

die nutz- und ahnungslos das, was sie taten taten.


Er aber, in der letzten Not, befahl sich

in die Hände Seines Vaters; - Noch vor Ostern musste ich

nach Jaffa hasten, dort wartete mein Schiff auf mich.


II


Dann konnte ich - auf Zypern - in der Zeitung lesen:

J.v.N., der Christus wird genannt,

der vor drei Tagen gekreuzigt ist gewesen,

dem werten Leser dieser Zeitung wohl bekannt,


ist in Seinem Grab nicht angetroffen:

Nach hartnäckigen Gerüchten war es offen, 

insgeheim hätten die Jünger sich getroffen,


als die Wärter schliefen, und den Leib entwendet.

Exaltierte Frauen hätten jedoch gemeldet,

dass sie Ihn wandern sahen in den Feldern;


Maria soll gestammelt haben: Adonai!

Fischer behaupten, dass Folgendes geschehen sei:

Am See Tiberias war Er beim Mahl dabei.

Zuständige Instanzen halten dagegen:

Das sei nur der Versuch, einen herein zu legen.


III


Rom. Der Anker fällt. Es geht nach Hause.

Jetzt schleunigst zu den Thermen um mich zu entlausen

von Rausch und Reise, und jetzt bei mir zuhause


bei Frau, Kamin und Funk gesessen,

sind Kreuz und Christus bald vergessen.

...Dann hat ein S.O.S. sich in mein Herz gefressen: 


"Es gießt mein Geist sich aus auf alles Fleisch,

wer jetzt nicht für Mich ist, ist gegen Mich", so heißt es

aus Geheimem Sender gleißend heiser.


Die Segel neu gesetzt, über Einsamkeiten

der Ozeane, welche uns entzweien.

Christus, will am Ende mir erscheinen.


Gerrit Achterberg 1943

Reiziger 'doet' Golgotha

Aus Verzamelde Gedichten (2003).


Übersetzung Jaap Hoepelman April 2025

Dienstag, 1. April 2025

Hans Lodeizen. Der Perk der Fünfziger...?

 

Hans Lodeizen 1924 - 1950


Hans Lodeizen war der Sohn des Präsident-Direktors der Rotterdamer Reederei Müller&Co* und war als solcher aller materiellen Sorgen enthoben. Seit seiner frühen Jugend litt er aber unter einer schwachen Gesundheit, einer Asthma, die ihn zu einem einsamen Kind machte und ihn in Gymnasium behinderte. Später fing er ein Studium an der Universität von Amherst (Mass.) an, das er nicht abschließen konnte. In Amherst traten erste Symptome der Leukämie auf, an der er in 1950 in Lausanne starb. In seinem kurzen Leben erschien von ihm nur ein Gedichtband, "Het innerlijk Behang" - "Die innerliche Tapete". Weil er sehr jung starb, weil seine Poesie neu und andersartig war als die der Vorgänger, und weil bald nach seinem Tod mit der Bewegung der Fünfziger eine Welle der Erneuerung einsetzte, wird er wohl mit Jacques Perk, dem Vorläufer der Achtziger des 19. Jahrhunderts verglichen. Perks hochgestimmte Feier der Dichtkunst war ihm aber völlig fremd. Lodeizens Gedichte sind unprätentiöse, reimfreie, scheinbar lose zusammengefügte Prosatexte voller Bilder und Assoziationen über Verlassenheid und Trauer. Lodeizen passte nicht in dieses Leben und als Homosexueller schon gar nicht in das Leben während und kurz nach WKII. Als Erneuerer kurz nach einem Krieg nach dem es keinen Sinn mehr hatte weiter zu machen in den hergebrachten Formen, erinnert er eher noch an Paul van Ostaijen, kurz nach WKI, auch er jung gestorben, auch er ein großer Beender der Tradition. Lodeizens neue Dichtkunst aber kam sehr gut an. Vom einzigen Band "Het innerlijk Behang" gab es bis 1990 15 Auflagen. 1996 erschien eine vollständige wissenschaftliche Ausgabe "Gesammelte Gedichte" (Uitgeverij G. A. van Oorschot, Amsterdam, 1996)

Die Melancholie eines Unverstandenen erschließt sich vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber die besten Gedichte sind nicht die, die man sofort  versteht, sondern die, die man verstehen möchte.

[Erzählungen und Unglücke]

Erzählungen und Unglücke gingen immer zusammen
in diesem Land; der König
ging im Hermelinmantel zu Bett
inmitten seiner Hofdiener
und schlief schlecht wegen des unaufhörlichen
Gewirr der Stimmen um ihn herum;
zwei Kammerdiener, die sich stritten um sein Beinkleid
oder ein Page, Witze reißend über seine Strümpfe;
Es war ein Land mit fremdartigen Leuten,

und doch: hier lebte er und war glücklich, unter
dem Pöbel war er zuhause, wie unter der Elite;
er kannte keinen Frieden
groß genug um die unermesslichen
Strände seines Gefühls zu füllen, kein Ruf
war schnell genug, die Winde einzuholen
- es war ein aussichtsloses Unterfangen
zu klagen und er klagte nicht.


aus: Hans Lodeizen "Het innerlijk behang" Van Oorschot Amsterdam (1949).

(Übersetzung Jaap Hoepelman, April 2025)

Langsam

Winter, du bist ein Schlechter,
in den Häusern versteckst du dich
wie ein Kind sehe ich dich, wie du in alle Schulen
hinein rennst mit deinem Leib
versteckt im Ranzen oh Winter du bist
ein schlechter Lehrer.

Ein kleines bisschen Feuerwerk damit
bin ich zufrieden o Winter gib mir
etwas Fröhlichkeit schneide eine Scheibe
ab von diesem Mittag werfe ein Märchen
in das Gewässer der Nacht
oh schlechter Lehrer.

Tag schlechter Winter, Scherenschleifer,
mit verschrammten Knien rennst du
über den Schulhof wie Murmeln
aus den Wolken eines Himmels zum blauen
Hemd, wo die weiße Kreide reitet eines
schlechten Lehrers.

aus: Hans Lodeizen "Het innerlijk behang" Van Oorschot Amsterdam (1949).

(Übersetzung: Jaap Hoepelman Februar 2019)


*Es ist ein "fait divers" in diesem Zusammenhang, aber es vermittelt doch einen Eindruck von Lodeizens Umgebung. Das Handelsunternehmen Müller & Co. dessen Vorstandsvorsitzender Lodeizens Vater war, wurde 1876 in Düsseldorf gegründet. In 1889 übernahm Anton Kröller (verheiratet mit Hélene Müller, der Tochter von Wilhelm Müller) die Leitung der Rotterdamer Niederlassung. Hélene Müller ist die Stifterin der Sammlung Kröller-Müller, beheimatet auf einem Landgut in Osten der Niederlande, mit einem Museum und einem vom berühmten Architekten Berlage entworfenen Jagdschloss.
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Das Museum enthält eine berühmte Skulpturen- und Gemäldesammlung, insbesondere die, nach dem Van Gogh Museum in Amsterdam, zweitgrößte Sammlung Van Goghs der Welt. 

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Ein gutes Beispiel für Lodeizens lakonische aber bedeutungsreiche Bildersprache fand ich immer "An einem sehr warmen Sommertag", in dem Titel und Gedicht nahtlos in einander übergehen:

An einem sehr warmen Sommertag

er hatte
alle Formen der Trauer
im Körper ertränkt

doch Angst
mit Hut und Regenschirm
wartete im Vestibül.

aus: Hans Lodeizen "Het innerlijk behang" Van Oorschot Amsterdam (1949).

Übersetzungen: Jaap Hoepelman Februar 2019, April 2025

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