Die Grenzen des Machbaren haben sich seit dem 17. Jahrhundert ziemlich verschoben, aber wenn sie dann doch erreicht werden, wie in der heutigen Corona-Pandemie, wird das von vielen als Mahnung und als Aufruf zur Besinnung aufgefasst. Es ist vielleicht nicht das verkehrteste.
Jacobus Revius
Aus: Over-Ysselsche sangen en dichten, 1630.
DIE PEST
Weil unsre Sünden bis zum hohen Himmel ragen
Sandte uns Gott herab die Vielfalt seiner Plagen.
Doch Krieg und Hungersnot alleine reichen nicht,
Es kommt die Pest, und zeigt ihr schreckliches Gesicht.
Die Backen ausgehöhlt, vor Hunger ausgezehrt,
Die Nase lang und spitz, von Rotz und Blut versehrt,
Die Augen aufgesperrt, ein gelber Zahn noch steckt,
Die Zunge aufgequollen, von Auswurf überdeckt,
Der Brustkorb röchelt und erstickt beinah im Brodem,
Die Lunge pfeift und seufzt und keucht und schnappt nach Odem,
Das Haupt von vorn nach hinten auf den Schultern taumelt,
Der Hals stinkt wie die Leiche, die am Galgen baumelt,
Das Herz verzehrt, verglüht durch Feuerbrände,
Doch in der Eiseskälte frieren Füß' und Hände,
Die Haut ist noch und noch blaugrau und schwarz gefleckt,
Von fahlen Pusteln, harten Beulen überdeckt.
Die Peitsche links, die Fackel in der rechten Hand,
Ihr folgen Brand und Fieber, nah mit ihr verwandt.
Die Funken, welche ständig sie verliert im Gehen,
Entzünden Viertel, bleiben bei der Stadt nicht stehen,
Bis nicht im ganzen Land ein Flammenmeer entsteht,
Bis nicht der zarten Jugend gar das Herz vergeht.
Ich kenn', ich kenn' dich wohl, du ungeheurer Graus,
Du hast bei uns genächtigt, doch dein Griff blieb aus,
Die weitaus stärk're Hand griff deine Hände fest,
Die anderes nicht will, wenn sie dich wüten lässt,
Als unser höchstes Gut und Seines Namens Huld.
Wir fallen ihm zu Fuß, gestehend uns're Schuld.
Wir trauen seiner Güte, uns selbst misstrauend sehr,
Denn fürchtend uns're Sünden, fürchten wir Dich nicht mehr.
Pest
Übersetzung Jaap Hoepelman April 2020
Detail aus Triumph des Todes, Pieter Bruegel de Oude