Sonntag, 12. April 2020

Gezelle und das Schreiberchen

Krętakowate (Gyrinidae) - WLIN
Das Schreiberchen
gyrinus natator



"Das Schreiberchen" ist eines der beliebtesten Gedichte Gezelles. In ihm beschreibt er, wie die überwältigende Allmacht Gottes sich offenbart in der nie ablassenden Schreibarbeit eines kleinen Käfers, den er anspricht, wie einst Franziskus den Vögeln predigte.
Eine Vielzahl von Diminutiven wiederspiegelt die Kleinheit des Tierchens, das Versmaß dessen ruckartige Bewegungen auf der Wasseroberfläche, während die scheinbare Naivität des Gedichts zur scheinbaren Unscheinbarkeit des Tierchens passt. Der niedrige Priester-Dichter in seiner schwarzen Kutte, auch er nur ein "Schreiberchen", fühlt sich wohl verwandt mit dem kleinen, unermüdlichen Kaputzenträger und auch er hat nur eines im Sinn: Das Schreiben des heiligen Namens.
Paul Claes gab mir freundlicherweise Zustimmung seine meisterhafte Übersetzung in dieses Blog aufzunehmen.

Guido Gezelle




DAS SCHREIBERCHEN


O kringelndes winkelndes Wasserding,
mit schwarzem Kapuzchen versehn,
ich sehe dein schreibendes Köpfchen flink
so gern auf dem Wässerchen gehn!
Du rührst und du regst dich und läufst so schnell,
doch zeigst weder Arm noch Bein;
du wendest und weißt deinen Weg so hell,
doch zeigst mir kein Auge, o nein.
Was warst oder bist, oder wirst du noch sein?
Erkläre und sag es mir, du!
Was bist du, o blinkendes Knöpfchen fein,
das schreibt und das schreibt ohne Ruh?
Du läufst auf dem spiegelnden Wasser klar,
dem Wasser, das sich nicht mehr rührt,
als wär’es ein ebener Windhauch sogar,
der über das Wasser dich führt’.
O Schreiberchen, Schreiberchen, sagt mir dann, – 
ihr seid ja zu zwanzig und mehr,
und gibt es denn keines, das sagen mir kann:  – 
Was schreibt ihr, was schreibt ihr so sehr?
Ihr schreibt, was so rasch auf dem Wasser vergeht,
ihr schreibt, es ist weg und ist fort;
kein einziger Mensch, der es weiß und errät:
Ach Schreiberchen, sagt doch ein Wort!
Sind’s Fischlein, von denen ihr schreiben müsst,
sind’s Kräutlein, von denen ihr schreibt?
Sind’s Kieselein, Blättchen und Blümlein so süß,
das Wasser, auf dem ihr treibt,
das Vöglein, das ziepend und klagend rief,
ist’s etwa das Himmlische Zelt,  
das unter und über dir schimmert so tief,
o Schreiberchen, bist du es selbst?
Das kringelnde winkelnde Wasserding,
mit schwarzem Kapuzchen versehn,
es stellte und spitzte die Öhrchen flink,
und blieb da ein Augenblick stehn:
„Wir schreiben“, so sprach es, „hier kreisend ab,
das, was unser Meister vorher 
als Muster uns allen zu schreiben gab,
ein einziges Wort und nicht mehr.
Wir schreiben, und kannst du das Wörtchen doch
nicht lesen, und bist nur ein Klotz?
Wir schreiben und schreiben und schreiben noch
den Namen des heiligen Herrgotts!“


Übersetzung Paul Claes, April 2020


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