Am 10. Mai 1940 nahm Leo Vroman (1915-2014) ein Taxi von Utrecht, wo er Biologie studierte, via Gouda, wo seine Eltern wohnten, nach Scheveningen. Er flüchtete weiter in einem Segelboot nach England. Von dort ging es nach niederländisch Indien (jetzt Indonesien), wo er nach dem japanischen Übergriff in verschiedenen Lagern interniert wurde. Nach anschließender Zwangsarbeit in Japan führte ihn das Ende des Krieges nach Manila. Als die niederländische Regierung ihn im Rahmen der militärischen Aktionen nach der Befreiung Ost-Indiens zurück nach Indien schicken wollte, hatte Vroman endgültig genug und zog weiter in die USA. Später nahm er die amerikanische Nationalität an. Trotzdem verfasste er Poesie und Prosa meistens auf Niederländisch. Zurück wollte er aber nie: Lieber Heimweh als Holland, schrieb er. Sein Stil versachlichte sich zu einer raffinierten Schlichtheit - insbesondere mit zunehmendem Alter - , was beileibe nicht heißt, das seine Dichtung ohne Gefühl gewesen wäre. Menschlichkeit, keine Übertreibung, keine Anstellerei und zunehmend alltägliche Umgangssprache, gerade dadurch wirken seine Emotionen. Darüber hinaus verfügte er über eine gute Portion Witz.
In New York arbeitete er als Hämatologe und er betrachtete sich selber in erster Linie als Wissenschaftler. Der "Vroman Effekt" ist nach ihm benannt.
Vroman wird als einen der prominentesten Dichter der neueren niederländischen Literatur betrachtet und er wurde mit allen nur denkbaren Auszeichnungen bedacht.
Das Taxi, von dem eingangs die Rede war, tritt in einem seiner bekanntesten Gedichte, "Frieden", auf.
Kommt eine Taube, hundert Pfund,
den Olivbaum in den Klauen,
mir zu Ohren mit dem Mund
voller Chöre süßer Frauen,
voller gurrenden Geschichten
wie der Krieg verschwunden ist
hundert Mal wird sie berichten:
alle Male weine ich.
Seit ich mich so übereilt
hatte in ein Taxi geschmissen,
dass ich mitten in der Nacht
hinter mir ein Loch gerissen,
seit mein sanft betränter Schatz,
rot vor Scham in ihrem Elend brennend
ein Stein ihr ditschte in den Lenden,
bin ich zu dicht im dürren Fell
um in Gebeten aus zu schwitzen,
Falten knetend allenfalls,
und „Frieden“ knirschend, „Frieden, Frieden“.
Liebe ist ein fauler Zauber
kopfloser Wolllustigkeiten,
geht mein Leben außer
Frieden, gottverdammich, Frieden weiter;
denn der Klang des Auseinanderreißens
als ich mich musste von der Liebsten scheiden
kann mich schreckstarr von dem Lager reißen,
wo wir manchmal träumen beide,
dass der alte Krieg nunmehr
wiederkehrt auf filzenen Füßen,
dass wir, eigentlich schon nicht mehr
könnend alles, weiter müssen
liegen, rennen, und dabei
einander schreiend in die Ohren
so verzweifelt, dass wir beinah
träumen uns dabei zu hören
Darf ich nicht fluchen, wenn das Feuer
einer Stadt, die längst neu aufgebaut,
lodernd rollt aus dem Gemäuer
und lichterloh den Schlaf mir raubt?
Doch das frischgeschmorte Kind,
abgefackelt, ist es nicht,
das ich furchtbar, furchtbar finde:
es ist die Zeit, wo nichts geschieht
nachdem auf einen Schlag im Haus,
ein Turm zustande kam aus Dreck,
aus längst vergessenem Kellermoder,
bald vergammeltem Inventar
blutroten Flammen und flammend-
rotem Blut, ringsherum die Luft behangen
mit lebendigen Teilen von toten doch
lieben Leuten, die ewige Stille bevor
das erstaunte Kind in dieser Säule
erwürgt wird und die Ärmchen
Komm heut' Abend mit Geschichten,
wie der Krieg verschwunden ist,
hundertmaligen Berichten:
Alle Male weine ich.
Vrede
Übersetzung J. Hoepelman 2014