Dienstag, 1. Februar 2022

Henriette Roland Holst "Tausend mal tausend" oder "das große Gut"

 

Henriette Roland Holst 1869-1952

Wir hatten in "Berlin 1910" die Gelegenheit dem sonst so erhabenen Dichter Boutens in einem kleinen, sarkastischen, fast kabarettreifen Gedicht aus 1910 zu begegnen. 1910 - Es war noch nichts passiert, aber irgendetwas war in der Mache. In letzter Zeit lese ich über ein Fernseh-Gespräch, das zwischen den beiden Philosophen, Habeck und Precht über die Entwicklung der Gesellschaft stattgefunden hat. Schon Popper hat davor gewarnt, Philosophen die Gestaltung der Gesellschaft zu überlassen. Mir fiel auf, dass viele Elemente aus dem Gespräch so oder so ähnlich in der gleichen Periode um 1910 eine wichtige Rolle spielten, so im Epos "Die Frau im Walde", der Dichterin Henriette Roland Holst aus 1912. In meinem Post über Roland Holst spielte auch Habeck mit einer politischen Aussage eine Rolle, ich hatte es fast schon vergessen. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, die Post hier noch einmal zu wiederholen:
 Henriëtte Roland Holst-van der Schalk (1869-1952) war Tochter einer wohlhabenden Notarfamilie, wurde mit 23 Jahren zu einer erfolgreichen Dichterin und fühlte sich, einige Jahren später, vom Sozialismus, danach vom Kommunismus angezogen. Sie nahm 1915 Teil an der Zimmerwalder Konferenz (die zur Spaltung der Kommunisten und Sozialdemokraten führen würde) und war bekannt mit Leon Trotzki, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und anderen Großen.
In 1918 beteiligte sie sich an einem Aufzug zur Husarenkaserne in Amsterdam, um sich mit den Husaren dort zu verbrüdern. Diese aber hatten keine Lust sich verbrüdern zu lassen und die Revolution fand nicht statt.
Nach der russischen Revolution machte sich Enttäuschung breit bei vielen, auch bei Roland Holst. Ihre Dichtung nahm zunehmend religiöse Züge an, aber auch schon in 1918, wie ersichtlich im Gedicht "Die sanften Kräfte", war sie inspiriert von einer fast religiösen Heilserwartung, womit Kamerad Dschugaschwili kurzen Prozess gemacht hätte.
Ich muss gestehen, dass ich ihre Gedichte, in denen Apostroph und Zirkumflex sich über die  Zeilen verbreiten wie Puderzucker über einen missglückten Kuchen, nicht besonders leiden kann.
Ich habe sie hier in meiner kleinen Sammlung aufgenommen aus einem anderen Grund. Was, um alles in der Welt, haben die Leute sich damals gedacht? Viele auch heute noch? Eine so liebliche, feinfühlende Dame wie Henriëtte Roland Holst, sich verzehrend vor Verlangen nach dem endgültigen Heil, der vollkommenen Liebe, schreibt (1912 !) Worte wie diese, in ihrem Endlos-Epos "Die Frau im Wald":

Hoeveel duizend harten ook noodig zijn,
ge moogt ze nemen, en de prijs blijft klein.

De prijs blijft klein voor het mensche-geluk,
al gaan duizendmaalduizend harten stuk.




Mögen vieltausend Herzen nötig sein,
Du kannst alle nehmen, der Preis bleibt klein.

Was macht es, wenn für's große Gut,
gehen tausend mal tausend Herzen kaputt.




Aus: De vrouw in het woud. W.L. & J. Brusse,
Rotterdam, 1912.

de vrouw in het woud

 Dichter/Innen müssen nicht rechnen können, aber tausend mal tausend ist eine Million. Gemeint war VIEL. Bekanntlich wurde es mehr als nur viel. Sehr viel mehr. Die vollkommene Liebe aber wollte sich partout nicht einstellen.
Diese Denkart steht immer noch in voller Blüte. Wenn du keine riesige Windmaschine in deinem Garten haben, den Wert deines Besitzes nicht ruinieren und deine Gesundheit nicht kaputt machen willst, stellst du dich dem großen Gut entgegen. Das kriegst du um die Ohren!:

"Ich gönne jedem Menschen größere Abstände zu Windkraftanlagen",
sagte Habeck. "Wichtig war für uns aber
das Einhalten der klimapolitischen Ziele des Landes,
 und dazu gehört der Ausbau."
(FAZ, Mittwoch 28 März 2018)

Hier ist das Gedicht über die "Sanften Kräfte", es spielt ungefähr in der gleichen Liga wie das weiche Wasser und der Stein:

Die sanften Kräfte

Die sanften Kräfte werden sicherlich gewinnen
am Ende - ich hör' es innig flüstern
in mir: wenn's schwiege, würde sich das Licht verdüstern
und alle Wärme würde erstarren drinnen.

Die Mächte, die die Liebe noch in Fesseln binden
beseitigt sie, indem sie mählig vorwärts schreitet
und dann beginnt die große Seligkeit,
die wir, andächtig lauschend, in uns'ren Herzen finden,

und in den kleinen Zärtlichkeiten rauschen hören,
wie in kleinen Muscheln rauscht das große Meer.
Liebe ist der Sinn des Lebens der Planeten,
der Menschen und der Tiere. Und nichts, das stören
kann das Aufsteigen zu ihr. Am stet'gen Vorwärtstreten
vollkomm'ner Liebe gibt es keinen Zweifel mehr.

Henriëtte Roland Holst-van der Schalk (1869-1952)

Uit: Verzonken grenzen (1918)
Uitgever: W.L.& J. Brusse, Rotterdam

zachte krachten

Übersetzung Jaap Hoepelman. März 2018.

Lidy van Marissing. Lange vernachlässigt.

Lidy van Marissing. 1942 Lidy van Marissing schrieb experimentelle Poesie und Prosa. Ihre Kunst ist manchmal schwer verständlich und wurde l...