Montag, 8. August 2022

Olla uogala und Egidius: Liebe, Tod und Trauer

 

Liebe und Tod - die großen Themen der lyrischen Dichtung. Die niederländische Lyrik macht  da keine Ausnahme: Die älteste erhaltene lyrische Zeile, das "Olla uogala", sehnt sich nach Liebe, das ebenso berühmte, viel spätere "Egidius" trauert um den Tod eines geliebten Menschen.

Das "Olla uogala" wird häufig als das älteste niederländische lyrische Fragment betrachtet. Der Text ist um 1100 in der Abtei zu Rochester entstanden (Zeuge de intensiven Beziehungen zwischen Flandern und England) und befindet sich heute in der Bodleian Library in Oxford. Die Zeilen sind vermutlich Teil eines Liebesgedichts und sie wurden als "Probatio Pennae", eine Federprobe auf dem Vorsatzblatt einer Handschrift geschrieben. Der Text ist nicht unbedingt leicht zu entziffern und lässt Raum für Interpretationen. Wie auch immer: Offensichtlich hatte der Schreiber noch anderes im Sinn als nur das Abschreiben frommer Texte.

hebban olla uogala nestas bigunnan
hinase hic enda thu
wat unbidan we nu

Eigentlich sind die Zeilen erstaunlich leicht verständlich und es ist irgendwie schön, sich mit einem Mönch aus dem elften Jahrhundert in der eigenen Sprache unterhalten zu können.

haben nun alle vögel nester begonnen
nur nicht ich und du
wir warten noch. wozu?


Das Egidiuslied ist die Klage über den Verlust eines Freundes. Es ist eines der bekanntesten Gedichte aus dem Mittelalter und stammt aus Flandern, vermutlich Brügge um 1400. Als Teil der Gruuthuse-Handschrift, einer Sammlung Texte, die dem Patrizier Lodewijk van Gruuthusen gehörte, sind Text und Melodie in "Stäbchennotation" erhalten geblieben. Über den Autor gibt es nur Vermutungen.
Heute wird das Manuskript in der Königlichen Bibliothek in den Haag verwahrt.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/dd/Louis_de_Gruuthuse.jpg 
Lodewijk van Gruuthuse

Das Egidiuslied

Egidius, wo bist du blieben?
Du fehlst mir sehr, Geselle mein,
Du nahmst den Tod, mir blieb das Leben,

Das war Gemeinschaft, gut und fein,
Dass einer starb, musste das sein?
Zum Thron kannst du dich jetzt erheben,
Heller als der Sonnenschein,
Alle Freud' ist dir gegeben.


Egidius, wo bist du blieben?
Du fehlst mir sehr, Geselle mein,
Du nahmst den Tod, mir blieb das Leben,

Nun bet' für mich, ich muss noch leben,
Noch nicht vorbei ist meine Pein.
Bald wird’s ein Plätzchen bei dir geben,
Ein letztes Lied muss jetzt noch sein.
Der Tod holt schließlich jeden ein.

Egidius, wo bist du blieben?
Der Tod für dich,  ich muss noch leben,
Du fehlst mir sehr, Geselle mein,
Das war Gemeinschaft, gut und fein,
Dass einer starb musste das sein?


Übersetzung Jaap Hoepelman 2016


Die Musik kann man unter dem angegebenen Link finden:

Egidius

und hier den mittelniederländischen Text:

Het Egidiuslied

Egidius waer bestu bleven
Mi lanct na di gheselle mijn
Du coors die doot du liets mi tleven
Dat was gheselscap goet ende fijn
Het sceen teen moeste ghestorven sijn

Nu bestu in den troon verheven
Claerre dan der zonnen scijn
Alle vruecht es di ghegheven

Egidius waer bestu bleven
Mi lanct na di gheselle mijn
Du coors die doot du liets mi tleven

Nu bidt vor mi ic moet noch sneven
Ende in de weerelt liden pijn
Verware mijn stede di beneven
Ic moet noch zinghen een liedekijn
Nochtan moet emmer ghestorven sijn

Egidius waer bestu bleven
Mi lanct na di gheselle mijn
Du coors die doot du liets mi tleven
Dat was gheselscap goet ende fijn

Het sceen teen moeste ghestorven sijn. 

Sonntag, 5. Juni 2022

Nicolaas Beets. Nur ein frömmelnder Pfarrer-Dichter?

 


Nicolaas Beets 1814-1903


In den "Grassprietjes" des Cornelis Paradijs wurde so gründlich mit der bis in den 80. Jahren des 19. Jahrhunderts vorherrschenden Poesie der Pfarrer-Dichter aufgeräumt, dass bis tief ins 20. Jahrhundert kein Mensch noch auf die Idee gekommen wäre, ihre Arbeiten eines Blickes zu würdigen. Im Unterricht am Gymnasium wurde uns mehr als klargemacht, dass es sich hier um frömmelnde Reimemacherei handelte, die dazu noch, ein vernichtender Vorwurf, kleinbürgerlich sei und die man am besten hastiglich hinter sich lassen sollte, auf dem Weg zur freien Poesie der allerpersönlichsten Gefühle. Van Eeden, alias Cornelis Paradijs, selber kein schlechter Dichter, fertigte die Pfarrer ab mit Versen wie

...

Schreibt nur, O Hollands Predigtherren!
Schreibt nur, Ihr, in der Furcht des Herrn:
Schlechten Reim wurde man nie gewahr 
Unter Beffchen und Talar.

In der Lampe funzelt heilges Öl
Dichten ist Ihr Monopöl;-
Der Herr sieht zu und überwacht,
Dass Ihr gute Verse macht.

So schreibt und schreibt, Ihr Seelsathleten
Schreibt mehr, bald werdet Ihr Poeten
Segnend, segnend ruhet Gottes Hand
Auf dem Betrieb im Pfarrgewand.

(Übersetzung Jaap Hoepelman)

...


Ein wohl sehr prominenter Pfarrer-Dichter war Nicolaas Beets, Prediger am Dom zu Utrecht, Professor der Kirchengeschichte und christlicher Ethik an der Universität Utrecht, Rektor der Universität, Ehrendoktor, Mitglied der niederländischen Akademie der Wissenschaften, Ehrenmitglied der Gesellschaft der niederländischen Literatur, Ritter des Ordens vom niederländischen Löwen, Ritter des Leopoldsordens von Belgien, Offizier des Ordens von der Eichenkrone und Ritter des goldenen Löwen von Nassau.  Er wurde dementsprechend von Cornelis Paradijs mit u.a. folgenden Zeilen ins Fadenkreuz genommen:



O Beets! Wär's nicht verboten
Von Gott in den Geboten,
Wie würd' ich Dich anbeten.
Jetzt muss Er Dich vertreten.
Flach lege ich mich hin,
Hab Ehr' und Lob im Sinn:
Bist Du der Leiche gleicher,
Strömen die Reime reicher.

...

(Übersetzung: Jaap Hoepelman)

Aan N. Beets


 und so stand er als Dichter lange auf der Liste der Verfemten. In 1837 fing Beets als Student die "Camera Obscura" an, eine Sammlung humoristischer Skizzen aus dem holländischen Alltagsleben, die in kürzester Zeit unglaublich beliebt wurde. In Wikipedia zähle ich 73 Auflagen bis 2008. Aber auch die "Camera Obscura" konnte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute nicht mehr mit dem Beifall der offiziellen Literaturkritik rechnen. Zu altbacken, zu selbstgefällig, zu kleinbürgerlich, zu....aus der Zeit gefallen. Was den enormen Erfolg der Camera nicht im Geringsten erklärt. Aber das ist vielleicht auch nicht Aufgabe der Literaturkritik. 

Leider wurde und wird eine andere Aktivität des frömmelnden Kleinbürgers Beets bis heute kaum zur Kenntnis genommen: Sein Engagement gegen die Sklaverei, ein Thema, das 1856 kaum jemanden sonst in den Niederlanden bewegte, 1856, das Jahr in dem Beets seinen Vortrag "Die Befreiung der Sklaven" hielt für die "Gesellschaft zur Förderung der Abschaffung der Sklaverei". Es dauerte noch bis 1863 bis die Niederlande die Sklaverei in Suriname offiziell und bis 1873 bis sie sie in der Praxis abgeschafft hatten.(Siehe auch "Anton de Kom").

In der Poesie dauerte es bis Gerrit Komrij (wahrlich kein Fürsprecher der Frommigkeit) 1979 in seiner Anthologie der niederländischen Poesie Beets mit nicht weniger als 11 Gedichten würdigte, darunter "De moerbijtoppen ruisten", das ich hierunter übersetzt habe, als kleine Wiedergutmachung.


Nicolaas Beets, 1884


(2 Samuel 5:24)


"Die Maulbeerwipfel rauschten"

      Gott strich entlang;

Nein, nicht entlang, er harrte

Er wusste, wie ich warte

      Und sprach mich an;


Sprach zu mir in der stillen,

      Der stillen Nacht;

Gedanken, die entsetzten,

Verfolgten und verletzten

      Vertrieb er sacht.


Ließ seinen Frieden sinken

      auf Seel und Sinn;

Von seinem Vaterarm gestützt

War umsorgt ich und geschützt,

      Und schlief darin.


Den Morgen, der mich weckte

      Begrüßt' ich sorgenfrei

Kein Traum konnt' mich erschrecken

Und Du, mein Schild und Stecken,

     Warst nahebei


Aus: Dennenaalden (1900)


De Moerbeitoppen ruischten


(Übersetzung Jaap Hoepelman Juli 2022)

Donnerstag, 12. Mai 2022

Anna Bijns. Mehr Saures als Süßes. Streitschrift und Refrain.

 

Anna Bijns
Antwerpen 1493-1575

Die Reformation kannte Twitter nicht, dafür reichlich Flugblätter und Streitschriften. Die Teilnehmer legten sich damals wie heute keine vornehme Zurückhaltung auf.*


       Papst Alexander VI. Um 1500 **

Teufel mit Luther als Sackpfeife um 1535**



Anna Bijns (1493-1575) war eine Ausnahmeerscheinung. Sie ergriff eifrig die Partei der Päpstlichen und obwohl sie als Frau zu den offiziellen Kammern der "rederijkers" (rhetoriker) nicht zugelassen wurde, war sie als Dichterin hochgeschätzt und gepriesen. 
Sie war die Tochter einer Antwerpener Schneiderfamilie und auch ihr Vater war schon bei den Rhetorikern aktiv.  Bijns Begabung muss früh aufgefallen sein - es wird vermutet, dass sie es war, die als 15-jährige in 1512 erwähnt wird, als Beinahe-Siegerin in einem Dichterwettbewerb mit einem Refrain auf Maria.  
Mit der armseligen Kürze einer Twittermitteilung hatten die rederijkers nichts am Hut. Ein Refrain hatte aus mindestens 4 Strophen zu bestehen, abgeschlossen mit einem Kehrreim. Das Refrain bleibt Bijns bevorzugte Form, in der sie ihre Virtuosität in Reim und Rhythmus voll ausspielen konnte, besser als alle Kollegen Rhetoriker. Sie wandte es in vielen Gedichten und Pamphleten an, meistens gerichtet gegen die teuflischen lutherschen Einblasungen.  Ihr erstes Band erscheint 1528, 


"Dit is een schoon ende suverlick boecxken inhoudende veel scoone constige refereinen van de eersame ende ingeniose maecht, Anna Bijns" 

das zweite und das dritte 1548 und 1567. Es folgen viele Nachdrucke. Daneben sind umfangreiche Handschriftensammlungen erhalten mit  ihren Arbeiten die zum Repertoire der Rhetoriker gehörten, darunter Liebesgedichte und recht sarkastische über Ehe und Familie: "Glücklich die Frau ohne Mann!". Ihre Sprache konnte  richtig derb sein. Einen Mann, der sich um einen Säugling kümmert stellt sie so bildhaft dar, dass einem ein Gemälde Adriaan Brouwers einfällt. Ich habe aber gelernt, dass sich in dieser Hinsicht im Laufe der Zeit nichts Grundlegendes geändert hat:

Adriaan Brouwer Antwerpen 1605-1638 "Der Geruch"



"En als 't hem bescheten heeft, moet ik schiere
 
Het grofste gruis van den doeken spoelen.
 
Pis, kindeken pis, pis, ik dan krajiere,
 
Wanneer dat 't kakken wille of poelen."

Und hat's geschissen, bin ich in Eile,
Die dicken Batzen aus den Windeln zu pulen.
Piss, Kindelein, piss, piss, ich könnte weinen,
Wenn's kacken möchte oder strullen.


Sie heiratete nicht. Einige vermuten, dass ihr Sinnspruch "Mehr Saures als Süßes" darauf zurück zu führen ist, andere, dass sie damit auf ihre Neigung zu Satire und bissigen Spott anspielt. Vielleicht trifft beides zu. 
Bis ins hohe Alter unterrichtete sie in ihrer eigenen Schule in Antwerpen. 


Gedenktafel Keizerstraat 57, Antwerpen

Anna Bijns verdankte ihren Erfolg der Druckpresse. Nicht nur als DichterIn: Als "Branbanter Sappho"  war sie,  Anfang und Mitte des 16. Jahrhunderts, der in den Niederlanden am meisten gedruckte Autor überhaupt. Ihre Kunst wurde über die der männlichen Kollegen-Dichter gestellt. In späteren Jahrhunderten geriet Bijns kunstvoll gedrechselte Poesie - wie auch die der Rhetoriker allgemein - in Vergessenheit. In letzter Zeit, mit unter dem Einfluss von Gerrit Komrij, dem großen Rhetoriker der Neuzeit, findet eine bescheidene Bijns-Renaissance statt.  Von 1985 bis 2016 existierte sogar ein Anna Bijns Preis als Pendant zum P. C. Hooft Preis um die Arbeit weiblicher Autoren angemessen zu würdigen. 

Eines der bekanntesten Refrains der Anna Bijns ist ein polemischer Vergleich zwischen Martin Luther, dem Reformator, und Maarten (Martin) van Rossem, Graf, Bandit und notorischer Kriegsverbrecher (man verzeihe den Anachronismus), woraus van Rossem als der bessere hervorgeht, mit dem Kehrreim:

"Doch scheint Martin van Rossem der beste von zweien."

Und ja, manchmal standen Bandenchef und Reformator sich recht nah:



Maarten van Rossem
1478-1555

"Sengen und Brennen sind die Zierde des Krieges"



Martin Luther 
1483-1546

"man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss."

Für Bijns war Luthers Treiben aber schlimmer, weil fataler für das Seelenheil, als van Rossems Mordbrennerei. 
Sarkastisch konnte sie sein: Im Vergleich zwischen van Rossem und Luther scheint sie sich auf einen Lutherschen Spruch ("Die Welt schändet immer, was man loben soll, und lobt, was man schänden soll." ***) zu beziehen.

Anna Bijns

um 1545 



"Doch scheint Martin van Rossem der beste von zweien"



Martin van Rossem, inmitten seiner Mörderbande,

Hat schon viele schöne Häuser abgebrannt.

Aber stelle einmal Luthers Tun daneben:

Durch den sind Kirchen, Klausen, Klöster überrannt,

Manch braver Leute Kind, die Zahl ist unbekannt,

Aus den Klöstern gejagt, dem Verfalle preisgegeben,

Rauben müssen sie und stehlen, um zu überleben,

Einige von ihnen machen mit beim Rossemschen Gelichter.

Doch warum allein bei Rossem ein Geschrei erheben?

Zeigt nicht Luther eine schlimmere Geschichte?

Mache auf die Augen, ich kenne Dich zwar nicht,

Du, der Rossem tadelt und Luthers Lob will sprechen, ***

Schaue doch auf alles das, was dieser hat verrichtet.

Größer als van Rossems sind die Lutherschen Verbrechen.  

Ist es Dir auch gleich, was falsch ist und was wahr,

Diese Wahrheit kannst Du nicht verneinen:

Tugend fehlt den beiden Martins ganz und gar,

Doch van Rossem Martin scheint der bessere von zweien.


Van Rossems Belagerung von Antwerpen 1542




(Handschrift A)

(De beste van tween)

*Gewalt in der Sprache


*** "Die Lutherum loeft ende Rossom laect."

Übersetzung Jaap Hoepelman, Mai 2022


Mittwoch, 9. März 2022

Bloem. Nach der Befreiung.

 

Montag, 26. Februar 2018


Afbeeldingsresultaat voor jacques bloem

Gegen Ende des Krieges (des 2. Weltkrieges muss man heute leider hinzufügen), während in verschiedenen Landesteilen noch gekämpft wurde, gelangen Bloem,  im April 1945, die Zeilen, die zu den bekanntesten niederländischen zum Kriegsende gehören. Man kann nur hoffen, dass auch die Ukrainer dieses Gefühl der unendlichen Erleichterung bald empfinden dürfen.


Jacques Bloem (1887-1966)

Nach der Befreiung

Schön und strahlend ist, wie damals, der Frühling,
Kalt der Morgen, aber wenn die Tage sich weiter
Öffnen, ist der ewige Himmel ein Wunder
Für die Geretteten.

Im dünnen Schleier über allen brachen Ländern
Pflügen wieder die trägen Pferde
Wie immer, während noch die nahen Fernen
Dröhnen vor Krieg.

Dies erlebt zu haben, dies bei heilem Leibe aussprechen zu
Dürfen, bei jedem Aufwachen zu
Wissen: hin ist, und jetzt für immer, die bald
Unerträgliche Knechtschaft -

Fünf Jahre war es wert zu schmachten,
Mal aufständisch, mal beruhend, und niemand
Von den Ungeborenen wird die Freiheit
So zu schätzen wissen.

J.C. Bloem
Warnsveld 17 april 1945
Aus: Verzamelde gedichten

Schoon en stralend

Vertaling J. Hoepelman November 2017

Sonntag, 6. März 2022

Multatuli - Barbertje.


Multatuli 1820 - 1887


Am Anfang von Multatulis "Max Havelaar" steht ein angeblich "nicht veröffentliches Theaterstück", das im Niederländischen zu einem eigenen - eigentlich falsch benannten - Sprichwort geworden ist: "Barbertje moet hangen" - "Bärbelchen muss hängen". Eine Parabel über Wahrheit und Recht in schlechten Zeiten. Der "Max Havelaar" wird wohl gesehen als der Anfang vom Ende eines Kolonialreichs. Vielleicht sind wir wieder Zeugen des Untergangs eines Imperiums. Dessen Umgang mit Recht und Wahrheit erinnert daran.



Gerichtsdiener.

Herr Richter, das ist der Mann, der Bärbelchen ermordet hat.

Richter.

Der Mann muss hängen. Wie hat er das angestellt?

Gerichtsdiener.

Er hat sie in kleine Stücke zerschnitten und eingepökelt.

Richter.

Da hat er etwas gänzlich Falsches gemacht. Er muss hängen.

Lothario. 

Herr Richter, ich habe Bärbelchen nicht ermordet! Ich habe sie ernährt und gekleidet und versorgt. Es gibt Zeugen, die aussagen werden, dass ich ein guter Mensch bin und kein Mörder.

Richter.

Mann, Ihr müsst hängen. Zu Ihren Verbrechen kommt Ihr Eigendünkel erschwerend hinzu. 

Eine Unverschämtheit, dass einer, der... von irgend etwas beschuldigt wird, sich für einen guten Menschen hält.

Lothario.

Aber Herr Richter, es gibt Zeugen, die es bestätigen werden. Und weil ich jetzt des Mordes beschuldigt werde...

Richter.

Ihr müsst hängen! Ihr habt Bärbelchen in Stücke geschnitten, eingepökelt und seit dünkelhaft...Drei kapitale Verbrechen!

Wer seid Ihr denn, Frauchen?

Frau.

Ich bin Bärbelchen

Lothario.

Gott sei Dank! Herr Richter, Sie sehen, dass ich sie nicht ermordet habe!

Richter.

Hm...ja...soso! Aber das Einpökeln?

Bärbelchen.

Nein Herr Richter, er hat mich nicht eingepökelt. Er hat mir im Gegenteil viel Gutes getan. Er ist ein edler Mensch!

Lothario.

Sie hören es, Herr Richter, sie sagt, dass ich ein guter Mensch bin.

Richter.

Hm...also der dritte Punkt besteht weiterhin.

Gerichtsdiener, führen Sie den Mann ab! Er ist des Eigendünkels schuldig.

Gerichtsschreiber, zitieren Sie in den Prämissen die Jurisprudenz des Lessingschen Patriarchen.*


(*Thut nichts, der Jude wird verbrannt)


Übersetzung Jaap Hoepelman März 2022

Freitag, 25. Februar 2022

Frieden

 

Leo Vroman (1915-2014)


Am 10. Mai 1940 nahm Leo Vroman (1915-2014) ein Taxi von Utrecht, wo er Biologie studierte, via Gouda, wo seine Eltern wohnten, nach Scheveningen. Er flüchtete weiter in einem Segelboot nach England. Von dort ging es nach niederländisch Indien (jetzt Indonesien), wo er nach dem japanischen Übergriff in verschiedenen Lagern interniert wurde. Nach anschließender Zwangsarbeit in Japan führte ihn das Ende des Krieges nach Manila. Als die niederländische Regierung ihn im Rahmen der militärischen Aktionen nach der Befreiung Ost-Indiens zurück nach Indien schicken wollte, hatte Vroman endgültig genug und zog weiter in die USA. Später nahm er die amerikanische Nationalität an. Trotzdem verfasste er Poesie und Prosa meistens auf Niederländisch. Zurück wollte er aber nie: Lieber Heimweh als Holland, schrieb er. Sein Stil versachlichte sich zu einer raffinierten Schlichtheit - insbesondere mit  zunehmendem Alter - , was beileibe nicht heißt, das seine Dichtung ohne Gefühl gewesen wäre. Menschlichkeit, keine Übertreibung, keine Anstellerei und zunehmend alltägliche Umgangssprache, gerade dadurch wirken seine Emotionen. Darüber hinaus verfügte er über eine gute  Portion Witz.
 In New York arbeitete er als Hämatologe und er betrachtete sich selber in erster Linie als Wissenschaftler. Der "Vroman Effektist nach ihm benannt.
Vroman wird als einen der prominentesten Dichter der neueren niederländischen Literatur betrachtet und er wurde mit allen nur denkbaren Auszeichnungen bedacht.
Das Taxi, von dem eingangs die Rede war, tritt in einem seiner bekanntesten Gedichte, "Frieden", auf.


 

Edith Hoepelman. Die Friedenstaube.

Frieden
(1954)

Kommt 'ne Taube, hundert Pfund,
den Olivbaum in den Klauen,
mir zu Ohren mit dem Mund
voller Chöre süßer Frauen,
voller gurrender Berichte
wie der Krieg verschwunden ist
hundertmalige Geschichte:
alle Male weine ich.

Seit ich mich so unvermittelt
in ein Taxi hatt' geschmissen,
dass in der Nacht 
ich hinter mir
ein Loch hatte gerissen,
seit mein sanft betränter Schatz,
schamesrot in ihrem Elend brennend
stehen blieb, so blieb stehen,
 dass
ein Stein ihr ditschte in den Lenden,
bin ich zu dicht im dürren Fell
um in Gebeten aus zu schwitzen,
Falten knetend allenfalls,
und „Frieden“ knirschend, „Frieden, Frieden“.

Liebe ist ein fauler Zauber
kopfloser Wolllustigkeiten,
geht mein Leben ohne
Frieden, gottverdammich, Frieden weiter;
denn der Laut hat mich zerrissen
als ich musste von der Liebsten scheiden
und mich aus dem Bett geschmissen
wo wir manchmal träumen beide,
dass der alte Waffengang nunmehr
wiederkehrt auf filznen Füßen,
dass wir, eigentlich schon nicht mehr
könnend alles, weiter müssen
liegen, rennen, nebenbei
sich schreiend in die Ohren
so verzweifelt, dass wir eben
träumen uns dabei zu hören

Darf ich nicht fluchen, wenn das Feuer
einer Stadt, die längst neu aufgebaut,
lodernd rollt aus dem Gemäuer
und lichterloh den Schlaf mir raubt?
Doch das frischgeschmorte Kind,
abgefackelt, ist es nicht,
das ich furchtbar, furchtbar finde:
es ist die Zeit, wo nichts geschieht
nachdem auf einen Schlag im Haus,
ein Turm zustande kam aus Dreck,
aus längst vergessenem Kellermoder,
bald vergammeltem Inventar
blutroten Flammen und flammend-
rotem Blut, ringsherum die Luft behangen
mit lebendigen Teilen von toten doch
lieben Leuten, die ewige Stille bevor
das erstaunte Kind in dieser Säule
erwürgt wird und die Ärmchen hochstreckt.

Komm heut' Abend mit Geschichte,
wie der Krieg verschwunden ist,
hundertmalige Berichte:
Alle Male weine ich.

Vrede

Übersetzung  J. Hoepelman 2014 

Donnerstag, 10. Februar 2022

Van Maerlant, die Wunder der Natur. Die Tierwelt.

 

       Jacob van Maerlant, um 1230 - 1290

Ausführlicher über van Maerlant habe ich hier. berichtet.
Van Maerlants Text in der "DBNL" findet man hier.
In "Der Naturen Bloeme" blättern kann man hier


Zu Maerlants Zeiten besaßen die aristotelischen Lehrmeinungen höchste Autorität und Maerlants Abhandlung über die Wunder der Tierwelt fängt getreulich mit der Anrufung der aristotelischen Lehre über das Blut und die Gefäße bei den Tieren an. Nach Aristoteles sind die Insekten blutlos und so lehrt es auch van Maerlant. Es wird noch bis Swammerdam dauern, bis man zu einer anderen Auffassung gelangt.


Von den Tieren

Ich will beim Hergebrachten bleiben,
und die Tiernatur beschreiben,
die allen Tieren ist gemein,
danach von jedem Tier allein.
Hat allgemein ein Tier zwei Beine, 
oder vier, oder aber hat es keine,
(die hat Aristoteles im Sinn), 
hat es Gefäße mitsamt Blut darin.
Zwar haben manche Tiere mehr
als vier, die sind jedoch blutleer.
Dass man sich bitte nicht vertut:
Ich sprech' vom Blutgefäß und Blut.
Blut haben Würmer, wie man unschwer sieht,
Gefäße nicht. Das ist der Unterschied.
...
...

Nach einer ausführlichen Auseinandersetzung über die allgemeine Natur der unterschiedlichen Tierarten fängt van Maerlant zu guter Letzt mit A, wie Asinus, der Beschreibung des gewöhnlichen Esels an. Manchmal sind die Beschreibungen etwas länglich, deshalb werde ich mich für jedes Tier auf wenige Abschnitte beschränken, in der Hoffnung, auf diese Weise ausreichend lehrreiches Material für den Leser bereit zu stellen. Ich werde schrittweise vorangehen, die Übersetzungen in Teilen anfertigen  und hin und wieder nach Lust und Laune ins Netz stellen. Die Reime habe ich, wie van Maerlant auch, nach den lateinischen Tiernamen alphabetisch geordnet.


Der Esel

Der Esel im Zeichen des Kreuzes

“Asinus“ heißt “Esel“, wird uns beigebracht,

hässlich ist er, ungeschlacht,

groß der Kopf, die Ohren lang

und sehr langsam ist sein Gang:

Eine halbe, magere Portion.

Am Rücken aber steht das Zeichen der Passion,

weil der Herr uns Demut hat gelehrt

auf dem Eselsrücken, nicht auf einem Pferd.
...
...

 Der Biber

Der Biber bei einer  typischen Tätigkeit

Als Castor ist er auf Latein bekannt,

Biber wird er hier genannt.

Castorium, die Hoden auf Latein,

sind wirksam gegen Zipperlein.

Deswegen wird ihm nachgestellt.

Fühlt er sich zu sehr umstellt,

dann, wahrlich, beißt er diese ab,

dann lassen Jäger von ihm ab.

Jagt man ihn dann später wieder,

legt der Biber sich danieder.

Hier, zeigt er, gibt es nichts zu holen.

Wiederum heißt's bei den Polen,

die Hoden liegen drinnen, wie die Nieren.

Aber können solche Biber sich kastrieren?


Aus van Maerlants Beschreibung des Dachses geht klar hervor, dass auch die heutige alternative Heilkunde mittelalterliches Wissen zu ihrem Vorteil anwenden könnte. Meine Übersetzung konzentriert sich deswegen auf die heilkräftige Seiten des kleinen Raubtiers. 


Der Dachs

Linke und rechte Pfoten eines Dachses sind ungleich lang

Dachs heißt Daxus auf Latein,

vom Dachsenfett wird meine Rede sein.
...
...
Das Fett des Dachses kommt und geht, 

weil's mit dem Mond im Wechsel steht.

Zerlegt man ihn bei Neumond um sein Fett,

so stellt man fest: Fett fehlt komplett.

Dachsenfett gibt wirkungsvolle Salben

für kranke Glieder allenthalben.
...
...
Aesculapius der Weise

empfiehlt den Dachs in dieser Weise:

Mit seinem Fett sind Glieder einzustreichen,

dadurch wird jedes Fieber weichen.

Schambeschwerden werden flugs gemindert,

und durch Hirn, gekocht in Öl, verhindert.

Dachsenblut und Salz auf Glieder aufgetragen

schützen den Mann an dreien Tagen:

Keine Krankheit wird ihn plagen.

Gesottenen Hoden in Honig, hört man sagen,

genommen auf den leeren Magen,

sollte kein verschnupfter Mann entsagen:

Drei Tage krank, und dann, wie immer,

spielt er das Spiel der Frauenzimmer.



Das Elfentier



Elephas heißt Elefant.

Elfentier wird's auch genannt.

Groß und stark ist dieses Tier,

den langen Schnabel sieht man hier.

Den Schnabel braucht der Riese auch,

es geht nicht ohne diesen Schlauch.

Will es fressen oder saufen, dann

käm' es sonst an nichts heran.

Jakob von Vitry, uns wohlbekannt,

sagt wie er kämpft, der Elefant:

Mit dem Schnabel in der Schlacht

hat manchen Feind er totgemacht.


Nicht nur die Biologie des Elefanten ist interessant. In der Heilkunde findet das Elfentier ungeahnte Anwendungen.


Lange Zähne hat das Elfentier


sie stechen raus, so lesen wir.


Krumm und lang 2 Cubitus,


man verbrennt sie gern zu Ruß.


Aus gebranntem Zahn sodann,


macht segensreiches Pulver man,


Medizin, die wertvoll ist und gut, 


Durchfall stoppt und Nasenblut.


Monatsbluten stillt der Zahn im Nu,


Hämorrhoiden macht er zu.


Und hilft einmal die Kur dir  nicht,


trink es mit Saft vom Wegerich.



Wenn es um Moral und Sitte geht, kann der Elefant dem Menschen als Vorbild dienen:



Aristoteles macht klar,

 

ein Elfentierenpaar im Jahr


tut es 2 Mal miteinander,


2 lange Jahre nacheinander.


Dann, in größter Heimlichkeit,


treiben schamhaft sie's zu zweit.


Haben beide sich vereinigt,


wird sich in einem Fluss gereinigt,


damit ein jedes sauber werde.


Erst dann geht es zurück zur Herde.


Die Tiere leben treu zu zweit,


kein Überspiel führt je zum Streit.


O Mensch! Welch höfische Manieren


bei solch plumpen, tumben Tieren!

Sonntag, 6. Februar 2022

Van Maerlant. Die Wunder der Natur. Von fremden Ländern und Menschen.

 



Jacob van Maerlant, um 1230 - 1290

Jakob van Maerlant war der erste Großdichter der niederländischen Literatur. Über 300.000 Zeilen umfassen seine Werke, viele davon geschrieben als Anschauungsmaterial für den jugendlichen Ritter, so z.B. für Floris V, den jungen Sohn des Grafen Willem II (1227-1256), des Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches, der so schmählich in den friesischen Sümpfen erschlagen wurde.
Eines der Hauptwerke van Maerlants ist "Der Naturen Bloeme" - "Die Wunder der Natur", in der in 13 Kapiteln die bekannte Natur beschrieben wird, wie in einem reich bebilderten TerraX. Eine Wikipedia für die Ritterschaft. Die Sprache des Gedichtes (wie auch  seiner sonstigen Dichtungen)  ist Niederländisch und das Werk ist damit das erste der Gattung, das in der Volkssprache und nicht auf Latein geschrieben wurde.

Mit dem ersten Kapitel "Der Naturen Bloeme" erweitern wir mit van Maerlants Hilfe unseren Blick auf fremde Länder und Völker.

Ausführlicher über van Maerlant habe ich hier. berichtet.
Van Maerlants Text in der "DBNL" findet man hier.
In "Der Naturen Bloeme" blättern kann man hier.

Obwohl wir es hier mit Gebrauchspoesie zu tun haben, gibt es genug zu bewundern und zu schmunzeln, insbesondere in der Kombination mit den Illustrationen. Van Maerlant schrieb seine "naturen Bloeme" nach dem Theologen Thomas von Cantimprés De natura rerum. und so dienen die Naturbeschreibungen immer auch ein erzieherisches Ziel: Die Natur ist voll der erstaunlichsten Beweise von Gottes Allmacht und Beispiele von Tugend und Untugend.  Uns, im Jahre 2021, umgeben von treuen Hunden, edlen Pferden und freundlichen Wölfen, kommt das bekannt vor. 

Der Beruf auf Autoritäten gehörte zum werkzeugkasten eines Schriftstellers im Mittelalter. 
Van Maerlant listet eine ganze Reihe auf in der Vorrede zu den "Wundern der Natur" und demonstriert damit  seine Gelehrsamkeit: Plinius,  Solinus, Sankt Ambrosius, Sankt Basilius, Sankt Isidorus,  Jacob von Vitry, Galenus, Palladius, Platearius, Physologus, Lucillus, Piso, Theophrastus, Albertus Magnus, Adelinus, Hiëronymus, Paulus, Antonius, Claudius, Dorotheus, Dyogenus, Dymocritus, Dionysus, Cato, Varrus, Marcus...Die Liste, beschwörend wie ein Geistergesang, ist damit noch lange nicht zu Ende. Ganz oben steht natürlich Aristoteles, der Stagirit, "die Krone der heidnischen Philosophenscharen". Und so beginnt van Maerlant sein Opus mit einem Rückgriff auf Aristoteles und berichtet treuherzig über das Wachstum der Zähne.

1. Vom Menschen

Aus den Schriften ist bekannt
zu der Kreaturen König ist ernannt
der Mensch. Mit ihm also wird Anfang sein.
Schwach und wehrlos ist das Kindelein,
das weder kriechen kann, noch gehen.
Beim Stagiriten kann man sehen,
im siebten Monat erst beginnt
das Zahnwachstum beim Windelkind.
Je wärmer die Milch der Mutter ist,
je schneller wächst das Milchgebiss.
...
...


Van Maerlant arbeitet sich anschließend durch alle Stadien des menschlichen Lebens vor, um bei den menschlichen Wundern der Natur zu enden:


Amazonen


Jakob von Vitry berichtet eloquent 


über ein Gebiet im Orient.


Ein Volk befindet sich im Land,


in vielen Büchern wird's genannt,


das hat wahrlich fremde Sitten.


Von Flüssen wird das Land durchschnitten.


Es ist als Amazonien bekannt.


Nur Frauenzimmer wohnen in dem Land.


Hier gibt es keine Mannspersonen,


es dürfen hier nur Frauen wohnen,


gar mehr als 1000 mal 200 Frauen,


selten, dass sie einen Mann anschauen.


Wenn sie vom Schlachtfeld wiederkehren,


und sammelten als Kriegerinnen Ehren,



dann werden alle sich verneigen


und lassen willig sich besteigen.


Einmal jährlich sind sie so beim Mann.


Empfangen sie ein Kindlein, dann


bleibt ein Knäblein 7 Jahr' am Ort,


dann muss der Bub zum Vater fort.


Die kleinen Mägdlein bleiben bei


der Mutter und die Gegend männerfrei.


Kein Mann darf in dem Landstrich sein:


Sie haben mit den Frauen nichts gemein.



Nackte Weisen


Will man zu den Amazonen reisen,

trifft man das Volk der nackten Weisen.

Ihnen sind die Mächtigen egal,

demütig, nackt und arm sind sie zumal.

In Höhlen harren diese Menschen aus,

kein Weiser baut sich je ein Haus.

Noch Saal, noch Kemenate bauen sie,

Frauen und Kinder sind beim Vieh.

Nie kämpfen sie, nie gibt es Streit.

Es kam einmal, vor langer Zeit,

der große Alexander in ihr Land,

wo er das Volk in Armut fand.

Barmherzig sprach darum der Held:

Fragt was ihr wollt, wie's euch gefällt.

Sie sprachen: Eine Bitte lediglich,

Unsterblichkeit, mehr ist es nicht.

Der Hegemon sprach daraufhin:

 Ich, der ich ein Gewaltiger bin,

hab' keine Gewalt über's ewige Leben,

kein Sterblicher kann euch das geben.

Die Weisen haben dann gefragt:

Warum, wenn Dein Verstand Dir sagt,

 dass Du musst ohne Zweifel sterben,

 bringst Du den Tod nur und Verderben?


Brahmane


Ein weises Volk, das ich beschreiben muss,


gibt es am mächtigen Gangesfluss.


Der Name Brahman wird dem Volk gegeben.


Bemerkenswert, wie diese leben,


denn ist es nicht ein wundersames Ding:


Bevor der Gottessohn den Leib empfing,


schrieben vom Vater und vom Sohn


sie an Iskander, dem großen Hegemon


und ihre Worte wurden offenbart


wie wenn das Christentum gelehret ward.



Selbstverbrenner



Andere Leute wohnen daneben, 


die sehnen sich nach ewigem Leben,


das sicher folgt dem Hier und Heuer,


darum verbrennt man sich im Feuer.



Elternfresser



Und Leute die des Wahnsinns sind,

sie sind wie wir der Eltern Kind.

Wenn diese müde sind und alt

Erschlägt man sie, man macht sie kalt.

Als Festmahl werden sie geschlachtet,

wer das nicht mitmacht, wird verachtet.



Riesen 



In dieser Gegend gibt's ein Land,


für seine Riesen ist's bekannt,


12 Cubitus! Gigantenhaft!



Zwerge



Dem Zwergvolk dort fehlt es an Kraft,


nur klägliche 2 Ellen misst es,


das heißt: 3 Fuß und kleiner ist es.



Frauen, die grauhaarige Kinder gebären



Frauen gibt's dort, hör' ich sagen,


die einmal nur ein Kindlein tragen.


Grauhaarig werden die geboren,


doch das Grauhaar geht verloren,


schwarze sprießen nach den grauen.

 

Frauen mit kurzlebigen Fünflingen 

Im gleichen Landstrich leben Frauen,

die immerzu fünf Kinder gebären.

 Acht Jahre ihre Leben währen.



Ein Volk, das von rohem Fisch lebt



Andere Leute leben dort so:


Sie essen ihre Fische roh,


und trinken aus dem salzigen Meer.



Volk mit verdrehten Händen



Völker gibt es dort vermehrt,


bei denen stehen die Hände verkehrt.


An den Füßen, so wird uns gelehrt,


zählen die Zehen zwei mal vier



Ein Volk mit Hundeköpfen und Krallen



Bei einem Volk, so hören wir,


stehen die Füße falsch herum


(ich zitier' Sankt Hieronimum).


Auch haben wir bei ihm gefunden,


hat es Köpfe wie von Hunden


dazu Krallen, lang und krumm.


Und was werfen sie sich um?


Sie kleiden sich in rohen Fellen.


Ihre Sprache klingt wie Bellen.



Leute mit einem winzigen Mund



Hier gibt es seltsame Gesellen


deren Mund ist winzig klein.


Nur ein Trinkhalm, dünn und fein,


hilft den Leuten überleben.



Menschenfresser



Und ein Volksstamm lebt daneben,


der frisst Menschen, wird gesagt.


Die werden nach Geruch gejagt,


so wie ein Schweißhund jagen muss,


man treibt sie dann an einen Fluss


und erschlägt ihnen den Leib,


egal von wem, ob Mann, ob Weib.



Arismaspi, d.h. Zyklopen



Dann gibt es Leute in dem Land

Die werden Arismaspi genannt

oder Zyklopen auf Latein,

Ein Auge haben die, nur ein,

das durch ein Loch der Stirneshaut

unverwandt nach vorne schaut.


Sonnenschirmfüssler

                                       


 Ein Volk worüber ich berichten muss

ist ausgesprochen schnell zu Fuß,

nicht zwei Füße - ein Fuß allein.

Wollen sie im Schatten sein,

so heben sie das eine Bein

gegen den heißen Sonnenschein

und liegen so im kühlen Schatten

von diesem Fuß, vom großen platten.


Kopflose Inder

                                                 


In Indien, dass ihr's mir glaubt,

da gibt es Leute ohne Haupt.

Die Augen sind im Schlüsselbein.

Zwei Löcher gehen in die Brust hinein

für die Nase und den Mund,

ein Anblick, grässlich wie vom Hund.


Ein Volk, das von Apfelduft lebt



Es wohnen Leute gleich daneben,


die nur vom Duft von Äpfeln leben


und von keiner anderen Speise.


Geht dort einer auf die Reise,


trägt er Äpfel für die Not,


sonst wäre es für ihn der Tod,


umwehte ihn ein böser Hauch.



Wilde Männer mit 6 Fingern



Wilde Männer gibt's dort auch


mit je 6 Fingern an der Hand



Frauen in Silberrüstung



Frauen wohnen in dem Land,


die man vornehm heißen muss.


Sie leben dort in einem Fluss,


darum besitzen sie kein Eisen. Nein,


ihr Rüstzeug muss aus Silber sein.



Frauen mit Bart



In Indiens Tälern gibt's mitunter


Frauen mit Bärten zum Busen herunter,


die als Kleidung Häute tragen.


Sie ernähren sich durch Jagen.


Sie halten Leoparden sich,


Löwen und Tiger fehlen nicht,


die können sie zum Jagen zähmen.



Volk, das am Fluss lebt



Manchmal kann man auch vernehmen,


dass dort Leute, Mann und Weib,


leben ohne Kleid am Leib,


dafür am Körper rau behaart.


Es ist dieser Leute Art,


wenn zu ihnen Fremde gingen


würden sie ins Wasser springen.


Jeder lebt, so wie er leben muss,


und so lebt dieses Volk am Fluss.



Wilde Leute mit Schweinsborsten



Wilde Leute gibt es dort auch heuer


kräftig, groß und ungeheuer.


Sie haben Borsten wie vom Schwein,


vom Büffel könnt' ihr Schnauben sein.



Frauen mit Hundegebiss



In einem Fluss dort wohnen Weiber,


die haben wunderschöne Leiber,


nur leider haben sie im Mund


das Gebiss von einem Hund.



Pygmäen



"Pygmäen" gibt's in diesem Land,


"klein wie die geballte Hand".


Man findet sie in Indiens Bergen.


Drei Jahre dauert's bei den Zwergen,


dann zeugen sie und tragen Kinder.


Das kleinste Volk - es geht nicht minder.


Nach acht Jahren, immer wieder,


ringen sie die Kraniche nieder,


die wollen ernten ohne Säen


die Frucht der Arbeit der Pygmäen.



Leute mit einem Schwanz



Auch gab es Leute in den alten Tagen,


die haben einen Schwanz getragen.



Wilden



Gleichsam im Orient bekannt


wilde Leute in einem wilden Land.


Einst hat man einige gefangen,


und ist unters Volk gegangen.


Ihrem Los sind sie entkommen:


Keine Nahrung haben sie genommen


und verhungert starben sie alsdann.



Männer mit Kerzenaugen



In Indien gibt's manchen Mann,


dessen Aug' strahlt nachts so klar


wie eine Kerze, das ist wahr.



Volk isst nur rohes Fleisch und wilden Honig





Ihre Schönheit preist man sehr,


dieses Volk wohnt nah am Meer.


Alles Fleisch essen sie roh


und saugen Honig ebenso.



Volk mit Januskopf



Diesen Fluss nennt man Brixant,


er fließt in Indien bis ins Land.


Das Volk ist groß in diesem Reich, 


ihre Haut ist mehr als bleich


und ihr Antlitz zweigeteilt.


Wunder habe ich mit Euch geteilt


und getreulich hier beschrieben.


Bände hat man vollgeschrieben


über Wunder an Indiens Gestaden.


Hört zu! Zu mehr will ich Euch laden!



Frauen, die eine Kröte gebären



In Europa gibt's ein Land,


Jakobus von Vitry hat es genannt.


Gebärt dort eine, so sagt sein Bericht,


kriecht zunächst ein Kröterich ans Licht.


Kommt allerdings die Kröte nicht,


kommt kein Kröterich in Sicht,


so sieht man es der Mutter an:


Das Kind ist nicht von ihrem Mann.


Blödsinn und Phantasterei


geistern in der Lombardei.



Alpenländler mit Kropf



Jenseits der Alpen, im Burgunderland


leben viele, es ist wohlbekannt,


die in den Alpentälern wohnen,


und Kröpfe tragen wie Melonen,


diese haben sie am Hals.



Französische Hermaphroditen



In Frankreich gab es jedenfalls,


denn so will es uns erscheinen,


Leute, zeigend zwischen beiden Beinen,


 das Gemächt von Frau und Mann.




Die Zyklopen von Sizilien



Geht man nach Sizilien, dann,


im Wald beim Berg, der brennt,


den man meistens Ätna nennt,


gibt es Leute, die ein Aug' nur tragen


und jeden Baumstamm überragen.


Mit einer Zunge wie ein Schild


sind sie fürchterlich und wild.


Fleisch und Blut sind ihre Nahrung.



Zwergfrau mit Stirnwunde



In Westende, in der Brandung,


wurde eine Frau gefunden,


auf der Stirne trug sie Wunden.


Die Strömung trieb sie an die Küste;


keiner, der Genaueres wüsste.


Purpurfarben war ihr Kleid.


Die Größe aber dieser Maid,


so heißt es, war ein Cubitus,


das heißt eineinhalber Fuß.




Herkules


In der Marge das Schwert des Herkules.



Anders die Größe des Herkules,


von dem nicht blieb der kleinste Rest,


kein anderes Wunder reicht heran,


nichts gibt's, das man vergleichen kann.


Er hat zwar Völker fast vernichtet,


doch hat man Zeichen ihm errichtet.


Siegessäulen stehen im Land


der Spanier, als Denkmale am Strand:


Bis hier hat er das Land bekriegt,


Riesen und Sonne hat der Held besiegt.


Doch Siegesstrecken enden mal,


das Schicksal trifft uns allemal:


 Ein Gifthemd. Schmerzen ungeheuer,


zur Löschung warf er sich ins Feuer,


wo er zu Pulver ist verbrannt.


Seine Länge ist uns nicht bekannt.




Der Teutonenschädel




Sichere Zeichen kann man finden,


dass einem alle Zweifel schwinden.


In Deutschland wohnte ein Gigant,


Teuto wurde er genannt.


Teutschland sagten viele Leute, 


Deutschland heißt das Land noch heute.


In Österreich am Donaustrand,


als Sankt Stephanus bekannt,


liegt ein Ort, der 60 Meter misst,


dort, wo die Gegend wendisch ist.


Wer sich dorthin begeben mag,


findet bis zum heutigen Tag,


Knochen, größer als man glauben kann,


auch einen Schädel findet man.


Albertus Magnus sagt uns sonnenklar,


dass einer es versuchte und fürwahr,


dass in diesen Schädelkasten


Griff und Knauf von zweien Schwertern passten.


Dazu hat Bruder Albert noch belegt,


wurde das Gehilz im Schädel frei bewegt.


Die Zähne waren, wie Albertus fand,


doppelt breit wie eine Hand.














Hans Lodeizen. Der Perk der Fünfziger...?

Hans Lodeizen 1924 - 1950 Hans Lodeizen war der Sohn des Präsident-Direktors der Rotterdamer Reederei Müller&Co* und war als solcher...