Mittwoch, 30. Januar 2019

Multatuli. Gebet des Unwissenden.



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  Multatuli
1820-1887

In Februar 1861 erschien in der neuen Zeitschrift für Freidenker "De Dageraad" ("Der Tagesanbruch") ein Gedicht, das in den Niederlanden für ziemlich viel Aufruhr sorgte, wo das orthodoxe Christentum noch immer einen mächtigen Einfluss hatte, obwohl, wie wir an der Dichtung des liberalen de Génestet gesehen haben, Risse in der calvinistischen Bastion sichtbar wurden. Multatuli (Pseud. für Eduard Douwes-Dekker) haben wir kennen gelernt als den Autor des Max Havelaar, die literarisch revolutionäre Kritik auf den Kolonialismus in niederländisch Indien. "Das Gebet eines Unwissenden" ist fast durchgehend reimlos und jambisch gestaltet und es gibt einen guten Eindruck vom Pathos mit dem man sich zu den neuen Überzeugungen der Zeit bekannte. Die Zeitschrift "De Dageraad" war in 1855 mitgegründet worden durch Franz Junghuhn, ein vielseitiger Mann, interessanterweise ungefähr gleichzeitig mit Douwes-Dekker in Diensten der niederländischen Regierung in Indien.                              
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                                                                                                                      Franz Junghuhn                                                                                                                                              1809-1864
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Preußisch-niederländischer Entdeckungsreidender, Naturforscher, Indologe, Landmesser, Geologe, Geograf, Schriftsteller, Arzt und Zeichner, wird Junghuhn wohl "Javas Alexander von Humboldt" genannt.

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Seine philosophische Arbeit in der Form einer Reisebeschreibung "Licht- en schaduwbeelden uit de binnenlanden van Java" (Licht- und Schattenbilder aus Javas Binnenland) kann als Anfang der niederländischen Freidenker-Bewegung betrachtet werden, und seine Ideen
waren verwandt mit denen Multatulis, der ihn sehr bewunderte.

Das Gebet des Unwissenden

Aus dem Tagebuch eines Wahnsinnigen,
mitgeteilt von Multatuli

Ich weiss nicht, ob wir geschaffen sind mit einem Ziel,
Oder nur bei Zufall da sind. Auch nicht ob ein Gott
Oder...Götter sich ergötzen über unser Leid, und schimpfen
Auf die Unvollkommenheit unseres Daseins. Wenn es so wäre,
Wäre es furchtbar! Wer hat die Schuld,
Dass Schwachen schwach sind, Kranken krank und Dummen dumm?
Wenn wir geschaffen sind mit Absicht, einem Ziel,
Durch uns're Fehlerhaftigkeit es nicht erreichen...
Dann fällt der Makel des Verkehrten auf uns nicht,
Auf die Geschöpfe nicht...sondern auf den Schöpfer! Nenn' ihn ZEUS,
JUPITER, JEHOVA, BAAL, auch DJAU...wie es beliebt:
Nicht gibt es ihn, wenn er nicht GUT ist und vergibt,
Dass wir ihn nicht verstehen. Es wär' an ihm
Zu offenbaren sich, aber er tat es nicht! Hätte er's getan,
Er hätt' es so getan, dass keiner zweifeln könnte,
Dass jeder sagte: Ich kenne, fühle und verstehe ihn.
Was andre jetzt behaupten von diesem Gott zu wissen,
Es hilft mir nicht. Ich versteh' ihn nicht! Ich frage nur warum
Öffnete er sich anderen, und nicht mir?
Ist das eine Kind dem Vater näher, als das andere?
Solang ein Menschenkind den Gott nicht kennt,
Solange ist es lästerlich zu glauben an den Gott!
Wenn ein Kind umsonst den Vater ruft, so tut es Böses nicht,
Der Vater aber, der das Kind umsonst lässt rufen, handelt grausam.
Und schöner ist der Glauben, einen Vater gibt es nicht,
Als dass er taub wär für sein Kind!
Vielleicht sind wir wohl einmal klüger! Einmal vielleicht
Sehen wir ein, dass es ihn gibt. Dass er uns wahrnahm,
Sein Schweigen hatte Ursache, und Grund. Wohlan,
Sobald wir's wissen, ist die Zeit zum Loben da,
Doch vorher nicht...jetzt nicht! Es wäre Gott zuwider,
Zu sehen, dass wir ihn anbeten ohne Grund,
Und töricht ist's, das Dunkel der Unwissenheit des Heute
Aufklären zu wollen mit einem Licht...das noch nicht scheint.
Ihn dienen? Torheit: Hätte Er Dienst begehrt,
Er hätte offenbart in welcher Weise,
Und widersprüchlich wär's, vom Menschen hätte er erwartet:
Anbetung, Dienst und Lob...während er selber
Über die Weise wie, uns im Unsicheren lässt.
Wenn wir Gott nicht dienen, wie es ihm behagt...
Dann ist es Seine Schuld und unsere ist es NICHT!
Inzwischen, bis wir klüger sind - sind Gut und Böse eins?

Ich sehe nicht, wieso ein Gott uns hilft, zu trennen
Gut und Böse. Im Gegenteil! Wer Gutes tut
Auf dass ein Gott ihm lohne, gerade dadurch
Macht er Gut zum Bösen, macht's zum Handel. Und wer Böses meidet,
Aus Furcht vor Gottes Zorn ist...feige!
Ich kenn' Dich nicht, O Gott! Ich rief Dich an, ich suchte,
Um Antwort flehte ich, aber Du schwiegst! Ich wollt' so gerne
Deinen Willen tun...doch nicht aus Furcht vor Strafe, nicht für Lohn,
Sondern wie ein Kind den Willen seines Vaters tut...aus Liebe!
Du schwiegst...und schweigen tust du immerzu!
Und ich? Ich irr' umher, keuche
Der Stund' entgegen, an der ich weiß dass es Dich gibt...
Dann werd' ich fragen: "Vater, warum erst jetzt
Hast Du dem Kind gezeigt, dass es den Vater hat,
Und dass es nicht alleine stand im Kampf?
Oder warst Du Dir immer sicher, dass ich Deinen Willen tue
Auch ohne den zu kennen? Dass ich ohne Wissen
Um Dein Dasein, Dir dienen würde, wie es sich geziemt?
Ob's wahr ist?
Antworte Vater, wenn Du da bist, antworte!
Lasse nicht dein Kind verzweifeln, Vater! Bleibe nicht stumm
Aufs blutig hervorgepresste lama sabacthani!

So wimmert der Unwissende am selbstgewählten Kreuz,
und windet sich in Schmerzen und jammert, dass ihn durstet...
Der Weise - er, der weiß...der Gott wohl kennt - verhöhnt den Toren,
Und überreicht ihm Galle, jauchzt: "Hört her, er ruft den Vater!"
Und murmelt "dank o Herr, dass ich nicht bin wie er!"
Und singt den Psalm: "Wohl dem, der in gottlosem Rat
Nicht wandelt, nie Schritte auf dem Weg der Sünder tat..."
Der Weise...sich zur Börse schleicht, und schachert Wertpapiere.

Der Vater schweigt...O Gott, es gibt Gott nicht!

Übersetzung Jaap Hoepelman
Januar 2019

Gebed van de onwetende

's-Hage, 26 Februari 1861.

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