Mittwoch, 16. Januar 2019

Hans Andreus und der heilige Sebastian.


Hans Andreus 
1926 – 1977



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Das Licht war ein großes Thema bei Andreus. Wir sind in Amsterdam. 
Fast naiv wie ein Kind, wie van Ostaijens Marc in "Marc grüßt morgens die Dinge" will Andreus das Morgenlicht grüßen, wohl wissend, dass das eigentlich nicht geht. Deswegen grüßt er lieber die Füße, das einzige, das man auf dem Gehsteig vor einer Amsterdamer Kellerwohnung von den Passanten wahrnehmen kann. Aber die Füße hören nicht, freuen sich nicht und hasten weiter. Die Dinge aber können sich freuen. Sogar das Wasser in der Gracht badet sich im Morgenlicht und wird heilig, 
wie der heilige Sebastian. Der Mann mit dem Heringskarren und die Heringe begrüßen das Licht, 
der Dichter selber stimmt in den Chor ein, aber es wird klar, 
dass es um mehr geht als um irgendeinen schönen Morgen und irgendein Licht. 
Wir haben keine Wahl. Es ist DAS LICHT. 3x "Wir müssen". Weil es das Morgenlicht ist, 
stärker noch, weil wir sonst nichts sehen, es ist unser Gesicht, und noch stärker: wir müssen uns beeilen, bald ist es vorbei. Andreus war kein Christ im herkömmlichen Sinne 
(vergleiche "Das letzte Gedicht"), aber der Bezug zu christlichen Vorstellungen liegt auf der Hand. 
Das ist der Punkt, an dem auch Sebastian und die Amsterdamer Grachten ins Spiel kommen. 
Der heilige Sebastian war Offizier der Leibgarde des Kaisers Diokletian. 
Er führte ein tadelloses Leben und bekehrte sich zum Christentum. Dies behagte Diokletian nicht, der Sebastian als Zielscheibe für seine nubischen Bogenschützen benutzen ließ, 
die Sebastian für tot an der Martersäule zurückließen. Doch Sebastian starb nicht, sondern wurde gerettet von der Witwe Irene ("Frieden"). 
Er gab seine Bekehrungsarbeit nicht auf und forderte dadurch Diokletian heraus. 
Dieser ließ Sebastian zu Tode peitschen, und den Leichnam in die "Cloaca Maxima" werfen. 
In der christlichen Ikonographie wird Sebastian als besonders hell und weiß dargestellt, um seine Reinheit und den Kontrast zur pestverseuchten Cloaca Maxima heraus zu stellen. 
Darauf beruht die Verehrung Sebastians als Schutzheiliger gegen die Pest und andere Seuchen.


Ähnliches Foto

 Andreus' Gedicht stammt  aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wer in dieser Zeit das Pech hatte in eine Amsterdamer Gracht hinein zu purzeln, dem musste unverzüglich der Magen ausgepumpt werden, andernfalls er dringend auf die Hilfe des heiligen Sebastians angewiesen war. Es war im Übrigen ein durchaus nicht seltenes Ereignis, insbesondere nach Kneipenschluss. Der Vergleich mit der Cloaca Maxima war also nicht weit hergeholt. Wenn dieses Grachtenwasser so heilig werden konnte wie der heilige Sebastian, sogar befreit von Kleidern (ist es nur eine Metapher? was oder wer schwamm alles in den Grachten herum?), muss Andreus' Licht wohl gewaltige Reinigungskraft besessen haben.


Das Lied des Morgenlichts

Ich grüsse das Morgenlicht aber lässt es sich wohl grüßen
die Füße der Passanten lassen sich besser grüßen
wir müssen sagen sie trotz des Morgenlichtes
ich nicke zu nur Mut erheitert euch das Licht denn nicht
sie nicken auch sie glauben nicht und halten nicht

Das Morgenlicht beschäftigt sich jetzt mit den Dingen
der frischgewaschenen Straßenbahn den Schienen Gauben
den Fahrradlenkern Fenstern Oberleitung
an Morgenlicht können die Dinge glauben
das Wasser in der Gracht wird ohne Kleider an
so heilig wie der heilige Sebastian.

Und auch der Heringmann die Heringe auf dem Karren
sie rufen wie aus einem Mund wie selbstverständlich
das Morgenlicht herbei und auch ich selber ich grüße
das Morgenlicht aber lässt es sich wohl grüßen
wir müssen sagen wir dies ist das Morgenlicht
wir müssen sagen wir uns ist das Licht Gesicht
wir müssen sagen wir das Licht macht einmal dicht.


Aus: Muziek voor kijkdieren,

Bert Bakker, Amsterdam, 1983.


Übersetzung Jaap Hoepelman
Januar 2019

Het lied van het morgenlicht.

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