Simon Vestdijk
1898-1971Ich konnte leider keine unmittelbare Hinweise auf Napoleons Verbleib in Doorn zusammengoogeln, außer immer wieder welche auf Vestdijks Gedicht, die mir ja nicht weiter geholfen haben. Vestdijk hat aber ein Großteil seines Lebens in Doorn verbracht und ihm kann durchaus mal die Dorflegende überliefert worden sein über den Franzosenkaiser, der Unterkunft in einem Hof in Doorn gefunden hätte. Immerhin hatte Napoleon 1811 auf Inspektionsreise durch die Niederlande Amsterdam besucht
und warum sollte er nicht im zentral gelegenen Doorn Biwak gemacht haben?
Vestdijk war Artzt und dass Napoleon an Magenkrebs gestorben ist wird ihm wohl bekannt gewesen sein. So konnte er der dem bleichen Kaiser vertraute Belagerung mit Blei und Eisen eine wesentlich bedeutendere Belagerung gegenüberstellen.
Der Hof bei Doorn
In diesem Gehöft hat Napoleon
In achtzehnhundertelf die Nacht verbracht
Es war ein Frühlingstag, lau, ohne Sonne:
Der alte Bote, der Depeschen brachte
Ins Dorf am alten Postweg, wo er Biwak machte,
Schwitzte so stark, dass er es kaum ertragen konnte.
Der kleine Raum, wo jetzt der Kaiser schlief
War staubig, roch nach Kampfer und müffelte großmächtig
Und als ein Hahn vor seinem Fenster rief;
Äusserte der Kaiser sich verächtlich:
"Le coq gaulois!" - man sagt, dass er schlecht schlief,
Die Nacht. Ihm kam der Schlaf beim ersten Nagen nicht
Des Krebses, dem er in der Fremde unterlag...
Die Furcht der Dörfler vor ihm war nur mäßig;
Zu dick war er, der Blick zu flau,
Zu klein war das Gefolge, - die Wache ließ, nachlässig,
Sie viel zu nah heran, an den getünchten und feierlich
Von Frankreich überflaggten Bau.
Die weiße Festung hat hier immer noch Bestand:
Eine Festung wahrlich, wo der bleiche Kaiser
Zum ersten Mal den Angriff überstand
Von Furcht und Schmerz anstatt von Blei und Eisen,
Und am unmerklich Fortkriechen des Zeigers
Beim Flackern des Kerzenlichts den Tod verstand.
Simon Vestdijk war einer der produktivsten niederländischen Schriftsteller. Er war Romancier, Dichter, Essayist, Übersetzer, Musikkritiker, was Kollege-Dichter Roland Holst zur spöttischen Bemerkung veranlasste, dass er schneller schrieb als Gott lesen könne. In seiner Wahlheimat Doorn lebte er eigentlich als ziemlicher Einsiedler, was bei seiner Produktion kaum anders vorstellbar war. Trotzdem war er als Redakteur verschiedener literarischer Zeitschriften tätig, darunter das kurzlebige, aber dafür sehr einflussreiche niederländisch-belgische "Forum" (1932-1935), mit auf der niederländischen Seite M. ter Braak und E. du Perron und auf der belgischen Maurice Roelants.
Vestdijk figurierte sogar 12 Mal in der Vorwahl für den Nobelpreis für Literatur, was für niederländische Schrifsteller das höchst erreichbare ist.
Während des 2. Weltkriegs richtete der Besatzer in 1942 das Internierungslager "Michielsgestel" für die niederländische Elite mit einem Regime, das unter den Umständen "erträglich" genannt werden konnte, ein. "Hitlers Herrengefängnis" höhnte einer der Insassen. Vestdijk wurde dort 1942-1943 interniert, in erster Linie wohl wegen seiner Verbindung zu ter Braak und du Perron, beide prominente Nazi-Kritiker, beide bei Kriegsanfang gestorben. Die erleichterten Umstände der Internierung konnten nicht vom eigentlichen Zweck der Gefangenschaft ablenken: Bei gegebenem Anlass immer einige Geiseln zum standrechtlichen Vollzug in der Hand zu haben, wie z.B. nach einem - misglückten - Überfall auf einen Güterzug in Rotterdam.
Vestdijk verbrachte seine Zeit in Michielsgestel mit frenetischem Dichten, häufig unter dem Eindruk der immerwährenden Todesdrohung.Diese Gedichte wurden später als "De Gestelsche Liederen" herausgegeben. "Der Hof bei Doorn" stammt aus diesem Band.
Einige der Werke Vestdijks sind ins Deutsche übersetzt; für eine Übersicht klicke man HIER.