Dienstag, 27. Mai 2025

Simon Vestdijk: Schneller schreiben als Gott lesen kann.

 Simon Vestdijk

1898-1971



Vestdijks Denkmal in Doorn

Ich konnte leider keine unmittelbare Hinweise auf Napoleons Verbleib in Doorn zusammengoogeln, außer immer wieder welche auf Vestdijks Gedicht, die mir ja nicht weiter geholfen haben. Vestdijk hat aber ein Großteil seines Lebens in Doorn verbracht und ihm kann durchaus mal die Dorflegende überliefert worden sein über den Franzosenkaiser, der Unterkunft in einem Hof in Doorn gefunden hätte. Immerhin hatte Napoleon 1811 auf Inspektionsreise durch die Niederlande Amsterdam besucht
 
Napoleon wird empfangen vor einem Stadttor Amsterdams.
Bild Reinier Vinkeles

und warum sollte er nicht im zentral gelegenen Doorn Biwak gemacht haben?
Herrschaftliche Immobilien gab es in der Gegend in ausreichendem Maße,




das bekannteste wohl das "Haus Doorn", wo ein Jahrhundert später ein anderer Kaiser Refugium gefunden hat. 


Haus Doorn

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen: Nicht weit von Doorn gibt es einen pyramidenförmigen Hügel, von einem napoleontischen General mit Ägyptenfimmel zu Ehren seines Kaisers errichtet, und später in Erinnerung an die Schlacht bei Austerlitz "Pyramide von Austerlitz" getauft. 


Braucht es überzeugendere Hinweise?

Vestdijk war Artzt und dass Napoleon an Magenkrebs gestorben ist wird ihm wohl bekannt gewesen sein. So konnte er der dem bleichen Kaiser vertraute Belagerung mit Blei und Eisen eine wesentlich bedeutendere Belagerung gegenüberstellen.

Der Hof bei Doorn

In diesem Gehöft hat Napoleon

In achtzehnhundertelf die Nacht verbracht

Es war ein Frühlingstag, lau, ohne Sonne:

Der alte Bote, der Depeschen brachte

Ins Dorf am alten Postweg, wo er Biwak machte,

Schwitzte so stark, dass er es kaum ertragen konnte.


Der kleine Raum, wo jetzt der Kaiser schlief

War staubig, roch nach Kampfer und müffelte großmächtig

Und als ein Hahn vor seinem Fenster rief;

Äusserte der Kaiser sich verächtlich:

"Le coq gaulois!" - man sagt, dass er schlecht schlief,

Die Nacht. Ihm kam der Schlaf beim ersten Nagen nicht

Des Krebses, dem er in der Fremde unterlag...

Die Furcht der Dörfler vor ihm war nur mäßig;

Zu dick war er, der Blick zu flau, 

Zu klein war das Gefolge, - die Wache ließ, nachlässig,

Sie viel zu nah heran, an den getünchten und feierlich

Von Frankreich überflaggten Bau.

Die weiße Festung hat hier immer noch Bestand:

Eine Festung wahrlich, wo der bleiche Kaiser

Zum ersten Mal den Angriff überstand

Von Furcht und Schmerz anstatt von Blei und Eisen,

Und am unmerklich Fortkriechen des Zeigers

Beim Flackern des Kerzenlichts den Tod verstand.


(Gestelsche liederen

Verzamelde Gedichten, II, 63)


Simon Vestdijk war einer der produktivsten niederländischen Schriftsteller. Er war Romancier, Dichter, Essayist, Übersetzer, Musikkritiker, was Kollege-Dichter Roland Holst zur spöttischen Bemerkung veranlasste, dass er schneller schrieb als Gott lesen könne. In seiner Wahlheimat Doorn lebte er eigentlich als ziemlicher Einsiedler, was bei seiner Produktion kaum anders vorstellbar war. Trotzdem war er als Redakteur verschiedener literarischer Zeitschriften tätig, darunter das kurzlebige, aber dafür sehr einflussreiche niederländisch-belgische "Forum" (1932-1935), mit auf der niederländischen Seite M. ter Braak und E. du Perron und auf der belgischen Maurice Roelants.  

Simon Vestdijk mit den Forumredakteuren 
ter Braak und du Perron. 

Vestdijk figurierte sogar 12 Mal in der Vorwahl für den Nobelpreis für Literatur, was für niederländische Schrifsteller das höchst erreichbare ist.

Während des 2. Weltkriegs richtete der Besatzer in 1942 das Internierungslager "Michielsgestel" für die niederländische Elite mit einem Regime, das unter den Umständen "erträglich" genannt werden konnte, ein. "Hitlers Herrengefängnis" höhnte einer der Insassen. Vestdijk wurde dort 1942-1943 interniert, in erster Linie wohl wegen seiner Verbindung zu ter Braak und du Perron, beide prominente Nazi-Kritiker, beide bei Kriegsanfang gestorben. Die erleichterten Umstände der Internierung konnten nicht vom eigentlichen Zweck der Gefangenschaft ablenken: Bei gegebenem Anlass immer einige Geiseln zum standrechtlichen Vollzug in der Hand zu haben, wie z.B. nach einem - misglückten - Überfall auf einen Güterzug in Rotterdam.

Vestdijk verbrachte seine Zeit in Michielsgestel mit frenetischem Dichten, häufig unter dem Eindruk der immerwährenden Todesdrohung.
Diese Gedichte wurden später als "De Gestelsche Liederen" herausgegeben. "Der Hof bei Doorn" stammt aus diesem Band.
Einige der Werke Vestdijks sind ins Deutsche übersetzt; für eine Übersicht klicke man HIER.



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