Dieses mal ein Dichter, der altmodisch unprätentiös war, mit einem leichten Zug ins Ironische, wie alle Romantiker. Er wird nicht mehr viel gelesen, aber wer liest denn überhaupt noch Dichter?
Das Leben des flämischen Dichters Jan (Joannes-Baptista Maria Ignatius) van Nijlen war spektakulär unspektakulär, etwas, das ihm von einigen seiner Biografen fast verübelt wird, denn wie eine packende Biografie schreiben, wenn skurrile Extravaganzen, appetitliche Verhältnisse, politische Fehlgriffe oder dramatische Ausflüge in die experimentelle Dichtung fehlen? Dabei hatte van Nijlen intensive Kontakte insbesondere mit niederländischen Kollegen, auch mit den prominentesten. Wir sehen ihn hier im literarischen Treffpunkt Schloss Gistoux, mit Kollegen Greshoff, Heller und du Perron.
An einer Reihe flämischer und niederländischer Zeitschriften und Zeitungen arbeitete er mit. Als élève des Jesuitischen Collège Notre Dame (wo Flämisch sprechen verboten war), war er ein Kenner der französischen Sprache und Literatur, berichtete über französische Neuerscheinungen in der niederländischen Presse und schrieb Monografien. Nach seinem Verbleib in den Niederlanden, wo er bei Freund Greshoff Zuflucht gesucht hatte, als Antwerpen im ersten Weltkrieg unter deutschem Beschuss lag, fand er eine Anstellung als Übersetzer im Brüsseler Justiz-Ministerium, wo er nach und nach ganz regulär aufstieg zum Direktor der Übersetzungsabteilung.
Dramatisches trug sich in seinem Leben dann doch durchaus zu. Sein Sohn wurde im zweiten Weltkrieg von der Gestapo verhaftet und starb 1945 im Außenlager Ellrich. Neben einer Unmenge Umzügen gibt es, zum Leidwesen der Literaturkritiker, außer dieser Katastrophe tatsächlich wenig zu berichten. Es hat ja auch gereicht.
Steig' nie in einen Zug ohne Dein Gepäck mit Träumen:
Du schläfst in jeder Stadt in ordentlichen Räumen.
Sitz ruhig und geduldig, lass' das Fenster auf
Du bist ein Reisender, und keinem fällst Du auf.
Finde im Deinem Damals den Kinderblick zurück,
schau unbestimmt und scharf, traumhaft und verzückt.
Und was Du wachsen siehst, die frische Frühlingsschicht,
sei überzeugt: Es ist für Dich, für andre nicht.
Und wenn ein Handelsreisender tut seine Meinung kund,
und sei es über Filmzensur: Gott lächelt und Er wählt die Stund'.
Grüße in seinem Schalter zuvorkommend den Bahnhofsvorstand,
denn ohne seine Pfeife fährt kein einziger Zug ins Land.
Doch fährt der Zug nicht ab, lass' es nicht Schade sein
um Deine Lust und Hoffnung und Deinen teuren Fahrschein,
behalte ruhig Blut und öffne Dein Gepäck; schöpfe aus dem Befund
und Du wirst spüren: Du verlierst nicht eine Stund'.
Und hält der Zug an einem sonderbaren Ort,
von dem Du nie gehört hast, noch mit keinem Wort,
dann ist das Ziel erreicht, und Du begreifst, was Reisen
heißt für die Verirrten und die wahren Weisen...
Sei nicht erstaunt, dass Du vorbei an Normwald, auf normalen Gleisen
im stinknormalen Zug, zum Herzen Roms kannst reisen.
Jan van Nijlen
Aus Verzamelde gedichten 1903-1964
Uitg. v. Oorschot
Übersetzung Jaap Hoepelman März 2024