Jonker Jan Baptista van der Noot
1539-1595
"Tempera te Tempori"
Mit Anna Bijns lernten wir eine glühende Vertreterin des Katholizismus in Flandern kennen, zu gleicher zeit eine der einflussreichsten und am meisten gedruckten literarischen Persönlichkeiten der damaligen Niederlande. Bijns blieb dem Katholizismus ihr Leben lang (1493-1575) fest verbunden. Nicht ganz so standfest erwies sich Jonker Jan Baptista van der Noot, er konnte es vielleicht auch nicht sein - die Zeiten hatten sich geändert und waren womöglich noch gefährlicher geworden. Van der Noots Sinnspruch "Tempera te Tempori "passte gut zu seinem Leben und kann sogar frei übersetzt als Anspielung auf seinen Namen betrachtet werden: "Mach von der Not eine Tugend".
Van der Noots Dichtkunst bedeutete die Bekanntmachung für die Niederlande mit neuen Formen der Poesie, wie dem Sonett, der Ode, dem Jambus und dem Alexandriner. Ihm war sehr bewusst, dass er neue Formen der Poesie betrieb. Er verfügte über eine gehörige Portion Standesdünkel und wurde nicht von übertriebener Bescheidenheit geplagt. Fast ausnahmslos ließ er sich mit dem Lorbeerkranz des Poeta Laureatus abbilden, in der Nachfolge von Dante und Petrarca.
Ode
Es war April, als Flora sich daran macht
Das Erdreich lieblich zu verschönern
Mit neu gewachs'ner Blumenpracht,
Als ich sie ansprach, meine ersehnte Schöne.
Liebste, sprach ich, schauen wir die Rose an
Die heute früh sich auf das herrlichste entfaltet hat.
Wir standen an der Stelle eine Zeitlang
Und suchten wo die Blume sich verborgen hat.
Wir fanden keine Rose, allein
Die Blütenblätter, alle abgefallen,
Beraubt von allen schönen, reinen
Farben, womit sie hat am Morgen uns gefallen.
Ach Liebste, sprach ich, ist's nicht schade,
Dass diese schöne Blume so schnell ist ausgefallen
Bevor einem erwiesen wurd' die Gnade
Sich zu erfreuen ihres Dufts, das Köstlichste von allem?
Oh ja, sprach sie, schön war die Blume, wirklich.
Deswegen, Liebste, sieh doch wie schnell es geht.
Erlaube, dass bald ich nenne dich
Barmherzig, Liebste, in allen Ehren, früh und spät.
Nutze die Zeit, um die es geht,
Es ist die schönste Zeit deines Bestehens,
Auf dass es dir auch nicht ergeht,
Wie mit der Blume ist geschehen.
(Übersetzung Jaap Hoepelman Juli 2025)
Jonker (d.h. Junker) Jan van der Noot war Sohn einer einflußreichen adeligen und gut katholischen Antwerpener Familie. Er war hervorragend ausgebildet, kannte sich aus in Latein, Italienisch, Spanisch, Englisch und Deutsch und beherrschte Französisch so gut wie Niederländisch. In seinen jüngeren Jahren trat er zum Calvinismus über und nahm Teil am calvinistischen Bildersturm in Antwerpen (1566-1567), wohl in der Hoffnung, standesgemäß Markgraf von Antwerpen werden zu können.

Der Bildersturm.
Zerstörungen in der Liebfrauenkathedrale zu Antwerpen, 20 augustus 1566.
"Calvinistischer Aufruhr bezwungen"
Der Aufstand wurde niedergeschlagen und als bekannt wurde, dass der Herzog von Alva sich für eine Strafexpedition auf den Weg in die Niederlande gemacht hatte, flüchtete van der Noot zusammen mit tausenden Antwerpenern nach London.
Van der Noots Besitztümer wurden beschlagnahmt. Es war der Anfang einer ungefähr 10-jährigen Odyssee durch England, Frankreich, Italien und Deutschland während der er um des Brodeswillen Reimwerk en masse produzierte, um den jeweiligen Maezenen zu gefallen. Bekannt ist er aber aus einem anderen Grund: Schon in seiner Antwerpener Zeit hatte er sich einen Ruf als Dichter erworben, mit für die Niederlande neuartigen Poesie in der Nachfolge von Petrarca in Italien und den Pléiaden in Frankreich - insbesondere Ronsard, von dem er u.a. das bekannte "Mignonne, allons voir si la rose" frei übersetzte. Meinen Versuch einer Übersetzungsübersetzung findet man auf dieser Seite.
Dante
Petrarca van der Noot
Bescheidenheit war van der Noots Sache nicht, dafür spielte er eine entscheidende Rolle im Übergang von den Refrains der in Flandern noch vorherschenden Rhetorikern, wie eben Anna Bijns, zu den moderneren Formen, z.B. bei Hooft und Vondel. Interessanterweise übte van der Noot durch seinen Aufenthalt in London sogar einigen Einfluss auf die englische Poesie aus: In der Verbannung war van der Noot nicht untätig - 1568 erschien "Het Theatre oft Toon-neel", eine Verhandlung in dem die römisch-katholische Überzeugung und Lebensart mit der calvinistischen kontrastiert werden. Vorangegangen wird das Pamphlet sowohl durch Epigrammen und Sonetten nach Petrarca und du Bellay, als durch vier ursprüngliche Sonetten von van der Noot selber, nach Themen der Apokalypse. Es erschien auch eine französische und eine englische Übersetzung. Die englische Übersetzung wurde von oder mit der Unterstützung von Edmund Spenser
erstellt, unter dem wortkargen Titel ‘A Theatre wherein be represented as well the miseries and calamities that follow the voluptuous Worldlings, as also the greate joyes and pleasures which the faithfull do enjoy. An argument both profitable and delectable to all that sincerely love the word of God. Devised by John van der Noodt’. Die Verhandlung ist Queen Elisabeth gewidmet, der Verfechterin der anti-römischen Bewegung. Spensers englische Übersetzung von van der Noots Opus wird als wichtige Stufe in der Entwicklung des englischen "blank verse" betrachtet. Das "Theatre" war zu der Zeit wohl eine der führenden Streitschriften des europäischen Protestantismus. Es erschien auch eine deutsche Übersetzung, "Theatrum das ist Schawplatz", zu Köln,1572, wohin es van der Noot verschlagen hatte, aber die deutsche Version war auffällig anders geartet: Die Ausfälle gegen den Papst und der Hass gegen die katholische Kirche waren abgemildert oder entfernt, so dass eine eher allgemeine Verhandlung über die menschlichen Untugenden und ihre bösen Folgen übrig geblieben war. Offensichtlich kündigte sich Van der Noots Rückkehr in den Schoß der Kirche an. In London erfolgte auch eine Ausgabe von "Het Bosken" ("der Hain") (nach Ronsards "Le Bocage"), eine Bündelung der neuartigen Dichtformen, mit denen van der Noot in seiner Antwerpener Zeit Bekanntheit erreicht hatte und mit denen die Dichtung der Renaissance, die in Italien und Frankreich angefangen hatte, in den Niederlanden weitergeführt wurde. Nach der Londoner Periode zog van der Noot durch Deutschland (Kleve, Köln), Paris (wo er sich mit den bewunderten Dichtern der Pléiade traf) und Italien. Während seiner Reise veröffentlichte er noch einige großangelegte epische Gedichte in der Nachfolge von Dante.
Erst die s.g. "Genter Pazifikation", ein von Wilhelm von Oranien in die Wege geleitete Modus Vivendi für Protestanten und Katholiken (1576), ermöglichte eine Rückkehr nach Antwerpen. Die "Furie van Antwerpen", d.h. die Plünderung von Antwerpen durch spanische Soldaten, die monatelang keinen Sold bekommen hatten, im gleichen Jahr, verzögerte den Rückkehr bis 1578. Die "Spaanse Furie" ging natürlich mit den üblichen Greueltaten vonstatten; wahrscheinlich zu hoch gegriffene Schätzungen belaufen sich auf 10.000 Tote. Ähnliche "Furien" fanden im Übrigen auch in Mechelen und Aalst statt.
Die Plünderung von Antwerpen
Richtig "angekommen" war der katholisch-calvinistisch-katholische van der Noot in Antwerpen aber erst 1585, nach der Eroberung Antwerpens für die Habsburger durch Alexander Farnese, den Herzog von Parma. Es war das Ende des goldenen Jahrhunderts Antwerpens und der Anfang des Aufstiegs von Amsterdam.
Eroberung Antwerpens durch Farnese 1585
Die Beschlagnahme seiner Besitztümer hatte van der Noot in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, die er dadurch zu lindern versuchte, dass er sich als Gedichteschreiber bei den Staaten von Brabant anbiederte, was ein bescheidenes Gehalt und eine unüberschaubare Reihe von völlig uninteressanten Lobpreisungsgedichten zur Folge hatte.
Van der Noots mangelhafte konfessionelle Standfestigkeit, sein Ständesdünkel, seine Eitelkeit, seine Brotschreiberei und seine Abhängigkeit von italienischen und französischen Vorbildern wurden van der Noot, der bald in Vergessenheit geriet, Jahrhunderte später von Kritikern ein wenig pikiert vorgeworfen. Aber bei allen zeittypischen Schrullen war er es, der es der neuen Poesie der Renaissance ermöglichte, in die Niederlande Einzug zu halten.