Über Bernardo Ashetu hatte ich schon in einem älteren Post berichtet. Als ich den alten Beitrag wieder besuchte, wurde mir noch einmal bewusst, wie raffiniert und poetisch, wenn auch manchmal schwer verständlich seine Gedichte sind. Poetisch? Ja. Aber frag' lieber nicht genauer nach: Es gibt Poesie, die ist poetisch und es gibt Poesie, die ist es nicht. Ich entschied mich, noch einmal zu versuchen einige seiner Gedichte zu übersetzen und hier in den Blog zu stellen, mit darunter die Wiederholung des damaligen Posts.
Dass ich sang
Dass ich einmal
so klein wurde
dass ich in meinem Wesen
sang und glomm.
Als wär' ich Teil
von einem Gong.
So war es im
hinsterbenden Klang,
dass ich sang.
===
Saloneis
Ich bin Herr Saloneis
Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle?
Nun denn, ich bin Herr Saloneis,
Kinder fressen an meinem Herzen
Es macht mich so müde und ich
werde ausgelutscht. Großer Gott, ich werde ausgelutscht.
===
Warte lange
Zieh dich an
und warte bei der Brücke
Warte lange.
Warte bis der erste Stern aufsteigt.
Dieses Haus wird leer sein.
Rufe meinen Namen
und achte auf das Wasser.
Achte auf eine kleine
Regung im Schlamm entlang der
Gracht und warte bis das Licht
aller Sterne den Himmel hat schön
und berauschend gemacht.
Warte auf mich bei der Brücke.
Warte lange.
==
Tot
Wie ich dir sagte
von diesem Segelboot
wir bleiben nicht ewig jung,
ich fiel um
um
und um
in Blättern erschreckend rot
Und wie ich dir sagte
von diesem Segelboot
sind die Matrosen bleich
sie sind bleich
sie sind tot.
==
Unkraut
Verhöhne mich nicht
heute
wo nichts stimmt
mit meiner Malkreide.
Die Töne sind
zu schwach der
schönen Klarinette.
Verhöhne mich nicht
heute
wo ich mit dem
Spaten wühle im
Garten voller bitteren Unkrauts.
==
Schlangenholz
Was zwischen uns gewesen ist,
es ist nicht mehr, als ich
erzählen kann. Es ist schlecht und es ist
nie gut gewesen, ein schlechtes Stück
Schlangenholz, das schlecht passt zu
innigen Blumen. Doch bist du auch sanft
gewesen, sanft für mich wie ein früher
Morgen, in dem ich faul, mich streckend und
warm aufwache unter kühlen tropischen
Pflanzen. Und du bist blutwarm gewesen,
obwohl du auch schlecht gewesen bist mit
einer stillen, spitzigen Genugtuung.
===
Letztes Wort
Dass ich dich liebe
steht außer Zweifel,
dass ich dich liebe
ist mein letztes Wort.
Ach, die weißen Flammen
und der nackte Brahma,
der wüste Tempel und
der schlaffe Akkord,
kein nackter Buddha spielte
je Klavier, aber siehe die
Möwen draußen und höre mein
letztes Wort.
===
Nachrichten
Die neuesten Nachrichten:
Ein Kind
ist von einer Stange gefallen
krank danieder liegend
hat es Winter und Sommer
Sommer und Winter
zugehört das schrille Raunen
von Hexen und Faunen
von Faunen und Hexen.
Dann ist es
nach den allerneuesten Nachrichten
auf eine Stange geklettert
auf eine lange Stange geklettert
und hat es
eine Geschichte fantasiert,
die rot mit gelb und blau
aufsteigend tollt
tollend aufsteigt zur hohen Sonne.
===
Traurig
Traurig kann man sagen, spricht das Kind
Traurig kann man sagen, färbt der Stein gegen einen lila
Hintergrund.
Man kann sagen, dass der Hundekopf auf dem Bild so traurig
schaut.
Traurig klingt der Gesang, den wir hören Tag und Nacht.
Traurig ist das Land auf das ein reines Sonnenlicht fällt.
Und traurig, tief-traurig, kann man sagen, setzt die Dunkelheit
ein.
Übersetzungen Jaap Hoepelman Oktober 2025
Bernardo Ashetu
1929-1982
Bernardo Ashetu (Pseud. von Henk van Ommeren), geboren 1929 in Paramaribo (Suriname), war Sohn des Arztes und späteren Vorsitzenden der Surinamischen Nationalstaaten (Parlament) Hendrik van Ommeren und Juliette Nassy. Damit Vater Hendrik das Medizinstudium abschließen konnte, zog die Familie in die Niederlande, aber Mutter Juliette und Sohn Henk mussten vor den Nazis nach Paramaribo fliehen, während Vater Hendrik in den Niederlanden zurückblieb. Gegen den Willen seines Vaters, der größeres mit ihm vorhatte, wurde Ashetu Schiffsfunker. Nach dem Krieg fand der abgemusterte Funker eine Stelle bei Radio Holland, IJmuiden. Vater van Ommeren, ein sehr dominanter Mann, verachtete gleichermaßen den Funker und den Dichter Ashetu. Es wird vermutet, dass diese Verachtung der Grund war, dass Ashetu nach dem ersten Dichtband "Yanacuna" (1959) keine Zeile mehr veröffentlichte. Er blieb also beinahe völlig unbekannt. "Yanacuna" erhielt sogar eine Einleitung von Cola Debrot, dem bekannten Schriftsteller und späteren Gouverneur der niederländischen Antillen, aber vergebens. In Ashetus Nachlass wurden nicht weniger als 29 unveröffentlichte Bände gefunden.
Die Verachtung seines Vaters und die Probleme einer buntgemischten Gesellschaft hatten wohl eine ungünstige Wirkung auf Ashetus labile Psyche und er musste sich in psychiatrische Behandlung begeben. Nach einem zurückgezogenen Leben starb er 1982 an Darmkrebs.
Erst in letzter Zeit wird Ashetus Gedichten mehr Aufmerksamkeit geschenkt. 2007 erschien eine Auswahl aus den Arbeiten "Dat ik zong" ("Dass ich sang"), ausgewählt durch Gerrit Komrij und 2011 eine ausführliche Anthologie durch Michiel van Kempen, Professor für niederländisch-karibische Literatur an der Uni Amsterdam, "Dat ik je liefheb" ("Dass ich dich liebe"). Van Kempens Nachwort "'Ik ben een neger" poezie als graf voor Surinaamse demonen"' habe ich im Übrigen viel Material für diesen Post entnommen.
Liebhaber der niederländischen Poesie denken unweigerlich an Slauerhoff, den anderen Seemann und Schiffsarzt (das wäre eher nach dem Geschmack von Vater van Ommeren gewesen), der auch auf Süd-Amerika fuhr. Slauerhoffs Gedicht "O Enjeitado" endet mit den Zeilen
Auch mich hat der Wahn überkommen;
Auch ich hab' entdeckt und genommen,
Der ich später alles verlor,
Um an des trägen Stromes Saum
Am Grab des grandiosen Traums
Zu sterben: “tudo é dor”.
Auch ich hab' entdeckt und genommen,
Der ich später alles verlor,
Um an des trägen Stromes Saum
Am Grab des grandiosen Traums
Zu sterben: “tudo é dor”.
Es gibt andere Außenseiter, an die Ashetus Kunst mich erinnert, z.B. Lodeizen und Achterberg, beide Meister darin, mit Alltagswörtern rätselhafte Spannung hervorzurufen, oder van Schagen und Noordstar, die in ihren Gedichten auf "Poesie" verzichteten und dementsprechend erst viel später Anerkennung fanden. Buddingh's Glosse:
Wie das Blatt sich wenden kann
um 1936
lasen wir alle
begeistert und voller Ehrfurcht
Marsman und Slauerhoff
jetzt, dreißig Jahre später,
dreißig Jahre weiser,
halte ich es lieber mit
Noordstar und van Schagen.
(C. Buddingh', Gedichten 1938-1970)
lasen wir alle
begeistert und voller Ehrfurcht
Marsman und Slauerhoff
jetzt, dreißig Jahre später,
dreißig Jahre weiser,
halte ich es lieber mit
Noordstar und van Schagen.
(C. Buddingh', Gedichten 1938-1970)
Übersetzung Jaap Hoepelman, April 2019
könnte man getrost um "Bernardo Ashetu" erweitern.
Ashetus Poesie ist kryptisch, aber vielleicht sind die schönsten Gedichte nicht unbedingt die, die man versteht, sondern die, die man verstehen möchte.
Wehmut
Es war in diesem Winter, dassder Neger mit dem langen roten
Mund mir seine Bananen anbot.
den bitterkalten schneebedeckten Weg auf dem
er sich endlos weiterschleppte, hatte
er vollgestreut mit Millionen
Ananaswürfeln, und als ich
ihn bezahlte mit einer strahlenden
Scheibe Tropensonne, lachte er sanft
und sehr wehmütig.
Übersetzung Jaap Hoepelman Juli 2024
Marcel
Er schlich sich auf Spitzen von
hellen Schleichern vom Dach
Seine Sitten waren erquicklich leicht.
Er stürzte auf rote Steine
bei klarem Winterwetter
und niemand verstand den fremden
Pfau bei seiner teuren Beerdigung.
Nur Gott.
Und dies war der süße Marcel.
Marcel
Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2020
Bring Blumen
So sprach der Wind,
so das Wasser und
so dunkel waren die
Wolken nie gewesen.
Ein weißer Vogel flog scheu,
flog aufgeschreckt, flog trunken zur Küste
während der Jüngling
auf dem ächzenden Schiff hastig
schrieb,
bring Blumen, schrieb er,
bring Blumen auf das Grab
von dem, der nicht mehr ist.
Breng bloemen
Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2020
Marcel
Er schlich sich auf Spitzen von
hellen Schleichern vom Dach
Seine Sitten waren erquicklich leicht.
Er stürzte auf rote Steine
bei klarem Winterwetter
und niemand verstand den fremden
Pfau bei seiner teuren Beerdigung.
Nur Gott.
Und dies war der süße Marcel.
Marcel
Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2020
Bring Blumen
So sprach der Wind,
so das Wasser und
so dunkel waren die
Wolken nie gewesen.
Ein weißer Vogel flog scheu,
flog aufgeschreckt, flog trunken zur Küste
während der Jüngling
auf dem ächzenden Schiff hastig
schrieb,
bring Blumen, schrieb er,
bring Blumen auf das Grab
von dem, der nicht mehr ist.
Breng bloemen
Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2020