Samstag, 11. Januar 2025

M. Vasalis. Der Idiot im Bad.

M. Vasalis 1909-1998
(Margaretha Droogleever Fortuyn-Leenmans)
 


M. Vasalis


Der Idiot im Bad.


Die Schulter hochgezogen, die Augen feste

Zu, im Halbtrab, immer stolpernd als er auf die Matte trat, 

Hässlich und unbeholfen, gebeugt am Arm der Schwester

Geht einmal jede Woche der Idiot ins Bad.


Der warme Dampf, der überm Wasser steht

Beruhigt ihn: Der weiße Dampf...

Mit jedem Kleidungsstück, das von ihm geht,

Lindert ein altvertrauter Traum den Krampf.


Die Schwester läßt ihn in das Wasser gleiten,

Er faltet seine dünnen Arme auf der Brust

Er seufzt, als ob er löscht den ersten Durst

Und Seligkeit will sich um seinen Mund verbreiten.


Die angsterfüllten Züge sind leer und schön geworden,

Die dünnen Füße stehen wie ein bleicher Blumenstrauß,

Die langen, bleichen Beine, dürr geworden,

Schimmern wie Birkenstämme aus dem Grün heraus.


Er ist in diesem grünen Wasser noch wie ungeboren,

Er weiß nicht, dass es Früchte gibt, die niemals reifen,

Er hat die Körperweisheit nicht verloren

Und Geistessachen muss er nicht begreifen.


Und jedes Mal, als er aus dem Wasser wird gezogen,

Und kräftig abgerieben mit den rauen Anstaltswischen

Und ihm die steife, harte Kluft wird angezogen,

Dann wehrt er sich und weint ein bisschen.


Und jede Woche wird er wieder neu geboren

Und roh getrennt vom sicheren Wasserdasein,

Und jede Woche ist ihm das Los beschoren

Wieder nur angsterfüllt ein Idiot zu sein.


Übersetzung Jaap Hoepelman Januar 2025


De idioot in het bad    

Aus: Parken en Woestijnen
Uitgeverij Van Oorschot, Amsterdam.
1940

Mehr von und über M. Vasalis in diesem Blog.


Montag, 6. Januar 2025

M. Vasalis. Der Tod



M. Vasalis 1909-1998

M. Vasalis, Pseudonym von Margaretha Droogleever Fortuyn-Leenmans. Von Beruf Kinderpsychiaterin hat sie in ihrem Leben nur sehr wenig veröffentlicht: Drei Bündel zwischen 1940 und 1954 und postum das von ihren Kindern besorgte "De Oude Kustlijn". Dafür gehören diese zu den am meisten verkauften Dichtbündeln der niederländischen Literatur und ihre Zeilen gehören zum klassischen Zitatenschatz.  Zu den großen Erneuern gehörte sie wohl nicht, dazu sind ihre Gedichte zu Regelkonform. Auch fand ihr erster kreativer Ausbruch gerade vor der Periode der "Fünfziger" statt, eine Gruppe, zu der sie qua Hintergrund und Habitus nicht gehören konnte. Sie schien etwas "aus der Zeit gefallen". Dafür können ihre besten Gedichte es mit denen der Fünfziger, die sie heftig beschimpften (warum doch immer diese Agression bei den "Erneuern"?), mühelos aufnehmen. Ich vergleiche ihre Kunst gerne mit der des Gerrit Achterbergs, der es auch hervorragend verstand die Dinge und die Sprache des Alltags poetisch aufzuladen. Sie wurde 1974 ausgezeichnet mit dem Constantijn Huyghenspreis und 1982 mit dem P.C. Hooftpreis für Poesie.
Meine früheren Versuche ihre Poesie ins Deutsche zu übersetzen finden sie hier.
Als eine Leserin dieses Blogs mich darauf hinwies, dass der kleine Sohn der Dichterin in WWII während einer Polio-Epidemie verstarb, bekam für mich die Zeile "Bevor er ging, gab er ein kleines Bild mir..." (mit dem brillanten Reim "portretje...maar wat let je") eine fast profetische Ausdruckskraft.    


 Der Tod


Der Tod hat mir gezeigt die kleinen, interessanten Dinge:

schau, ein Nagel - sagte der Tod - und das sind Taue

Ich schau ihn an, ein Kind. Er ist mein Meister,

den ich bewundre, dem ich traue

der Tod.


Er zeigte alles: Getränke, eine Pille,

Pistolen, Gashahn, steile Hänge,

ein Bad, Rasierer, Laken zum Erhängen

"einfach so" - für wenn das ist dein Wille,

der Tod.


Bevor er ging, gab er ein kleines Bild mir...

"Ich weiß nicht, man vergisst so leicht,

es kommt gerade recht vielleicht

für wenn's nicht mehr dein Wille

ist, zu sterben,

doch überleg es dir.'

sagte der Tod.



Aus "Parken en Woestijnen"
van Oorschot B.V. 1940

Übersetzung Jaap Hoepelman Januar 2025

De Dood


Samstag, 4. Januar 2025

M. Vasalis. Der blinde Passagier.

 

Der blinde Passagier


Wenn ein Geschöpf geboren wird,

die Reise antritt, schifft in den Raum der Tod

sich ein. Er macht sich mit dem Schiff vertraut,

dringt ein in jedes Brett der Außenhaut, 

des Spants, des Masts, der Kabel, Taue,

Segel, kauert im Rettungsboot.


Es sind die kleinen Kinder, die ihn kennen

und ihn nicht fürchten: Sie sind gerade eben

ausgefahren aus der Nacht,

zu ungewohnt ist noch das Tageslicht.

So wie der Schatten passt zum Licht,

so wird das Leben stets vom Tod bewohnt.


De Verstekeling

Übersetzung Jaap Hoepelman Januar 2025

M. Vasalis. Der Idiot im Bad.

M. Vasalis 1909-1998 ( Margaretha Droogleever Fortuyn-Leenmans)   M. Vasalis Der Idiot im Bad. Die Schulter hochgezogen, die Augen feste Zu...