Donnerstag, 4. Januar 2024

Du Perron: Vorm of Vent - Muse oder Macker.

 

Charles Edgard (Eddy) du Perron 
1899-1940

Wie Couperus (1863-1923) war Charles Edgar du Perron ein Kind der niederländischen
 Kolonialgesellschaft,    
                                                                           

wie Couperus erwies du Perron sich als ungeeignet für die traditionelle Schulbildung, wie Couperus schaffte er es trotzdem, die Ausbildung mit einem Diplom als Niederländischlehrer abzuschließen  und wie Couperus entwickelte du Perron sich zu einem Autor mit weit über die Niederlande hinausgehenden literarischen Kontakten und Interessen. Die französische Großgrundbesitzer-Familie du Perron war in Indien vermögend geworden und der junge Charles Edgar konnte sich seine mäßigen schulischen Ergebnisse recht unbekümmert leisten.  1921 verkaufte die Familie ihre umfangreichen Besitztümer in einem Ort mit dem kuriosen Namen "Meester Cornelis", um 1926 nach wallonisch Belgien umzusiedeln, wo sie das Schloss Gistoux erworben hatte.

Schloss Gistoux

Der junge mehrsprachige (darunter auch  Malaiisch) du Perron hatte schon in "Meester Cornelis" mit journalistischen und literarischen Aktivitäten angefangen  und, eingeengt auf Gistoux, fühlte er sich bald von den Niederlanden, aber mehr noch von Brüssel und Paris angezogen, wo er sich eifrig in das literarische und künstlerische Leben stürzte. Er hatte intensive Kontakte zu André Malraux, der ihm sein magnum Opus "La Condition Humaine" widmete. Zu einem anderen Aspekt seiner Persönlichkeit gehörten seine Beziehungen zu den etwas aus dem üblichen literarischen Rahmen fallenden Schriftstellern Pascal Pia und René Bonnel. Während einer der Pariser Soirées, an der eine glänzende Auswahl an Künstlern und Intellektuellen teilnahm, hat unser heißblütiger, hoffnungsvoller Dichter Clairette Petrucci kennengelernt, die Adressatin des hier übersetzten Abschiedsgedicht "P.P.C." ("Pour Prendre Congé", "Zum Abschied").  

Clairette Petrucci

Abgesehen von den persönlichen Affären war du Perron ein konzentrierter, ja besessener Arbeiter und Leser. Erste Arbeiten konnte er auf eigene Kosten herausgeben und er konnte seinen Wirkungskreis bald durch einschneidende Kritiken und Essays erweitern.  Sein Einfluss in Belgien und den Niederlanden war beträchtlich. Zu den niederländischen und belgischen Literaten seines Kreises gehörten u.a. van Ostaijen, Elsschot, Slauerhoff und Roland Holst. 1932 gründete er zusammen mit dem niederländischen Kritiker und Essayisten Menno ter Braak und dem flämischen Romanautor und Dichter Maurice Roelants die Zeitschrift "Forum", mit dem Ziel, die flämischen und niederländischen Beiträge gemeinsam herauszugeben. Das Vorhaben erwies sich als nicht lebensfähig und "Forum" wurde in flämische und niederländische Bereiche aufgespalten, der niederländische Bereich unter der Leitung des Romanautors und Dichters Simon Vestdijk. Die Zeitschrift überlebte nur bis 1935, hatte aber einen großen Einfluss, dessen Spuren durch scharfe Polemik, Essayistik und den Stil der "neuen Sachlichkeit" bis heute nachspürbar sind.  Das hier übersetzte "P.P.C." aus dem entsprechend "Parlando" ("Sprechenderweise") genannten Gedichtband ist hierfür ein gutes Beispiel.
In einer Zeit zunehmender politischer Bedrohung schien die Beschäftigung mit schöngeistiger Literatur, mit Poesie um der schönen Form willen - zum Teil noch herübergeschwappt von den Achtzigern - den Forumsfreunden immer weniger angebracht. Wichtiger erschien die Kunst, die den aufrichtigen persönlichen Standpunkt - nicht unbedingt politisch - sichtbar machte. Diese Diskussion klang noch lange nach in der niederländischen Literatur, unter dem nicht ganz ernst gemeinten Schlagwort "vorm of vent", in etwa "Muse oder Macker".
 Schloss Gistoux entwickelte sich zu einem Treffpunkt niederländischer, belgischer und französischer Literaten, aber als 1936 du Perrons Mutter starb (der Vater hatte sich 1922 umgebracht), stellte sich in der tiefsten wirtschaftlichen Depression heraus, dass Schloss Gistoux unverkäuflich war. Du Perron war ruiniert und versuchte in Niederländisch-Indien wieder Fuß zu fassen. Das Vorhaben missglückte, teils weil sich herausstellte, dass die von ihm verhasste national-sozialistische Haltung sich in der Kolonial-Gesellschaft tiefer verbreitet hatte, als es du Perron ertragen konnte. Zurück in den Niederlanden ließ du Perron sich in der niederländischen Künstlerkolonie Bergen 1939 nieder. Dort starb er - immer schon ein Asthmapatient -  am14. Mai 1940 an Herzversagen, nach der Nachricht des deutschen Überfalls auf die Niederlande, am gleichen Tag wie der Künstlerfreund Menno ter Braak, der sich aus gleichem Grund umbrachte. Nebenbei bemerkt, wurde im Juni 1940 das Schiff, auf dem der Freund beider, der Dichter Hendrik Marsman, von Frankreich nach England zu entkommen versuchte, torpediert. Marsman gehörte nicht zu den Überlebenden. Der Dichter Leo Vroman konnte sich gerade noch mit einem Segelboot nach England retten. Die Zeiten waren nicht die besten...
Als ein Hauptwerk du Perrons gilt "Het land van Herkomst" ("Das Herkunftsland"), ein teilweise autobiografischer, teilweise essayistischer und zeitkritischer Roman, der von einigen zum Besten der niederländischen Literatur zwischen den Weltkriegen gerechnet wird. Dem von ihm und ter Braak bewunderten Schriftsteller Multatuli widmete er 4 Werke.
Zu seinen Arbeiten gehört des weiteren eine Reihe von Erotika, Essays und Polemiken, zudem Gedichtbände, darunter eben "Parlando".
Die abgekanzelte Clairette Petrucci, die Adressatin der perronschen gekränkten Schimpfe in "P.P.C.", war alles andere als beschränkt und engstirnig. Nach allem, was ich gelesen habe, war Clairette eine höhere Tochter, ein begabtes, kunstsinniges, modernes, unabhängiges Mädchen. Ihr Vater war der Kunsthistoriker und Sinologe an der Sorbonne Marquis Raphael Petrucci, ihre Mutter die Flämin Claire Verwee, Tochter eines bekannten Malers und zuhause in einer breit gestreuten Gesellschaft bekannter Künstler, darunter der berühmte Hendrik Willem Mesdag, der Schöpfer des Mesdag Panoramas in den Haag. Auch Clairettes unmittelbarer Bekanntenkreis war exzellent und man kann sagen, dass sie dem kolonialen Provinzbub in vielen Hinsichten voraus war, gerade auch in den neuesten literarischen Entwicklungen, was seinen Eifer zusätzlich angestachelt haben mag.

Panorama Mesdag den Haag.
Detail.

Clairette hatte nun wirklich keinen Grund auf die Avancen des so wohlhabenden wie unreifen Teenagers einzugehen. Du Perrons Wutausbruch war wohl in erster Linie das Ergebnis jugendlicher Sturheit. In der Liebe gekränkte Poeten können sowieso auf eine lange, ehrwürdige Tradition zurückblicken, 
wie z.B. Focquenbroch

Sonett

Wie könnte ich, o schöne Klorimene, dir
gefallen, ich, der ich als Mensch geboren
und du, so scheint's, hast einen dir erkoren,
der jetzt dein Herz hat, einen wie ein Tier.

Ach, jetzt versteh' ich: nur mit einem Biest
das weibliche Geschlecht zur Liebe ist bereit.
Herr Jupiter begriff es, als vor langer Zeit
er öfters göttlich aufs Gesicht gefallen ist,

weswegen endlich er, zum Besseren belehrt,
für Leda hat den Schwan herausgekehrt
und Frau Europa hat entführt als Stier.

Es kann also noch Mensch noch Gott gewinnen:
Wer eine Liebschaft will mit einer Frau beginnen,
muss mehr nicht sein, als nur ein Tier.

(Klinkdicht)

Übersetzung Jaap Hoepelman,
Dez. 2021 

Billet Doux

Ich wollte ein Gedicht auf einem Fächer schreiben,
Sodass du mit den Worten wedeln kannst
Und die Zeilen, möchtest du im Traum verbleiben
Ungerührt zusammenfalten kannst.

Doch mehr noch wollte ich, dass ich sie innen
Drin auf deinem Kleidchen schreiben könnte
So dass zugleich mit Seide oder feinem Linnen
Mit Gedanken ich dich streicheln könnte.

Ich schriebe diesen blöden Wunsch dir nicht
Wäre ein gänzlich irrer mir erfüllt gewesen:
Einmal zu halten in den Armen dich...
Engelsgeduld ist es gewesen.

Billet Doux (aus "verzamelde gedichten", 1947)

Übersetzung Jaap Hoepelman, Januar 2020

Du Perron reiht sich somit virtuos in ein gerne geübtes literarisches Genre ein:

P.P.C. (Pour Prendre Congé)
Eduard Du Perron (1899-1940)

Lebwohl, Clary. Ich sage nicht mach's gut.
Das klingt so dumm, bei denen gar, die's meinen.
Du hast Dich gut verkauft. Und ruhig Blut
im Übrigen: Denn alle Menschen weinen.

Dein Haus war klein. Dein Herr machte es groß.
Sein Reichtum, hieß es, sei erheblich.
Dein Ruhm wird groß und bald ist man mich los.
Dein Geist blieb klein. Ich mühte mich vergeblich.

Dein Leib ist gut. Du bist ein schönes Weib.
Dem Gatten wirst Du viele schöne Kinder schenken.
Dein Herz ist eng; ich wette, dass Du bei ihm bleibst.
Hochstehend wirst Du stets den guten Ruf bedenken.

Lebwohl Clary: Mich wirst du nicht mehr sehen.
Ich werd' Dich meiden, in den Träumen allemal.
Du warst mein Traum; ich lernte Dich verstehen:
Bleib wie Du bist. Ich hasse Dich total.

Übersetzung Jaap Hoepelman
Dezember 2023

P.P.C.  (Parlando  Verzamelde gedichten. 1941)

Nach einer etwas wilden Periode, die ihm über den Verlust hinweghalf, heiratete du Perron 1932 die Kunstkritikerin, Übersetzerin und Essayistin Elisabeth de Roos, die sich um den Nachlass ihres Mannes kümmerte.

Focquenbroch. Ein böser Bub aus dem 17. Jahrhundert, oder Fumus Gloria Mundi

     Willem Godschalck van Fockenbroch  1640-1670 Dichter sind Außenseiter. In diesem Blog haben wir sie kennengelernt: Piet Paaltjens , de ...