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Freitag, 29. August 2025

Staring, Dichter und Herr der Wildenborch.

Anthony Christiaan Winand Staring (1767-1840) geportretteerd door P Velyn, uitgeven doorJohannes Immerzeel
Antoni Christiaan Wijnand Staring
1767-1840



"Viel Feind, viel Ehr". In 1672, dem "Katastrophenjahr", war es doch etwas viel der Ehre, als Frankreich und England die Republik gleichzeitig angriffen, unterstützt von den Bistümern Köln und Münster (unter "Bomben Behrend", dem Bischof von Galen).

Het verbranden van de Royal James tijdens de Slag bij Solebay', door Willem van de Velde
Willem van de Velde.
Die Seeschlacht bei Solebay.
Die "Royal James" wird gesprengt.

Die Republik besiegte zwar die kombinierten Flotten von England und Frankreich in der Seeschlacht von Solebay, aber den französische Feldzug, wie üblich mit endlosem Raub, Mord und Zerstörung verbunden, konnte man nur dadurch aufhalten, dass man große Teile des Landes unter Wasser setzte. Es war tatsächlich eine Katastrophe.
                                                  
         

Die "holländische Wasserlinie"

Prinz Willem III inspiziert die Wasserlinie


In der mehrheitlich Oraniergesinnten Bevölkerung gab man den republikanischen Brüdern Johan und Cornelis de Witt die Schuld. Die Wut wurde noch befeuert durch die Tatsache, das die Zinsen auf Leibrenten verringert worden waren, nachdem Johan de Witt (er war auch Mathematiker und als solcher Begründer der Versicherungsmathematik) berechnet hatte, dass sie zu hoch angesetzt waren. Aber gute Mathematik und taktischer Geschick sind zwei Paar Stiefel: Die de Witts wurden von einem rasenden Mob ermordet und geschunden. Einige Historiker vermuten aber auch ein Komplott in der Kette der Reibungspunkte zwischen den Parteien der Orangisten und der Regenten.
Das Land war zerrüttet. Das "Goldene Zeitalter" war vorbei und es fing eine lange Periode des Niedergangs an. Das einst stolze Welthandelszentrum Amsterdam sah in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Teilen so aus:


Aber wie ein Amsterdamer Philosoph schon sagte: Ieder nadeel hep ze voordeel - Jeder Nachteil hat seinen Vorteil. 30 Prozent der Bevölkerung zog weg aus den Städten und aufs Land. Dadurch verschob sich der wirtschaftliche Schwerpunkt der Niederlande. Durch die neuen Arbeitskräfte, neue Arbeitsmethoden und Techniken und durch Trockenlegungen wurde das Land vom Importeur von Nahrungsmitteln zum Exporteur. Auch ohne Tomaten konnte damit  gutes Geld verdient werden und man tut es immer noch.  Neben den nun mal nicht adligen Kaufleuten in den Städten des Westens spielten wieder andere Bevölkerungsschichten ihre Rolle. In Gelderland, also nach holländischem Verständnis janz janz weit weg vom Zentrum der Macht, war das mittelalterliche Raubritterschloss "Wildenborch" gelegen.
1768 wurde es von den Staaten von Gelderland dem Grafen van Limburg Stirum verkauft und später von Damiaan Hugo Staring, dem Vater unseres jetzigen Dichters, erworben.

Wildenborch - JungleKey.nl Afbeelding

Sohn Antoni Christiaan Staring war ein sehr vielseitiger Mann. Auf seinem Gut pflanzte er Wälder, betrieb eine Baumschule, legte Moorgebiete trocken und entwarf landwirtschaftliche Geräte. Auf seinen Ländereien errichtete er eine Schule für die Kinder seiner Landarbeiter. Seine Bibliothek in der Wildenborch, zum Teil noch erhalten,  umfasste Bücher über Poetik, Jura, Erziehung, Sprachwissenschaft, Naturwissenschaften und vieles mehr. Für die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflichte als Gutsherr studierte er Jura in Harderwijk  und Botanik und Physik in Göttingen (1786-1789). Starings Liebe galt auch der Literatur. Er verfasste Poesie, Erzählungen und schrieb Lieder.
Mit dem damaligen, stagnierenden Literaturbetrieb der Niederlande hatte der landwirtschaftliche Provinzbaron wenig zu tun. Vielleicht war das auch gut so: Staring hatte schon in seiner Jugend die "Basia" (Kussgedichte) des Neo-Lateiners Janus Secundus kennengelernt, kam in Göttingen


       Janus Secundus
          1511 -1536

näher mit der deutschen Klassik und Romantik in Berührung und er wusste diese Elemente im hier übersetzten Gedicht "Gedenken" virtuos zu verbinden. Durch den Einfluss der gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Gesellschaften zur Spracherneuerung steht Starings Sprache der heutigen Sprache viel näher, als die seiner Vorgänger. So wird verständlich, dass "Gedenken" noch immer zu den beliebtesten Gedichte der Niederlande zählt, ja, sogar eines der schönsten Gedichte der niederländischen Sprache genannt wird.


Gedenken

Uns schützte tropfend Laub der Weiden,
Wo ich mit ihr geduckt am Weiher saß;
Die Schwalbe überflog die Weide
Und spielte um das silberne Gras;
Das Laub, vom Dufthauch leicht bewegt,
Erzitterte zart angeregt.

Es wurde still; das Tropfen hörte auf;
Kein Vogel mehr am Himmel flog;
Der Tau stieg an den Hügeln auf,
Wo sich das Abendrot verzog;
Der Mai sang seine Abendweise!
Wir hörten es und wurden leise.

Ich sah sie an und tief bewegt,
Schmolz Seel' mit Seel' in ein.
O Zauberbann, so sanft auf mich gelegt
Von dieser Augen Schein!
O dieses Mundes Atems Süße,
Flüsternd schlingend unsre ersten Küsse!

Uns deckte friedlich Laub der Weide;
Die Dämmerung zog auf;
Das Dunkel überzog die Weiden;
Wir standen zögernd auf.
Leb' lang in seligem Gedenken fort,
Geweihte Stund'! Geheil'gter Ort!

                           -

Die verschiedenen Fassungen tragen die Jahreszahlen 1786 bis 1837 

Übersetzung Jaap Hoepelman September 2019

Herdenking
J. P. Guépin "Starings 'Herdenking'".

Staring ist auch bekannt um seine Gedichterzählungen und humoristische Epigramme. An einem Epigramm versuche ich mich hier noch. Es wurde in der Schule häufig unterrichtet und es zeigt Starings virtuose Behandlung der Sprache:

Der Hundekampf

Rul Weitgereist, auf seinen Reisen,
Sah unglaublich viel! Zwei Bullenbeißer
Kämpften vor dem Weinhaus in der Polenstadt,
Wo er gerade Unterkunft bekommen hat.
"Solch'  Kämpfen, Leute! -- Sie verschlangen
Einander regelrecht! Mit jedem Biss ein Bein
Ab oder Ohr - und glatt wie Speck hinein!
Für's Trennen war's zu spät! Zu fangen
gab's die Reste: - bei meiner Ehr',
Die Schwänze, und nicht mehr."

Het hondengevecht.

Übersetzung J. Hoepelman September 2019



George Morland 
Fighting Dogs




Samstag, 2. August 2025

Jeremias de Decker und der Hexenglaube

 



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Rembrandt, Porträt
des Jeremias de Decker 1609-1666

1782 wurde Anna Göldi in Glarus in der Schweiz als letzte Hexe in Europa verbrannt. Das war fast 100 Jahre nachdem in Amsterdam 1691 Balthazar Bekkers "Betoverde Wereld" erschienen war (1693 auf Deutsch als "Die Bezauberte Welt" veröffentlicht)

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Balthazar Bekker
1634 - 1698

Bekkers Fundamentalkritik wurde in ganz Europa eifrig  studiert. Sein Buch wurde ihm aber von der reformierten Kirche nicht in Dank abgenommen. Die Kirche setzte ihn als Prediger ab und schloss ihn vom Abendmahl aus. Der Oberbürgermeister von Amsterdam jedoch, der Mathematiker Johannes Hudde, bestimmte, dass Bekkers Gehalt weiterhin bezahlt wurde, was diesem ermöglichte zu überleben und zu arbeiten.
Noch einmal fast hundert Jahre früher, 1603, fand in der Provinz Holland die letzte Hexenverbrennung statt. Das Gedicht von Jeremias de Decker zeigt, dass Kritik am Hexenglauben sich wenig später allgemein verbreitet hatte. 
De Decker war Händler in Gewürzen und auch der Mennonit Abraham Palingh, zu dessen Traktat de Deckers Gedicht die Einleitung darstellte, war ein kleiner Kaufmann. 



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Palinghs "Maske der Zauberei abgerissen"

Kritik am Hexenglauben hatte es immer schon gegeben, sie kam aber von gelehrten Theologen und Doktores der Medizin. Das besondere an de Decker und Palingh war, dass sie nicht zur intellektuellen Elite gehörten, wobei de Decker sich durchaus zum geachteten und erfolgreichen Dichter entwickelt hatte. Beide waren eben Kaufleute in einer Republik von Kaufleuten, die mit der nüchternen Überprüfung von Rechnungen, Menge und Qualität von Gütern und der Zuverlässigkeit von Atlanten beschäftigt waren - nicht mit Hexengeschichten. Dazu kam, dass die Wissenschaft sich inzwischen sprunghaft entwickelt hatte. Es war die Zeit, dass man anfing, genau wahrzunehmen. Nicht länger nahm man fantastische Geschichten begeistert oder verängstigt hin, sondern man traute sich, einfach hinzuschauen, auch wenn es um Dinge ging, die eng mit Aberglauben und Ängsten verbunden waren. Zu Deckers Zeiten entdeckte Leeuwenhoek mit seinem Mikroskop Samenzellen, Bakterien im Mundschleim und vieles andere mehr, ohne Scheu vor den magischen Eigenschaften der Flüssigkeiten. Auch Leeuwenhoek war "nur" ein Kaufmann, und er entschuldigte sich in Briefen an die Royal Society ausführlich dafür, dass er nur Niederländisch konnte und kein Latein. Die Lage erinnert ein wenig an die Gründung der HBS in 1863.                                     
Der Arzt Swammerdam analysierte mit Hilfe des Mikroskops die Anatomie der bis dahin als wenig interessant betrachteten Insekten, entdeckte die roten Blutkörperchen, Ovarialfollikel, Kontraktion des Froschmuskels usw., usw.,


Bildergebnis für swammerdam



während Huygens, der kühle Physiker, die Ringe des Saturns, des Planeten der Alchimisten und Magier, beobachtete und den Mond Titan entdeckte, womöglich mit von Spinoza geschliffenen Linsen. Auch entwickelte er die Pendeluhr, unerlässlich für die genaue Wahrnehmung in naturwissenschaftliche Experimente und für genaue Positionsbestimmungen auf See.

      Bildergebnis für huygens pendeluhr

Hudde war kein unbedeutender Mathematiker. Er korrespondierte u.a. mit Leibniz, Newton, Bernoulli, Huygens und Spinoza. Er half seinem ehemaligen Kommilitonen Johan de Witt, dem "Raadspensionaris" (Premier) der Niederlande, mithilfe von Logarithmentafeln neuartige Tabellen für die Lebensversicherung zu entwickeln. Auch bestimmte er Methoden, die optimale Zuladung der VOC-Schiffe zu berechnen. Es waren keine guten Zeiten für den Hexenglauben: Aus einer breiten Schicht der Bevölkerung gingen Appelle an die Vernunft hervor, wie in diesem Gedicht aus 1659, 11 Jahre vor der Erscheinung von Spinozas Tractatus Theologico-Politicus und lange bevor die Aufklärung sich in gelehrten Kreisen verbreitet hatte.
Die Geschichte von Balthazar Bekker und der reformierten Kirche zeigt aber, dass noch ein langer Weg zu gehen war, auch in Holland.



Auf Abraham Palinghs
"Die Maske der Hexerei abgerissen"


Warum verliert die Zauberei
Diese verfluchte Raserei
An den Orten ihre Macht,
Wo der Glauben hingebracht,
Und nicht Menschenfirlefanz
Will verdunkeln seinen Glanz,
Zwingt Vernunft und Schrift zu schweigen
Und zu tanzen nach Roms Reigen?
Weil der Deibel flieht die Klarheit
Der neu hergestellten Wahrheit,
Und den blendendhellen Tag
Sein Auge nicht ertragen mag?
Oder ist es, weil am Tiber
Man mit Aberglaubenfieber
Geschäfte macht und dreist
Träufelt in den schlichten Geist
Einfacher Laien ohne Schrift
Ständig ein das Zaubergift,
Damit die Traum- und Lügenlehre
Man beständig hält in Ehren?
Ja, das ist es, das der Grund,
Dass in Rom zu jeder Stund'
Man ständig mit Papisten eifert,
Ständig gegen Hexen geifert,
Foltert, mordet außer Rand und Band!
Wenn doch nur Richter mit Verstand
Sich ernsthaft würden überlegen:
Nichts davon kann man belegen!
Und anstatt von Pfaffenthemen
Die Vernuft als Richtschnur nehmen;
Und nicht länger rasend schänden
Ihr Gewissen, dabei die Hände
Tunkend, blind, in wilder Wut,
In Strömen von unschuld'gem Blut!
Ihr schrägen Richter am Gericht,
Glaubt Ihr denn die Wahngeschicht',
Die Märe, dass ein armes Weib
Mit weichem Herz und schwachem Leib,
Ängstlich Schrecken meidend, Grauen,
Sich wohl tollkühn würde trauen
Sich mit dem Teufel einzulassen,
Erlauben ihm sie anzufassen
Und sie wäre dann im Stande
(Welch' verleumderische Schande!
Wie sie gottloser nicht sein kann!)
Zu bewirken, was nur Gott kann?
Wem, ja wem um alles in der Welt
Solcher Kinderkram gefällt?
Doch warum weilt Ihr noch hier?
Sucht Bescheid bei Johan Wier,
Oder Scots gelehrte Bände
Nehmt einmal in eure Hände,
Nicht Spinäus, nicht Bodin:
Wendet euch zum Palingh hin,
Der der faulen Zaubergeschicht'
Die Maske reißt vom Angesicht;
Den ganzen Irrsinn zerrt ins Licht;
Der mit dem Aberglauben bricht,
Der im Gekrös' von Opfertieren,
Im Vogelflug und Tirilieren,
Und in den Linien der Hand
Nie ein Quentchen Wahrheit fand;
Der hirnverbrannte Ceromanten,
Hydromanten, Geomanten,
Das ganze Wünschelrutenpack
Steckt in den großen Lügensack.
Der Amuletten, Salben, Zauberbrei
Entlarvt als Mumpitz, Augenwischerei,
Und die Magier der Ahnen,
Dardanos, Zalmolxis, zeigt als Scharlatane.
Du Zauberrichter, wenn Du dieses liest,
Dein Tun Dich trotzdem nicht verdrießt,
Du Dich noch immer nicht bekehrst,
Stur Deinen Stiefel weiter fährst,
Willst immer noch den Deibel fangen
Mit Feuer und mit Folterzangen,
Dann sei Dir sicher und gewiss,
Dass der Fürst der Finsternis,
Der Dich spornt mit scharfen Sporen,
Dich fester hat bei Hals und Ohren,
Hockend tief in Deinen Eingeweiden,
Als diejenigen, die Deinen Feuertod erleiden.

J. de Decker.
1659


Übersetzung Jaap Hoepelman August 2019.


Ceromantie - Wahrsagerei mittels Würfeln.
Hydromantie- Wahrsagerei aus der Bewegung von Wasseroberflächen.
Geomantie - Wahrsagerei aus Sandfiguren.
Zalmolxis wurde von den Thrakiern als Gottheit verehrt. Sein Ehrendienst
ging einher mit einer Prozedur, darin bestehend, dass ein Bote mit verschiedenen Bitten zu Zalmolxis (der sich im Verborgenen hielt) geschickt wurde. Dann wurde der Bote in dazu aufgestellte Speere geworfen. Starb er, war er ein guter Bote gewesen. Starb er nicht, war er ein schlechter Bote und musste deswegen sterben. Die Ähnlichkeit mit der Wasserprobe für Hexen ist offensichtlich und wird auch de Decker nicht entgangen sein.
Dardanos war der mythische Vater der Trojaner. Er soll sich in einen Magier
verwandelt haben. Unter dem Titel "Schwert des Dardanos" war eine Anleitung
zur Herstellung magischer Amulette bekannt.
Spiräus, Bodin: Zwei fanatische Hexenjäger.
Johannes Wier, Reginald Scot kämpften gegen den Hexenglauben bereits im 16. Jahrhundert.


Afgeruckt Momaensicht







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Sonntag, 26. November 2023

Albert Verwey, Spinoza.




          
                                                           
                Albert Verwey                                               
                  1865 -1937

    
Baruch de Spinoza
1632 -1677
     
                                                                                                                      
                                                                                                       
Die Schlussworte des Tractatus theologico-politicus sollten eigentlich in goldenen Lettern über dem Eingang des Plenarsaals der Vereinten Nationen stehen. Vielleicht ist das sogar der Fall, ich habe es nicht nachgeprüft. Aber ihre Entstehung lässt sich zurückverfolgen zur bescheidenen Kate, die Spinoza vom Leidener Arzt Herman Homan zur Verfügung gestellt worden war:

Für den Staat (ist) nichts heilsamer , als wenn die Frömmigkeit und Religion nur in die Ausübung der Liebe und Billigkeit gesetzt wird und das Recht der Staatsgewalt in geistlichen wie in weltlichen Dingen nur für die Handlungen gilt, und im Uebrigen Jedem gestattet ist, zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt.
Wenn wir schon dabei sind, könnten wir die Stirnseite des Plenarsaals mit einer anderen Einsicht aus dem Tractatus verschönern:

Es ist nicht der Zweck des Staates, die Menschen aus vernünftigen Wesen zu wilden Thieren oder Automaten zu machen; sondern ihre Seele und ihr Körper soll in Sicherheit seine Verrichtungen vollziehen, sie sollen frei ihre Vernunft gebrauchen und weder mit Hass, Zorn oder List einander bekämpfen, noch in Unbilligkeit gegen einander verfahren. Der Zweck des Staates ist also die Freiheit.

Spinoza hatte sich 1661 in das kleine Haus in Rijnsburg zurückgezogen, weil der Verbleib in Amsterdam zu unsicher geworden war.  In 1656 war er wegen schädlichen Ansichten aus der portugiesisch-jüdischen Gemeinde in Amsterdam  ausgeschlossen und mit einem Bann belegt worden und die Gemeinde Amsterdam hatte ihn wegen "Gottlosigkeit"  aus der Stadt ausgewiesen. Wir können davon ausgehen, dass seine "schädlichen Ansichten" und sein "Atheismus" (der keiner war) sich schon mit 23 bemerkbar gemacht hatten. In einer Verteidigungsschrift hatte Spinoza versucht, die Anschuldigungen zu widerlegen. Daraus entstanden, teilweise in Rijnsburg, u.a. die Tractatus und die Ethik. Der Tractatus erschien 1670 in Amsterdam, aber mit einem falschen Erscheinungsort, falschen Herausgeber und anonym; es war schlicht zu gefährlich eine "gottleugnende" Verhandlung auf "normalem" Wege zu veröffentlichen. Wie gefährlich ging, wenig später, aus dem Schicksal der liberalen Brüder de Witt hervor. Cornelis de Witt war Abgeordneter der Generalstaaten für die Armee. Unter Johan de Witt, dem mächtigen Ratspensionär (Premier), genossen unkonventionelle Außenseiter, wie Spinoza einer war, höchsten Schutz. Als aber die Geschicke der Niederlande sich ungünstig entwickelten wurden die de Witts, die Republikaner waren, und somit politische Gegner der Oranier, verantwortlich gehalten und vom oranien-gesinnten Mob vor ihrem Haager Gefängnis gelyncht und geschunden. Die Legende will, dass Spinoza in seiner Entrüstung zum Ort des Verbrechens eilen wollte, mit einem selbsthergestellten Schild "Ultimi Barbarorum" - "die schlimmsten Barbaren". Nur sein Vermieter konnte ihn in letzter Sekunde davon abhalten, sich ins Unglück zu stürzen. Ich finde die Vorstellung rührend: Der Philosoph mit dem Lebensmotto "Caute" - "Behutsam", Verkünder des inneren Friedens und der abgeklärten Redlichkeit, der Erkenner von Gott ALS Natur, der sich mit einem selbstgemachten Schild, in gelehrtem Latein ins Getümmel stürzt. Man mag nicht daran denken, was die aufgebrachte Menge mit dem angeblichen Gottesleugner gemacht hätte...



Die geschundenen Leichname der Brüder de Witt
am Richtplatz in den Haag

Spinoza war nicht so isoliert, wie es machmal dargestellt wird. Er hatte einen großen Kreis von Freunden, Bewunderern und Unterstützern, darunter der Chirurg Homan, in dessen Rijnsburger Häuschen Spinoza sich mit Linsenschleifen seinen Unterhalt verdiente.

Die Schleifbank in der Rijnburger Kate

In Amsterdam bestand der Freundeskreis aus mindestens 10 Mitglieder, einige davon selber Autoren bemerkenswerter Veröffentlichungen. Darüber hinaus stand Spinoza in Verbindung mit der wissenschaftlichen, philosophischen und sogar politischen Prominenz seiner Tage, wie Leibniz, Oldenburg, Boyle, auch Christiaan Huygens, der seine Linsen schätzte, ansonsten ziemlich hochnäsig auftrat. Sogar eine Professur in Heidelberg wurde Spinoza angeboten, der aber ablehnte, weil er um seine Gedankenfreiheit fürchtete und auch weil die holländische Liberalität ihn in der Pfalz wohl kaum erwartete. Der Beruf des Linsenschleifers, im Übrigen, war kein gering zu schätzendes Handwerk, sondern gehörte zur fortschrittlichsten Wissenschafts-Technologie der damaligen Zeit. Leider war der Umgang mit Glasstaub Spinozas Tüberkuloseleiden äußerst abträglich. 1677 verstarb der "radikale Aufklärer".

Verwey war einer der Achtziger, aber er entfernte sich schon bald vom Ausdruck individueller Emotionen um sich eher "typisch" niederländischen Themen zu widmen. Spinoza gehörte natürlich dazu. Verwey war ein überzeugter Anhänger, Bewunderer und Kenner Spinozas. Er war ein eher zerebraler Mensch, wurde Professor für Niederlandistik und Herausgeber von Standardwerke über niederländische Dichter, u.a. Vondel. Seine Dichtkunst hat in den Niederlanden nie zu einem wirklichen Erfolg geführt, aber er war eine Autorität auf seinem Gebiet, eine Instanz. Seine Freundschaft mit Stefan George, der ihn häufig im Badeort Noordwijk besuchte, hat seinen Namen in Deutschland etwas bekannter gemacht. Die Auseinandersetzungen der beiden über die niederländische bzw. die deutsche "Wesensart", oder auch die "germanische" versus die "romanische" kann man heute nur noch mit Verwunderung lesen.
Verweys Spinoza-Gedicht aber kann ohne weiteres als gelungen betrachten werden.
                                                                                                                                                    

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Bei Spinoza in Rijnsburg


Der stille graue Tag sah von dem Dünenweg
Herunter wo Spinoza saß, in jener kleinen Kate
Und mit dem Fuß den Tritt der Schleifbank trat,
Und schliff vom spröden Glas die glatte Fläche schräg.

Sie liegt jetzt zwischen Kohl- und Blumrabatten,
Städtische Leute gehen diesen stillen Pfad;
Und auf das, was in der Kate man genachahmt hat
Glotzt die Frisur und die gelehrte Platte.

War Einsamkeit der Landschaft schönste Ruhe?
Schritt dieses Volk durch schönere Einsamkeit
des Philosophen Geistes, um Seelenruh' zu finden?

Von jener grünen Düne wehte salzig Seeluft
Und als der Zug nach draußen ward geleitet,
Hört' ich um die Kate nur den Meereswind.

Albert Verwey
Bij Spinoza te Rijnsburg

Aus: Dagen en daden (1901)

Übersetzung Jaap Hoepelman März 2019

Freitag, 30. März 2018

Huygens? Hatte der nicht mit Saturn zu tun?

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Constantijn Huygens (1596 – 1687) war Architekt, Komponist, Diplomat, Dichter, Schriftsteller, Gambist, Cembalist, Gitarrist und Lautist und Ratsmann, Verwalter, Sekretär in Diensten von drei Oraniern. Er beherrschte Französisch, Latein, Griechisch, Italienisch, Englisch und, klar, Niederländisch. Seine Vita verbindet ihn mit einer unabsehbaren Reihe Geistesgroßen und Personen der Zeitgeschichte aus dem Goldenen Zeitalter der Niederlanden und dem Ausland, wie Spinoza, Donne, Rembrandt, Descartes, De Witt, Mersenne, Corneille, Francis Bacon.... Als Architekt entwarf er 1642 sein Refugium "Hofwyck" (vergl. "sans-soucis" oder "solitude"), das heute als Museum zugänglich ist.

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Unter seinen Kindern ist der bekannteste wohl Christiaan Huygens, Mathematiker, Physiker und Astronom, Entdecker der Ringe des Saturns, Erfinder der Pendeluhr, Mit-Entwickler der Analyse und anderen physikalisch-mathematischen Großtaten.


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Huygens schrieb einige längere Vers-Epen, ein bekanntes Trauergedicht, auch ein Lustspiel, aber sich selber nahm er in erster Linie wahr als Komponist. Mehr als 700 Kompositionen hat er geschrieben, die meisten aber sind leider verloren gegangen. 
 Aufnahmen seiner Lieder "Pathodia Sacra et Profana" findet man hier:

Pathodia

In den Niederlanden sind insbesondere seine epigrammatische Kurzgedichte ("puntdichten") bekannt. Er stand fest auf dem Boden der reformierten (protestantischen) Staatskirche und man kann sich leicht vorstellen, wie sehr ihn der Übertritt der Maria Tesselschade (s.U.) zum Katholizismus schockiert haben muss. Für seinen festen Glauben steht hier das Kurzgedicht "Baum", für den Schock, den Tesselschade ihm bereitete "Die zweite Tesselschade":

Baum

Die Bäume, die wir seh'n
recken sich zum Himmel hoch mit ausgestreckten Armen
Sie sind wie Gottlose in Not, die aufwärts barmen
Und wissen nicht an wen.

Übersetzung Jaap Hoepelman März 2018
 
Die zweite Tesselschade *
(plm. 1641)

Hat Tessel unterwegs nach Rom Genf hinter sich gelassen?
Hat ihre weggelockte Seele sich in Puppenkram verfangen?
Wie konnte diese Grübelei ihr in das hohe Herz gelangen?
Läßt Pfaffen-Dunkel Gottes Licht in ihr verblassen?
Und hat im Dunkeln sie der klare Sinn verlassen?
Und sind im trüben Auge die weißen Gründe schwarz,
die rechte Spur zu schlicht, das sanfte Joch zu hart?

Übersetzung Jaap Hoepelman März 2018

* Der Name "Tesselschade" bedarf ein wenig der Erklärung. Maria Tesselschade Roemers(dochter) Visscher war Tochter des Getreidehändlers und Schiffsversicherers Roemer Visscher, der 1593, kurz vor ihrer Geburt,  in einer Schiffskatastrophe 44 vollbeladene Schiffe verlor vor der Küste Texels (eine Insel bei Nord-Holland). Auf die Idee, seine kleine Tochter nach einer Schiffskatastrophe zu nennen ("Tesselschade" - "Die Katastrophe/der Schaden bei Tessel"), kommt so schnell keiner, außer er ist Amsterdamer Kaufmann (oder vielleicht Hamburger).
 Maria Tesselschade war eine begabte Sängerin, Dichterin, Graviererin, Mitglied in den wichtigsten Künstlerkreisen und bekannt mit allen, die Rang und Namen hatten, auch mit Huygens. Huygens bissiges Epigramm  "Die zweite Tessel-Katastrophe" hat jedoch nicht zu einer dauerhaften Verstimmung zwischen ihm und Tesselschade geführt, was für die tolerante Einstellung der beiden spricht.



Träume

Tagsüber denkt mir, dass ich träume - dass ich sähe, träumt mir in der Nacht:
Wär's nächtens nicht so dunkel, und so hell nicht wär' am Tage
Ich sähe keinen Weg heraus aus den geträumten Träumen,
Ob meine Träume Denken sind, ob Denken meine Träume.

Übersetzung Jaap Hoepelman März 2018

Das Gedicht "Dromen", "Träume", steht als "Mauergedicht" an einer Außenwand in Den Haag.
Die Stiftung "ArchipelpoëZie" hat es sich zur Aufgabe gemacht, Haager Wände mit Poezie zu bereichern, welche, und wieviele kann man hier sehen:

muurgedicht

Ich stelle mir nur vor, was passieren würde, wenn jedes dieser Gedichte entfernt werden müsste, weil eine/r sich von irgendeiner Zeile unangenehm berührt fühlte...





Ed Hoornik. Prophetisches.

Pogrom   1938 Pogrom                                                                                                             Ed Hoornik ...