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Samstag, 16. August 2025

Jacob van Lennep. An ein Röslein.

 


In Amsterdam hat vor kurzem ein Wandgemälde einigen Staub aufgewirbelt. Zu sehen sind an einer Häuserwand eine teilweise verpixelte nackte Schöne, einen Bewunderer, der vor lauter intensiver Betrachtung das Gleichgewicht verliert und ein nur teilweise abgebildetes Gedicht, das aber soviel mitteilt, dass der Leser ohne viel Mühe den Inhalt entschlüsseln kann. Verpixelt wurde ein Teil des Bildes als Kompromiss erst nachträglich vom Künstler, weil das Original Unmut in der Nachbarschaft verursacht hatte und zuvor mit  Farbbomben und politischen Bannern verunstaltet worden war. Paradoxerweise zieht die Verpixelung die Blicke eher auf sich, als das unverpixelte Original.  Der Dichter war der "rijksadvocaat" (eine Art Fiskalanwalt für den Staat) und späterer Staatsanwalt Jacob van Lennep.*  Das Gedicht schmückt passenderweise eine Wand an einem nach ihm benannten Kai, der "Jacob van Lennep Kade".


Jacob van Lennep 1802-1868

Der "Jacob van Lennep Kade" ist nicht ein Kai an einer der ikonischen Amsterdamer Grachten. Mehr standesgemäß wohnte Staatsanwalt van Lennep an der Keizersgracht 560:


Das Haus steht noch heute und wird von einem Giebelstein geschmückt: 


Die van Lenneps gehörten zum Amsterdamer Patriziat. Um einen Eindruck zu geben:  Sie hatten zB. Verbindungen zu den Familien Trip und Six.



                    Jacob Trip
              Rembrandt van Rijn
                                                                                                                           Jan Six
                                                                                                                      Rembrandt van Rijn

Nicht ganz überraschend war Jacob van Lennep politisch konservativ, aber mit der nonchalanten Liberalität, die bei entsprechender gesellschaftlicher Stellung und ebensolchem Vermögen manchmal vorgefunden wird. So wird berichtet, dass er sich um passende Kleidung nicht besonders kümmerte oder auch mal in einer Art Kaftan herumspazierte. Er war unglaublich produktiv, verfasste historische Romane, wie sie in dieser Epoche durch Walter Scott in Mode waren, Gedichte, Übersetzungen, Schauspiele, schrieb historische Abhandlungen, sammelte und beschrieb völkerkundliche Materialien, war sprachwissenschaftlich tätig, war Mitglied des Parlaments, der Veterinärkommission, beschäftigte sich mit der Landesgesundheit, usw. usw...Eines seiner Projekte war die Organisation der Amsterdamer Trinkwasserleitung,  ein Vorhaben  von höchster Dringlichkeit: Choleraepidemien gab es im Amsterdam des 19. Jahrhunderts erschreckend häufig. Sie entstanden in Umgebungen wie dieser:


Van Lenneps liberale Einstellung zeigte sich auch in seiner Hilfsbereitschaft für weniger vom Schicksal begünstigte Kollegen, z.B. Multatuli, dem er die Veröffentlichung des staatskritischen Romans "Max Havelaar" ermöglichte - (es gäbe darüber mehr zu erzählen; zuviel für den Moment), oder Gerrit van der Linde, der ein kümmerliches Dasein als Schulmeister in London fristete, der aber in seiner Korrespondenz eine erstaunliche Unbekümmertheit an den Tag legt. Vielleicht, weil van Lennep in van der Linde eine verwandte Seele entdeckt hatte. Van Lennep, man kann es nicht anders sagen, war so etwas wie ein mit zahlreichen Kindern gesegneter "schuinsmarcheerder", ein Lebemann. Das war allgemein bekannt, es hat ihn wahrscheinlich die Ernennung zum Geschichtsprofessor gekostet. Van der Linde jedoch hatte es, nach einer Affäre im akademischen Milieu, Hals über Kopf nach London verschlagen. Aus van der Lindes Bettelbriefe geht hervor, dass er seine alte Angewohnheiten nicht ganz verlassen hatte, worüber er mit der Staatsanwaltschaft ganz auf Augenhöhe verkehrte. Hier wiederhole ich die erste Zeile eines Reims in einem Schreiben an van Lennep:

Wenn manchmal die bösen Fleischeslüste dich tun plagen...

Van Lennep's Leben scheint durch seinen Lebensstil weniger durcheinander gebracht worden zu sein: Quod licet Iovi.... Auf alle Fälle konnte er sein unmissverständliches "An ein Röslein" unbeschwert im Kreise seiner Kollegen-Patrizier im Herrenverein "Saterdagsch Gezelschap"** vortragen: 

An ein Röslein***

Sanftgefärbte Frühlingsblüte,
Was du wohl auf Selindes Busen tust,****
Dass du kuschlig auf den Brüsten
Wie zwischen daunen Pfühlen ruhst!
Artig's Röschen, frisch entfaltet,
Wär' dein selig's Schicksal meins,
Läg' auch ich sanft festgehalten
Wo das Halssatin sich spreitzt,
Ich läge nicht, wie Du, bewusstlos
Das Köpfchen abgeknickt beiseits;
Nein, die Neugier schaute ruh'los
Auf die Landschaft nahebei.
Angespornt von heißen Lüsten
Auf die Brüste, weiß und weich,
Drückt' ich tausend, tausend Küsse
Auf Schultern, Hals und Nacken gleich.
Ich würd' zusammen auch vergleichen
Beide Kugeln, weiß und rund:
Welcher ich den Lorbeer reiche
Woraus bestünde der Befund?
Wo die Venen blauer schienen,
Wo das Weiß am weißten war,
Welcher die größte Federkraft verliehen,
Welche der Beere röter war.
Dann versucht' ich nach zu spüren,
Wohin die hohle Gasse leitet,
Wohin die Furche mich will führen,
Die ein Rund vom anderen scheidet,
Die stillschweigend mir bedeutet,
Dass die Gass' nach unten führt,
Dort, wo warten ungeahnte Freuden,
Von keinem Sterblichen berührt.
Ich nähm die Gasse, lustgetrieben wie ich war,
Bis ich den Schatz in Augenschein genommen
Und sich auftat, was geheim geblieben war,
Bis ich in Cypris' Rosenhof war angekommen.*****

Übersetzung Jaap Hoepelman August 2025


* Jacob van Lennep war eine bunte Gestalt in einem Jahrhundert, das an sich viel bunter war, als es in den Niederlanden im allgemeinen dargestellt wird. Marita Mathijsen hat ihm eine ausführliche Biographie gewidmet: "Een bezielde Schavuit. Jacob van Lennep". Auf Niederländisch natürlich - für die geneigte Leserschaft dieses Blogs kann das nur ein Anreiz sein.


*** Die Rose war ein gerne benutztes literarisches Motiv, das Lust, Zärtlichkeit, Kurzlebigkeit, Wohlriechendheit, Wehrhaftigkeit und Trauer in unterschiedlichen Kombinationen mit einander verband, wie, ziemlich drastisch, in Goethes "Heideröslein":

"Half ihm doch kein Weh und Ach, musstes eben leiden"

Goethe war wahrlich nicht der erste, der das Rosenmotiv benutzte. Um nur einige Beispiele zu nennen: wir sahen es um Jahrhunderte früher bei van der Noot und Ronsard, und auch als Emblem in einem Trostgedicht für ein früh verstorbenes Kind bei François de Malherbe

Et, rose, elle a vécu ce que vivent les roses,
L'espace d'un matin.


**** "Selinde" war eine in der Romantik gerne um ihre Schönheit besungene Frauengestalt. So lauten z.B. die ersten Zeilen des Gedichtes "Selinde" von Gellert  

Das schönste Kind zu ihren Zeiten 
Selinde, reich an Lieblichkeiten

Während Gellert die Tugendhaftigkeit Selindes besingt, bereimt Friedrich Schlegel in "An Selinde" eher die körperlichen Freuden:

Die süße Stunde werd ich nie vergessen,
als mich der liebe Leib so süß umschlungen,
auch Du von meinem Leben warst durchdrungen,
uns beid umschwebt ein seliges Vergessen!

Franz Schubert kommt in den ersten Zeilen des Liedes "Stimme der Liebe" (Text Graf zu Stolberg), ohne Umschweifen zur Sache:

Meine Selinde! Denn mit Engelsstimme
Singt die Liebe mir zu: sie wird Deine!

***** "Cypris" steht für Venus, die der Legende nach auf Zypern geboren wurde.







Dienstag, 1. August 2023

Dichter und Bauer

Hubert Poot
1689 - 1733

Ta douleur, Du Périer, sera donc éternelle,

Et les tristes discours

Que te met en l'esprit l'amitié paternelle

L'augmenteront toujours ?

...

Mais elle était au monde où les plus belles choses

Ont le pire destin ;

Et, rose, elle a vécu ce que vivent les roses,

L'espace d'un matin.

...

De murmurer contre elle et perdre patience,

Il est mal à propos ;

Vouloir ce que Dieu veut est la seule science

Qui nous met en repos.


(François de Malherbe

Consolation à Monsieur Du Périer, 1599)


Für Trauergedichte auf den Tod kleiner Kinder hatten die Poeten der Vergangenheit mehr als ausreichend Gelegenheit: Es war ein Wunder, wenn die Kleinen die ersten Jahre überlebten. Ich habe diesem Post einige berühmte Strophen der "Consolation à Monsieur Du Périer" des François de Malherbe aus 1599 vorangestellt. In der "Consolation" finden wir die Elemente gesammelt, die - insbesondere in der älteren Trauerpoesie - zu finden sind: Trauer um das verstorbene Kind, sein unbeschwertes Dasein bei Gott, der Gedanke, dass es dessen Wille war, dem sich zu beugen unser einziger Trost sein kann.

In der niederländischen Literatur ist Vondels "Kinder-lyck", das auf diesen Elementen aufbaut, berühmt. Hubert Corneliszoon Poot, der Dichter dieses Posts, ahmte dem älteren, bewunderten Dichter-Kollegen nach. Dieser konnte der trauernden Mutter nicht viel mehr bieten als eine theologische Belehrung. Jedoch gelang es Poot die traditionellen Elemente - Trauer, Trost und Ergebenheit - viel persönlicher für die Mutter (in Malherbes Poem noch abwesend) zum Ausdruck zu  bringen. Im Übrigen: Vondel, zu seiner Zeit, konnte gar nicht anders, eine andere Herangehensweise wäre völlig undenkbar gewesen. Persönlich hatte er Grund genug zu trauern.

Die poetische Haltung in den Kinder-Trauergedichten hat sich im Laufe der Zeit ziemlich geändert, wie man in diesem Blog sehen kann: Der schwergeprüfte De Génestet reagierte mit einem sardonischen Spruch, Elsschot wütend und aufständisch, van Teylingen mit trauriger Fröhlichkeit.

Die Nachfolge von Vondel und den anderen Großen des "goldenen Jahrhunderts" hatte einen ganz einfachen Grund: Poot war Bauer, ein wirklicher Bauer, der hinter dem Pflug auf der Scholle seinen Lebensunterhalt verdiente in Abtswoude, einem Dorf nahe der Stadt Delft. Als Kind wurde seine Begabung durchaus erkannt, aber zuerst kam die Arbeit auf dem Lande. Seine Bildung war die Dorfschule, mehr nicht. Seine bäuerliche Sprechweise fiel den Zeitgenossen sogar auf. Fremdsprachen kannte er nicht, geschweige denn Latein, so dass er sich nur an seinen niederländischen Vorgängern ausrichten konnte, von denen er erstaunlich viel lernte. Dabei entwickelte er leider eine Neigung, quasi als Kompensierung für die fehlende Bildung, zur Überfrachtung seiner Gedichte mit sprachlicher Kunstfertigkeit und klassischer Mythologie. Es gelang ihm trotzdem manchmal einen persönlichen Ton zu finden, etwas Neues für ein Publikum, das von der Dichtkunst sowieso eine gute Prise klassischer Mythologie erwartete. 1716 veröffentlichte Poot mit großem Erfolg den ersten Gedichtband und er wurde das Ziel einer Art Dichtertourismus, der das erstaunliche Phänomen eines dichtenden Ackermanns mit eigenen Augen anschauen wollte. Irregeführt durch den vielversprechenden Anfang zog Poot in die Stadt Delft, in der Hoffnung dort mit literarischen Aktivitäten seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ohne Erfolg. Niedergeschlagen und alkoholkrank kehrte er zurück zum väterlichen Hof und  heiratete nach langem Werben (denn er war nur ein Bauer!, der Standesunterschied!) seine geliebte Neeltje 't Hart. Wieder zurück in Delft fing er einen Tabakhandel an, aber folgte auch erneut dem Ruf der Dichtkunst, dieses Mal nicht ohne Erfolg. Es erschienen mehrere Bände, die guten Anklang fanden. Von seinen Verlegern wurde er entsprechend übers Ohr gehauen. Aber die Tätigkeit eines Tabakhändlers und Gelegenheitsdichters deprimierten ihn. Delft war (und ist) ein bemerkenswerter kleiner Ort. Der bekannteste seiner Bürger ist wohl Johannes Vermeer. Der Anatom de Graaf (der von den Ovarialfollikeln) wirkte  dort, wie Antonie van Leeuwenhoek (der von der Mikroskopie). Poot's Lobgesang auf van Leeuwenhoek ist ein Beispiel einer solchen Gelegenheitsarbeit, und nicht einmal das schlechteste. Poot kannte van Leeuwenhoek auch persönlich und das Grabgedicht für van Leeuwenhoeks Grab in der Delfter alten Kirche stammt von ihm. 



Wie eng die Beziehungen in der kleinen Stadt gewesen sind geht auch aus der Tatsache hervor, dass van Leeuwenhoek Vermeers Testamentsvollstrecker gewesen ist. 


Johannes Vermeer, 
Ansicht von Delft

Johannes Vermeer, 
Bildnis des Antonie van Leeuwenhoek

Bei aller Gelegenheitsarbeit gelangen ihm bis heute bekannte Werke, z.B. das immer noch ansprechende arkadische Gedicht (nach Horaz) "Akkerleven" (Bauernleben) mit der berühmten (und angesichts Poots eigenen Lebens wohl leicht parodistischen) Anfangszeile "Wie vergnüglich fließt das Leben des zufriedenen Landmanns hin..." .

Es war ein mühsames, von Verlegern und Nierensteinen geplagtes Dasein. Den Tod seines kleinen Töchterchens hat Poot nicht überwunden. Ein halbes Jahr nach seinem persönlichsten Gedicht ist er gestorben.


Auf den Tod meines Töchterchens


Jakoba trat mit Widerstreben

hinein ins böse Leben;

und hat sich schuldlos in den Tod geweint,

nicht war sie für die Welt gemeint.

Kaum zu leben angefangen,

ist sie wohl gern gegangen.

Die Mutter küsst' das liebe Wichtchen

auf ihr lebloses Gesichtchen.

Das kleine Seelchen, leicht und schlicht,

es hörte auf die Mutter nicht,

und, hastig aufgefahren,

ist's nun bei Gottes Scharen.

Dort spielt und lacht es schon

rund um den höchsten Thron;

und spannt die kleinen Schwingen,

befreit von ird'schen Dingen.

Blume von dreizehn Tagen,

dein Heil verbietet's uns zu klagen. 

(Juli, 1733)


Übersetzung Jaap Hoepelman, Juli 2023


Hubert Poot, Op de dood van mijn dochtertje


Poots Ansehen als Dichter hat mit der Zeit ziemlich gelitten. Kollege-Dichter De Schoolmeester hatte für ihn nicht mehr als folgendes lakonisches Epitaph übrig:

Hier ligt Poot

Hij is dood.

(Hier liegt Poot

Er ist tot.)

Ed Hoornik. Prophetisches.

Pogrom   1938 Pogrom                                                                                                             Ed Hoornik ...