Antoni Christiaan Wijnand Staring
1767-1840
In
einem früheren Post habe ich schon einige Zeilen über Staring als Dichter der Übergangszeit zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert geschrieben. Als rationellen Romantiker und Christ könnte man ihn beschreiben und als toleranten, aufgeklärten Mann.
Toleranz und Rationalität waren nicht gerade hervorstechende Eigenschaften der vergangenen Jahrhunderte, auch nicht in den Niederlanden. Juden waren bis 1796 nicht gleichgestellt. Katholiken, Remonstranten, Lutheraner und andere im Übrigen auch nicht. Über diese Diskriminierung bis 1796 und danach schrieb ich
in einem andern Post, aber aufgeklärtere und tolerantere Tendenzen, auch den Juden gegenüber, waren früh zu erkennen. Auf der einen Seite, weil die Republik der Niederlande, im Aufstand gegen das inquisitorische Spanien, Verständnis hatte für die geflüchteten Juden, auf der anderen aus schnödem Eigeninteresse.
Hugo Grotius z.B., der berühmte Rechtsgelehrte, beführwortete die Zulassung der Juden
auf Grund des zu erwartenden Profits. Ich sehe das nicht unbedingt als schlimmen Vorwurf, sondern vielmehr als Beleg dafür, dass, wo Ideologie Toleranz eher ausschließt, Eigeninteresse gerne einen vielleicht nicht gar so blütenweißen Weg findet. Den kleinen, hinterfotzigen Antisemitismus gab es zweifellos. Die ethisch-tolerante Komponente gab es aber auch. Revius' berühmtes Gedicht "
Er trug unsere Schmerzen", vom Historiker
Jaques Presser eines der schönsten Gedichte der calvinistischen Niederlande genannt, scheint mir nicht von gewinnsüchtigen Interessen bestimmt. Vertreter der frühen Aufklärung und Rationalität findet man in
Jeremias de Decker und natürlich in
Spinoza, dessen Leben zu seiner Zeit in einem anderen Land schlicht unmöglich gewesen wäre. Nicht vergessen sollte werden, dass Philosophen wie
Descartes,
Locke und
Bayle in den Niederlanden Zuflucht gefunden hatten und von dort aus einen beträchtlichen Einfluss ausübten.
In Staring also kamen diese Elemente zusammen: Er war ein rationeller Romantiker und toleranter Christ. In diesem Sinne unterschied er sich ziemlich von der Kleinkariertheid, die die Niederlande noch lange Zeit im Griff hatte.
Die Israelitische LaubhütteWer voller Hohn zur Hütte kam -
Nicht ich, Du Kind von Abraham!
Entbiet' ich ehrlichen Gemuts,*
Der Schwelle meinen Friedensgruß!
Dein Fest begehst Du, sitzend dar,
Getrost in Deiner Kinderschar,
Im Schatten Deines Laubverschlags,
Wie Dir von Mose einst gesagt.
Judeas Rebstock grünt hier nicht;
Oliv' und Feige reifen nicht;
Du erntest in der rauen Luft
Nicht reiches Laub, nicht süße Frucht;
Und doch bist Du gesessen dar,
Getrost in Deiner Kinderschar;
Das Festzelt hier ein Örtchen fand
Wie einst in Palästinas Land.
Dreitausend Male schloss die Sonne
Den Kreis, wo sie das Jahr begonnen,
Noch immer baust Du den Verschlag,
Wie einst von Mose Dir gesagt.
Jerusalem ist tief entehrt;
Des Tempels Mauern sind verheert;
Verflossen ist schon längst die Zeit
Des Glanzes beider Herrlichkeit.
Trotzdem, Dein Zelt steht jedes Mal
Bei Völkerschaften ohne Zahl,
So bald die Schal' am Himmelszelt,
Das Tagesmaß hat gleichgestellt.**
Wir - tasten in Unsicherheit;
Die Wiege liegt in Dunkelheit;
Dass Gott uns hat hierhin gebracht,
Wird nicht gefeiert, nicht gedacht!
Dreitausend Jahr' hast Du gezählt,
Dass Dich der Ew'ge auserwählt;
Dass, als Du flohest vor Gewalt,
Sich öffnete im Meer ein Spalt;
Dass, ohne Dach, ein Leben lang,
Die Schare ging den Endlosgang;
Die Wolkensäule führt' den Zug,
Und Manna war Dir Speis' genug.
Du feierst bis zur heut'gen Zeit,
Dass Gottes Arm Dich hat befreit.
Deswegen, ehrlichen Gemuts,
Entbiete ich den Friedensgruß.
Wer voller Hohn zur Hütte kam -
Nicht ich, Du Kind von Abraham!
De Israelitische LoverhutAus: Staring 1836/1837 Gedichten
Arnhem, Nijhoff.Vertaling Jaap Hoepelman Februar 2025
*"ehrlichen Gemuts"...ich weiß, ich weiß. Mangels Reimwortes war ich auf der Suche nach Assonanzen für meinen quasi-altmodischen Text und fand eine passende Stelle:
Eines ehrlichen auffrichtigen Gemuts zuseyn/ nicht ruhmräthig vnd geitzig/ der mit eim billichen Lohn
** Gemeint ist die Zeit nach dem Mondkalender, die Tag-und-Nachtgleiche, in der Tag und Nacht ungefähr gleich lang sind und in der das Laubhüttenfest gefeiert wird (September, Oktober).
Dirk Jansz van Santen:
Jüdisches Laubhüttenfest, Bibelillustration (1682)