Samstag, 12. April 2025

Reisender tourt Golgotha.

 Gerrit Achterberg

1905-1962

Reisender "tourt" Golgotha


Sie haben ihn, ohne danach zu fragen

ob Er es könnt' ertragen,

mit Nägeln an ein Kreuz geschlagen.


Und als Er dort dann litt und hing,

-  ein Nagel ist ein übles Ding -

sprach Er: Vater verzeih es ihnen.


Sprach Er: Sie wissen nicht was sie tun.

Sie wollten sich damit hervortun -

mal schauen - was wird Er jetzt tun?


Aber Er betete für sie,

und sterbend hatte Er für sie,

für ihr Gewissen, noch ein Alibi.


Und ich stand weiter weg, und tat,

als ob ich plauderte mit einigen Soldaten,

die nutz- und ahnungslos das, was sie taten taten.


Er aber, in der letzten Not, befahl sich

in die Hände Seines Vaters; - Noch vor Ostern musste ich

nach Jaffa hasten, dort wartete mein Schiff auf mich.


II


Dann konnte ich - auf Zypern - in der Zeitung lesen:

J.v.N., der Christus wird genannt,

der vor drei Tagen gekreuzigt ist gewesen,

dem werten Leser dieser Zeitung wohl bekannt,


ist in Seinem Grab nicht angetroffen:

Nach hartnäckigen Gerüchten war es offen, 

insgeheim hätten die Jünger sich getroffen,


als die Wärter schliefen, und den Leib entwendet.

Exaltierte Frauen hätten jedoch gemeldet,

dass sie Ihn wandern sahen in den Feldern;


Maria soll gestammelt haben: Adonai!

Fischer behaupten, dass Folgendes geschehen sei:

Am See Tiberias war Er beim Mahl dabei.

Zuständige Instanzen halten dagegen:

Das sei nur der Versuch, einen herein zu legen.


III


Rom. Der Anker fällt. Es geht nach Hause.

Jetzt schleunigst zu den Thermen um mich zu entlausen

von Rausch und Reise, und jetzt bei mir zuhause


bei Frau, Kamin und Funk gesessen,

sind Kreuz und Christus bald vergessen.

...Dann hat ein S.O.S. sich in mein Herz gefressen: 


"Es gießt mein Geist sich aus auf alles Fleisch,

wer jetzt nicht für Mich ist, ist gegen Mich", so heißt es

aus Geheimem Sender gleißend heiser.


Die Segel neu gesetzt, über Einsamkeiten

der Ozeane, welche uns entzweien.

Christus, will am Ende mir erscheinen.


Gerrit Achterberg 1943

Reiziger 'doet' Golgotha

Aus Verzamelde Gedichten (2003).


Übersetzung Jaap Hoepelman April 2025

Dienstag, 1. April 2025

Hans Lodeizen. Der Perk der Fünfziger...?

 

Hans Lodeizen 1924 - 1950


Hans Lodeizen war der Sohn des Präsident-Direktors der Rotterdamer Reederei Müller&Co* und war als solcher aller materiellen Sorgen enthoben. Seit seiner frühen Jugend litt er aber unter einer schwachen Gesundheit, einer Asthma, die ihn zu einem einsamen Kind machte und ihn in Gymnasium behinderte. Später fing er ein Studium an der Universität von Amherst (Mass.) an, das er nicht abschließen konnte. In Amherst traten erste Symptome der Leukämie auf, an der er in 1950 in Lausanne starb. In seinem kurzen Leben erschien von ihm nur ein Gedichtband, "Het innerlijk Behang" - "Die innerliche Tapete". Weil er sehr jung starb, weil seine Poesie neu und andersartig war als die der Vorgänger, und weil bald nach seinem Tod mit der Bewegung der Fünfziger eine Welle der Erneuerung einsetzte, wird er wohl mit Jacques Perk, dem Vorläufer der Achtziger des 19. Jahrhunderts verglichen. Perks hochgestimmte Feier der Dichtkunst war ihm aber völlig fremd. Lodeizens Gedichte sind unprätentiöse, reimfreie, scheinbar lose zusammengefügte Prosatexte voller Bilder und Assoziationen über Verlassenheid und Trauer. Lodeizen passte nicht in dieses Leben und als Homosexueller schon gar nicht in das Leben während und kurz nach WKII. Als Erneuerer kurz nach einem Krieg nach dem es keinen Sinn mehr hatte weiter zu machen in den hergebrachten Formen, erinnert er eher noch an Paul van Ostaijen, kurz nach WKI, auch er jung gestorben, auch er ein großer Beender der Tradition. Lodeizens neue Dichtkunst aber kam sehr gut an. Vom einzigen Band "Het innerlijk Behang" gab es bis 1990 15 Auflagen. 1996 erschien eine vollständige wissenschaftliche Ausgabe "Gesammelte Gedichte" (Uitgeverij G. A. van Oorschot, Amsterdam, 1996)

Die Melancholie eines Unverstandenen erschließt sich vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber die besten Gedichte sind nicht die, die man sofort  versteht, sondern die, die man verstehen möchte.

[Erzählungen und Unglücke]

Erzählungen und Unglücke gingen immer zusammen
in diesem Land; der König
ging im Hermelinmantel zu Bett
inmitten seiner Hofdiener
und schlief schlecht wegen des unaufhörlichen
Gewirr der Stimmen um ihn herum;
zwei Kammerdiener, die sich stritten um sein Beinkleid
oder ein Page, Witze reißend über seine Strümpfe;
Es war ein Land mit fremdartigen Leuten,

und doch: hier lebte er und war glücklich, unter
dem Pöbel war er zuhause, wie unter der Elite;
er kannte keinen Frieden
groß genug um die unermesslichen
Strände seines Gefühls zu füllen, kein Ruf
war schnell genug, die Winde einzuholen
- es war ein aussichtsloses Unterfangen
zu klagen und er klagte nicht.


aus: Hans Lodeizen "Het innerlijk behang" Van Oorschot Amsterdam (1949).

(Übersetzung Jaap Hoepelman, April 2025)

Langsam

Winter, du bist ein Schlechter,
in den Häusern versteckst du dich
wie ein Kind sehe ich dich, wie du in alle Schulen
hinein rennst mit deinem Leib
versteckt im Ranzen oh Winter du bist
ein schlechter Lehrer.

Ein kleines bisschen Feuerwerk damit
bin ich zufrieden o Winter gib mir
etwas Fröhlichkeit schneide eine Scheibe
ab von diesem Mittag werfe ein Märchen
in das Gewässer der Nacht
oh schlechter Lehrer.

Tag schlechter Winter, Scherenschleifer,
mit verschrammten Knien rennst du
über den Schulhof wie Murmeln
aus den Wolken eines Himmels zum blauen
Hemd, wo die weiße Kreide reitet eines
schlechten Lehrers.

aus: Hans Lodeizen "Het innerlijk behang" Van Oorschot Amsterdam (1949).

(Übersetzung: Jaap Hoepelman Februar 2019)


*Es ist ein "fait divers" in diesem Zusammenhang, aber es vermittelt doch einen Eindruck von Lodeizens Umgebung. Das Handelsunternehmen Müller & Co. dessen Vorstandsvorsitzender Lodeizens Vater war, wurde 1876 in Düsseldorf gegründet. In 1889 übernahm Anton Kröller (verheiratet mit Hélene Müller, der Tochter von Wilhelm Müller) die Leitung der Rotterdamer Niederlassung. Hélene Müller ist die Stifterin der Sammlung Kröller-Müller, beheimatet auf einem Landgut in Osten der Niederlande, mit einem Museum und einem vom berühmten Architekten Berlage entworfenen Jagdschloss.
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Das Museum enthält eine berühmte Skulpturen- und Gemäldesammlung, insbesondere die, nach dem Van Gogh Museum in Amsterdam, zweitgrößte Sammlung Van Goghs der Welt. 

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Ein gutes Beispiel für Lodeizens lakonische aber bedeutungsreiche Bildersprache fand ich immer "An einem sehr warmen Sommertag", in dem Titel und Gedicht nahtlos in einander übergehen:

An einem sehr warmen Sommertag

er hatte
alle Formen der Trauer
im Körper ertränkt

doch Angst
mit Hut und Regenschirm
wartete im Vestibül.

aus: Hans Lodeizen "Het innerlijk behang" Van Oorschot Amsterdam (1949).

Übersetzungen: Jaap Hoepelman Februar 2019, April 2025

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